Kolumne

Der Markt als Menschenwerk

An der Aussage, der Markt müsse für den Menschen da sein und nicht umgekehrt der Mensch für den Markt, stimmt etwas nicht.

Gerhard Schwarz
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Gerhard Schwarz war Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse und zuvor Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion. Heute ist er unter anderem Präsident der Progress Foundation. In seiner Kolumne beleuchtet er das wirtschaftliche und politische Geschehen aus ordoliberaler Perspektive.

Gerhard Schwarz war Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse und zuvor Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion. Heute ist er unter anderem Präsident der Progress Foundation. In seiner Kolumne beleuchtet er das wirtschaftliche und politische Geschehen aus ordoliberaler Perspektive.

Es ist ein weitverbreitetes und offenbar beliebtes gedankliches Muster, das man auch in dieser Zeitung immer wieder findet: «Der Markt muss für den Menschen da sein und nicht umgekehrt der Mensch für den Markt.» Das tönt wunderbar menschlich und erhält in der Regel von allen Seiten Applaus. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass mit dieser Aussage etwas nicht stimmt. Warum?

Wer solches oder Ähnliches schreibt, hat sich ein falsches Bild des Marktes zurechtgezimmert, auf das er dann schiesst. Besonders beliebt scheint der Gedanke bei Menschen, die über die Wirtschaft – moralisierend – nachdenken, ohne sich mit der Ökonomie ernsthaft auseinanderzusetzen. Dennoch stolpern sie mit ihrer These vom Markt, der für den Menschen da sein müsse, letztlich nicht über die Erkenntnisse der «dismal science», der «düsteren Wissenschaft», sondern sie verirren sich philosophisch, indem sie den Markt zum denkenden und handelnden Subjekt machen. Das erinnert an das, was Immanuel Kant, der Philosoph der Aufklärung, die Hypostasierung von Begriffen nannte. Kant meinte damit, dass man etwas, das nur in Gedanken existiert, die gleiche Qualität zuschreibt wie einem wirklichen Gegenstand, dass man also einem Gedanken eine gegenständliche Realität unterschiebt.

Der anklägerische Appell, der Mensch dürfe nicht für den Markt da sein, läuft auf die Forderung hinaus, sich dieser Logik zu entziehen.

Der Markt ist zwar sehr wohl eine Realität, aber wir bezeichnen mit diesem Ausdruck das Zusammenspiel von vielen Tausenden, ja oft von Millionen von Menschen in Form meist anonymer Tauschbeziehungen. Es ist ein marktliches Geflecht, das in modernen Gesellschaften nicht nur durch Traditionen und gesellschaftliche Normen, sondern zusätzlich durch Rechtsvorschriften und privatrechtliche Verträge zusammengehalten wird. Aber dieses Geflecht ist kein Subjekt, es hat keinen Kopf, denkt nicht, handelt nicht, entscheidet nicht, hat keine moralischen Verpflichtungen und muss für niemanden da sein.

(Bild: imago stock&people )

(Bild: imago stock&people )

Umgekehrt müssen natürlich auch die Menschen nicht für den Markt, dieses zwar vielfach staatlich geregelte, aber gleichwohl spontane Geflecht, da sein – und sie sind es auch nicht. Der Markt, das sind Menschen, die handeln und tauschen, weil sie soziale Wesen sind, weil Handel und Tausch wesentliche Formen menschlichen Zusammenwirkens sind und weil sie als Menschen daraus Nutzen ziehen. Die Logik dieses Marktes wurde – ähnlich wie die Logik der Sprache – von keinem menschlichen Gehirn erfunden oder konstruiert, sie wurde und wird von niemandem diktiert, sie bildet sich im Zusammenwirken heraus. Sie ist das Ergebnis eines evolutiven und spontanen Prozesses. Wer für sein Produkt zu viel verlangt, kann es nicht absetzen, wer schlechte Ware liefert, wird verdrängt, wer Fähigkeiten hat, die niemand nachfragt, hat Mühe, Arbeit zu finden.

Der anklägerische Appell, der Mensch dürfe nicht für den Markt da sein, läuft auf die Forderung hinaus, sich dieser Logik zu entziehen. Doch der Unternehmer, der billiger zu produzieren versucht oder eine Innovation anstrebt, und der Arbeitnehmer, der seine IT-Fähigkeiten weiterentwickelt, weil sie immer wichtiger werden, verstehen lediglich, was andere Marktteilnehmer wollen und nachfragen. Und indem sie entsprechend handeln, sind sie nicht «für den Markt» da, diesen abstrakten Begriff, sondern für die Menschen, die diesen Markt bilden und sich in ihm bewegen.