Kommentar

Fake-News gehören zur Politik – der Staat darf Facebook nicht zensurieren

Im Zuge des Facebook-Skandals wird der Ruf nach staatlicher Regulierung der sozialen Netzwerke immer lauter. Mehr Datenschutz ist ein berechtigtes Anliegen. Doch die Demokratie braucht kein staatliches Siegel für zulässige Informationen.

Peter Rásonyi
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Facebook-Chef Zuckerberg im Sucher einer Fernsehkamera vor der Anhörung im amerikanischen Senat am Dienstag. (Bild: Michael Reynolds / EPA)

Facebook-Chef Zuckerberg im Sucher einer Fernsehkamera vor der Anhörung im amerikanischen Senat am Dienstag. (Bild: Michael Reynolds / EPA)

Was für ein Schauspiel hat sich diese Woche im amerikanischen Kapitol abgespielt. Mark Zuckerberg, Genie für die einen, finsterer Manipulator für die anderen, stand in Anzug und Krawatte statt im üblichen lässig-lockeren T-Shirt während insgesamt rund zehn Stunden strengen Senatoren und Abgeordneten Red und Antwort. Gleich zu Beginn stellte Zuckerberg klar, worum es dabei ging. Er räumte ein, Facebook habe Fehler gemacht. Man habe nicht genug getan, um zu verhindern, dass das soziale Netzwerk auch für schädliche Dinge genutzt werde: «Fake-News, ausländische Einmischung in Wahlen, Hassreden sowie Datenmissbräuche.»

Vernachlässigter Datenschutz

Dass Zuckerberg die Datenmissbräuche zuletzt aufzählte, ist wohl kein Zufall. Das Geschäft mit den Daten seiner Nutzer ist der Kern des Geschäftsmodells, das ihn zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht hat. Hier ist er zu Zugeständnissen zuletzt bereit. Der vor einem Monat durch Medienberichte angeprangerte Datenmissbrauch, längst nicht der erste von Facebook und eigentlich seit mehr als einem Jahr bekannt, ist auch nicht der Hauptgrund für die ganze Aufregung. Erst im Kontext von Vorwürfen der politischen Manipulation war der Fall brisant genug für einen Skandal. Dabei half, dass die Machenschaften der Public-Relations-Firma Cambridge Analytica primär der Wahl von Präsident Trump sowie dem Entscheid der Briten zum Austritt aus der EU gedient haben sollen.

Zuckerberg vermochte sich mit unschuldigem Gesicht und hehren Versprechungen («Mein Team wird auf diese Frage zurückkommen») leicht aus den Fragen oft schlecht informierter Politiker herauszuwinden. Es fehlt offensichtlich am politischen Willen, der führenden sozialen Plattform schmerzhaft auf die Füsse zu treten. Dabei gäbe es durchaus berechtigte Ansatzpunkte. Transparenz und Kontrolle über die eigenen persönlichen Daten sind im Zuge der Digitalisierung und des technischen Fortschritts zwar immer schwerer durchsetzbare, aber berechtigte Anliegen einer freiheitlichen Gesellschaft. Selbstverständlich scheint auch die Forderung, bestehende Gesetze und Regulierungen, denen traditionelle Medien- und Werbeunternehmen unterworfen sind, ebenso auf die neuen digitalen Wettbewerber anzuwenden.

Facebook ist nicht eine wohltätige Organisation, sondern eine hochprofitable Werbeplattform. Wie alle kommerzielle Werbung verlagert sich auch die politische Werbung rasant zu den beiden führenden digitalen Werbekanälen Facebook und Google. Wenn die Einmischung ausländischer Kräfte in demokratische Wahlen untersagt ist, dann muss das Verbot auch in den sozialen Netzwerken durchgesetzt werden. Und wenn eine Gesellschaft wie die USA Transparenzvorschriften für politische Werbung für wichtig hält, dann müssen diese auch in der digitalen Wirtschaft gelten. Immerhin hat Zuckerberg dazu Bereitschaft signalisiert.

Der Vorwurf der Manipulation politischer Entscheidungsprozesse durch den Einsatz von einseitigen Informationen und Werbung ist gewiss nicht neu für die westlichen Demokratien. Werbung setzt darauf, durch selektive Informationen und emotionalisierte Botschaften Menschen zu bestimmten Entscheidungen zu bewegen. Wenn der eloquente Chef von Cambridge Analytica in einem heimlich aufgenommenen Kundengespräch damit prahlt, wie seine Firma durch die magische Kraft ihrer Werbekampagnen in den sozialen Netzwerken zur Wahl Donalds Trumps verholfen habe, dann macht er einfach seinen Job.

