3,5 Milliarden Dollar aus Afghanistan liegen in der Schweiz. Was soll mit dem Vermögen geschehen?

Die Hilfe für Afghanistan ist dramatisch unterfinanziert. Gleichzeitig liegen 3,5 Milliarden Dollar der afghanischen Zentralbank untätig in der Schweiz. Die Taliban fordern sie zurück, zu den notwendigen Kompromissen sind sie aber nicht bereit.

Andreas Babst, Kabul 5 min
Drucken
Ein afghanischer Geldwechsler zählt auf einem Markt in Kabul Banknoten: Der Afghani hat sich in den vergangenen Monaten stabilisiert, die Zentralbank bleibt aber weitgehend handlungsunfähig.

Ein afghanischer Geldwechsler zählt auf einem Markt in Kabul Banknoten: Der Afghani hat sich in den vergangenen Monaten stabilisiert, die Zentralbank bleibt aber weitgehend handlungsunfähig.

Samiullah Popal / EPA

Vor dem Gebäude der afghanischen Zentralbank in Kabul plätschert ein Springbrunnen. In einem Land, in dem immer wieder Dürre herrscht, ist eine Wasserfontäne auch ein Symbol, das zeigt: Wir können es uns leisten. Die Zentralbank empfängt keine Besucher. Anfragen von Journalisten zu einem Gespräch werden abgelehnt. Einzig das Finanzministerium, ganz in der Nähe gelegen, gibt Auskunft über die ökonomische Situation Afghanistans.

«Wir haben erste Schritte in Richtung einer selbständigen Wirtschaft gemacht», sagt Ahmad Wali Haqmal, ein Sprecher des Finanzministeriums in Kabul. Zwei Jahre ist es her, dass die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben. Das Land wolle nicht länger von ausländischer Hilfe abhängig sein, sagt Haqmal.

Der Afghani, die afghanische Währung, hat sich in den vergangenen Monaten stabilisiert. Die Taliban generieren Einkommen mit Steuern, Zöllen und den natürlichen Ressourcen Afghanistans: Das Land hat im vergangenen Jahr über 2,7 Millionen Tonnen Kohle vor allem nach Pakistan exportiert und laut dem Finanzministerium über 160 Millionen Dollar mit Zöllen verdient.

Die Kohle ist einfach zu schürfen, und die Taliban haben schon vor ihrer Machtübernahme im August 2021 einen Teil des Handels kontrolliert. Ambitioniertere Minenprojekte, zum Beispiel das Schürfen von Lithium, sollen folgen – jüngst haben die Taliban Verträge mit chinesischen Firmen unterschrieben. Experten zweifeln allerdings daran, dass diese Grabungen so bald beginnen werden.

Haqmal sagt, die wirtschaftliche Situation sei den Umständen entsprechend gut. Allerdings: Dass die afghanischen Zentralbank-Reserven noch immer eingefroren sind, erschwere die Stabilisierung der Währung. Zudem sind afghanische Banken und Geschäftsleute weitgehend vom internationalen Bankensystem ausgeschlossen. Die Position der afghanischen Regierung sei klar, sagt Haqmal: Die Reserven müssten zurück nach Afghanistan. «Ihr Einfrieren widerspricht allen gängigen Standards und ethischen Grundsätzen.»

Das Geld schlummert in der Schweiz

Ein Grossteil dieser eingefrorenen Reserven liegt in der Schweiz. Als die Taliban im August 2021 in Afghanistan die Macht übernahmen, lagerten 7 Milliarden Dollar Reserven in den USA. 3,5 Milliarden sind noch immer dort, zurückgelegt für einen Gerichtsprozess – die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 glauben, sie hätten Anspruch auf das Geld. Die anderen 3,5 Milliarden hat die amerikanische Regierung in die Schweiz transferiert, um sie vor weiteren Klagen zu schützen.

In Genf wurde im September 2022 ein Fonds gegründet, der Fund for the Afghan People. Er soll das Geld verwalten. Der Fonds wird von vier Personen geführt: einer Vertreterin des Schweizer Aussendepartements (EDA), dem amerikanischen Botschafter in der Schweiz und zwei afghanischen Ökonomen. Einer von ihnen ist Shah Mohammed Mehrabi.

«Bisher ist kein Penny der Reserven verteilt worden», sagt Mehrabi. Ein Untersuchungsbericht im Auftrag der amerikanischen Regierung hat kürzlich befunden, die afghanische Zentralbank sei nicht unabhängig von der Taliban-Regierung. So ist zum Beispiel der ehemalige Taliban-Finanzminister heute der Chef der Zentralbank. Die USA befürchten, dass die 3,5 Milliarden zur Terrorfinanzierung verwendet würden, sollten sie bei den Taliban landen. Regierungsmitglieder der Taliban befinden sich noch immer auf amerikanischen Terrorlisten.

Der Ökonom Mehrabi sitzt neben seiner Funktion im Fonds auch im Supreme Council der afghanischen Zentralbank. Er ist überzeugt, dass die Bank unabhängig genug sei, um das Geld in Tranchen zurückzuerhalten. Doch ein Transfer der Gelder von der Schweiz nach Afghanistan scheint derzeit ausgeschlossen. Es ist nicht realistisch, dass der amerikanische Botschafter im Vorstand zustimmen würde.

