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Wenn Mehlwürmer in der Pfanne brutzeln

Gebratene Heuschrecken zum Apéro, ein Mehlwurmburger zum Lunch? In der Schweiz haben Insekten auf dem Teller Seltenheitswert. Der Verein Essento will der Bevölkerung solche Speisen schmackhaft machen.

Susanna Ellner
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Die Mehlwürmer sind nun bereit zum Pürieren. Zusammen mit im Wasser aufgekochter Goldhirse und Gewürzen ergibt das die Burger-Masse. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die Mehlwürmer sind nun bereit zum Pürieren. Zusammen mit im Wasser aufgekochter Goldhirse und Gewürzen ergibt das die Burger-Masse. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Es knackt. Mit einem geübten Handgriff trennt Pascal Bertsch die Flügel, die Hinter- und die Vorderbeine einer tiefgefrorenen Wanderheuschrecke ab. In zwei Stunden wird der Lebensmittelwissenschafter seinen beiden Studienkollegen Kim und Tania auf der sonnigen Terrasse bei sich zu Hause in Männedorf einen Mehlwurmburger mit Salat, garniert mit Heuschrecken, servieren. Ein Menu, das der 24-jährige ETH-Student schon Dutzende von Malen zubereitet hat. «Bis vor kurzem haben sich nur wenige für derartige Speisen interessiert, inzwischen ist die öffentliche Neugierde geweckt, und die Anfragen häufen sich», sagt Bertsch. Tatsächlich befindet sich die Schweiz punkto Insekten derzeit im Umbruch. Bereits 2016 könnten die Krabbeltiere in den Restaurants auf dem Speisezettel stehen und in den Läden als Nahrungsmittel angeboten werden, wie es im revidierten Lebensmittelgesetz vorgesehen ist. Dieses befindet sich bis Oktober in der Vernehmlassung und lässt offiziell drei Insektenarten zum menschlichen Verzehr zu: Acheta domesticus (Heimchen), Tenebrio molitor (Mehlkäfer) im Larvenstadium und Locusta migratoria (Wanderheuschrecke). Bis dann gilt weiterhin, dass Insekten nur im privaten Rahmen gegessen und nicht kommerziell vertrieben werden dürfen.

Der Moment für Investoren

In der Wohnküche bei Familie Bertsch brutzeln derweil Dutzende von Mehlwürmern im Erdnussöl. Es duftet angenehm und vertraut, ganz so, als würde Fleisch angebraten. Doch der Blick in die Pfanne lässt einen erschauern: Die Tiere bewegen sich! Pascal Bertsch beruhigt sogleich. Da aus den toten, tiefgefrorenen Körpern Wasser entweiche, krümmten sie sich in der Hitze. Mangels wissenschaftlicher Studien existieren noch keine tierschutzrechtlichen Bestimmungen zum Umgang mit und Töten von Insekten. Um auf Nummer sicher zu gehen, hat Matthias Grawehr den Kontakt zu entsprechenden Fachpersonen gesucht und von diesen keinen besseren Vorschlag bekommen, als die lebenden Tiere für 24 Stunden in das Eiskühlfach zu stecken und dort in einen dauerhaften «Tiefschlaf» zu versetzen. Der 26-jährige Grawehr ist als Geschäftsführer die treibende Kraft im Verein Essento, der sich wie kein anderes Startup-Unternehmen in der Schweiz dem Potenzial von Insekten für die Schweizer Küche verschrieben hat. Das vierköpfige Team besteht aus Absolventen der Universität St. Gallen und der ETH, unter ihnen etwa Pascal Bertsch. Obwohl die Jungunternehmer mit ihrer Idee, Insekten zu einem neuen Geschmackserlebnis zu machen, noch keinen finanziellen Ertrag erzielt haben, soll der Verein demnächst in eine AG übergeführt werden. «Für Investoren wird es dank der neuen Verordnung im Lebensmittelgesetz erst jetzt richtig interessant», ist Grawehr überzeugt. Mehrere Firmen hätten sich denn auch bereits bei ihnen gemeldet.

