Verbreitet sich das Coronavirus auch über die Atemluft?

Es gibt Hinweise, dass der Sars-CoV-2-Erreger durch kleine Schwebeteilchen in der Luft übertragen wird. Unklar ist aber, ob man sich auf diesem Weg anstecken kann.

Christian Speicher
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Abstandhalten verhindert, dass man sich über Tröpfcheninfektion mit dem Coronavirus ansteckt. Aber reicht das?

Abstandhalten verhindert, dass man sich über Tröpfcheninfektion mit dem Coronavirus ansteckt. Aber reicht das?

Ayman Al-Sahili / Reuters

Der Ausbruch der Corona-Pandemie liegt nun schon einige Monate zurück. Und trotzdem gibt es immer noch ganz elementare Dinge, die wir nicht verstehen. Dazu gehört etwa die Frage, wie sich das Virus verbreitet. Zwar gehen Wissenschafter davon aus, dass Sars-CoV-2 hauptsächlich durch Tröpfchen übertragen wird, die ein Infizierter beim Husten oder Niesen ausstösst. Doch die hohe Ansteckungsrate hat den Verdacht aufkommen lassen, dass das Virus in geschlossenen Räumen auch über die ausgeatmete Luft verbreitet wird. Inzwischen liegen die ersten Studien vor, die dieser Hypothese nachgegangen sind.

Aerosole verhalten sich anders

Wenn jemand hustet oder niest, gelangen Tröpfchen der unterschiedlichsten Grösse in die Umwelt. Die grösseren Tröpfchen haben einen begrenzten Ausbreitungsradius, weil sie rasch zu Boden sinken. Durch Abstandhalten lässt sich verhindern, dass wir die möglicherweise mit Viren beladenen Tröpfchen in Mund, Nase oder Augen bekommen und uns infizieren. Etwas anders verhält es sich mit Tröpfchen, die nur wenige Mikrometer gross sind. Diese sogenannten Aerosole schweben über längere Zeit in der Luft und verteilen sich mit der Luftzirkulation im Raum. Im Unterschied zu den grösseren Tröpfchen werden sie nicht nur beim Husten oder Niesen freigesetzt, sondern auch beim Ausatmen oder Sprechen. Damit stellen sich zwei Fragen: Sind diese Aerosole Träger von Coronaviren? Und wenn ja, sind die so übertragenen Viren infektiös?

Bisher ist man vor allem der ersten Frage nachgegangen. Eine der ersten Publikationen kam von den National Institutes of Health in den USA. Eine Gruppe um Neeltje van Doremalen hatte eine Flüssigkeit mit Sars-CoV-2 fein zerstäubt und anschliessend die Beständigkeit der Viren in den Aerosolen untersucht. Die Forscher konnten bis zu drei Stunden nach der Zerstäubung lebensfähige Viren in den Aerosolen nachweisen. Ihr Fazit lautete, dass eine Übertragung der Viren durch die Luft durchaus plausibel sei.

WHO ist skeptisch

Allerdings gab es Kritik an dieser Schlussfolgerung. So bemängelte die WHO in ihrem Situationsbericht, dass die Versuchsanordnung des Experiments nicht den natürlichen Verhältnissen beim Husten oder Niesen entspreche. Folglich sei das Experiment kein Beleg dafür, dass die Coronaviren auch anders als durch grosse Tröpfchen übertragen werden könnten.

Inzwischen liegen allerdings auch Ergebnisse von Untersuchungen vor, die in einem natürlichen Umfeld gemacht wurden. So haben chinesische Forscher Luftproben aus zwei Spitälern in Wuhan analysiert, in denen Covid-19-Patienten untergebracht waren. In den meisten Räumen inklusive der Intensivstation war die Konzentration der Viren nicht nachweisbar oder gering. Die Forscher führen das auf die gute Belüftung dieser Räume zurück. In mobilen Toiletten und den Umkleideräumen für das Personal wurde jedoch eine erhöhte Virenkonzentration gemessen. Zudem liessen sich auf Böden und Gegenständen in den Intensivstationen virushaltige Rückstände feststellen. Die Forscher folgern daraus, dass Aerosole eine Rolle bei der Kontamination von Oberflächen spielen könnten. Sie empfehlen daher, für eine gute Belüftung zu sorgen und Oberflächen regelmässig zu desinfizieren.

In die gleiche Richtung weist eine Studie, die Forscher vom Medical Center der University of Nebraska durchgeführt haben. Sie analysierten Luftproben aus elf Räumen, in denen Patienten mit einem positiven Covid-19-Befund isoliert waren. In über der Hälfte der Proben konnte virale RNA nachgewiesen werden – und zwar auch in Proben, die nicht aus dem unmittelbaren Umfeld des Patienten stammten. Auch die Oberflächen von Belüftungsanlagen und von Alltagsgegenständen waren teilweise mit Viren kontaminiert. Nach Ansicht der Forscher zeigt das, dass sich das Virus nicht nur durch den direkten Kontakt mit Infizierten verbreiten könnte, sondern auch durch kontaminierte Objekte und über die Luft. Das spreche dafür, das Personal von Spitälern durch spezielle Masken zu schützen, die kleinste Partikel aus der Luft filtern würden.

Masken reduzieren die Virenlast

Solche Atemschutzmasken mit Partikelfilter sind derzeit überall Mangelware und sollten deshalb dem Spitalpersonal vorbehalten bleiben. Aber auch die handelsüblichen Hygienemasken könnten verhindern, dass beim Ausatmen Viren in die Luft geraten. Das legt zumindest eine (noch nicht begutachtete) Studie nahe, die vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift «Nature Medicine» veröffentlicht wurde. Probanden, die nachweislich mit Grippe-, Erkältungs- und den seit Jahren zirkulierenden Coronaviren infiziert waren, mussten eine halbe Stunde in eine Vorrichtung atmen, in der die Tröpfchen nach Grösse sortiert wurden. Die Hälfte der Probanden trug eine Schutzmaske, die andere nicht. Wie die Forscher feststellten, enthielten sowohl die grossen Tröpfchen als auch die Aerosole deutlich weniger Viren, wenn die Probanden eine Maske trugen.

Keine dieser Studien liefert einen stichhaltigen Beweis dafür, dass der Erreger von Covid-19 tatsächlich über die Atemluft übertragen wird. In der Summe legen die Studien diese Möglichkeit aber zumindest nahe.

Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass man sich auf diese Weise anstecken kann und wie oft das allenfalls geschieht. Zum einen ist die Virenkonzentration in den Luftproben eher klein. Und es ist unklar, wie viele Viren man aufnehmen muss, um krank zu werden. Zum anderen bedeutet der Nachweis von Viren in der Atemluft nicht, dass diese infektiös sein müssen. Denn der Nachweis erfolgt üblicherweise mit einer Methode, die nicht erkennen lässt, ob die Viren noch vermehrungsfähig sind. Damit sie gedeihen können, brauchen sie das feuchte Milieu des Nasen- und Rachenraums. Die Aerosolpartikel in der Luft trocknen jedoch relativ rasch aus und schrumpfen. Niemand weiss, wie lange die Coronaviren das überleben.

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