Kurz erklärt

Erhöhter Harndrang: Weshalb die Blase im Winter schneller voll ist und was Betroffene tun können

Unsere Leserin muss beim Winterspaziergang unaufschiebbar auf die Toilette. Ein Urologe erklärt, warum die Nieren bei Kälte mehr Harn ausscheiden und wie regelmässiges Eisbaden helfen kann.

Eva Mell 4 min
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Illustration Simon Tanner / NZZ

Leserfrage: Ich gehe oft mit meinem Hund spazieren. Im Winter habe ich das Problem, dass ich mitten auf dem Weg unaufschiebbar auf die Toilette muss. Überhaupt ist meine Blase im Winter ständig voll. Woran liegt das?

Wer mitten auf dem Spaziergang bei winterlichen Temperaturen eine unerwartet volle Blase bekommt, ist nicht allein. Die Ausscheidung von Harn durch die Nieren nennen Fachleute Diurese. Und Kälte kann bewirken, dass die Nieren besonders viel ausscheiden. Es kommt zur Kältediurese.

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Der Grund: Niedrige Temperaturen bedeuten für unseren Körper Stress. Und wann immer wir Stress spüren, übernimmt der Sympathikus die Kontrolle. Er ist Teil unseres vegetativen Nervensystems und bewirkt, dass wir auch im Notfall leistungsfähig bleiben. Bei Kälte sorgt er dafür, dass unser Körperzentrum warm bleibt. Aber wieso kommt es dabei zu einer höheren Harnausscheidung?

Durch die Aktivierung des Sympathikus verengen sich Blutgefässe, die weit entfernt von unserer Körpermitte liegen – zum Beispiel in den Händen und Füssen. Dadurch erhöht sich der Blutdruck im Zentrum des Körpers.

Stephan Roth, Professor für Urologie am Universitätsklinikum Wuppertal und Autor des Buchs «Blase gut – alles gut», erklärt: «Die inneren Organe werden nun stärker durchblutet – und damit auch die Nieren. Infolgedessen produzieren sie mehr Harn.» Der Harn, auch als Urin bekannt, füllt die Blase – und der bibbernde Spaziergänger muss auf die Toilette.

Den Körper beim Eisbaden an die Kälte gewöhnen

Problem erkannt – und so wird es gelöst: Betroffene können ihren Körper an die Kälte gewöhnen. Damit verhindern sie, dass der Sympathikus die Stressreaktion überhaupt verursacht und die Nieren allzu viel Harn ausschütten. Das zeigt eine der wenigen Studien zu diesem Thema.

Die Forscher untersuchten zwei Gruppen, die sich 16 Tage lang in der Arktis bei rund –26 Grad Celsius aufhielten. Die erste Gruppe bekam zuvor ein Kältetraining: Die Teilnehmer badeten an mehreren Tagen jeweils bis zu 40 Minuten in 15 Grad kaltem Wasser. Die andere Gruppe bereitete sich nicht auf die Kälte vor.

Das Resultat: Die Gruppe ohne Kältetraining schied in der Arktis täglich 86 Prozent mehr Urin aus als zuvor. In der trainierten Gruppe beobachteten die Forscher keine erhöhte Harnausscheidung.

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Als Alternative zum Eisbaden empfiehlt Stephan Roth regelmässige Saunagänge: Auch die kalte Dusche nach dem Schwitzen sei möglicherweise ein Kältetraining für den Körper.

Manche Menschen fröstelt es beim Gedanken an Eisbäder oder kalte Duschen so sehr, dass sie sich nicht überwinden können. Ihnen rät der Urologe, sich beim Spaziergang im Winter besonders warm anzuziehen. Nierenwärmer erachtet er als nutzlos, wenn der Mensch zugleich mit kalten Händen oder Füssen unterwegs ist. Der gesamte Körper müsse warmgehalten werden, um die Reaktion des Sympathikus zu verhindern.

Weniger trinken hilft laut Roth hingegen nicht. Denn die Nieren produzieren den Harn bei einer Kältediurese unabhängig von der aufgenommenen Flüssigkeit.

Nach wenigen Schritten in der Winterlandschaft setze das Phänomen übrigens nicht ein. «Eine halbe Stunde brauchen die Nieren in etwa, um die Blase mit Harn zu füllen», sagt Stephan Roth. Dies vorausgesetzt, dass man eine Blase mit einem als normal geltenden Fassungsvermögen von rund 400 Millilitern hat.

Die volle Blase im Winter sei zwar nicht angenehm, aber auch nicht besorgniserregend. «Sie ist Teil einer normalen Reaktion unseres Körpers», sagt Stephan Roth. Er empfiehlt, genau zu beobachten, ob der plötzliche und starke Harndrang tatsächlich nur bei niedrigen Temperaturen auftritt. In diesem Fall sei die Kältediurese die wahrscheinlichste Ursache.

Die Dehnbarkeit der Blase erhalten

Wer aber auch im Warmen ständig auf die Toilette muss, sollte das ärztlich abklären lassen – vor allem, wenn beim Wasserlassen Schmerzen auftreten.

Womöglich haben diese Personen aber einfach eine schwache Blase. Stephan Roth beobachtet das besonders häufig bei Personen im Rentenalter: «Im Berufsleben arbeiten die Menschen mehrere Stunden am Stück konzentriert und haben keine Blasenprobleme. Nach einigen Monaten im Ruhestand kommen sie zu mir, weil sie immer öfter müssen.»

Der Grund: Ohne die fordernde Arbeit merken die Betroffenen eher, wenn sie aufs WC müssen, und gehen bereits bei den ersten Anzeichen. Damit verliert die Blase ihre Dehnbarkeit und speichert weniger Urin. Für leidenschaftliche Winterspaziergänger kann das dann zu einem Problem werden.

Denn falls beim Spaziergänger, der ohnehin ständig auf die Toilette muss, noch eine Kältediurese hinzukommt, ist die Blase besonders schnell gefüllt. Immerhin ist sein Weg nach Hause dann nicht so weit.

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