Gerhard Pfister, gläubiger Katholik und einst Konservativer, gibt sich als der grosse Reformator seiner Partei. Selbst die drei Weisen aus dem Morgenland hätten sich die Augen gerieben

Der Präsident bleibt dominant und kompetitiv: Die Messlatte von 14 Prozent Wähleranteil stört ihn nicht.

David Biner, Bern 3 min
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Mitte-Präsident Gerhard Pfister lud zum traditionellen Dreikönigsgespräch.

Mitte-Präsident Gerhard Pfister lud zum traditionellen Dreikönigsgespräch.

Peter Schneider / Keystone

Die Einladung machte deutlich, dass für die frühere CVP vieles anders werden sollte im neuen Jahr. 2023, heisst es da, werde ein Wahljahr, «in welchem Die Mitte erstmals als neue Partei antritt».

Neues Jahr, neues Glück, aber gleich eine neue Partei?

Den Auftakt zumindest bestritt sie traditionell, am Freitag beim alljährlichen Dreikönigsgespräch in Bern. Auch der Präsident ist unverändert, sein Sendungsbewusstsein ebenfalls.

Wahlen in Zürich als Gradmesser

Gerhard Pfister kann für sich beanspruchen, den jahrzehntelangen Fall der CVP vorläufig gestoppt zu haben und die neue Mitte wohl auch zu stabilisieren. Der «intensive Reformprozess» der Partei sei nach dem Namenswechsel noch nicht ganz zu Ende. Bis 2025 gibt er sich hierfür Zeit. Pfister spricht vom «guten Formstand» und noch immer und oft vom «Aufbruch». Der gläubige Katholik und einst Konservative als der grosse Reformator seiner Partei? Selbst die drei Weisen aus dem Morgenland hätten sich die Augen gerieben.

Dabei betreibt Pfister keine Sterndeuterei, sondern parteistrategische Realpolitik. Das Einzige, was zählt bei den anstehenden Wahlen im Herbst, sind Stimmenanteile, Sitze. Er ist bereit, sich und die Mitte messen zu lassen an den Erwartungen, die nach dem Zusammenschluss mit der BDP im Raum stehen: Kumuliert man die Resultate von 2019, wären das knapp 14 Prozent. Aber ganz so einfach wird es nicht, war es mit Pfister und der Mitte nie.

Hätte die damalige CVP bei den letzten Wahlen fünf Sitze verloren – Pfister wäre bereits weg. Seine Rücktrittsrede hatte er laut eigenen Aussagen vor dem Wahlsonntag 2019 schon geschrieben. Nach dem doch überraschend reibungsarmen Namenswechsel träumte er dann zwischendurch von zwei Bundesratssitzen nach den Wahlen 2027. Dieses Ziel hat er am Freitag nun korrigiert. Pfister hat seine eigene Mitte gefunden.

Man sei zufrieden mit dem einen Bundesratssitz – und mit Viola Amherd, die ihn besetzt. Ihr Verbleib im Verteidigungsdepartement und ihr Verzicht auf das Umweltdepartement werden nun demonstrativ als sicherheitspolitisches Commitment umgewertet. Ein Fanal der Verantwortung statt Fahnenflucht – Politik ist vor allem der Kampf um die Deutungshoheit. Und hier liegt auch die Stärke von Pfister.

Laut einer Sotomo-Umfrage vom vergangenen Herbst sind 65 Prozent der Mitte-Basis der Meinung, dass der Präsident einen positiven Effekt habe auf das Abschneiden der Partei. Das ist der zweitbeste Wert knapp hinter dem FDP-Präsidenten Thierry Burkart. Die beiden dominierten in den vergangenen Monaten die Debatte um den angemessenen Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Es geht um Waffen und Sanktionen – und um Profilierung.

Drei von vier Mitte-Wählern gaben in derselben Umfrage an, dass die politische Ausrichtung ihrer Partei genau richtig sei. Schwieriger wird es bei der Frage, wo künftig neue Wähler zu holen sind. Pfister hofft vor allem auf Neuwähler in den grossen Mittellandkantonen. Die Zürcher Kantonsratswahlen vom kommenden Februar werden hier ein wichtiger Gradmesser: Kann die «neue Partei» das neue Potenzial ausschöpfen?

Finanzen als Sache des Bundesrats

Pfister ist dominant, fällt oft mit der Tür ins Haus. Aber in seinem Windschatten lässt er Raum für Diskussionen und für neue Köpfe. Da sind Marc Rüdisüli und die in letzter Zeit stark gewachsene Junge Mitte, die einen progressiven Kurs einschlägt. Die Jungen wollen Fortschritte im EU-Dossier und verlangen vom Bundesrat, dass er ein neues Mandat für Verhandlungen mit der EU bereits vor den Wahlen verabschiedet.

Da ist Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen, die beim Gesundheitspolitiker und Berner Ständeratskandidaten Lorenz Hess forsch-freundlich nachfragt, warum auf die abtretende Nationalrätin Ruth Humbel denn keine Frau folge für den Einsitz in der Gesundheitskommission. Oder Karin Stadelmann, Luzerner Kantonsrätin und Mitglied des Parteipräsidiums, die nochmals bedauert, dass die Mitte-Ständeräte auf die Prämien-Entlastungs-Initiative nicht einmal eingetreten sind.

Die neue Partei hat immer noch die alte Vielstimmigkeit, aber man steht heute unverkrampft dazu. Ausser bei der Energiepolitik: Dass manche Parteivertreter wie der Mitte-Ständerat Beat Rieder die Energiestrategie auch schon als «krasse politische Fehlleistung» bezeichnet haben, wird geflissentlich überhört. Am Erbe von Alt-Bundesrätin Doris Leuthard wird nicht gerüttelt.

Gar nichts zu sagen hat die Partei indes zur Staatskasse. Wo genau wie viel künftig gespart werden soll, sei eine «klassische Führungsaufgabe» und Sache des Gesamtbundesrats, sagt der Parteichef Pfister. Eines weiss er sicher: Mit dem Rotstift holt man kurzfristig keine zusätzlichen Wähleranteile.