Wie der Weltmeister Antoine Griezmann durch eine abstruse Klausel zum Ersatzspieler degradiert wird

Bei Atlético Madrid, dem spanischen Fussballmeister von 2021, ist Feuer im Dach. Auch wegen einer umstrittenen Vereinbarung mit dem FC Barcelona, die nun die Juristen beschäftigt. Dafür büssen muss der Starstürmer Antoine Griezmann, der öfter auf der Ersatzbank Platz nehmen muss, als ihm lieb ist.

Florian Haupt, Barcelona
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Antoine Griezmann verfolgt mit fatalistischer Miene und türkisgrün gefärbten Haaren, wohin ihn die immer abenteuerlicheren Finanzarchitekturen des Fussballs gebracht haben.

Antoine Griezmann verfolgt mit fatalistischer Miene und türkisgrün gefärbten Haaren, wohin ihn die immer abenteuerlicheren Finanzarchitekturen des Fussballs gebracht haben.

Isabel Infantes / Reuters

Am Anfang dieses bizarren Schauspiels steht Antoine Griezmann höchstpersönlich. Als der FC Barcelona ihn 2018 verpflichten wollte, inszenierte der Stürmer von Atlético Madrid seine Entscheidung, welchem Klub er den Zuschlag gebe, in einer halbstündigen Dokumentation – und er verkündete in dieser seinen Verbleib in der Hauptstadt. Ein Jahr später jedoch vollzog er den Wechsel doch, seinen Ruf in der Kurve und in der Öffentlichkeit hat er damit ramponiert.

Vielleicht haben sie bei Atlético jetzt auch deshalb so wenig Gnade mit ihm. Denn mittlerweile ist er längst wieder zurück, nachdem am letzten Transfertag 2021 eines dieser seltsamen Klauselgeschäfte vereinbart worden ist: Barça, das sich Griezmanns Luxusgehalt nicht mehr leisten konnte, lieh ihn für zwei Jahre nach Madrid aus. Dazu kam eine Kaufoption. Sollte Griezmann in diesen zwei Saisons in mindestens der Hälfte der Partien, für die er einsatzfähig ist, mindestens 45 Minuten auf dem Platz stehen, muss ihn Atlético im Sommer 2023 verbindlich für 40 Millionen Euro kaufen.

Ein Verdacht hat sich bestätigt: Griezmann wird absichtlich so kurz gehalten

Klingt kompliziert – und vermeintlich nach einer Formalie. Schliesslich handelt es sich beim 31-jährigen Angreifer um einen der Besten der vergangenen Dekade. Er war Kopf des französischen Weltmeisterteams von 2018, Finalist und Torschützenkönig der EM 2016, zweimal Dritter der Weltfussballerwahl.

Sein zu jener Zeit verkündeter Anspruch, «am selben Tisch wie Messi und Cristiano Ronaldo zu sitzen», mag sich insgesamt nicht erfüllt haben. Nach der Rückkehr zu seinem Lieblingstrainer Diego Simeone war er in der letzten Saison dennoch wichtig genug, um in 81 Prozent der Partien den Mindestsaldo von 45 Minuten zu erfüllen. Doch in der neuen Spielzeit ist alles anders.

Diego Simeone ist der Lieblingstrainer von Griezmann.

Diego Simeone ist der Lieblingstrainer von Griezmann.

Vincent West / Reuters

Griezmann wurde in Getafe und gegen Villarreal in der 62. Minute eingewechselt, in Valencia kam er in der 64. Minute aufs Feld – und nun beim 1:1 in San Sebastián spielte er ebenfalls erst ab der 63. Minute, obwohl Auftritte bei seinem Jugendklub Real Sociedad besondere Spiele für ihn sind und obwohl er zuvor bei seinen Kurzeinsätzen die Hälfte aller Atlético-Tore geschossen hatte.

Ein Verdacht hat sich damit bestätigt: Griezmann wird absichtlich genau so kurz gehalten, dass er selbst inklusive endloser Nachspielzeiten keinesfalls auf 45 Minuten Einsatzzeit kommt. Simeone hat die Scheibchentaktik inzwischen weitgehend eingeräumt. Nachdem er anfangs sportliche Gründe vorgeschoben hatte, antwortete der Argentinier zuletzt auf die Griezmann-Frage: «Ihr kennt mich, ich bin ein Mann des Klubs.»

Der FC Barcelona hat seine juristische Abteilung eingeschaltet

Dieser Klub operiert mit einem Lohnbudget von rund 200 Millionen Euro, von dem ein Viertel auf das Konto von Simeone geht. Atlético bewegt sich damit so scharf am Limit, dass es sich die 40 Millionen für Griezmann kaum leisten kann. Will der Klub mit seiner Verknappungsstrategie irgendeinen Rabatt erzwingen?

