Immer neue Rettungsprogramme von Zentralbanken und Staaten führen in die «Zombie-Wirtschaft»

Die Finanzhilfen für Unternehmen nach dem Ausbruch des Coronavirus haben eine Liquiditätskrise verhindert. Sie setzen aber einen problematischen Trend fort. Dieser könnte eine lange Sklerose der Wirtschaft zur Folge haben.

Michael Ferber
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British Airways ist einer der «gefallenen Engel» in Europa.

British Airways ist einer der «gefallenen Engel» in Europa.

Simon Dawson / Bloomberg

Die gigantischen Rettungsprogramme von Staaten und Notenbanken haben die Finanzmärkte in der Corona-Krise stabilisiert. Viele Börsianer reiben sich indessen die Augen angesichts der Entwicklung der Aktienmärkte. Der amerikanische Leitindex S&P 500 beispielsweise ist nach seinem Absturz in der Corona-Krise von seinem Tiefpunkt bei 2237 Punkten am 23. März bereits wieder um mehr als 30% gestiegen – trotz den wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Pandemie.

Gestützte Vermögenspreise

«Die Vermögenspreise lösen sich von der Realwirtschaft immer stärker ab», sagt Alexander Horn, Unternehmensberater und Autor des Buchs «Die Zombie-Wirtschaft». Bei der jüngsten Aufholjagd der Aktienkurse nach dem Corona-Einbruch haben die Rettungsprogramme der Staaten und Notenbanken für Unternehmen eine wichtige Rolle gespielt. «Mit dem Entscheid, die Obligationen von Unternehmen zu kaufen, hat die US-Zentralbank Federal Reserve eine Liquiditätskrise verhindert», sagt auch Daniel Pfister von dem unabhängigen Kredit-Research-Unternehmen Independent Credit View (I-CV).

Die amerikanische Notenbank im Rettungsmodus

Bilanz des Fed in $ (in Milliarden)

Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte dem Beispiel des Fed bald folgen und ihr Rettungsprogramm auf Anleihen von Unternehmen erweitern, die das Rating der «Investitionsklasse» (Investment-Grade) verloren haben. Solche Unternehmen sind als «gefallene Engel» bekannt. Sie haben gemeinsam, dass ihr Rating auf eine Note von «BB+» oder tiefer herabgestuft wurde. Wie Daten von Bloomberg zeigen, war dies in Europa in diesem Jahr per 12. Juni bereits bei 15 Unternehmen der Fall. Darunter sind Lufthansa, British Airways, Rolls-Royce, Renault oder ZF Friedrichshafen. In den USA werden in diesem Jahr 25 «gefallene Engel» gezählt, darunter Ford, Delta Airlines, Kraft Heinz oder Macy’s.

Verbreitete «Stabilitätskultur»

Rettungsprogramme mögen durchaus gerechtfertigt sein, wenn ein Schock wie der Kollaps der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008 oder der Ausbruch des Coronavirus die Wirtschaft in die Tiefe reisst. Problematisch wird es, wenn solche Rettungsaktionen zum Courant normal werden. Horn sieht die jüngste Rettungspolitik als Fortsetzung eines bereits seit den 1970er Jahren zu beobachtenden Trends. Die ultraexpansive Geldpolitik der Zentralbanken, die die Wirtschaft mit (zu) billigem Geld versorgt, spiele dabei eine Rolle. Noch wichtiger sei aber die in den westlichen Industriestaaten verbreitete «Stabilitätskultur». Deren Folge sei, dass die Politik in westeuropäischen Industrieländern versuche, mit aller Macht die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse aufrechtzuerhalten, um keine strukturellen Reformen angehen zu müssen.

Dies hat aber auch negative Folgen. Die Stabilitätsorientierung gehe zulasten des Wirtschafts- und des Produktivitätswachstums, sagt Horn. Disruptiver Wandel werde verhindert, und Veränderungen seien in der Gesellschaft negativ konnotiert. Staaten schützen die Unternehmens-Platzhirsche in ihrem Land, die «nationalen Champions».

Misswirtschaft wird belohnt

Neben den Programmen der Notenbanken schnüren auch Regierungen Rettungspakete für angeschlagene Branchen. Banken hätten unter diesen Umständen keinen Anreiz, Kredite vertieft zu prüfen, sagt Pfister. Unternehmen werden so zwar vordergründig gerettet, es werden aber auch Misswirtschaft und risikoreiches Geschäftsgebaren belohnt. Dies geht zulasten von Firmen, die gut gewirtschaftet haben. In einer Zeit der Negativzinsen müssen sie für ihre Liquiditätspuffer sogar noch zahlen.

Kritiker sehen in der Entwicklung einen «Rettungs-Teufelskreis». Eine immer schwächere wirtschaftliche Entwicklung führe zu einer umso bereitwilligeren Bewahrung und Rettung bestehender Unternehmen mit deren Geschäftsmodellen zulasten disruptiver Neuerungen. Die Profitabilität der Unternehmen sinke, die Wirtschaft verliere ihre Dynamik und werde schliesslich zu einer «Zombie-Wirtschaft», sagt Horn.

Angebot an Hochzinsanleihen steigt

Als «Zombie-Unternehmen» gelten gemeinhin Firmen, die ihre Zinskosten nicht aus eigener Kraft erwirtschaften können. Natürlich sind solche Firmen auch zu schwach, um in neue Technologien zu investieren und sich für die Zukunft fit zu machen. «Von ihnen geht keine wohlstandssteigernde Wirkung mehr aus», sagt Horn. Sie hemmen die Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Pfister schätzt den Anteil von «Zombie-Unternehmen» in den Volkswirtschaften westlicher Industriestaaten auf rund 15% – und dieser Anteil dürfte aufgrund der Corona-Krise noch steigen.

Ein Zeichen hierfür ist auch, dass das Angebot im Markt für Hochzinsanleihen von Unternehmen mit der Corona-Krise deutlich gestiegen ist. Laut der Fondsgesellschaft Axa Investment Managers erreichte das Volumen der Obligationen von «gefallenen Engeln» im März dieses Jahres 91,5 Mrd. $. Dies sei der höchste Wert seit zwanzig Jahren. Einige der «gefallenen Engel» mögen von der Corona-Krise hart getroffen worden sein und dank den Rettungsprogrammen wieder auf die Beine kommen. Setzt sich die Negativentwicklung aber weiter fort, könnten sie auch zu «Zombie-Unternehmen» werden. Als gefährdetste Gruppe sehen Vertreter von Axa Investment Managers Firmen, die übermässig verschuldet und gleichzeitig stark von der Corona-Krise betroffen sind.

«Nur kurzfristig gerettete Arbeitsplätze»

Der Verbleib solcher Firmen im Markt gilt insofern als problematisch, als sie gesünderen Unternehmen Marktanteile streitig machen und sie folglich schwächen. Zudem ziehen sie Fachkräfte aus dem Markt an, die dann anderen Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stehen. «Eine Marktbereinigung wäre fair gegenüber Firmen, die besser gewirtschaftet haben», sagt Pfister. Kurzfristig rette man mit einer solchen Politik vielleicht Arbeitsplätze, aber langfristig vernichte man sie. «Wirtschaftlich gesehen wäre es besser, mit einer sauberen Basis weiterzuarbeiten», sagt Pfister.

Für Sparer und Anleger sind dies grundsätzlich keine guten Aussichten. Horn glaubt zwar nicht, dass die «Zombie-Wirtschaft» zu einem grossen Crash führt. Allerdings drohe eine anhaltende Sklerose der Wirtschaft, die heute bereits in einigen südeuropäischen Ländern zu beobachten sei. So droht das allgemeine Wohlstandsniveau zu stagnieren. «Die Erwerbstätigen erwirtschaften unter diesen Umständen nicht mehr, die Zahl der Rentner steigt aber», sagt Horn.

Rückgang der Produktivität als Problem

In Deutschland nehme die demografische Alterung beispielsweise seit der Industrialisierung zu. Lange sei dies kein Problem gewesen, da die Arbeitsproduktivität ebenfalls stark gestiegen sei. Folglich konnte man die Rentner immer besser versorgen. Wächst der gesellschaftliche Wohlstand aber nicht, ist Umverteilung nötig. «Dies bedeutet, dass die kommenden Rentnergenerationen weniger bekommen dürften.» Das Rentenalter zu erhöhen, sei eine der Antworten auf diese Entwicklung. Dies allein reiche aber nicht aus, sagt Horn. Aus seiner Sicht ist der Rückgang der Produktivität der Arbeitskräfte der entscheidende Punkt, an dem es anzusetzen gilt.

Trotz «Zombie-Wirtschaft» bleibe Anlegern fast nichts anderes übrig, als investiert zu bleiben und «die Entwicklung mitzumachen», sagt Pfister. Das Fed und die EZB hätten eine Art «Fallen Angel Put» eingeführt, der die schwierige Lage solcher Unternehmen abfedert und sie nicht pleitegehen lässt. Davon profitierten solche schwachen Emittenten und Investoren. Das Ausmass an potenziellen «gefallenen Engeln» sei aber so gross, dass Unsicherheit herrsche, ob die Zentralbanken einen weiteren Preisschock abfedern könnten.

Hochzinsanleihen gut analysieren

«Die Finanzmärkte sind verzerrt, dessen müssen sich die Anleger bewusst sein», sagt Pfister. Für Privatanleger bieten sich im Allgemeinen für Investitionen im Hochzinsbereich ohnehin vor allem Fonds an. Einige Titel von «gefallenen Engeln» könnten für sie aufgrund ihrer höheren Renditen attraktiv sein. Unter den Hochzinsanleihen in Europa gebe es einen relativ grossen Teil von Firmen aus dem Gesundheitswesen, heisst es bei Axa Investment Managers. Sie handelten teilweise weit unter ihrem vorherigen Niveau, und darunter könnte es Kaufgelegenheiten geben, zumal die Ausfallrisiken bei solchen Firmen weiterhin gering seien.

Investoren sollten schauen, dass die Unternehmen, in die sie anlegten, wirklich profitabel seien und nicht nur «Schönwetter-Geschäftsmodelle» hätten, sagt Pfister. Zudem sollten die Firmen über genügend Liquidität verfügen. «Die Corona-Krise deckt ‹Zombie-Unternehmen› auf», sagt der I-CV-Vertreter. Diese seien beispielsweise bei den Fluggesellschaften zu finden, viele Unternehmen operierten hier mit hauchdünnen Margen. «Zombie-Firmen» gebe es aber in allen Branchen.

Die Vertreter von Axa Investment Managers gehen davon aus, dass die Zahlungsausfälle im globalen Hochzinsanleihen-Bereich trotz den Rettungspaketen zunehmen werden. Sie erwarten eine erste Welle in den nächsten Monaten, die Firmen treffen könnte, welche bereits am Abgrund stehen und stark von der Corona-Krise betroffen sind. Eine zweite Welle von Zahlungsausfällen könnte es 2021 geben, wenn die Wirkung der Rettungspakete nachlässt.