Stromversorger optimiert Gewinne auf Kosten der Kleinkunden

Die Luzerner CKW verrechnen Kunden plötzlich mehr teuren Marktstrom – und weniger aus den eigenen, günstigen Wasserkraftwerken. Die Aufsicht übt Kritik.

Jürg Meier 4 min
Drucken
Kleinkunden mussten laut der Strommarktaufsicht die Eigenproduktion gewisser Stromversorger «praktisch subventionieren»: Netzelektriker der CKW auf dem Sörenberg.

Kleinkunden mussten laut der Strommarktaufsicht die Eigenproduktion gewisser Stromversorger «praktisch subventionieren»: Netzelektriker der CKW auf dem Sörenberg.

CKW

Als die Schweizer Stromversorger Mitte 2022 ihre Tarife für das Jahr 2023 bekanntgaben, bedeutete das schlechte Neuigkeiten für die Stromkunden. Die Preise schossen in die Höhe, insbesondere wegen der Verwerfungen, die Russlands Angriffskrieg auf den Energiemärkten ausgelöst hatte. Dies traf auch Haushalte und Kleinbetriebe, die sich in der vermeintlich geschützten Grundversorgung befinden. Diese «gefangenen Kunden» dürfen ihren Stromlieferanten im Gegensatz zu Grossverbrauchern nicht selber wählen.

Bei der Strommarktaufsicht Elcom hinterliess der massive Preisanstieg einen schalen Nachgeschmack. Es gebe «eine Reihe» von Stromversorgern, welche die Preiserhöhung dazu nutzten, «zulasten der grundversorgten Verbraucher» ihre Gewinne zu optimieren, kritisierte die Aufsichtsbehörde in einer Mitteilung. Um welche Versorger es sich handelt, will die Behörde bis heute nicht bekanntgeben. Recherchen zeigen nun: Zu den von der Elcom kritisierten Stromversorgern gehören die CKW. Sie sind Teil der Nordostschweizer Axpo-Gruppe und versorgen im Kanton Luzern 180 000 Kunden.

Wasserkraft produziert plötzlich günstig

Die Elcom kritisiert die CKW und andere Unternehmen dafür, dass sie zulasten der grundversorgten Kunden einen Kniff anwenden. Seit 2018 nämlich gilt: Besitzen Stromversorger Produktionsanlagen für erneuerbaren Strom, dürfen sie deren Kosten direkt den Kleinkunden verrechnen. Diese Möglichkeit wurde eingeführt, als die Besitzer der Wasserkraftwerke unter den tiefen Strompreisen auf dem europäischen Markt litten.

Die Kleinkunden, die bei Unzufriedenheit ja nicht zu einem anderen Anbieter wechseln können, mussten «die Eigenproduktion der entsprechenden Stromversorger praktisch subventionieren», so die Elcom. Das war so von der Politik gewollt, um die für die Versorgung zentrale Wasserkraft vor Verlusten zu schützen.

Doch nun hat sich die Situation grundlegend geändert. Weil die Preise an den internationalen Märkten in die Höhe geschossen sind, produzieren die schweizerischen Kraftwerke im Vergleich nicht mehr teuer – sondern günstig. Die von der Elcom kritisierten Stromversorger nutzen nun eine Gesetzeslücke aus. Sie verrechnen den Stromkunden plötzlich mehr Strom aus dem teuren Markt – und weniger aus den eigenen Wasserkraftwerken.

Die Praxis ist zwar aus Sicht der Elcom fragwürdig, grundsätzlich aber legal. Der Elcom sind aber nicht die Hände gebunden. Denn Stromlieferanten, welche derartige Änderungen bei den Tarifen vornehmen, müssen sich ihren Kunden gegenüber im Detail erklären. Der CKW-Sprecher Christoph Hug bestätigt denn auch: «Die Elcom verlangte unter anderem eine Präzisierung unserer Kommunikation zur Tarifberechnung.» Diesem Wunsch sei man mit einem zusätzlichen Text auf der CKW-Website nachgekommen.

Der CKW-Sprecher Hug weist darauf hin, dass die CKW-Tarife noch immer «zu den günstigsten der Schweiz» gehörten.

