Die 83-jährige Schauspielerin brilliert ab dieser Woche in «Red Joan» in den Kinos. Sie ist ihres Berufs noch lange nicht müde – und begeistert sich für ein Wunderwerk der Mikrotechnik. Dies hat sie uns am vergangenen Zurich Film Festival verraten.
James Bond ist ein Würstchen ohne Stehvermögen im Vergleich zu ihr: Während die Besetzung des Agenten in der Filmreihe alle paar Jahre zu wechseln pflegt, hat Judi Dench als seine eiserne Chefin M 17 Jahre lang durchgehalten: Von 1995 («Golden Eye») bis 2012 («Skyfall») gab sie sieben Folgen lang die strenge, mitunter missmutige MI6-Chefin, die einzige Autorität, der sich 007 unterordnet. Als die Figur in einem düsteren Showdown in den Tod geschickt wurde, starb ein Teil von Bond. Dench war so prägend für die Rolle, dass ihr Nachfolger, wie alle ihre Vorgänger, ein Mann sein musste, um sich abzugrenzen. In ihre Fussstapfen trat Ralph Fiennes.
Ja, Judith Olivia Dench, 1934 im englischen York geboren, ist eine, die man nicht so schnell vergisst. In Zeiten, da über einen Mangel an guten Filmrollen für reifere Frauen geklagt wird, hat sie mit sechzig erst richtig losgelegt – und all ihre sieben Oscar-Nominationen nach dem offiziellen Pensionsalter geholt. Sie ist ein Phänomen, noch immer sehr gefragt und der lebende Beweis für eine These: Noch mehr als ihr Spiel hebt die ganz Grossen des Schauspielfachs ihre Persönlichkeit vom Mittelmass ab. Diese offenbart sich auch in einer Gesprächsrunde im prächtigen Saal eines Zürcher Fünfsternhotels.
An langer, weiss gedeckter Tafel – das Setting könnte Dench an manche Szene ihrer Königinnenrollen erinnern – sitzen um sie herum ein halbes Dutzend Medienleute. Ich erhalte den Platz direkt neben ihr zugewiesen, wo ihre vibrierende Energie unmittelbar spürbar ist. Und mit welch wunderbaren Furchen ihr ungeliftetes Gesicht unter schlohweisser Wuschelfrisur dem Jugendwahn trotzt! Sie aber bewundert sofort mein Aufnahmegerät, das ich in den Pulk fetterer Exemplare vor sie lege. Sie schenkt dem Ding diesen gütigen Dench-Blick, dem eine trotzige bis misstrauische Note beigemischt ist, unterstrichen von der leicht vorgeschobenen Oberlippe: «Fascinating. It’s so small!» Big ist eben nicht immer beautiful, das weiss selbst Bond, der seine Hilfsmittel gar im Manschettenknopf zu verstecken weiss.
Es entspinnt sich in der Runde eine lockere Plauderei wie unter Freunden, Dench sprüht vor Liebenswürdigkeit und Wärme, lässt mit ihrer unverwechselbaren Stimme die Anekdoten purzeln und greift sofort ans Herz, als Johnny Depps Name fällt: «I’m still very, very fond of him.» Zu schade, dass sie ihn in Zürich knapp verpasse.
Von der Medienkonferenz am Tag zuvor zu «Red Joan» wissen wir: An Ruhestand denkt sie gar nicht erst. Man gehe ja in Pension, um endlich das zu tun, was man gerne mache. Das aber tue sie jetzt schon. Tatsächlich wirkt Dame Judi Dench, vor dreissig Jahren zur Dame Commander of the Order of the British Empires geschlagen, alles andere als arbeitsmüde. Aber natürlich weiss sie, dass auch ihre Uhr tickt. Vielleicht deshalb hat ihre Rührung über den Golden Icon Award, mit dem sie ans Zurich Film Festival gelockt worden ist, bei der Verleihung so echt gewirkt wie ihr Lob an die Adresse dieser Stadt, in die sie unbedingt einmal zurückkehren müsse.
Noch wohler als auf dem Filmset fühlt sich Dench trotz Lampenfieber auf der Bühne, wo sie die Reaktion des Publikums spürt. Und dort war sie, als die Rolle der M ihre Leinwandkarriere vollends in Fahrt brachte, in ihrer Heimat längst ein vielfach ausgezeichneter Star. Der Weg führte über erste Geh- oder Kriechversuche als Schnecke im Schultheater über das Debüt vor 61 Jahren als Ophelia in «Hamlet» am Royal Court Theatre in Liverpool bis zur Aufnahme ins Ensemble der Royal Shakespeare Company. Und sie bleibt der Bühne in diversen Funktionen verbunden.