Trotz aller Euphorie steckt die kulinarische Verwertung von Insekten noch in den Kinderschuhen. Wanderheuschrecken kauft Bertsch zu einem relativ hohen Stückpreis von bis zu einem Franken im Zoofachhandel. Für die Mehlwürmer hat Essento eine eigene Zucht auf einem Bauernhof in der Ostschweiz angelegt. Der monatliche Ertrag beläuft sich auf 40 Kilogramm und wird für das Erproben der lukullischen Eigenkreationen verwendet – wie etwa der mit Mehlwurm-Paste gefüllten Ravioli oder eines Brotaufstrichs.

Mühe mit neuer Verordnung

Bertsch hat inzwischen die angebratenen Mehlwürmer, die in Wasser aufgekochte Goldhirse und Gewürze mit dem Pürierstab zu einer braunen Masse vermischt. «Der Mehlwurm-Burger ist unser vielversprechendstes Produkt», erklärt Bertsch. Doch ausgerechnet diese Kreation könnte an der neuen Lebensmittelverordnung scheitern – vorgesehen sind Insekten als Nahrungsmittel nämlich nur in ganzer, klar erkennbarer Form. Für die vier Mittzwanziger von Essento ist dies unverständlich. Bei ihren für Freunde gekochten Testessen hat sich gezeigt, dass die Hemmschwelle deutlich tiefer liegt, wenn die Insekten auf dem Teller nicht als solche wahrgenommen werden. Die Hoffnungen des Essento-Teams ruhen deshalb nun darauf, dass sich bei der öffentlichen Anhörung der Vorlage noch Änderungen ergeben könnten.

Doch was bringt die vier jungen Erwachsenen überhaupt dazu, auf ein Nahrungsmittel zu setzen, das in unseren Breitengraden in erster Linie mit Ekel statt mit Genuss verbunden wird? Für Bertsch ist es der Reiz, ein Produkt von Grund auf zu entwickeln, was in der Lebensmittelbranche nur selten möglich sei. Grawehr wiederum sah seine Chance gekommen, als ihm in seinem Studienfach Internationale Beziehungen im Jahr 2013 ein Bericht der Welternährungs-Behörde FAO in die Finger kam. Dieser befasste sich mit essbaren Insekten und deren Vorteilen. «Wenn rund zwei Milliarden Menschen regelmässig Insekten – nicht zuletzt wegen ihres Geschmacks – verzehren, dann liegt hierzulande jede Menge Potenzial brach», war Grawehrs Gedanke.

Tatsächlich gelten die Proteine und Nährstoffe der Insekten als qualitativ hochwertig und sind mit denen von Fisch und Fleisch vergleichbar. Zudem überzeugen die Kleinlebewesen nicht nur aus kulinarischer und gesundheitlicher Sicht, sondern auch umwelttechnisch. Ihre Zucht benötigt viel weniger Wasser und Land als die Produktion von anderen tierischen Proteinen und erzeugt auch weniger Treibhausgase. Überdies produziert man mit 10 Kilogramm Futter 6 Kilogramm Insekten; das ist das Sechsfache des Ertrags bei der Rinderzucht. «Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist für uns von Essento zentral», sagt Grawehr.

Tier als Ganzes zerkauen

Mittlerweile sind die Gäste Kim und Tania zum Mittagessen in Männedorf eingetroffen. Äusserlich unterscheidet sich der Mehlwurmburger abgesehen von der etwas gröberen Konsistenz nicht von einem herkömmlichen Hamburger. Kim und Tania zögern nicht lange und beissen zu. Wie schmeckt der Mehlwurmburger? Nicht nach Hackfleisch. Eher ein bisschen nussig, auf alle Fälle ist er schmackhaft. Mehr Überwindung bedarf es, eine gebratene Heuschrecke zu kosten. Bertsch rät, gleich das ganze Tier in den Mund zu nehmen und nicht bloss stückchenweise abzubeissen. Dann komme das Aroma des Insekts besser zur Geltung. Von der Konsistenz fühlt sich die Heuschrecke leicht papieren an, vom Geschmack her würden Kim und Tania auf Poulet oder Pommes-Chips mit Fleischaroma tippen. Klar ist: Am Tisch werden an diesem Mittag alle satt. Dass Völlegefühl hält gar derart lange an, dass sich ein Abendessen erübrigt.