Der Elcom-Sprecher Simon Witschi sagt, die Aufsichtsbehörde könne sich nicht zu einzelnen Elektrizitätsversorgern äussern. Er bestätigt aber, dass die Elcom im Austausch «mit verschiedenen Netzbetreibern» stehe, um die Thematik zu prüfen. Im Februar hiess es vonseiten der Elcom, sie habe Anhaltspunkte, dass rund dreissig Versorger die Gesetzeslücke ausnützten, um ihre Gewinne zu optimieren. Diese Zahl will der Elcom-Sprecher Witschi nicht kommentieren. In der Branche ist zu erfahren, dass es weniger sein dürften.

Strommarkt

180 000

So viele Kleinkunden versorgt die CKW im Kanton Luzern. Diese dürfen ihren Lieferanten nicht wechseln.

1 Mrd. Fr.

So viel verlor die Schweizer Wasserkraft zeitweise jährlich, weil die Marktpreise so tief lagen.

Milliardenverlust

2016 hatten die CKW erklärt, die gesamte Schweizer Wasserkraft mache pro Jahr einen Verlust von 1 Mrd. Fr. Ab 2018 nahmen sie die Möglichkeit wahr, die eigene erneuerbare Stromproduktion direkt den gefangenen Kunden zu verrechnen, wie der Sprecher Hug bestätigt. Um wie viel sie dadurch die Verluste bei ihren eigenen Wasserkraftwerken verringern konnten, beantworten die CKW nicht.

Im August 2022 erklärte der CKW-CEO Martin Schwab dann in einem Interview, weshalb es auch bei den CKW-Kunden 2023 zu einem starken Preisanstieg kommen wird. Schwab erwähnte neben dem Ukraine-Krieg auch den Teilausfall von Kernkraftwerken in Frankreich und den trockenen Sommer, der zu einer tieferen Produktion der Wasserkraft führte. Etwas hingegen liess er ungesagt: Ein Teil des Preisanstiegs ging auch darauf zurück, dass die CKW ihren gebundenen Kunden ab 2023 weniger der günstig gewordenen Wasserkraft zuhielten – und mehr teuren Marktstrom.

Die CKW lassen die Frage unbeantwortet, weshalb ihr CEO diesen Faktor nicht erwähnte. In dem auf Drängen der Elcom präzisierten Website-Text zur Tarifberechnung für das Jahr 2023 räumt der Konzern das Versäumnis ein. Die von ihm vorgenommene Umstellung bei der Belieferung der Kleinkunden sei für die «Erhöhung der Tarife 2023 ebenfalls teilweise ausschlaggebend» gewesen, heisst es dort nun.

Der CKW-Sprecher Hug äussert sich nicht dazu, weshalb sein Unternehmen den Kleinkunden teureren Strom verrechnet. Er sagt auch nichts zum Vorwurf der Elcom, die CKW optimierten so zulasten ihrer Kleinkunden ihre Gewinne. Offen bleibt auch die Frage, wie viel weniger die Kleinkunden bezahlen müssten, wenn die CKW ihnen nicht eine grössere Menge des teuren Marktstroms verrechnen würden. Hug weist aber darauf hin, dass die CKW-Tarife noch immer «zu den günstigsten der Schweiz» gehörten.

Damit bleibt es schwer verständlich, weshalb die CKW überhaupt zu dem Trick gegriffen haben. Sie sind Teil des Axpo-Konzerns, der sich derzeit finanziell keine Sorgen machen muss. «Axpo erzielt ausserordentliches Halbjahresergebnis», verkündete der Konzern im Juni. Der Gewinn belief sich auf 3,2 Mrd. Fr. Die Strompreise in Europa sind zwar seit ihren Höchstständen wieder gesunken. Dennoch gehen Experten davon aus, dass die Aussichten für die Stromkonzerne hervorragend sind.

Das Parlament hat den Paragrafen, der die Optimierung zulasten der Kleinkunden möglich macht, inzwischen angepasst. Die CKW unterstützten diese Änderungen, betont der Sprecher Hug. «Sie führen zu einem klareren System ohne künstliche Verzerrungen.»

Allerdings ist das Parlament bei seiner Anpassung nicht dem Vorschlag gefolgt, der ihm von der Aufsichtsbehörde gemacht wurde, wie der Elcom-Sprecher Witschi sagt. «Das Gesetz bietet für die Stromversorger wohl weiterhin Optimierungsmöglichkeiten, die zulasten der grundversorgten Kunden gehen», kritisiert er. Eine Hoffnung bleibt: Die Details müssen in einer neuen Verordnung geregelt werden – und die steht noch aus.

NZZ am Sonntag, Wirtschaft

Weitere Themen