Alle Entscheidungen im Vierergremium müssen einstimmig beschlossen werden. Entsprechend wenig Entscheidungen gab es mehr als ein Jahr nach der Gründung. Man kann die Protokolle der vergangenen Sitzungen auf der Website nachlesen: Es wurde kein Entscheid gefällt, was mit dem Geld passieren soll. Das Protokoll der Oktobersitzung ist fast einen Monat später noch immer nicht publiziert.

Im vergangenen Jahr habe sich der Fonds solide aufgestellt, sagt Mehrabi: Es gibt nun einen Sekretär, eine Website, eine Prüfungsstelle. Seine Kollegen und er hätten sich darauf geeinigt, dass die Zinsen aus den 3,5 Milliarden vorläufig für die Verwaltungskosten des Fonds verwendet werden dürften. Sie suchten aber nach Stiftungen, welche diese Kosten in Zukunft übernehmen. Das Vierergremium arbeitet gratis.

Mehrabi macht auch klar, dass die Reserven einzig für die Aufgaben der Zentralbank da sein sollten. «Diese Reserven sollten einzig als Zahlungen an die afghanische Zentralbank verwendet werden», sagt er. Keinesfalls dürften die Reserven oder auch deren Zinsen für humanitäre Zwecke eingesetzt werden. Der beste Weg, Afghanistan zu helfen, sagt Mehrabi, sei es, das Geld zurückzugeben: Die Zentralbank könne damit für Preisstabilität sorgen und die Inflation tief halten. Dann würden auch die Nahrungsmittelpreise sinken.

Auch die Vertreterin des EDA , Alexandra Baumann, äusserte sich im April gegenüber der NZZ ähnlich. Allerdings könnte sich das EDA vorstellen, die Zinsen auszugeben. Der Fonds soll in einem Jahr bereits mehrere Millionen Franken Zinsen erwirtschaften haben. Einfach nichts auszugeben, sei keine Option, sagte Baumann, schliesslich solle der Fonds der afghanischen Bevölkerung zugutekommen.

Hilfe für Erdbebenopfer?

Torek Farhadi hatte einst selber eine Führungsposition in der afghanischen Zentralbank. Das war vor der Machtübernahme durch die Taliban. Heute lebt der Ökonom Farhadi in Genf, er sagt: «Afghanistan hat nicht mehr viele Spender. Und es gibt humanitäre Notlagen in Afghanistan. Zumindest die Zinsen des Fonds sollte man für diese Notlagen zur Verfügung stellen.»

Tatsächlich gibt es immer weniger Länder, die bereit sind, Geld nach Afghanistan zu schicken. Die Welt hat sich anderen Krisen zugewandt: der Ukraine und zuletzt dem Nahostkonflikt. Der Uno fehlen derzeit über zwei Milliarden Dollar zur Finanzierung ihres diesjährigen Hilfspakets für Afghanistan – nur etwas über eine Milliarde ist bisher zusammengekommen.

Zu den grössten Spendern gehören die USA und die Europäische Kommission. Das Uno-Ernährungsprogramm strich aufgrund mangelnder Finanzierung dieses Jahr in Afghanistan Rationen. Erst vor wenigen Wochen wurde der Westen des Landes von schweren Erdbeben erschüttert, über 1000 Menschen kamen in den Trümmern ums Leben.

Farhadi sagt, mit den Zinsen des Fonds könnte man zum Beispiel den Erdbebenopfern helfen. Es ist ein Vorschlag, der so vom Fonds selber kaum umgesetzt werden dürfte. Es scheint für den Fonds derzeit schwer, eine gemeinsame Linie zu finden: Was soll mit den Zinsen geschehen? Wann ist die afghanische Zentralbank unabhängig genug?

Kein Land hat Afghanistan anerkannt

Über all diesen kleineren Fragen schwebt eine grössere, die seit zwei Jahren die internationale Gemeinschaft beschäftigt: Wie soll man mit den Taliban umgehen? Seit zwei Jahren sind sie die De-facto-Regierung Afghanistans. Allerdings hat sie bisher kein Land anerkannt. China hat kürzlich einen Botschafter nach Kabul geschickt – einen Taliban-Botschafter in China duldet Peking allerdings nicht.

Es gibt mehrere Dialoge in Katar oder Zentralasien, an denen die Taliban teilnehmen. Allerdings zeigten sie sich in den vergangenen zwei Jahren kaum kompromissbereit: Die Situation für Frauen im Land ist prekär, Mädchen sind von höherer Bildung ausgeschlossen, Frauen können ihren Berufen nicht mehr nachgehen.

Farhadi sagt: «Die Taliban beharren auf ihren Positionen. Sie kontrollieren Afghanistan. Sie müssten nun staatsmännischer agieren. Auch einmal Kompromisse schliessen zum Wohle der Bevölkerung.»

Ein Kompromiss wäre: Der Chef der afghanischen Zentralbank wäre kein Taliban mehr, die Zentralbank wäre unabhängiger, vielleicht könnte dann eine erste Zahlung aus der Schweiz nach Afghanistan fliessen. Ahmad Wali Haqmal, Sprecher im Finanzministerium in Kabul, sieht allerdings kein Problem mit dem Taliban-Chef der Zentralbank: «Das sind die normalen Wechsel in einem Staat.»

Weitere Themen