Der Branchenriese Teva mit den Marken Ratiopharm und Mepha verliert Interesse an Generika – Medikamente dürften noch knapper werden

Medikamentenkopien können nicht billig genug sein. Der neue Chef des weltweit zweitgrössten Generikaherstellers, Teva Pharmaceuticals, zieht aus dem Preiskampf seine Konsequenzen. Er kündigt die Aufgabe zahlreicher weiterer Fabriken an.

Dominik Feldges 4 min
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Die Firma Teva will sich von einem weiteren Fünftel ihrer Fabriken trennen. Zu allfälligen Stellenstreichungen hat sie sich noch nicht geäussert.

Die Firma Teva will sich von einem weiteren Fünftel ihrer Fabriken trennen. Zu allfälligen Stellenstreichungen hat sie sich noch nicht geäussert.

Akos Stiller / Bloomberg

Viele Medikamente sind knapp. Allein in der Schweiz gelten zurzeit über 700 Produkte als nicht lieferbar, wie der Branchendienst drugshortage.ch berichtet. In den USA, wo sich wegen der riesigen Marktgrösse so viele Anbieter wie in keinem anderen Land der Welt tummeln, sind es laut Marktbeobachtern über 300. Dies sei der höchste Wert seit 2014, heisst es.

Unerlässlich für Grundversorgung

Beim Grossteil der nicht lieferbaren Arzneimittel handelt es sich um Generika. Diese günstigen Medikamentenkopien werden beispielsweise als Antibiotika, Blutdrucksenker oder Schmerzmittel breit eingesetzt. In den USA sind neun von zehn Arzneimitteln, die per Rezept verabreicht werden, Generika. Eine ähnlich dominante Rolle spielen sie in den meisten europäischen Ländern.

Vor diesem Hintergrund lässt aufhorchen, wenn mit Teva Pharmaceuticals der zweitgrösste Generikahersteller der Welt ankündigt, seine Aktivitäten einzuschränken. Der neue Konzernchef Richard Francis stellte am Donnerstag vergangener Woche an einer Investorenkonferenz seine Strategie vor. Dabei sagte er, dass sich Teva nur noch auf 60 Prozent aller Medikamente konzentrieren wolle, die den Patentschutz verlieren. Bis anhin hatte das Unternehmen das Ziel verfolgt, für 80 Prozent solcher Produkte Generika bereitzustellen.

Richard Francis, der neue CEO von Teva Pharmaceuticals.

Richard Francis, der neue CEO von Teva Pharmaceuticals.

PD

Erste Erfahrungen als Sandoz-Chef

Gleichentags doppelte Francis, der von 2014 bis 2019 mit der Novartis-Tochterfirma Sandoz bereits einmal einen führenden Anbieter von Medikamentenkopien geleitet hatte, in einem Interview mit dem Fernsehkanal der Nachrichtenagentur Bloomberg nach: Man werde sich bei Produkten zurückziehen, die niedrige Margen abwerfen würden, sagte er. Typischerweise seien das Medikamente, für die es bis zu 10 oder 15 andere Anbieter gebe.

Eine Sprecherin von Teva beeilte sich nach dem Interview klarzustellen, dass man nicht plane, Produkte aufzugeben, für die es momentan Lieferengpässe gebe. «Das sind sehr langfristige Anstrengungen, und wir werden den Markt sehr sorgfältig betrachten», sagte sie gegenüber Bloomberg.

Trotz diesen Beteuerungen ist die Stossrichtung von Teva eindeutig. Der israelische Konzern, zu dem mit Mepha auch ein bekannter Schweizer Anbieter von Medikamentenkopien und in Deutschland die Firma Ratiopharm gehört, signalisiert unter neuer Führung Distanz zum Geschäft mit Generika. Stattdessen will er sich stärker auf die Produktion und die Vermarktung von neuen, patentgeschützten Präparaten fokussieren sowie in seinem – zurzeit noch bescheidenen – Geschäft mit Biosimilars wachsen.

Euphorie ist verflogen

Biosimilars beruhen zwar ebenfalls auf Medikamenten, deren Patent abgelaufen ist, doch sind sie als Biotech-Produkte schwieriger in der Herstellung und damit weniger Preisdruck ausgesetzt als Generika. Bei Generika werden die Wirkstoffe in chemischen Fabriken, oft in Indien oder in China, hergestellt und anschliessend zu Tabletten oder Kapseln weiterverarbeitet. Biosimilars erhalten Patienten in Form von Spritzen oder Infusionen.

