Man nannte sie die Löwin vom Nil: Die ägyptische Autorin und Frauenrechtlerin Nawal al-Saadawi ist gestorben

Sie trat für die armen und ungebildeten Frauen ihres Landes ein, und mehr als einmal wurde Nawal al-Saadawi für ihre unverhohlene Kritik an Religion und Gesellschaftsordnung mit Sanktionen belegt.

Andreas Pflitsch
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Präsent, energiegeladen – und vielen ein Dorn im Auge: Nawal al-Saadawi in einer Aufnahme aus dem Jahr 2003.

Präsent, energiegeladen – und vielen ein Dorn im Auge: Nawal al-Saadawi in einer Aufnahme aus dem Jahr 2003.

Albert Olive, EPA EFE

Der Fortschritt ist eine Schnecke. Und nicht selten bewegt sich diese auch mal rückwärts. Als Nawal al-Saadawi in den 1950er Jahren in Kairo ihr Medizinstudium aufnahm, gab es dort keine einzige verschleierte Studentin. Als ihre Tochter in den 1970er Jahren studierte, waren es bereits einige Dutzend. Unter Präsident Anwar al-Sadat setzte in Ägypten zu dieser Zeit eine Phase der kulturellen und gesellschaftspolitischen Stagnation ein, die nicht zuletzt für die Frauen einen Rückschritt markierte.

Fürsprecherin der Unsichtbaren

Es war zu dieser Zeit, dass Nawal al-Saadawi mit ihren ersten Büchern über die Beziehung von Sexualität und Politik zu einer der prominentesten Regimekritikerinnen wurde – und alsbald die Konsequenzen zu spüren bekam. So verlor sie ihre Stellung als Direktorin des Kairoer Gesundheitsamtes, wurde mit einem Publikationsverbot belegt und kurzzeitig inhaftiert.

Im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen, die bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert aus einer städtischen, bürgerlich-elitären Position heraus gleiche Rechte für Frauen einforderten, sah sich Nawal al-Saadawi als Fürsprecherin der Frauen aus den unteren und untersten Schichten. Sie selbst wurde 1931 in Kafr Tahla, einem Dorf im Nildelta, geboren, wo sie in jenem von Armut, Analphabetismus und Engstirnigkeit bestimmten Milieu aufwuchs, das sich im Zuge der Landflucht seit Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die grossen Städte des Landes erstreckte und deren Sozialstruktur nachhaltig veränderte.

Die vielfältigen Einblicke in die Schicksale der Frauen, die sie als Ärztin behandelte, machten aus der engagierten Medizinerin eine politische Schriftstellerin. Sie wolle sich nicht länger damit zufriedengeben – so hat sie diesen Schritt einmal in einem Interview begründet –, die Symptome zu kurieren, sondern deren Ursachen aufdecken und das Schweigen darüber brechen.

Die politischen Hintergründe der Unterdrückung der (vor allem weiblichen) Sexualität und das Verhältnis von ökonomischer und sexueller Unterdrückung thematisierte sie in allen ihren Sachbüchern, Erzählungen und Kurzromanen, wie «Ich spucke auf euch», «Der Sturz des Imam» oder «Gott stirbt am Nil». Dabei geht sie in ihren Schilderungen sexualisierter körperlicher Gewalt, von der Klitorisbeschneidung bis zum sexuellen Missbrauch innerhalb der Familien, wenig subtil vor und verzichtet zugunsten eines «ästhetischen Realismus» auf jede Art literarischer Finessen.

Polemische Zuspitzung

In den 1980er und frühen 1990er Jahren, als kämpferische Emanzipationstexte aus der arabischen Welt vor dem Hintergrund des aufkommenden politischen Islams im Westen eine gewisse Konjunktur erlebten, war Nawal al-Saadawi eine prominente Akteurin der Dritte-Welt-Frauenliteraturszene. Dass ihr die bis ins Polemische reichende Zuspitzung nicht fremd war, hat ihrer Wahrnehmung in diesem Kontext sicherlich nicht geschadet, während sie sich dafür in ihrer ägyptischen Heimat auch Kritik gefallen lassen musste, wo man ihr undifferenzierte Vereinfachung vorwarf.

Die Behauptung, sie schreibe vornehmlich für ein westliches Publikum, hat al-Saadawi stets vehement zurückgewiesen. Dass ihre Texte aber gerade in ihrer Tendenz zum Holzschnittartigen an tiefsitzende Klischees von der passiven Orientalin anknüpfen können, ist kaum von der Hand zu weisen. Mit seiner starken Betonung der Opferrolle der arabischen Frau erweist sich das Werk der am 21. März im Alter von 89 Jahren verstorbenen Autorin so auch als Teil des Problems, das es zu beschreiben vorgibt.