«So weiterzuarbeiten, ist schlicht unmöglich» – das plötzliche Verschwinden der Corona-Testcenter

PCR-Tests werden ab dem 1. Januar nicht mehr vom Bund bezahlt. Deshalb schliessen im Kanton Zürich etliche Testzentren. Manche fühlen sich vom Entscheid der eidgenössischen Räte überrumpelt.

Gian Snozzi (Text und Bilder) 7 min
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Angebot auf das Notwendigste reduziert: Das Drive-in-Testzentrum im Airforce-Center Dübendorf wird abgebaut.

Angebot auf das Notwendigste reduziert: Das Drive-in-Testzentrum im Airforce-Center Dübendorf wird abgebaut.

Ein Auto fährt im Regen vor. Tim Peter springt von seinem Bürostuhl auf und geht durch die Tür nach draussen. Kurz darauf kehrt er zurück in die Lagerhalle und setzt sich an den Computer.

«Was darf ich der Dame oder dem Herrn machen?», erkundigt sich sein Kollege Niclas Burkardt, während er sich die blauen Schutzhandschuhe überstreift.

«PCR für sie», antwortet Peter, «und einen Spucktest fürs Kind.»

Durchs offene Seitenfenster berichtet die Frau am Steuer des Familien-Vans von Hals- und Kopfschmerzen. Für die gemeinsame Weihnachtsfeier verlange der Schwiegervater einen PCR-Test. Um sich testen zu lassen, sei sie stets hierhergefahren, ins Drive-in-Testzentrum im Airforce-Center Dübendorf. «Das ist nicht nur bequem, sondern auch sicherer als eine Apotheke oder Arztpraxis; dort kommt man zwangsläufig mit anderen Menschen in Kontakt», sagt sie.

Es ist der 23. Dezember, kurz nach 15 Uhr, der vorletzte Betriebstag. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass am selben Ort bis zu 1200 Testwillige pro Tag abgefertigt wurden. Dafür hatte man etliche Zelte auf dem Rollfeld des ehemaligen Militärflugplatzes aufgeschlagen und Personal im Umfang von 50 bis 60 Vollzeitstellen rekrutiert: Verkehrsdienst, Welcome-Desk, IT-Unterstützung, Kommunikation mit BAG und Labor, Kurierdienst sowie, nicht zu vergessen, die Fachkräfte, die die Stäbchen in die Nasen einführen.

«Das war eine Riesenübung», erinnert sich Andreas Juchli. Er ist Geschäftsleiter der JDMT Medical Services AG, die das Testzentrum betreibt. Die verschiedenen Schritte des Ablaufs mussten nahtlos ineinandergreifen, um den Ansturm zu bewältigen.

Nun hat man die Aktivitäten aufs Notwendigste reduziert. Die Zelte werden nicht mehr benutzt. Stattdessen ist man in eine Lagerhalle umgezogen, die man mit mehreren Reihen aufgetürmter Rahmenpaletten teilt, in denen historisches Armeematerial die Zeiten überdauert. Es riecht nach Schmierstoffen und Waffenstahl.

Nachfrage deckt die Kosten nicht mehr

Nur noch zwei Männer erhalten hier den Testbetrieb aufrecht: Tim Peter und Niclas Burkardt. Für ihren Einsatz haben sie je einen Tisch mit Computer zur Verfügung. Auf einem weiteren Tisch liegen die Testmaterialien bereit. Wichtig ist ausserdem der rötlich schimmernde Heizstrahler, an dem Burkardt – Medizinstudent im letzten Jahr – des Öfteren seine klammen Hände wärmt. Seit 8 Uhr morgens hat er 17 Rachenabstriche vorgenommen. Überdies 14 Antigentests und 3 PCR-Speichelproben.

«Es gibt noch eine Nachfrage», erklärt sein Chef, Andreas Juchli. «Seit zwei Monaten ist sie jedoch zu klein, um die Kosten zu decken.»

Andreas Juchli, Geschäftsleiter von JMDT.

Andreas Juchli, Geschäftsleiter von JMDT.

Auch in früheren Phasen der Pandemie hatte man es mit Flauten zu tun bekommen. Trotzdem verzichtete Juchli bisher darauf, das Testen ganz einzustellen – aus zweierlei Gründen: Zum einen hatte JDMT einem Leistungsauftrag des Kantons gerecht zu werden. Man musste sicherstellen, dass jeder jederzeit einen Test bekam, der das wollte. Zum anderen fasste Juchli sein Geschäft nicht nur als Geschäft auf. Vielmehr sah er darin eine Public-Health-Massnahme, die der Gemeinschaft zugutekam.

Allerdings rechnet er nun nicht mehr mit einem Aufschwung, denn in der Wintersession haben die eidgenössischen Räte in Bern einen folgenreichen Beschluss gefasst: Ab Neujahr verzichtet der Bund darauf, wie bisher die Kosten der Tests zu übernehmen. War die Nachfrage zuvor bereits gering, wird sie nun aller Voraussicht nach völlig zusammenbrechen.

«Wenn es nicht so gekommen wäre, hätten wir bis Ende März weitergemacht», sagt Juchli. Auf diese Weise hätte man Zeit gehabt, zu beobachten, was Covid über den Winter macht. Eine Grippe- und eine Covid-19-Welle bahnen sich gleichzeitig an. Ausserdem weiss niemand, ob nicht bald eine neue Variante aus China herüberschwappt. Nach dem abrupten Ende der Null-Covid-Strategie wird das Land von einem regelrechten Krankheits-Tsunami überrollt. Eine Viertelmilliarde Menschen sollen zugleich infiziert sein.

Viele Spitäler schliessen Einrichtungen

Juchli, der für die FDP im Kantonsrat sitzt, akzeptiert den politischen Entscheid. «So etwas gehört in die unternehmerische Eventualplanung», kommentiert er lakonisch. Indes räumt er ein, dass etwas mehr Vorlaufzeit nett gewesen wäre, um die ordentlichen Kündigungsfristen einzuhalten.

Sein Testzentrum ist längst nicht das einzige, das dieser Tage die Pforten dichtmacht: Das Kantonsspital Winterthur (KSW) schliesst nicht nur sein hausinternes Testcenter, sondern auch jenes auf dem Rieter-Areal in Töss. Die Spitäler Uster und Affoltern machen ihre entsprechenden Einrichtungen gleichermassen zu. Ebenso die Klinik Hirslanden.

Auf Nachfrage erklärt der Mediensprecher des KSW, Thomas Meier, dass der Beschluss des eidgenössischen Parlaments etwas plötzlich gekommen sei. Trotz deutlich geringerer Nachfrage sei eine Schliessung der Testzentren eigentlich nicht geplant gewesen. Am KSW hatte man erwartet, dass die Testkosten noch bis mindestens Ende Winter gedeckt würden.

Nur noch zwei Männer erhalten hier den Testbetrieb aufrecht. Für ihren Einsatz haben sie je einen Tisch mit Computer zur Verfügung.

Nur noch zwei Männer erhalten hier den Testbetrieb aufrecht. Für ihren Einsatz haben sie je einen Tisch mit Computer zur Verfügung.

Ulrika Axius, Leiterin des Testzentrums Test-and-go an der Zürcher Sihlamtstrasse, äussert sich ähnlich. Weil immer weniger Leute zum Testen erschienen, hatte sie das Personal schon vor einiger Zeit auf ein Minimum reduziert. Dennoch überrumpelte sie der Entscheid des Bundes, die Kosten nicht mehr zu decken. «Ich hatte erwartet, dass das Regime noch bis mindestens Ende März so weiterläuft. Das hätte eine angemessene Beendigung des Geschäfts ermöglicht.»

Auch ihr Testzentrum hatte schon Zeiten geringerer Nachfrage erlebt. «Während der schlechten Phasen zapften wir jeweils unsere Reserven an und hielten durch. Wir waren immer an der Front, auch zu Beginn der Pandemie, als es keine Impfungen gab und noch wenig über die Gefährlichkeit von Covid bekannt war. Ich hätte mir eine bessere Planung und Kommunikation seitens des Bundes gewünscht.»

Trotzdem hat Axius nicht vor, ihr Zentrum sofort zu schliessen. Eine Weile möchte sie noch ausharren, um zu beobachten, wie sich die Lage entwickelt. «Testzentren sind eine wichtige Dienstleistung für die Gesellschaft», findet sie.

