Seit 2020 haben in Afrika neun Militärcoups stattgefunden. Warum? Wie war das früher? Und wohin führen die Putsche?
Im Juli war Niger an der Reihe, wenige Wochen später Gabon. In Afrika fallen die Regierungen wie Dominosteine. Seit 2020 haben Militärs in sieben Ländern auf dem Kontinent erfolgreich geputscht, in Mali und Burkina Faso taten sie es sogar je zweimal. Uno-Generalsekretär António Guterres hat die Vorgänge als «Epidemie von Putschen» bezeichnet – er sagte das lange vor den beiden jüngsten Staatsstreichen.
Inzwischen stellt sich eher die Frage, wann die nächste Regierung stürzt – nicht ob. Mehrere Langzeitherrscher auf dem Kontinent sind offensichtlich nervös. Kameruns Präsident Paul Biya zum Beispiel, im Amt seit 1982, sortierte nach dem Putsch im Nachbarland Gabon wichtige Posten im Verteidigungsministerium neu.
In mehreren Ländern haben sich nach den Coups Jubelszenen auf den Strassen abgespielt. Laut Umfragedaten des panafrikanischen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer von Anfang Jahr sind nur 42 Prozent der Befragten in 20 afrikanischen Ländern der Meinung, das Militär dürfe in keinem Fall in die Politik eingreifen. 54 Prozent sind der Ansicht, Armeen dürften intervenieren, wenn gewählte Regierungen ihre Macht missbrauchten.
Was bedeutet das für die Demokratie in Afrika? Und wie konnte es so weit kommen, dass viele Afrikanerinnen und Afrikaner Männer in Uniformen gewählten Politikern vorziehen?
Das Epizentrum der afrikanischen Staatsstreiche der vergangenen drei Jahre ist der westafrikanische Sahel – jenes riesige Gebiet zwischen der Sahara im Norden und den Küstenstaaten im Süden, in dem sich jihadistische Aufständische über mehrere Staaten ausgebreitet haben. Sechs der neun Putsche seit 2020 haben in diesen Ländern stattgefunden. Militärs in Mali, Burkina Faso und Niger putschten, weil sie glaubten, dass die zivilen Regierungen keine Antwort auf die Sicherheitskrise hatten. Doch die Welle von Coups hat auch Länder ausserhalb des Sahel erfasst.
Die Ursachen der Coups sind je nach Land verschieden: In den Sahelstaaten führte die Sicherheitskrise dazu, dass sich die Armeen und die zivilen Regierungen überwarfen; im Sudan wollte die Armee eine Demokratisierung stoppen, die ihre Machtposition gefährdete; in Guinea und Gabon entfernten Militärs unbeliebte Präsidenten, die sich mit fragwürdigen Wahlen und Referenden an der Macht hielten.
Es gibt aber zwei wichtige Erklärungen für die Häufung von Putschen: Erstens glauben die Putschisten, Regierungen ungestraft entfernen zu können. Zweitens profitieren die Putschisten in fast allen Ländern davon, dass grosse Teile der Bevölkerung wütend auf eine politische Elite sind, die sie für selbstherrlich und unfähig halten.
Die gegenwärtige Welle von Coups in Afrika ist nicht so ungewöhnlich, wie sie erscheint. Die meisten afrikanischen Länder wurden um 1960 unabhängig. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu zahlreichen Coups: Bis 2000 waren es durchschnittlich vier Putschversuche pro Jahr. Nigeria allein, das bevölkerungsreichste afrikanische Land, erlebte fünf Coups und wurde von 1966 bis 1999 fast ununterbrochen von Militärs regiert.
Die Putsche nach der Unabhängigkeit waren so zahlreich, weil die Regierungen in den meisten Ländern enttäuschten. Viele Afrikanerinnen und Afrikaner hatten grosse Hoffnungen, dass ihre Länder befreit vom Joch des Kolonialismus endlich Wohlstand schaffen würden. Das geschah nicht oder nur sehr langsam, was unter anderem daran lag, dass sich viele der jungen Regierungen als unfähig oder korrupt erwiesen. Die Coups wurden auch dadurch begünstigt, dass die staatlichen Institutionen schwach waren und es wenig Mechanismen gab, die Interventionen durch das Militär hätten stoppen können.
Die erste Welle von Coups ging um 1990 stark zurück. Mit dem Ende des Kalten Krieges kam stattdessen eine Welle der Demokratisierung. In vielen Ländern fanden kompetitive Wahlen statt. Wenige Afrikanerinnen und Afrikaner trauerten den Militärführern nach, denn diese hatten sich als noch unfähiger – und gewalttätiger – als die zivilen Regierungen erwiesen. Auch sie hatten nicht mehr Wohlstand geschaffen – und waren häufig nicht weniger korrupt.
