Kommentar

Droht der Welt ein Handelskrieg? Protektionismus ist kein Schicksal

Die Gefahr eines Handelskriegs ist derzeit mit den Händen zu greifen. US-Präsident Trump legt sich mit Freund und Feind an. Das Welthandelssystem muss jetzt verteidigt werden.

Gerald Hosp
Drucken

In der Handelspolitik weist das Alte Testament nur teilweise den Weg: Statt Auge um Auge, Zahn um Zahn heisst es Stahl um Schweinefleisch, Aluminium um Erdnussbutter. Nachdem die Vereinigten Staaten Strafzölle auf Stahl und Aluminium auch für Mexiko, Kanada und die EU eingeführt hatten, kündigten die vermeintlichen Alliierten Washingtons Vergeltungsmassnahmen an, mit denen die Amerikaner zum Einlenken gezwungen werden sollen. Der amerikanische Präsident Donald Trump hat aber bereits damit gedroht, zusätzliche Zölle für Autos zu verhängen.

Stahlrollen im Thyssenkrupp Stahlwerk in Duisburg. Der Standort ist der grösste Stahlproduzent in Europa. (Bild: Martin Meissner / AP Photo)

Stahlrollen im Thyssenkrupp Stahlwerk in Duisburg. Der Standort ist der grösste Stahlproduzent in Europa. (Bild: Martin Meissner / AP Photo)

Während der Handel mit Stahl und Aluminium nur einen Bruchteil des Weltvolumens ausmacht, sind Fahrzeuge eines der am meisten gehandelten Güter. Die EU überlegt sich zudem, nicht nur mit Vergeltungszöllen den Vereinigten Staaten die Rute ins Fenster zu stellen, sondern mit Zöllen die eigene Stahl- und Aluminiumbranche zu schützen. Auch mit China üben sich die USA trotz einigen Zugeständnissen im handelspolitischen Armdrücken. Die Welt riecht wieder nach dem Pulverdampf der 1930er Jahre, als durch eine Spirale steigender Zölle die Weltwirtschaftskrise verstärkt wurde.

Kein Ende der Globalisierung

Das Beispiel aus den 1930er Jahren zeigt einerseits, was auf dem Spiel steht, beruhigt aber andererseits auch. Mit dem berühmt-berüchtigten Smoot-Hawley-Zollgesetz erhöhte Washington flächendeckend die Handelshürden für Importe, zunächst für Agrargüter, nach Anstrengungen von Lobbyisten auch für Industriewaren. Vor allem Kanada reagierte zunächst mit ebenfalls höheren Zöllen. Das Smoot-Hawley-Gesetz löste aber nicht die Grosse Depression aus. Der Flächenbrand ging vielmehr von vielen Herden aus: Der Zusammenbruch der österreichischen Creditanstalt führte zu einer Finanzkrise im Sommer 1931, die Deutschland und andere mitteleuropäische Länder ansteckte.

Das Problem war, dass sich diese Staaten wegen der Erfahrung der Hyperinflation einem Goldstandard verpflichtet fühlten. Dadurch war keine Abwertung der Währung möglich. Um den Abfluss von Gold zu verhindern, wurden Kapitalverkehrskontrollen und Handelshürden eingeführt. Grossbritannien und im Schlepptau seine Kolonien lösten sich vom Goldstandard und erhöhten Zolltarife, was weltweit Schockwellen verursachte. Die USA kamen mehr unter Druck, den Importen Steine in den Weg zu legen und die Zinsen zu erhöhen, um den Goldabfluss zu stoppen. Der Zusammenbruch der internationalen Koordination hatte es in sich: Zwischen 1929 und 1932 brach das weltweite Handelsvolumen um einen Viertel ein.

Dieser einzigartige Cocktail aus Goldstandard, Wirtschaftsrückgang und Handelskonflikt erwies sich damals als giftig. Heutzutage sind jedoch weitgehend freie Wechselkurse etabliert, und die Weltwirtschaft wächst, wenn auch die Dynamik nachlässt. Möglicherweise ist aber der Handel anfälliger als früher gegenüber protektionistischen Anwandlungen, weil sich globale Wertschöpfungsketten entwickelt haben, die auf relativ offene Grenzen angewiesen sind, um reibungslos zu funktionieren. Schon wenig Sand im Getriebe könnte grosse Auswirkungen haben. Der Zürcher Handelsökonom Ralph Ossa schreibt, dass ein Handelskrieg erheblichen Schaden anrichten könne, zumal die Handelsliberalisierung im Bereich der Zölle bereits sehr weit gegangen sei. Ein Rückschlag kann teuer werden.

Das Ende der Globalisierung wurde schon oft ausgerufen. Aber auch die Finanzkrise vor zehn Jahren brachte keinen andauernden Rückgang des Welthandels, die protektionistischen Tendenzen blieben trotz allem gedämpft, der politische Widerstand von links und neuerdings von rechts nahm jedoch zu. Im vergangenen Jahr legte das Handelsvolumen so stark zu wie schon lange nicht mehr. Die Uno berichtet jedoch davon, dass die Direktinvestitionen zurückgegangen sind und der Zuwachs an Wertschöpfungsketten stagniert, zum grossen Teil wegen einer gefallenen Rentabilität. Das ist nichts Neues in der Geschichte der «flacher» werdenden Welt. Diese zeigt durchaus, dass Phasen der Handelsliberalisierung sich mit Zeitaltern des Protektionismus abwechseln können.

