Die Leichtathletik muss sich wegen Corona neu erfinden – Weltklasse Zürich wird zur weltumspannenden TV-Show

Das Zürcher Meeting wird vom 11. September auf den 9. Juli vorverlegt und als Teamwettkampf in mehreren Stadien gleichzeitig inszeniert. Dieses Modell stellt auch ganz neue Herausforderungen an die Fernsehproduktion.

Remo Geisser
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Fernduell über 150 Meter: Mujinga Kambundji läuft am 9. Juli gegen zwei Gegnerinnen, die ihr Rennen zeitgleich in den USA absolvieren.

Fernduell über 150 Meter: Mujinga Kambundji läuft am 9. Juli gegen zwei Gegnerinnen, die ihr Rennen zeitgleich in den USA absolvieren.

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Wie geht Weltsport, wenn die Sportler zu Hause festsitzen? Diese Frage stellt sich in der Leichtathletik, in der grosse Wettkämpfe noch immer unmöglich sind. Zwar gibt es für die globale Serie Diamond League einen Kalender, der zwischen Mitte August und Mitte Oktober elf Meetings vorsieht, aber niemand weiss, ob das mehr als blosse Hoffnungen sind. Die Veranstalter in Oslo und Zürich haben sich dazu entschieden, aus der Not eine Tugend zu machen und Athleten in verschiedenen Stadien gegeneinander antreten zu lassen.

Trendsetter waren die Bislett Games, die bereits im April unter der Affiche «Impossible Games» ein spezielles Meeting ankündigten. Es wird am Donnerstag durchgeführt und am Schweizer Fernsehen übertragen. Gezeigt wird eine Mischung aus realen und virtuellen Wettkämpfen. So läuft der zweifache Weltmeister Karsten Warholm über 300 m Hürden solo gegen den Weltrekord von 34,48 Sekunden an. Auch zwei Schweizerinnen sind dabei, sie werden in kleinen Startfeldern auf Unterdistanzen laufen: Lea Sprunger über 300 m Hürden, Selina Büchel über 600 m.

Oslo wirbt aber vor allem mit Vergleichen über Landesgrenzen hinweg. So tritt im Stabhochsprung Weltrekordhalter Armand Duplantis (6,18 m) gegen seinen Vorgänger Renaud Lavillenie (6,16 m) an. Duplantis wird in Oslo springen, Lavillenie hat den Wettkampf in Frankreich bereits absolviert. In der TV-Regie wird beides zusammengeschnitten. Dasselbe passiert beim Teamwettkampf über 2000 m zwischen den Ingebrigtsens aus Norwegen und einer Gruppe Kenyaner in Nairobi. Die Läufe finden nicht gleichzeitig statt.

Weltklasse Zürich geht mit den «Inspiration Games» einen Schritt weiter. Das Meeting wird vom 11. September auf den 9. Juli vorverlegt und als Teamwettkampf in mehreren Stadien gleichzeitig inszeniert. Geplant sind je vier Disziplinen für Frauen und Männer, in denen jeweils drei Stars gegeneinander antreten. Sie kämpfen nicht nur für sich, sondern auch um Punkte für die Teams «Europa», «Amerika» und «Rest der Welt». Das Schweizer Fernsehen produziert daraus eine 90-minütige Live-Sendung.

Technisch werden neue Wege beschritten. Wenn zum Beispiel die Frauenstaffeln über 3-mal 100 m antreten, läuft eine davon in Zürich, eine zweite in den Niederlanden und die dritte in den USA. Der Startschuss wird im Letzigrund abgefeuert, er ertönt aber gleichzeitig auch aus den Lautsprechern hinter den Startblöcken in den beiden anderen Stadien. Da es beim Übertragen der Bilder zu kleinen Verzögerungen kommt, wird die Regie diese auffangen und am TV ein synchrones Rennen zeigen. Wer zuerst über die Ziellinie läuft, hat auch tatsächlich gewonnen.

Im Prinzip ist das Meeting so angelegt, dass pro Disziplin und Stadion nur eine Athletin oder ein Athlet antritt. Mujinga Kambundji wird ihr Rennen über 150 m gegen Allyson Felix und Shaunae Miller-Uibo ganz allein laufen. Das ist eine sehr ungewohnte Situation in der Leichtathletik, wo normalerweise Schulter an Schulter um Hundertstelsekunden gekämpft wird. Andreas Hediger, Co-Meetingdirektor von Weltklasse Zürich, sagt dazu: «Ungewöhnliche Zeiten verlangen nach ungewöhnlichen Lösungen.» Nur so sei es möglich, im Juli 30 Topathleten aus der ganzen Welt gegeneinander antreten zu lassen.

Die «Inspiration Games» werden ein reines TV-Produkt sein, und das Fernsehen erhält ganz neue Möglichkeiten, das Meeting zu inszenieren. So bleibt mehr Zeit, um die Sportler dem Publikum mit kurzen Porträts näherzubringen, ähnlich wie das heute in TV-Shows üblich ist. Ausserdem wird es bei technischen Bewerben so sein, dass man einen Athleten bei seinem Versuch sieht und gleichzeitig seine Gegner, die ihn dabei beobachten. Die Regie wird vorwiegend mit sogenannten Split-Screens arbeiten, also mit mehreren Bildern gleichzeitig auf einem Schirm.

Das gilt auch für die Läufe. Bei Kambundjis Rennen über 150 m wird der TV-Zuschauer gleichzeitig auch die Gegnerinnen sehen. Die Sportlerin selbst aber kann nicht mit einem Blick auf die Videowand kontrollieren, wo sie steht – das wäre wegen der Zeitverzögerung bei der Übertragung nicht möglich. Sie muss am Ziel wohl auch einen Augenblick warten, bis sie die Zeiten der Konkurrentinnen sieht. Hinzu kommt, dass nicht alle Starter identische Bedingungen haben werden. In einem Stadion kann der Wind von hinten blasen, im anderen von vorne, und auch die Temperaturen können sich deutlich unterscheiden. Die «Inspiration Games» sind ein spannendes Format in einer besonderen Zeit – aber die Zukunft der Leichtathletik ist der gute alte Vergleich Frau gegen Frau, Mann gegen Mann.

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