Das vermuten sie in Barcelona, wo sie den Franzosen keinesfalls zurückhaben wollen, weil sie ihm sonst für ein weiteres Vertragsjahr ein Basisgehalt von rund 20 Millionen Euro überweisen müssten. Barça hat seine juristische Abteilung eingeschaltet, um zu prüfen, ob Atlético unlauter agiert.

Der Fall Griezmann beschäftigt die Fussball-Kommentatoren.

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Griezmann verfolgt auf der Ersatzbank mit fatalistischer Miene und neuerdings türkisgrün gefärbten Haaren (die Farbe der Hoffnung?), wohin ihn die immer abenteuerlicheren Finanzarchitekturen des Fussballs gebracht haben. Nie hat er Probleme gemacht, allenfalls Dummheiten wie mit der Dokumentation. Und Fehler bei der Vereinswahl, ja, die ganz bestimmt. Bei Barça wollten ihn nur der damalige Trainer Ernesto Valverde und der damalige Präsident Josep Maria Bartomeu, für dessen inkompetente Schuldenpolitik Griezmann als Symbol steht. Fussballerisch jedoch passte er nie nach Katalonien, und der Heldenstatus war Lionel Messi vorbehalten.

«Du hättest auf deine Frau hören sollen», belehrte ihn der Atlético-Präsident Enrique Cerezo bei der Rückkehr, denn die Gemahlin Erika hatte Antoine Griezmann just das vorhergesagt: «Geh nicht, bei Atlético wirst du eine Legende sein, in Barcelona nur einer mehr.» Jetzt ist Griezmann auch bei Atlético nur noch einer mehr. Oder sogar einer weniger – ohne Option auf die Startelf.

Atlético Madrid wurde in diesem Sommer schon andere Grossverdiener nicht los

Dabei hat ihm der Klub viel zu verdanken. Von 2014 bis 2019 veredelte Griezmann mit einer Quote von mehr als einem halben Tor pro Spiel den Mauerfussball Simeones quasi im Alleingang. Atlético erreichte 2016 den Champions-League-Final und gewann 2018 die Europa League. Atléticos Trainerguru, der ihn körperlich abhärtete und vom Flügelstürmer zur offensiven Allzweckwaffe ummodelte, gilt weiterhin als Fürsprecher Griezmanns, obwohl dessen Trefferzahl in der letzten Saison gesunken ist.

Antoine Griezmann (links) im Spiel gegen seinen früheren Arbeitgeber Real Sociedad.

Antoine Griezmann (links) im Spiel gegen seinen früheren Arbeitgeber Real Sociedad.

Vincent West / Reuters

Und zu einem schlechten Geschäft kann Griezmann für die Madrilenen in der Gesamtbetrachtung sowieso nie werden. 30 Millionen Euro zahlten sie für ihn 2014 an Real Sociedad. Und dem arglosen Bartomeu von Barça leierten sie später eine Ablösesumme von 120 Millionen Euro aus der Tasche plus eine Schweigegebühr von 15 Millionen, in Verbindung damit, wie interne E-Mails dokumentierten, dass Bartomeu den Spieler früher als erlaubt kontaktiert hatte. Was sind dagegen schon 40 Millionen Euro?

Zurzeit: viel. Denn Atlético wurde in diesem Sommer schon andere Grossverdiener wie Álvaro Morata und Saúl nicht los. Der Klub befindet sich nach dem Aufstieg zur kontinentalen Grösse an einem kritischen Punkt. Die Wachstumsmöglichkeiten sind erst einmal ausgeschöpft. An Real Madrid und Barça wird Spaniens Nummer drei – die rund acht Prozent der Fussballfans im Land favorisieren – nie heranreichen. Und die Stimmung unter den Getreuen droht zu kippen.

Die unwürdige Posse um Griezmann kann zum Brandbeschleuniger werden

Auf den Meistertitel von 2021 folgte die statistisch schwächste Saison in zehn Jahren mit dem Trainer Simeone. Und nun liegt man nach vier Spieltagen auch schon wieder fünf Punkte hinter dem Tabellenführer Real Madrid. Nach der Niederlage gegen Villarreal im letzten Heimspiel gerieten Spieler mit Fans aneinander, Feuerzeuge und Flaschen flogen, der Verteidiger Mario Hermoso sprang sogar kampfbereit auf die Tribüne, die Polizei musste einschreiten.

Die unwürdige Posse um Griezmann kann da zum Brandbeschleuniger werden. Rund 15-mal 45 Minuten müsste er in dieser Saison auf dem Platz stehen, damit er insgesamt über die 50 Prozent käme. Weiter gezählt wird am Mittwoch zum Champions-League-Start gegen den FC Porto. Die Spieluhr tickt.

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