Ungarns Opposition einigt sich für den «Epochenwandel»: das Ende der Herrschaft von Viktor Orban

Die lange zerstrittenen Gegner des Regierungschefs treten 2022 gemeinsam bei der Parlamentswahl an. Ihre Erfolgschancen sind so gut wie seit langem nicht mehr – falls die Harmonie anhält.

Ivo Mijnssen, Wien
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Viktor Orban bleibt Ungarns dominante politische Figur, aber die seine Fidesz-Partei schwächelt.

Viktor Orban bleibt Ungarns dominante politische Figur, aber die seine Fidesz-Partei schwächelt.

Adam Berry / Getty

Ungarns Opposition geht mit Schwung ins neue Jahr. «Garantien für einen Epochenwandel» heissen die dreizehn Punkte, auf die sich sechs Parteien Ende Dezember geeinigt hatten und zu denen diese Woche fünf Grundprinzipien einer zukünftigen Regierung kamen. Der Anspruch des heterogenen Bündnisses ist unbescheiden: Nach mehr als einem Jahrzehnt sollen Viktor Orban und seine Fidesz-Partei bei den Parlamentswahlen von 2022 von der Macht verdrängt werden.

Schwächephase der Regierungspartei

Die Chancen dafür stehen so gut wie seit Jahren nicht mehr. Umfragen, auch solche regierungsnaher Institute, zeigen, dass der Fidesz in den letzten Monaten stark an Rückhalt bei den Wählern verloren hat. Die Probleme im Kampf gegen das Coronavirus, die Fundamentalopposition im Budgetstreit mit Brüssel und der Sexskandal des Fraktionschefs im Europaparlament haben Orban geschadet. Die Regierungspartei liegt nun gleichauf mit dem Oppositionsbündnis oder sogar leicht hinter ihm. Das Kräfteverhältnis ist allerdings sehr ungleich: Der Fidesz hält zwei Drittel der Sitze im Parlament, der Rest verteilt sich auf mittlere und kleine Formationen.

Parlamentswahl Ungarn

Sitzverteilung
199 Sitze
MSZP/PM
20
Sitze
DK
9
Sitze
Együtt
1
Sitz
LMP
8
Sitze
+3
Fidesz
133
Sitze
Jobbik
26
Sitze
+3
Übrige
2
Sitze

Aufgrund der Dominanz Orbans, abgesichert durch den Aufbau eines regierungsnahen Medienimperiums, Änderungen des Wahlrechts und die Vergabe von Staatsaufträgen an einen Kreis von Günstlingen, hat nur eine geeinte Opposition eine Chance, die Macht zu übernehmen. Dass die zuvor notorisch zerstrittenen Orban-Gegner überhaupt zusammengefunden haben, sehen ungarische Kommentatoren bereits als Leistung.

Ob die Harmonie anhält, fragen sich aber nicht nur die Propagandamedien der Regierung. Die stärkste Partei im Bündnis ist Jobbik, eine ehemalige Neonazi-Partei, die sich in den letzten Jahren gemässigt hat. Dahinter folgen die Sozialistische Partei sowie kleinere linke und grüne Formationen. Sie einigt in erster Linie die Gegnerschaft zu Orban. Programmatisch setzen sie seiner Politik recht vage Prioritäten entgegen: die Stärkung der unabhängigen Justiz und der freien Presse, Transparenz, eine neue Verfassung, mehr Umweltschutz und das Ende der politischen Polarisierung.

Höhere Hürden für die Opposition

Konkreter sind die Mechanismen der Zusammenarbeit. So sollen Primärwahlen innerhalb des Bündnisses Einheitskandidaten für alle 106 Wahlkreise und das Amt des Regierungschefs bestimmen. Durch eine ähnliche Form der Kooperation war es der Opposition in den Regionalwahlen von 2019 gelungen, der Regierungspartei die wichtigsten Städte, darunter Budapest, zu entreissen.

Dass die Orban-Gegner nun noch enger zusammenrücken, ist eine Reaktion auf die Entscheidung der Regierungspartei, die Hürden für einen Machtwechsel zu erhöhen: Laut einer Mitte Dezember verabschiedeten Änderung des Wahlgesetzes muss jede Partei, die bei Parlamentswahlen mit einer nationalen Liste antreten will, Kandidaten in mindestens 71 Wahlkreisen aufstellen. Dies entspricht fast einer Verdreifachung der bisherigen Anforderung.

Die Auswahl der 106 Anwärterinnen und Anwärter dürfte es dem Bündnis im besten Fall erlauben, die regionalen Stärken der einzelnen Parteien auszuspielen. Einen klaren Spitzenkandidaten gibt es hingegen nicht: Nur ein knappes Viertel der Oppositionswähler unterstützt die Favoritin Klara Dobrev, die für die Demokratische Koalition (DK) im Europaparlament sitzt.

Klara Dobrev (Mitte) während der Amtszeit ihres Mannes, Ferenc Gyurcsany, als ungarischer Regierungschef.

Klara Dobrev (Mitte) während der Amtszeit ihres Mannes, Ferenc Gyurcsany, als ungarischer Regierungschef.

Fredrik Von Erichsen / EPA

Potenzielle Machtkämpfe

Deren Vorsitzender ist Dobrevs Ehemann, der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany, eine polarisierende Figur aus dem postsozialistischen Milieu. Ihn machen viele in Ungarn für die Wirtschaftskrise und die Skandale verantwortlich, die den Boden für den Triumph von Viktor Orban im Jahr 2010 legten.

Für die Opposition ist der machtbewusste Gyurcsany eine potenzielle Hypothek, und er ist nicht die einzige: Im Oktober verlor ihr Einheitskandidat, der Jobbik-Politiker Laszlo Biro, die Nachwahl für einen wichtigen Parlamentssitz, nachdem frühere antisemitische Äusserungen publik geworden waren. So hatte er die Hauptstadt als «Judapest» bezeichnet. In Zukunft soll eine Durchleuchtung der wichtigen Kandidaten solche Altlasten frühzeitig heben. Die Kriterien dafür dürften aber umstritten sein.

Gergely Karacsony, der Bürgermeister von Budapest.

Gergely Karacsony, der Bürgermeister von Budapest.

Zoltan Mathe / EPA

Schwierige Erneuerung

Letztlich wird die Opposition Kandidaten finden müssen, die glaubwürdig jene Erneuerung verkörpern, für welche die Opposition zu stehen vorgibt. Die bekannteste Figur, der junge Budapester Bürgermeister Gergely Karacsony, hält sich bis anhin bedeckt. Auch hat er sich bisher nicht wirklich als Führungsfigur in der Parteienkoalition durchgesetzt, wobei unklar ist, ob er dies nicht will oder ihm dafür das politische Gewicht fehlt.

Erschwerend kommt für die Opposition hinzu, dass dem Klientelsystem der Regierungspartei dank der verschobenen Einführung des europäischen Rechtsstaatsmechanismus und den weiterhin grosszügig fliessenden EU-Geldern vor den Wahlen keine Gefahr droht. Vor allem oppositionsnahe Intellektuelle kritisierten den Aufschub deshalb scharf und fordern sofortige Kontrollen aus Brüssel. Die Politiker halten sich hingegen zurück: Sie wollen kein Wasser auf die Mühlen der Regierungspropaganda leiten, die sie als Vertreter ausländischer Interessen und Lakaien des Milliardärs George Soros darstellt.

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