Der englische Sonderfall: British Airways zählt nicht auf Staatshilfe, und London will auch keine leisten

Nicht alle Länder springen ihren Fluggesellschaften bei. British Airways will ohne Rettung auskommen, aber ohne Tausende Entlassungen geht es offenbar nicht.

Benjamin Triebe, London
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Seitenruder parkierter British-Airways-Flugzeuge in London Heathrow.

Seitenruder parkierter British-Airways-Flugzeuge in London Heathrow.

Toby Melville / Reuters

Während in vielen europäischen Ländern Fluggesellschaften vom Staat gerettet werden sollen, demonstriert Grossbritannien wieder einmal, dass es eine Insel ist. Für British Airways sei keine Staatshilfe in Sicht, schrieb der Firmenchef Alex Cruz warnend der Belegschaft der nationalen Vorzeige-Airline jetzt in einem publik gewordenen Brief. Aber Cruz will diese Hilfe auch nicht unbedingt. Willie Walsh, der Chef des BA-Eigentümers International Airlines Group (IAG), hatte im März erklärt, er erwäge keinen Ruf nach Support: «Regierungen dürfen erwarten, dass Fluggesellschaften sich selbst helfen, bevor sie beim Staat um Hilfe bitten», sagte Walsh.

Die Regierung hält sich sehr zurück

London drängt den Fluggesellschaften in liberaler Tradition keine Hilfe auf. Der britische Schatzkanzler Rishi Sunak hat angekündigt, besondere Unterstützung nur als allerletzten Ausweg überhaupt erst in Erwägung zu ziehen. Zuerst sollten alle kommerziellen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Allerdings nehmen die Airlines reguläre Corona-Hilfen in Anspruch, seit ihre Flotten am Boden bleiben müssen: Etwa die Billigfluggesellschaft Easy Jet, die sich mit der Corona-Fazilität der Bank of England 600 Mio. £ (690 Mio. Fr.) beschaffte. Oder auch British Airways, als die Gesellschaft Anfang April über 20 000 Mitarbeiter in die Kurzarbeit schickte.

An den hohen Anforderungen für besondere Staatshilfe beisst sich derzeit Virgin Atlantic die Zähne aus, die Fluggesellschaft des Milliardärs Richard Branson. Der Unternehmer musste bereits den Kollaps von Virgin Australia miterleben, an der er eine Minderheitsbeteiligung hält, und fürchtet nun um die auf Langstreckenflüge spezialisierte britische Schwester. Branson möchte ein Darlehen zu besonderen Konditionen. Kritiker fordern, der Milliardär und andere Aktionäre sollten erst eigenes Kapital einschiessen. Branson hat dem Vernehmen nach seine Residenz auf den Britischen Jungferninseln als Pfand angeboten, aber die amerikanische Delta Airlines, mit 49% der grösste Aktionär von Virgin Atlantic, ist zu sehr mit eigenen Problemen beschäftigt.

Die echten Probleme kommen später

Probleme hat auch British Airways genug, aber das vor allem mittel- und langfristig. Die Airline hat ihre Flugkapazität um 94% reduziert und ist sehr pessimistisch: Die Erholung der Passagierzahlen dürfte mehrere Jahre dauern, heisst es nun in einer Mitteilung. Deshalb gleist die Fluggesellschaft ein Sanierungsprogramm auf, das nach eigenen Angaben zu bis zu 12 000 Entlassungen führen könnte – mehr als einem Viertel der Belegschaft. Man könne nicht erwarten, «dass die Steuerzahler unbegrenzt die Löhne finanzieren», schreibt CEO Cruz in seinem Brief.

Für die potenziell betroffenen Piloten und Crewmitglieder mag es ein Trost sein, dass British Airways diese Planungen nicht überhasten muss. Vorläufig hat das Unternehmen genug Reserven – ein weiterer Grund, der es bei der Staatshilfe zögern lässt: «Alles Geld, das wir jetzt leihen, wäre nur kurzfristig und würde nicht den langfristigen Herausforderungen begegnen», so Cruz.

Ende des Jahres 2019 verfügte die Fluggesellschaft laut der Rating-Agentur Moody’s Investors Service über liquide Mittel von 4,2 Mrd. £, inklusive verfügbarer Kreditlinien. Damit zählte sie relativ zum Umsatz zu den «flüssigsten» Airlines weltweit. Erst wenn sich der Stillstand bis in das dritte Quartal ziehe, gerieten die Ressourcen unter Druck, so die Analytiker.

Ungeliebt, aber sehr profitabel

Nach Ansicht von Moody’s ist British Airways auch solider aufgestellt als die Muttergesellschaft IAG, zu der unter anderem die spanische Iberia und die irische Aer Lingus gehören. Tatsächlich beförderte die britische Airline mit knapp 48 Mio. Passagieren im vergangenen Jahr rund 40% aller Fluggäste von IAG, erwirtschaftete aber über 60% des Betriebsgewinns (Ebitda) der Gruppe.

Hinter der vorläufig soliden Bilanz von British Airways steckt allerdings nicht unbedingt grosse Kundenzufriedenheit, sondern eine ohnehin strikte Kostenkontrolle. Auf kostenlose Annehmlichkeiten müssen Passagiere insbesondere auf der Kurzstrecke verzichten, und beim Kundenservice mehrten sich jüngst die Zwischenfälle. Doch die Fluggesellschaft erreichte im Jahr 2019 eine operative Marge von knapp 15%. Iberia kommt auf 9% und die Billigfluggesellschaft Vueling auf 10%.

Die gesamte IAG-Gruppe hatte Ende März laut dem Broker Liberum liquide Mittel von 9,5 Mrd. € zur Verfügung. Das Geld braucht sie in der Corona-Krise auch: Für das erste Quartal gab IAG in dieser Woche einen vorläufigen operativen Verlust von 535 Mio. € bekannt, fast drei Mal so viel wie am Markt erwartet, und das allein dem Einbruch im März geschuldet. Für die kommenden Monate traut sich der Konzern keine Prognose zu.

Wie lange hält London durch?

Ob die britische Regierung es durchhalten kann, dem Luftfahrtsektor nicht gesondert unter die Arme zu greifen, muss sich weisen. Kleine Airlines, die im Regionalverkehr etwa zu den schottischen Inseln eine gewisse Rolle spielen, haben deutlich weniger finanziellen Manövrierraum als British Airways. Mit Flybe wurde im März bereits der erste Anbieter von der Corona-Krise in die Insolvenz getrieben. Auch die weitgehend privatisierten Flughäfen verzeichnen kaum noch Einnahmen.

Der Staat hat in der Corona-Krise zwar schnell gehandelt und Hilfen für Unternehmen aufgelegt. Er zögerte jedoch stets damit, gänzlich das Risiko zu übernehmen. Beispielsweise haben ihn erst deutliche Engpässe bei der Kreditvergabe dazu veranlasst, die Staatsgarantie für Darlehen an kleine Firmen auf 100% zu erhöhen.

Sie können Benjamin Triebe, Wirtschaftskorrespondent für das Vereinigte Königreich und Irland, auf Twitter folgen.

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