Kommentar

Willkommen in der fleischlosen Gesellschaft? Diese Herausforderungen warten auf den neuen Chef-Metzger von Coop

Die Schweizer haben ein zwiespältiges Verhältnis zum Fleischkonsum. Die Coop-Tochter Bell kann deshalb nicht nur auf Fleischersatzprodukte setzen, sondern muss alle Kundengruppen bedienen.

Matthias Benz 48 Kommentare 3 min
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Die Basler Bell-Gruppe gehört zu den grössten Fleischproduzenten der Schweiz.

Die Basler Bell-Gruppe gehört zu den grössten Fleischproduzenten der Schweiz.

Gaëtan Bally / Keystone

Wie führt man einen Fleischkonzern in die Zukunft? Diese Frage stellt sich gerade bei Bell. Der Basler Milliardenkonzern, der mehrheitlich zur Coop-Gruppe gehört, erhält einen neuen Chef. Im kommenden Sommer wird der 48-jährige Marco Tschanz den langjährigen Firmenlenker Lorenz Wyss ablösen, der altershalber zurücktritt.

Streit um den Fleischkonsum

Es ist ein Wechsel in einer umstrittenen Branche. Kaum ein Nahrungsmittel weckt solche Emotionen wie das Fleisch.

Auf der einen Seite gilt der Fleischkonsum zahlreichen Zeitgenossen als Ausdruck für einen überkommenen Lebensstil. Er belaste die Umwelt und sorge für Tierleid, sagen sie. Vor allem linke Politiker wollen den Fleischverzehr deshalb immer wieder einschränken – etwa, indem sie Altersheimen oder Kantinen vorschreiben wollen, dass sie nur noch vegane Gerichte auftischen dürfen.

Auf der anderen Seite sorgen solche Verbotsideen zuverlässig für Empörung. Der Staat dürfe nicht auf die Teller der Menschen greifen, verteidigen sich Fleischliebhaber. Sie sehen Freiheit, Traditionen und Genuss bedroht.

Nur wenige Vegetarier

Es ist mithin ein gesellschaftspolitisches Minenfeld, durch das sich ein Unternehmen wie Bell navigieren muss. Worauf muss der neue Firmenchef achten?

Erstens hat er einen Vorteil auf seiner Seite. Die Debatte über das Fleisch mag aufgeheizt sein, aber im Alltag pflegt die Bevölkerung – nicht nur in der Schweiz – einen pragmatischen Umgang mit dem Thema. Auch wenn es Tier- und Umweltschützern nicht gefällt, ist es doch eine Tatsache, dass die Konsumentinnen und Konsumenten immer noch in grossem Stil Fleisch kaufen.

In der Schweiz bezeichnen sich nur rund 5,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung als Vegetarier oder Veganer. In Deutschland sind es knapp 12 Prozent. Umgekehrt heisst das, dass 90 bis 95 Prozent der Menschen weiterhin regelmässig Fleisch essen. Fleischverzicht ist bis jetzt alles andere als ein mehrheitsfähiges Programm.

Das spürt auch das Unternehmen Bell. Sein Fleischabsatz in der Schweiz ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen – auch dank der Zuwanderung, die die Zahl der Konsumenten im Land vergrössert. Solange diese Nachfrage da ist, stellt es für eine Firma wie Bell keine Option dar, sie nicht zu bedienen. Und es kann auch nicht erstaunen, wenn die Fleischproduzenten während der Grillsaison mit Plakaten und Werbespots versuchen, die Nachfrage zusätzlich zu befeuern.

Bell hat Alternativen im Köcher

Aber es gibt, zweitens, auch die andere Seite: Der Fleischkonsum steht unter Druck. Jüngst hat die Bundesverwaltung eine «Klimastrategie für Landwirtschaft und Ernährung» vorgestellt, deren Hauptziel es ist, dass die Schweizer Bevölkerung künftig weniger Fleisch und mehr pflanzliche Nahrungsmittel isst. Es war quasi ein offizielles Gütesiegel für die seit langem von Umweltschützern erhobene Forderung, den Fleischkonsum zurückzudrängen.

Bell kann sich diesen Entwicklungen nicht entziehen. Der neue Firmenchef tut deshalb gut daran, sich verstärkt nach Alternativen zur klassischen Fleischproduktion umzusehen.

Sein Vorteil ist, dass unter dem Vorgänger bereits einiges passiert ist. Bell ist in das Geschäft mit pflanzlichen Fleischersatzprodukten auf Erbsenbasis eingestiegen, es verkauft sie unter dem Markennamen Green Mountain. Bereits 2018 hat sich das Unternehmen zudem an Mosa Meat beteiligt, einem niederländischen Pionier in der Herstellung von kultiviertem Fleisch – also Fleisch, das im Labor mithilfe von Zellkulturen gezüchtet wird. Es könnte in den kommenden Jahrzehnten den Fleischkonsum revolutionieren. Schliesslich hat Bell einen bedeutenden Geschäftsbereich für weitgehend fleischlose Convenience-Produkte aufgebaut.

Bell verfügt damit über die Voraussetzungen, auch für eine fleischlose Zukunft gerüstet zu sein. Aber was künftig gegessen werden wird, darüber werden letztlich die Konsumenten und die Politik entscheiden. Ein Unternehmen ist ein Spiegel der Gesellschaft – das gilt auch beim Fleisch.

48 Kommentare
H. A.

Die Schweizer häten ein zwiespältiges Verhältnis zum Fleischkonsum, liest man im NZZ-Kommentar. Wie das denn? 95 Prozent essen Fleisch! Wenn 95 Prozent der Schweizer keinen Kümmel mögen, haben dann die Schweizer ein zwiespältiges Verhältnis zum Kümmel? Wer keinen Kümmel mag, soll keinen essen. Und wer kein Fleisch mag soll keines essen. Und gut ist.

Urs Keiser

"Die Schweizer haben ein zwiespältiges Verhältnis zum Fleischkonsum" Jeder Mensch in der Schweiz entscheidet frei was er essen möchte. Für die einen mag eine fleischlose Nahrungsaufnahme gut sein, die anderen mögen eine pflanzliche und fleischlich basierte Ernährung. Warum sollen die einen über die anderen bestimmen, wer was zu essen hat?