Die Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1914 wird als erste Welle der Globalisierung bezeichnet: Innovationen wie der Telegraf oder das Dampfschiff sowie neue Wasserwege wie der Suezkanal rückten die Welt näher zusammen. Der Goldstandard, das Aufkommen bilateraler Handelsabkommen und der freihändlerische Ansatz der damaligen Supermacht Grossbritannien waren die treibenden Faktoren der Globalisierung – bis die Zeit der zwei Weltkriege dem Treiben ein Ende bereitete. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand der Vorläufer der Welthandelsorganisation (WTO), damit die Fehler der 1930er Jahre vermieden werden könnten. Die USA stiegen zu einem – wenn auch nicht immer zuverlässigen – Garanten der internationalen Kooperation auf und schützen mit ihrer Flotte die Arterien des Welthandels. Die zweite Welle der Globalisierung brachte einen ungeahnten Anstieg des Wohlstands.

Auf der falschen Spur

Protektionismus in Washington und anderswo gab es schon früher. Die Verve aber, mit der US-Präsident Donald Trump das internationale regelbasierte Handelssystem zu demontieren versucht, um mehr Spielraum zu erhalten, die Art, wie er alte Verbündete vor den Kopf stösst, die USA in die Isolation führt und Handelspolitik mit der Brechstange betreibt, hat eine lange nicht mehr gesehene Qualität.

Bereits der Ausgangspunkt der Trumpschen Überlegungen ist problematisch: Der amerikanische Präsident möchte das US-Handelsbilanzdefizit abbauen, das er als Zeichen der Schwäche und als Grund für den Abbau von Jobs in der Industrie betrachtet. Abgesehen davon, dass ein Handelsbilanzdefizit an und für sich nichts Schlechtes ist, profitieren die Vereinigten Staaten von der Offenheit, wenn auch Dienstleistungen, Auslandsvermögen und Finanzströme ins Kalkül einbezogen werden. Die Forderung nach fairem Handel aus Washington klingt hohl, weil dadurch schlicht amerikanische Interessen verschleiert werden sollen, ganz nach dem Motto von Trumps Präsidentschaft «Amerika zuerst». Trump erhält dafür aber nicht nur von seinen Wählern Zustimmung: Politische Opponenten im Inland sowie viele verbündete Regierungen dürften die Bemühungen der US-Regierung unterstützen, Peking zu mehr Öffnung zu «überreden». Die grössten Industriestaaten treffen sich darin, chinesische Überkapazitäten für Dumpingpreise am Stahlmarkt verantwortlich zu machen.

Unglücklicherweise bringt Trumps Taktik jedoch bei allen das Schlechteste zutage: Natürlich wäre es das Beste, zwischen der EU (sowie allen anderen Staaten) und den USA Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen. Das brachiale Vorgehen der Amerikaner schürt jedoch Widerstand aus spieltheoretischen und psychologischen Gründen, was zu einem Handelskrieg zu führen droht, der für alle schädlich ist. Statt auf handelspolitische Kooperation zu setzen, wird die Konfrontation gesucht.

Washington hat den Protektionismus nicht erfunden. Andere Sünder vor dem freihändlerischen Herrn können sich aber derzeit als Retter des Handelssystems aufspielen. Besonders problematisch ist derweil, dass Trump die Abschottungspolitik wieder salon- oder vielmehr boudoirfähig macht. Grosser Schaden wird ausserdem dadurch angerichtet, dass die Diskussion auf die falschen Dinge gelenkt wird: Vor lauter Zöllen wird das Handelssystem nicht mehr gesehen. Importtarife sind bereits stark abgebaut worden und sind nicht mehr die höchste Hürde. Wie können jedoch Hemmnisse für grenzüberschreitende Dienstleistungen abgebaut werden, wie müssen Datenströme gehandhabt werden, wie können Unterschiede in der Regulierung zugunsten von mehr Freihandel überwunden werden, wie wird die Digitalisierung die Handelsströme verändern?

Einen Bärendienst leisten die Strafzölle à la Trump ausgerechnet denjenigen, denen der amerikanische Präsident vorgeblich helfen will: den Verlierern der Globalisierung. Höhere Handelshürden senken einzig den allgemeinen Wohlstand und sind keine Antwort auf die Herausforderungen, die durch technologischen Wandel, Deindustrialisierung und neue Arbeitsmodelle gestellt werden. Die Frage sollte lauten, mit welchen Rahmenbedingungen ein Land wettbewerbsfähiger gemacht wird, und nicht, wie es abgeschottet wird.

Freihandel ist kein Selbstzweck. Er ist eines der wirkungsvollsten Instrumente der Wohlstandssteigerung – für arme und für reiche Länder. Wem am Wohlstand gelegen ist, sollte die regelbasierte WTO stützen, verbessern und ausweiten, nicht sie aushöhlen. Mechanismen der gegenseitigen Anerkennung von Regulierungen sollten verfeinert und mehr angewandt werden. In einem bemerkenswerten Schritt schlug der Schweizer Bundesrat im vergangenen Jahr die einseitige Abschaffung von Zöllen für Industriegüter vor. Trumpgegeben ist der Protektionismus nicht. Aber er muss bekämpft werden.