Kolumne

Und noch eine sexuelle Orientierung: Sie gehen mit Batman ins Bett

Wer sich als fiktosexuell identifiziert, fühlt sich zu fiktiven Figuren hingezogen. Schon wird der Trend aus Japan als Absage an Beziehungsnormen gedeutet. Klar, ist auch weniger anstrengend.

Birgit Schmid
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Der Blick durch die Virtual-Reality-Brille kann sehr rosa sein.

Der Blick durch die Virtual-Reality-Brille kann sehr rosa sein.

Imago

Wenn Sie eine Figur aus einem Roman, einem Film oder einem Comic heiraten könnten, wem würden Sie einen Antrag machen? Diese Frage ist keineswegs abwegig, sondern sie beschreibt das neuste Angebot im Spektrum der sexuellen Orientierungen und Genderidentitäten.

Sogenannt fiktosexuelle Menschen fühlen sich von fiktiven Charakteren angezogen. Sie haben romantische Gefühle und sind durch sie erregt. Im «Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik» gibt es neu einen Eintrag dazu. «Fiktosexuelle verlieben sich in der Regel aus denselben Gründen in diese virtuellen Personen, aus denen sich ein Mensch in einen anderen Menschen verliebt», steht da.

Nun braucht es gar nicht so viel Phantasie, um auf Namen zu kommen, an deren Seite man sich ein Leben vorstellen könnte. Mit Lady Chatterley fremdgehen, Felix Krull domestizieren, Jay Gatsbys Millionen für schöne Dinge ausgeben, Walter Faber das Fühlen lehren, Bridget Jones’ Charme erliegen, sich Christian Grey ausliefern.

Wer sich heute als fiktosexuell identifiziert, hat allerdings modernere Vorlieben. Die fiktiven Welten, in denen sich diese Menschen bewegen, sind meistens Comics und Computerspiele. Sie stehen auf Heldinnen und Helden wie Catwoman, Joker, She-Hulk, Batman. Dass jemand mit Obelix, Donald Duck oder Bart Simpson Sex haben möchte, wäre mir entgangen. Dafür sorgen die Figuren aus den japanischen Mangas und Animes für Herzklopfen: Naruto, Aria, L aus Death Note.

Gerade in Japan bekennen sich viele Menschen zur Fiktosexualität. Dass es sich dabei um mehr als eine vorübergehende Schwärmerei handelt, zeigt das Porträt eines Fiktosexuellen in der «New York Times». Akihiko Kondo, immerhin schon 38, hat nach Jahren grosser Verliebtheit die computeranimierte Pop-Sängerin Hatsune Miku geheiratet.

Die Videogame-Figur mit den türkis Haaren, den Kulleraugen und dem niedlichen Gesicht gibt es auch als Plüschpuppe. Mit einer solchen Puppe lebt Kondo in Tokio, wo er ihr in einer inoffiziellen Feier das Jawort gab. Er isst und schläft mit Miku, sie schauen sich Filme an. Er sagt: «Wenn wir zusammen sind, bringt sie mich zum Lächeln. In diesem Sinn ist sie real.» Seine Gefühle seien echt.

Die Comic- und Filmfiguren sind auf ihre Liebenswürdigkeit angelegt. Eine ganze Industrie verdient daran und weiss, was bei den Fans zieht: mutige, magische Charaktere voller Sex-Appeal. Man kann sogar romantisch interagieren mit ihnen. Etwa dank ihrem Hologramm in einem Gerät, das sich gut auf den Nachttisch stellen lässt.

Die Vorteile, die eine Ehe mit einer Phantasiegestalt hat, liegen auf der Hand: Sie ist immer da, begehrt nie auf, begehrt einen immer, ist nie untreu, wird nie krank. Im Gegensatz zu einer Sexpuppe hat ein fiktiver Charakter einen Charakter. Er bringt eine Geschichte mit, die Millionen von Menschen gefällt. Grund zur Eifersucht gibt es also schon. Da das Geschöpf so still ist, kann man es immer noch mit eigenen Projektionen beleben.

Die Fiktosexuellen, so sagen sie es selbst, verweigern sich der heteronormativen Paarbeziehung mit ihren traditionellen Rollenerwartungen. Die Frauen fühlen sich durch das fügsame Gegenüber besonders ermächtigt, und auch Herr Kondo aus Tokio ist sozusagen in die Beziehung zu Miku geflüchtet. Er wurde bei der Arbeit gemobbt und von den Frauen zurückgewiesen.

So berechenbar ist aber auch seine virtuelle Geliebte nicht, und vielleicht zwingt ihn das nun wieder zu mehr sozialem Austausch, bevor er es verlernt: Wegen eines System-Updates kann er nicht mehr mit ihr sprechen. Statt ihres Hologramms erschien eines Tages eine Fehlermeldung.

Seine romantische Beziehung war sowieso etwas konventionell. Die Fiktosexualität hat nämlich viele weitere Unterkategorien. Imagisexuell meint: von nicht bildlich dargestellten Figuren angezogen sein. Nekosexuell: auf katzenhafte Figuren stehen. Tobusexuell: auf Vampire. Aber da wollen wir jetzt nicht hin.

«Gute Nacht, meine Liebste»: Akihiko Kondo konnte mit dem Hologramm seiner Ehefrau, der fiktiven Figur Hatsune Miku, sprechen.

«Gute Nacht, meine Liebste»: Akihiko Kondo konnte mit dem Hologramm seiner Ehefrau, der fiktiven Figur Hatsune Miku, sprechen.

Taro Karibe / Getty

Die NZZ-Redaktorin Birgit Schmid schreibt in ihrer wöchentlichen Kolumne «In jeder Beziehung» über Menschen und ihr Verhältnis zueinander und zur Welt.