Informationen, ob nun in wahrhaftiger oder falscher Absicht verbreitet, waren stets eine bewährte Waffe im politischen Kampf. Schon lange bevor es die sozialen Netzwerke gab, hat die Schweizerische Volkspartei durch den Einsatz polarisierender Werbeplakate mit schwarzen Schäfchen oder Messerstechern erfolgreiche Abstimmungs- und Wahlkampagnen begleitet. Die schweizerische Zeitungslandschaft war ohne Schaden für die Demokratie noch bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein durch eine parteinahe Presse geprägt; die Idee politisch neutraler Forumszeitungen ist viel neueren Datums. In Grossbritannien sind die meisten Zeitungen bis heute zwar nicht direkt den Parteien unterstellt, sie sind durch ihre Eigentümerschaft aber scharf parteiisch ausgerichtet. So war der Abstimmungskampf um den Brexit tatsächlich ein Fest der Fake-News – die aber primär in der traditionellen Presse zu lesen waren. In den USA dürfen auch die Fernsehsender parteiisch und polarisierend berichten – und hatten damit gewiss mehr Einfluss auf die Präsidentenwahl von 2016 als Facebook. Selbst weltweit führende Qualitätsmedien wie die «New York Times» oder das «Wall Street Journal» berichten keineswegs immer neutral über die amerikanische Innenpolitik.

Die Bürger westlicher Demokratien mussten schon immer mit widersprüchlichen Informationen umgehen, vertrauenswürdige Quellen auswählen und sich ein eigenes Bild machen. Die Schweizer erleben das mehrmals jährlich bei den Volksabstimmungen.

Verteidigung der Freiheit

Was ist bei Facebook anders? Nicht viel. Die Menge und Vielfalt des Informationsangebots wird im Internet bekanntlich immer grösser und unübersichtlicher. Auch ist es kostengünstiger geworden, über soziale Netzwerke gezielt Falschinformationen zu verbreiten. Das ist unbestritten. Daraus wird nun immer häufiger die Forderung an Facebook abgeleitet, für eine «neutrale und ausgewogene» Verbreitung «wahrer» Informationen auf seiner Plattform zu sorgen. So empörten sich liberale Kritiker in den USA darüber, dass Cambridge Analytica mit ihrer Werbekampagne für Trump über 100 Millionen Amerikaner erreicht haben soll. Republikanische Abgeordnete warfen Zuckerberg dagegen an der Anhörung vor, sein Netzwerk behindere systematisch die Verbreitung von Informationen, welche die Republikaner begünstigten. In Deutschland hat diese Woche ein Gericht Facebook im Sinne der Meinungsäusserungsfreiheit einstweilen untersagt, die Meldung eines Nutzers zu löschen. Das geht zu weit. Facebook ist kein öffentliches Unternehmen. Es muss – im Rahmen der geltenden Gesetze – wie beispielsweise jeder private Zeitungsverlag auch das Recht haben, selbst über die Inhalte zu bestimmen, die auf seinem Netzwerk verbreitet werden. Das folgt aus den demokratischen Grundprinzipien der Meinungsäusserungs- und der Wirtschaftsfreiheit.

Das bedeutet nicht zwingend, dass der Manipulation der öffentlichen Meinung Tür und Tor geöffnet ist. Facebook ist zwar mit seinen 2,2 Milliarden Nutzern gross, vielleicht besorgniserregend gross. Doch dem Unternehmen können die Präferenzen seiner Nutzer nicht egal sein, wie auch die Reaktionen auf den jüngsten Skandal illustrieren. Die Rücksichtnahme auf die Grundwerte und das Vertrauen seiner Kunden ist die oberste betriebswirtschaftliche Pflicht von Facebook und damit von Zuckerberg. Das wilde Treiben russischer Trolle auf der Plattform passt beispielsweise schlecht dazu, weshalb Facebook dieses im eigenen Interesse eindämmt.

Je unübersichtlicher und leichter manipulierbar das Angebot von (Online-)Informationen wird, desto kostbarer wird der Schlüsselbegriff des Vertrauens. So müssen zum einen mündige Staatsbürger ihre Medienkompetenz laufend an die Anforderungen des digitalen Zeitalters anpassen, um vertrauenswürdige Informationsquellen zu identifizieren und zu nutzen. Zum anderen muss sich genau gleich wie eine Qualitätszeitung auch eine Social-Media-Plattform wie Facebook das Vertrauen ihrer Nutzer verdienen, indem sie die Verbreitung von Informationen nach kundenorientierten Kriterien steuert und Unliebsames aussortiert. Vernachlässigt das Unternehmen diese Pflicht, etwa aus kurzfristigem Gewinnstreben, dann sind das Vertrauen und die Kunden rasch weg. Voraussetzung dafür ist freilich, dass ausreichender Wettbewerb und Pluralität der Informationsangebote und damit Wahlmöglichkeiten für die Bürger bestehen. Wenn der Staat irgendwo eine regulierende Rolle hat, dann beim Schutz des Wettbewerbs. Werbegiganten wie Facebook und Google dürfen ihre Macht nicht weiter ausnutzen, um Rivalen zu behindern oder, wie in der Vergangenheit immer wieder geschehen, durch Übernahmen auszuschalten.

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