Donald Trump plädiert in der Dokumentenaffäre auf «nicht schuldig» und erhält eine Richterin, die ihm wohlgesinnt scheint

Nach seiner ersten Anhörung in Miami dürfte Trump versuchen, den Prozessbeginn zu verzögern. Dabei könnte ihm ausgerechnet die konservative Richterin Aileen Cannon helfen. Diese hatte er als Präsident selbst berufen.

Christian Weisflog, Washington 4 min
Drucken
Eine vielsagende Szene vor dem Gerichtsgebäude in Miami am Dienstag: Trumps Anhänger wollen nicht Trump, sondern seine politischen Gegner hinter Gittern sehen.

Eine vielsagende Szene vor dem Gerichtsgebäude in Miami am Dienstag: Trumps Anhänger wollen nicht Trump, sondern seine politischen Gegner hinter Gittern sehen.

Anna Moneymaker / Getty

Der 13. Juni 2023 geht zweifellos als historischer Tag in die amerikanische Geschichte ein. Erstmals wurde am Dienstag in Miami einem ehemaligen Präsidenten eine Anklage des Gliedstaates verlesen. Der Fernsehsender CNN schrieb auf seiner Website von einem «welterschütternden» Ereignis. Entsprechend warteten viele Journalisten und mehrere hundert Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude am Nachmittag gespannt auf Donald Trumps Ankunft.

Viel zu sehen gab es dann allerdings nicht. Trump gelangte in seinem Wagen in die Tiefgarage des Gerichtsgebäudes. Wie üblich am Beginn eines solchen Vorverfahrens musste der ehemalige Präsident sich die Fingerabdrücke nehmen lassen. Handschellen blieben ihm ebenso erspart wie der berühmt-berüchtigte Mugshot – ein Foto mit Frontal- und Profilansicht. Danach plädierte der Anwalt des ehemaligen Präsidenten für seinen Mandanten wie erwartet auf «nicht schuldig».

Nach rund eineinhalb Stunden verliess Trump mit seinem Konvoi die Tiefgarage wieder und schaltete sofort in den Wahlkampfmodus. Auf dem Weg zum Flughafen besuchte er das traditionsreiche kubanische Restaurant Versailles in Little Havana, wo seine Anhänger angesichts seines Geburtstags am Mittwoch gar ein «Happy Birthday» anstimmten.

Verteidigung setzt wohl auf Verzögerung

Das routinemässige Vorverfahren wurde indes noch nicht von der für den Fall zuständigen Richterin Aileen Cannon abgewickelt. Sie wird voraussichtlich erst in den kommenden Wochen und Monaten in zentralen Fragen zum Prozessverlauf eine wichtige Rolle spielen. Der Sonderermittler Jack Smith, der ebenfalls in Miami anwesend war, strebt laut eigenen Worten ein «schnelles Gerichtsverfahren» an. Doch Cannon habe einen beträchtlichen Einfluss auf das Tempo, die Zulassung von Beweismitteln sowie die Zusammenstellung der Geschworenen, schreibt die «New York Times».

Es ist davon auszugehen, dass Trump und seine Anwälte versuchen werden, das Verfahren möglichst bis über die Präsidentschaftswahl 2024 hinaus zu verschleppen. Einerseits könnten sie nach prozeduralen Fehlern der Ermittler suchen und diese beanstanden. Andererseits könnte die Verteidigung mit Berufung auf das Anwaltsgeheimnis darauf bestehen, dass die Aufzeichnungen von Trumps Gesprächen mit seinem Rechtsberater Evan Corcoran nicht als Beweismittel dienen dürfen. Corcoran gilt als Schlüsselzeuge der Anklage.

Dass der Zufall nun ausgerechnet Richterin Cannon mit dem Verfahren betraute, ist pikant. Die 42-Jährige ist bereits seit ihrem Studium ein Mitglied der konservativen Federalist Society und eine Wählerin der Republikaner. Trump nominierte Cannon in seinem letzten Amtsjahr als Bundesbezirksrichterin, obwohl sie nur wenig Erfahrung hatte. Ins nationale Rampenlicht geriet sie allerdings erst im vergangenen September. Nachdem das FBI bei einer Hausdurchsuchung in Trumps Privatklub Mar-a-Lago über hundert weitere Geheimdokumente sichergestellt hatte, ordnete Cannon, wie von Trumps Anwälten gewünscht, die Einsetzung eines unabhängigen Gutachters an und verzögerte damit die Ermittlungen.