Der Vorgänger von Francis an der Konzernspitze von Teva, Shlomo Yanai, hatte vor gut zehn Jahren noch ganz andere Töne angeschlagen. 2010, am Ende einer mehrjährigen Einkaufstour des Unternehmens, verkündete er, den Umsatz bis 2015 auf 31 Milliarden Dollar steigern zu wollen. Teva schaffte es allerdings nur auf knapp 22 Milliarden. Dieser Spitzenwert wurde 2017 erreicht. Seither sind die Verkäufe Jahr für Jahr geschrumpft. 2022 betrugen sie nur noch knapp 15 Milliarden, wovon gut 8 Milliarden auf Generika sowie auf nichtrezeptpflichtige Medikamente entfielen. Eine weitere halbe Milliarde Dollar erwirtschaftete Teva mit Biosimilars.

Dem Unternehmen macht ähnlich wie seinem Konkurrenten Sandoz, der den Konzern aus Israel mittlerweile als umsatzstärksten Generikahersteller abgelöst hat, der enorme weltweite Preisdruck zu schaffen. Erst im vergangenen Herbst hatte sich Teva in einem Bericht zur Marktsituation in Europa darüber beklagt, dass in Spanien eine Packung mit 20 Tabletten des Schmerzmittels Paracetamol günstiger als ein Päckchen Kaugummi erhältlich sei. In den USA, wo der Preisdruck mindestens so ausgeprägt ist wie in europäischen Ländern, haben laut Bloomberg seit Anfang dieses Jahres bereits zwei Hersteller ihre Tätigkeit eingestellt.

Sorgen Regierungen für Entlastung?

In politischen Kreisen scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass Forderungen nach immer billigeren Medikamentenkopien kontraproduktiv sind. Regierungsvertreter in Europa und in den USA sehen sich wachsendem Druck ausgesetzt, etwas gegen die Versorgungsengpässe zu tun. Doch ob die geplanten Massnahmen wie Preiserhöhungen für besonders knappe Generika und Steuererleichterungen für Hersteller solcher Produkte den Markt stabilisieren werden, ist noch völlig offen.

Bei Teva hat man offenbar die Erwartung aufgegeben, im Geschäft mit Generika auf Wachstumskurs zurückzukehren. Der Balken, der die erwartete Umsatzsteigerung bis 2027 repräsentieren soll, war in der Präsentation von vergangener Woche hauchdünn eingezeichnet. Zugleich gab das Unternehmen bekannt, sein stark auf Europa ausgerichtetes Netzwerk an Produktionsstätten für Generika weiter auszudünnen. Gegenüber 2018 wurde die Anzahl der Fabriken weltweit bereits von 80 auf 52 verringert. Künftig sollen es nur noch 40 bis 44 sein.

Gespanntes Warten auf Sandoz

Dank erwarteten Zusatzeinnahmen im Geschäft mit neuen Medikamenten sowie Biosimilars soll der Gesamtumsatz von Teva in den kommenden fünf Jahren gleichwohl jährlich um einen mittleren einstelligen Prozentsatz steigen. Analytiker der Grossbank UBS finden indes, dass sich der Konzern damit die Latte «sehr hoch» lege. Sie rechnen lediglich mit einem Nullwachstum.

Gespannt wartet der Markt derweil auf die erste Präsentation, die das Management von Sandoz im Juni vor Investoren in New York und in London halten wird. Dann dürfte sich zeigen, welche Strategie das künftig eigenständige Basler Unternehmen einschlagen wird und wie viel Wachstum es sich zutraut.

Als eher schlechtes Omen für den in der zweiten Jahreshälfte geplanten Börsengang ist die bisherige Kursentwicklung von Teva zu sehen. Die Aktien der Firma haben an der New York Stock Exchange seit Anfang Jahr um 17 Prozent an Wert eingebüsst. Offensichtlich ist die Zuversicht, die der neue CEO zu verbreiten versucht, noch nicht auf die Anleger übergesprungen.

Investoren sind gegenüber Teva zurückhaltend

Aktienkurs in Dollar