Ophelia, Julia, Lady Macbeth und wie sie alle heissen: Dench hat ihren Shakespeare, dessen Werke sie schon als Siebenjährige inspiriert hatten, wahrlich gespielt. Wie passend, dass sie ihren Oscar 1999 für die Nebenrolle der Elisabeth I. in «Shakespeare in Love» erhielt. Eine rekordverdächtig tiefe Leinwandpräsenz von knapp acht Minuten reichte ihr damals, um den begehrten Preis zu holen.
Meist erhält Dench, wie sie ausführt, sehr ähnliche Rollen angeboten wie die jeweils zuletzt gespielte. Und das sei das Letzte, was sie wolle: Sie hat keine Lust, sich zu wiederholen, kann eine Aristokratin ebenso gut geben wie die Working Class Woman. In Szenen als halsstarriges, verhärmtes Weib in Lasse Hallströms «Chocolat» (2000) ebenso wie in Stephen Frears «Philomena» (2013): Wie unerhört berührend füllt sie, die auf distanzierte Figuren spezialisiert zu sein schien, die Rolle der Mutter auf der Suche nach ihrem durch Zwangsadoption verlorenen Sohn aus! Die von Alzheimer gezeichnete Iris Murdoch gab sie in «Iris» (2001) von Richard Eyre, unter dessen Regie sie in «Notes on a Scandal» (2006) selbst einem erbärmlichen Charakter einige Funken Menschlichkeit abrang.
In «Red Joan», ihrer neusten Arbeit, ist sie nun zwar in die Rahmenhandlung gedrängt – doch prägt sie auch diesen Film. Regisseur Trevor Nunn ist als ehemaliger Intendant der Royal Shakespeare Company ein alter Freund von ihr, was sie als ersten Grund für ihre Zusage für die Rolle nennt. Dass sie mit Regisseuren wiederholt arbeitet – im Film besonders oft mit Frears, zuletzt in «Victoria & Abdul» –, darf man auch ihrer Loyalität zuschreiben. Ihre Auffassung davon zeigte sie auch, als sie jüngst ihren geächteten guten Freund Kevin Spacey verteidigt hat, ohne dessen allfällige Verfehlungen rund um sexuelle Belästigung gutzuheissen. Sie steht ein für ihre Meinung – 2011 etwa forderte sie mit weiteren Prominenten den damaligen britischen Premierminister David Cameron in einem Schreiben zur Entkriminalisierung des Konsums gewisser Drogen auf – und ist vielfältig wohltätig engagiert.
Als die Rede in der Runde auf das Thema Spionage kommt, wandern Denchs Finger, die auf der Tischplatte ständig in Bewegung sind, zu einem Objekt zu ihrer Linken. Sie will es gerade zu kneten beginnen, ehe sie aufschreckt: «O, is this one of these, too?» Sie kann beruhigt werden: Es ist kein noch kleineres Aufnahmegerät, kein Lauschangriff, nur eine Aufmerksamkeit des Hotels in Form eines Päckleins Mint-Bonbons. Sie registriert es mit ihrem wunderbar rostigen Lachen.
urs. · Kann jemand mit hehren Idealen zur Landesverräterin werden? Dieser Frage nähert sich Trevor Nunns Romanverfilmung «Red Joan» an. Inspiriert von einer historischen Figur, tendiert der Stoff eher zum Porträt einer Frau in männerdominiertem Umfeld denn zum Spionagethriller. Joan Stanley (Judi Dench) erweckt den Eindruck einer harmlosen Rentnerin, als sie eines Tages im Jahr 2000 in ihrem Haus in einem malerischen Vorort von London verhaftet wird. Tatsächlich stellt sich in den Verhören heraus: Die Physikerin, die vor gut einem halben Jahrhundert im Entwicklungsteam für eine britische Atombombe gewirkt hatte, gab deren Pläne bald darauf an die Sowjetunion weiter. Sie beteuert indes, in der Überzeugung gehandelt zu haben, damit etwas für das Gleichgewicht unter den Grossmächten, also für den Weltfrieden zu tun. Nun ist es an ihr, die Ermittler und die Öffentlichkeit von dieser Version zu überzeugen – und ihren Sohn. Der melodramatisch angehauchte Plot verharrt etwas lange bei der romantisch gefärbten Vorgeschichte. Wir begleiten die Protagonistin durch ihre Zeit als Studentin (Sophie Cookson), die sich von russischen Kommilitonen für kommunistische Ideen begeistern lässt. Die ausführlichen Rückblenden drängen die 84-jährige Judi Dench als gealterte Protagonistin leider in die Rahmenhandlung – dabei könnte eine Charakterstudie der Figur in dieser Lebensphase erhellend sein.
Ab 20. 6. in den Kinos. ★★★☆☆