Gastkommentar

Segen statt Fluch des Bargeldes

In Zeiten finanzieller Repression wird der Angriff gegen das Bargeld immer offensiver geführt. Der Harvardprofessor Kenneth Rogoff kämpft an vorderster Front für dessen Abschaffung. Doch er irrt.

Mathias Binswanger
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Ein Grossteil des Bargeldes verschwindet vom Radar der Statistiker. (Bild: Martin Ruetschi / Keystone)

Ein Grossteil des Bargeldes verschwindet vom Radar der Statistiker. (Bild: Martin Ruetschi / Keystone)

Bereits seit Jahren missioniert der ehemalige Chefökonom des IMF und jetzige Harvardprofessor Kenneth Rogoff für die Abschaffung des Bargeldes. In seinem soeben erschienenen Buch «Der Fluch des Geldes» («The Curse of Cash») begründet Rogoff sein Anliegen vor allem mit zwei Argumenten.

Erstens behauptet Rogoff, dass eine Abschaffung des Bargeldes den Zentralbanken die Geldpolitik erleichtere. Denn sobald man nicht mehr auf Bargeld ausweichen könne, liessen sich negative Zinsen viel leichter in die Praxis umsetzen. Und zweitens wird Bargeld (vor allem die grossen Scheine) gemäss Rogoff in grossem Stil für kriminelle Zwecke verwendet. Also erschwert eine Abschaffung des Bargeldes kriminelle Aktivitäten wie Steuerhinterziehung, Drogenhandel oder Bestechung.

Also erschwert eine Abschaffung des Bargeldes kriminelle Aktivitäten wie Steuerhinterziehung, Drogenhandel oder Bestechung.

Bleiben wir kurz beim ersten Argument. Dabei geht es um die Frage, ob man mit noch negativeren Zinsen die Wirtschaft am Ende doch noch ankurbeln kann. Wenn man diese Frage mit Ja beantwortet, muss man daran glauben, dass beispielsweise eine Senkung der Zinsen von minus 0,2 auf minus 0,4 Prozent zu mehr Investitionen in der Realwirtschaft führt.

Doch ein solcher Glaube verlangt schon sehr viel Naivität. Mit negativen Zinsen fördert man vor allem den Kauf von Immobilien und damit auch die Entstehung von spekulativen Blasen auf dem Immobilienmarkt. Damit tatsächlich mehr Geld in der Realwirtschaft investiert wird, braucht es vor allem positive Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Und solche kann man auch mit noch so negativen Zinsen nicht herbeizaubern. Also sollten wir vielmehr froh sein, dass die Möglichkeit des Ausweichens auf Bargeld der zum Selbstläufer gewordenen Negativzinspolitik der EZB gewisse Schranken setzt.

Wenden wir uns dem zweiten Argument zu, welches Rogoff mit noch mehr Vehemenz ins Feld führt. Dabei verweist er gerne auf seine älteren Arbeiten, die angeblich zahlreiche Hinweise für die Begünstigung von kriminellen Aktivitäten durch Bargeld enthalten.

Doch man sucht vergeblich. Die einzige ausführliche Arbeit von Rogoff zu diesem Thema, die den Titel «Blessing or curse? Foreign and Underground Demand for Euro Notes» trägt, stammt aus dem Jahr 1998. Darin versuchte er aufzuzeigen, dass ein grosser Teil des Bargeldes und vor allem die grossen Noten (100-, 200- und 500-Euro-Noten) in der jeweiligen Schattenwirtschaft von OECD-Ländern gehalten werden. Beweise dafür lieferte er allerdings schon damals nicht.

Schattenwirtschaft

Die Verwendung in der Schattenwirtschaft ist nur eine von mehreren möglichen Erklärungen dafür, dass ein Grossteil des Bargeldes nach dessen Herausgabe vom Radar der Statistiker verschwindet.

Doch nehmen wir einmal an, Rogoff habe tatsächlich recht und Bargeld gelange in der Schattenwirtschaft besonders häufig zum Einsatz. Selbst in diesem Fall kann man nicht einfach darauf schliessen, dass Bargeld kriminelle Aktivitäten begünstigt. Darauf hat schon der österreichische Ökonom und Spezialist für Schattenwirtschaft, Friedrich Schneider, in einem Kommentar zu Rogoffs damaligem Artikel hingewiesen.

Schneider kritisierte Rogoffs Schlussfolgerungen als voreilig, weil eine Abschaffung von Bargeld die Anreize für Steuerhinterziehung oder die Durchführung krimineller Aktivitäten nicht verändert. Diese würden ohne Bargeld höchstens ein bisschen mühsamer, aber Kriminelle fänden schnell Ersatz. Es ist dies eine Tatsache, die angesichts der starken Zunahme von Cyberkriminalität immer offensichtlicher wird. Denn dort spielt Bargeld überhaupt keine Rolle. Im Gegenteil verhält es sich so, dass die meisten virtuellen Betrügereien bei Barzahlung gar nicht möglich wären.

Schulden und Wachstum

Allerdings hat Rogoff schon in der Vergangenheit gezeigt, dass er mit der Realität gerne einen kreativen Umgang pflegt. In einer vielbeachteten Arbeit unter dem Titel «Growth in a Time of Debt» aus dem Jahr 2010 kam er zusammen mit der Ökonomin Carmen Reinhart zum Ergebnis, dass Staatsschulden in Höhe von mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts Wachstum verhindern. Als ein Doktorand nachrechnete, stellte sich jedoch heraus, dass die in der Arbeit verwendeten Daten diese Schlussfolgerungen gar nicht zuliessen. Rogoff musste den Fehler schliesslich einräumen, und vom ursprünglichen Resultat blieb nicht mehr viel übrig.

Halten wir also fest: Es gibt keine Beweise dafür, dass ein Verbot von Bargeld kriminelle Aktivitäten erschwert oder sogar verhindert. Rogoffs neues Buch liefert dazu keine Fakten, sondern nur Vermutungen. Statt von einem Fluch des Bargeldes sollten wir deshalb besser vom Segen des Bargeldes sprechen. Bargeld ist die einzige Form von Geld, die uns vor der totalen Überwachung bei sämtlichen Zahlungsvorgängen schützt. Und es ist auch das einzige Zahlungsmittel, bei dem wir nicht gezwungen sind, eine Bank oder einen anderen Finanzdienstleister an der Zahlung zu beteiligen.

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. 2015 erschien sein Buch «Geld aus dem Nichts – Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen».