Das Schuljahr hat kaum begonnen, schon wird über die Kleider der Kinder gestritten. Welche Signale senden Schlabberhosen und Kopftücher aus?

In Deutschland und Frankreich diskutieren Eltern und Politiker über die Kleiderordnung für Schülerinnen und Schüler. Warum kommt diese Debatte immer wieder auf?

Elena Oberholzer 4 min
Drucken
Schulkinder und Eltern am ersten Schultag nach den Sommerferien im Pariser Vorort La Verrière.

Schulkinder und Eltern am ersten Schultag nach den Sommerferien im Pariser Vorort La Verrière.

Christophe Petit Tesson / EPA

Es braucht verbindliche Regeln, damit sich Schülerinnen und Schüler richtig kleiden. Das fordern Eltern in Deutschland. Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrats, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Wir empfehlen Schulen, einen Konsens über eine Kleiderordnung zu schliessen.» Gäbe es einen Konsens, könnten Lehrpersonen jene Schülerinnen und Schüler, die «unangemessen lottrige, zerrissene oder freizügige» Kleidung trügen, nach Hause schicken und verlangen, dass sie sich ordentlich anzögen.

Das Thema wird in Deutschland regelmässig debattiert. Es geht darum, wie freizügig sich Schülerinnen und Schüler kleiden dürfen. Und darum, ob bequeme Outfits angebracht sind. Im vergangenen März hat eine Sekundarschule im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen das Tragen von Jogginghosen verboten. Die Deutsche Knigge-Gesellschaft meinte, alle Schulen in Deutschland sollten dasselbe tun.

In Frankreich wird ebenfalls über die Kleidung von Schülerinnen und Schülern geredet. Im August hat der französische Bildungsminister Gabriel Attal das Tragen von Abayas untersagt – das sind bodenlange Gewänder, die Frauen vor allem in islamischen Ländern tragen. Die islamische Gemeinschaft in Frankreich protestierte. Der französische Präsident Emmanuel Macron schlug in einem Interview eine Art Schuluniform vor. Alle tragen dieselbe Jeans, dasselbe Shirt, dieselbe Jacke.

Kleidung sendet Signale

Anders als in Deutschland hat die Debatte in Frankreich einen religiösen Hintergrund. Schülerinnen und Schüler dürfen ihre Religionszugehörigkeit per Gesetz nicht zeigen. Frankreich versteht sich als laizistischer Staat, religiöse Symbole sind im öffentlichen Raum streng verboten. Seit 2004 sind Kippas, Kopftücher sowie sichtbare Kreuze an Schulen landesweit untersagt.

Welche Kleidung ist für Schülerinnen und Schüler (un)angebracht? Diese Frage beschäftigt beide Länder.

Kleidung sendet Signale. Das wissen Lehrpersonen, Eltern, Kinder und Jugendliche. Wer keine Lust hat auf den Unterricht, versteckt sich in einem übergrossen Kapuzenpulli. Wer bestimmte Markenklamotten besitzt, will den Mitschülern vielleicht zeigen, dass er Geld hat. Wer ein Trikot einer bestimmten Fussballmannschaft trägt, markiert Zugehörigkeit. Und wer eine Kippa oder ein Kopftuch trägt, bringt seine religiöse Identität zum Ausdruck.

Kleidung transportiert Emotionen und Identität. Es kann eine Laune sein oder das Bedürfnis, sich schön zu fühlen. Oder die Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft. Mit dem Stoff teilen Schülerinnen und Schüler mit, wer sie sind oder wer sie sein möchten. Die Soziologin Judith Nyfeler, die an der Universität St. Gallen unter anderem zu Themen der Organisations- und Modesoziologie forscht, sagt: «Die Menschen wollen Verschiedenheit signalisieren.» Kleidung sei ein Ausdruck von Individualität.

Die Debatte um den Dresscode an Schulen bewegt. Die Eltern und die Politik, weil sie in der Kleidung der Kinder falsche Signale erkannt haben wollen. Und die Kinder und Jugendlichen, weil sie diese Signale bewusst senden möchten.

Schülerinnen und Schüler der Oberstufe in Stalybridge in England: Hier wird eine Schuluniform getragen.

Schülerinnen und Schüler der Oberstufe in Stalybridge in England: Hier wird eine Schuluniform getragen.

Anthony Devlin / Getty

Welche Kleidung ist angemessen?

Klar ist: Im Klassenzimmer, wie auch später im Büro, gelten meist implizite Kleidervorschriften. Es geht um Respekt, aber auch um Gewohnheiten. An Schulen gibt es einen Dresscode für den Sportunterricht, für den Schulausflug, für die Abschlussfeier. Beat A. Schwendimann, Erziehungswissenschafter und Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerverbands, sagt: «Schülerinnen und Schüler müssen lernen, wie man sich angemessen kleidet.»

Dass bestimmte Symbole, wie etwa Nazi-Zeichen, untersagt seien, sei klar. Bei anderen Dingen, sagt Schwendimann, seien Regeln schwieriger. So gebe es Schulen, die im Unterricht Spaghettiträger oder Hotpants verböten. Das sei zu aufreizend. Andere Schulen sehen das lockerer.

Heikler ist die Frage, wie die Schulen mit religiösen Symbolen und Kleidern umgehen sollen. In Deutschland und in der Schweiz geht es dabei meistens ums Kopftuch. In der Schweiz müssen öffentliche Schulen laut Bundesverfassung religiös und politisch neutral sein. Lehrpersonen, die in ihrer Funktion die Schule vertreten, müssen sich daran halten. Dazu gibt es ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 1997. Damals bestätigte das Gericht den Entscheid einer Genfer Primarschule, einer Lehrerin zu verbieten, ein Kopftuch zu tragen. In Deutschland hat jedes Bundesland andere Regeln. Schülerinnen und Schüler dürfen jedoch in beiden Ländern religiöse Symbole tragen.

Die Schuluniform als Superlativ der Kleidungsvorschrift

Schuluniformen dienen als Ausweg aus der komplizierten Debatte. In Frankreich hat der Bildungsminister Gabriel Attal mitten in der Diskussion um das Abaya-Verbot verkündet, er wolle Pilotprojekte für die Einführung einer Schuluniform starten. In Frankreich, Deutschland und auch in der Schweiz wird das Konzept alle paar Jahre diskutiert und getestet. Laut Befürwortern bauen Uniformen soziale Unterschiede ab oder stärken das Gemeinschaftsgefühl. Doch Testläufe, wie etwa 2006 im Kanton Basel-Stadt, scheiterten. Laut dem Erziehungswissenschafter Beat A. Schwendimann liegt das daran, dass Schuluniformen in der Schweiz keine Tradition haben. Anders als im angelsächsischen Raum, wo Schülerinnen und Schüler seit Jahrzehnten Uniform tragen.

Eigentlich gebe es viele Situationen, in denen wir gerne Kleidervorschriften befolgten, sagt die Soziologin Judith Nyfeler. Für Hochzeiten etwa kleiden wir uns so, wie das Brautpaar es wünscht – und wenn wir in die Oper gehen, wählen wir freiwillig elegante Kleidung. Doch wenn uns eine Organisation vorschreibt, was wir anziehen sollen, spüren wir die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Organisation und unseren individuellen Wünschen. Das kann für Unmut sorgen.

Der Schweizer Dichter Gottfried Keller widmete der Bedeutung von Kleidung in der Öffentlichkeit ein ganzes Buch. In «Kleider machen Leute», einer beliebten Schullektüre, wird ein armer Schneider für einen Grafen gehalten und verführt die Tochter eines Beamten – und das nur, weil er einen vornehmen Mantel trägt.

Weitere Themen