In den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts halbierte sich die Zahl der Coups in Afrika noch einmal. Die Entwicklung wurde auch dadurch begünstigt, dass die Afrikanische Union und die Ecowas Abschreckungsmassnahmen gegen Coups erliessen. Regierungen, die durch Putsche an die Macht kamen, wurden gezwungen, strikte Zeitpläne für die Rückkehr zu ziviler Herrschaft zu entwerfen.
In den vergangenen Jahren hat das Pendel zurückgeschlagen: Die Putsche häufen sich, weil zivile Regierungen abermals enttäuschen und manche Staaten noch immer zu schwach sind, um militärische Interventionen zu verhindern.
Die gegenwärtige Welle von Coups in Afrika ist beunruhigend, und es könnte noch schlimmer kommen. Es gibt zahlreiche Staaten in Afrika, in denen unbeliebte und undemokratische Präsidenten auf wackligem Fundament regieren. Es ist kein Zufall, dass Kameruns 90-jähriger Präsident Paul Biya, der üblicherweise wenig Enthusiasmus für die Staatsgeschäfte zeigt, nach dem Putsch in Gabon in Aktivismus verfiel und sein Verteidigungsministerium neu aufstellte.
Wenige trauern den gefallenen Präsidenten nach. Das Problem ist aber, dass die Militärs in den meisten Fällen noch schlechtere Staatslenker sind als die gestürzten zivilen Regierungen. Das zeigt sich zum Beispiel im Sahel. In Mali hat es die Militärregierung in zwei Jahren nicht geschafft, die Sicherheitslage zu verbessern, obwohl dies ihre Kernkompetenz sein müsste. Die Zahl der im Konflikt Getöteten ist gestiegen, die jihadistischen Gruppen haben ihr Einflussgebiet ausgeweitet. Zudem bricht im Norden des Landes ein Konflikt mit separatistischen Tuareg-Gruppen neu auf. Im Sudan hat das Militär das Land in einen Bürgerkrieg gestürzt, der mehrere Millionen Menschen vertrieben hat.
Man könnte aufgrund der Jubelszenen nach den Coups und der Umfragen, die auf Toleranz für Militärinterventionen hinweisen, davon ausgehen, dass Afrikanerinnen und Afrikaner genug haben von Demokratie. Tatsächlich zeigen Umfragen (wiederum vom angesehenen Meinungsforschungsinstitut Afrobarometer) konstant, dass sich eine grosse Mehrheit in Afrika die Demokratie als Staatsform wünscht. Die Umfragen zeigen aber auch, dass eine (wachsende) Mehrheit unzufrieden damit ist, wie Demokratie in ihren Ländern funktioniert. Man kann die Unterstützung für die Putsche deshalb so verstehen, dass die meisten Afrikanerinnen und Afrikaner genug haben von Scheindemokratien – zum Beispiel von Wahlen, in denen die Sieger zum Vorneherein feststehen.
Es ist wahrscheinlich, dass die gegenwärtige Welle an Coups ein historischer Zyklus ist, der enden wird. Vermutlich wird er nicht Jahrzehnte dauern, wie die Coup-Welle nach 1960. Viele der Demonstranten, die gerade den Putschisten zujubeln, sind so jung, dass sie die früheren Putschregierungen nicht erlebt haben. Sie werden sehen, dass diese keinen Fortschritt bringen.
Die grosse Frage ist, ob es den zivilen Regierungen bei der nächsten Chance gelingt, einen besseren Job zu machen. So zu regieren, dass ihre Politik das ganze Land begünstigt, nicht nur ihr Umfeld. Es gibt zivilgesellschaftliche Bewegungen in vielen afrikanischen Ländern, die fähige Politiker hervorbringen können.
Es gibt auch weiterhin eine Rolle für den Westen, den die gegenwärtige Welle von Coups gerade aus Teilen Afrikas zu vertreiben scheint. Es wird möglicherweise eine bescheidenere Rolle sein, die den Wunsch nach Selbstbestimmung und die öffentliche Meinung in afrikanischen Ländern respektiert. Die bisherige Politik, Scheinwahlen zu akzeptieren, wenn diese genehme Präsidenten an der Macht hielten, hat sich als kurzsichtig erwiesen. Sie fördert mittelfristig die Instabilität – und die Coups.