Aileen Cannon dürfte als Richterin beträchtlichen Einfluss auf das Tempo des Verfahrens haben.

Aileen Cannon dürfte als Richterin beträchtlichen Einfluss auf das Tempo des Verfahrens haben.

Pool/Reuters

Der Gutachter sollte überprüfen, ob sich unter den beschlagnahmten Papieren auch Dokumente befinden, auf welche die Ermittler aufgrund des Anwaltsgeheimnisses oder von Trumps Status als ehemaliger Präsident keinen Zugriff haben sollten. Cannon entschied zudem, dass das FBI die Unterlagen – inklusive aller Geheimdokumente – nicht für Ermittlungszwecke verwenden dürfe, bis der Gutachter seine Arbeit abgeschlossen habe. Cannon begründete ihr Urteil auch damit, dass der mögliche Reputationsschaden für Trump aufgrund seines früheren Amts durch das Ermittlungsverfahren ungleich grösser sei als für gewöhnliche Bürger. Damit suggerierte sie, dass ein ehemaliger Präsident vor dem Gesetz anders behandelt werden sollte.

Das Justizministerium zog Cannons Urteil an eine höhere Instanz weiter. Die Richter des zuständigen Appellationsgerichts zerrissen es. Die Geheimdokumente seien das Eigentum des Staates, auf das der ehemalige Präsident keinen Anspruch besitze, entschieden sie im September. Cannon habe ihren Ermessensspielraum «missbraucht». Zu einem möglichen Imageschaden für Trump meinten die Richter: «Das Tragen des Unbehagens und der Kosten einer Strafverfolgung gehört selbst für eine unschuldige Person zu einer der schmerzhaften Bürgerpflichten.»

Im Dezember kassierte das Appellationsgericht in einem weiteren Urteil auch die Einsetzung des Gutachters. Cannons Argumente für Trump seien «ein Nebenschauplatz», meinten die Richter. Für den Präsidenten könne es keine spezielle Behandlung geben. «Das würde dem Grundprinzip unserer Nation widersprechen, dass unsere Gesetze für alle gelten, unabhängig von ihrem Vermögen oder ihrer Stellung.»

Sollte Cannon in den Ausstand treten?

Da Cannon mit ihrer Entscheidung im September den Eindruck hinterliess, mit dem ehemaligen Präsidenten zu sympathisieren, wird nun die Forderung laut, sie müsse in den Ausstand treten. «Jedes Urteil zu Trumps Gunsten würde als Beweis für ihre Befangenheit erachtet, jedes Urteil zu seinen Ungunsten als Versuch angesehen, ihre Reputation wiederherzustellen», kommentierte die «Washington Post» am Dienstag. Cannon habe ihre Lektion gelernt, meinte hingegen ein Rechtsexperte gegenüber CNN. Damit ein künftiges Urteil auch in konservativen Kreisen akzeptiert werde, sei es gar wünschenswert, dass es von einer durch Trump ernannten Richterin gefällt werde.

Selbst nach einer schnellen Verurteilung in Miami könnte Trump den Fall jedoch noch weiterziehen. «Wenn es einen Fall gibt, bei dem man von Beginn an weiss, dass er bis ganz oben zum Supreme Court gehen wird, dann ist es dieser», meinte Trumps ehemaliger Anwalt Tim Parlatore am Dienstag gegenüber «Axios».

Die Mühlen der amerikanischen Justiz mahlen langsamer als jene des politischen Systems. Mit einem Wahlsieg im nächsten Jahr könnte Trump einer möglichen Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe deshalb zuvorkommen. Und deshalb nutzte er einen Auftritt am Dienstagabend in seinem Golfklub in Bedminster, New Jersey, vor Anhängern und Geldgebern auch sogleich wieder dazu, sich als Justizopfer der «korrupten Biden-Administration» in Szene zu setzen.

Angesichts der belastenden Anklageschrift scheinen sich zwar vermehrt Risse in der Republikanischen Partei aufzutun. Sollten die Vorwürfe zutreffen, dann habe Trump «unglaublich verantwortungslos» gehandelt, meinte die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley am Dienstag. Doch wenn sie das Rennen um das Weisse Haus gewinnen sollte, neige sie dazu, Trump im Falle einer Verurteilung zu begnadigen.