Zu ihren Kunden gehören Menschen, die sich mit den Selbsttests nicht wohl fühlen. Häufig stehe ihr Personal über das eigentliche Testen hinaus Kunden beratend zur Seite. Verunsicherten, oft älteren Menschen könne so die Angst genommen werden. Wieder andere würden von ihren Arbeitgebern verpflichtet, PCR-Tests vorzuweisen, wenn sie krankheitshalber ausfielen. Ausserdem seien viele Ausländer unter jenen, die ihr Angebot schätzten.

Genaue Angaben über die Gesamtzahl der Schliessungen kann die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht machen. Der Mediensprecher Jérôme Weber erwartet, dass infolge der gestrichenen Kostenübernahme «einige» Testzentren den Betrieb einstellen werden. Weiterhin möglich bleiben Tests in Hausarztpraxen und Apotheken. Gemäss Weber sind diese inzwischen ohnehin für den Löwenanteil des Testvolumens verantwortlich. Bezahlen muss man aber aus eigener Tasche, es sei denn, der Test erfolgt auf ärztliche Anordnung.

Testcenter keine Leistungserbringer mehr

In diesem Zusammenhang macht Juchli allerdings auf ein Detail aufmerksam: Laut einem unlängst eingetroffenen Schreiben würde sein Testzentrum (wenn es denn weiter bestehen würde) ab dem 1. Januar nicht mehr zulasten der obligatorischen Krankenversicherung abrechnen können. Die dafür benötigte, im Rahmen der Covid-19-Verordnung erteilte Nummer im sogenannten Zahlstellenregister wird ihnen vom zuständigen Tochterunternehmen der Santésuisse-Gruppe entzogen. Grund: In der nunmehr gültigen Verordnung über die Krankenversicherung sind Testzentren nicht als Leistungserbringer aufgeführt.

«Ich vermute, dass es fast allen Testzentren so geht», sagt Juchli. In der Konsequenz bedeutet das nichts anderes, als dass die betroffenen Testzentren auch die ärztlich angeordneten Tests nicht mehr abrechnen dürfen. Überdies werden sie ab dem neuen Jahr selber Rechnungen stellen müssen – nicht mehr wie bisher über die Krankenkassen.

«Das erhöht den administrativen Aufwand ungemein», sagt Juchli. «So weiterzuarbeiten, ist schlicht unmöglich.»

Trotzdem ist er sich sicher, dass Bund und Kantone nicht in den Vor-Pandemie-Zustand zurückfallen werden. Die diversen medizinischen Dienstleistungen von JDMT würden weiterhin benötigt. Für Tests in Firmen und bei Anlässen stehe man nach wie vor zur Verfügung. Ausserdem habe man die gesammelte Erfahrung von bald drei Pandemiejahren in anderen Bereichen ausspielen können: Als sich die Affenpocken in der Schweiz ausbreiteten, erledigte JDMT 40 Prozent des Contact-Tracings. Und kürzlich konnte die Firma eine bis März befristete Ausschreibung zum Corona-Contact-Tracing im Kanton Zürich für sich entscheiden.

Tim Peter hat seine Arbeit im Testcenter als erfüllend erlebt.

Tim Peter hat seine Arbeit im Testcenter als erfüllend erlebt.

Für Niclas Burkardt und Tim Peter endet ein besonderer Zeitabschnitt. Ersterer hatte sich nach Ausbruch der Pandemie immer wieder für Einsätze gemeldet – zu Beginn, als noch wenig über Covid bekannt war, mit einer Mischung aus Angst und dem Gefühl, live dabei zu sein, während Geschichte geschrieben wird. «Die Stimmung im Team war immer gut», sagt er, «aber im Vergleich zum damaligen Stress ist das hier schon fast Wellness.»

Auch Peter zieht positive Bilanz. Vor einem Jahr hatte er im Contact-Tracing angefangen. Nun übernimmt er den administrativen Teil des Testens. Ganz im Gegensatz zu seinem früheren Job als Logistiker sei er jeden Tag mit Freude zur Arbeit erschienen: «Ich hatte das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ich konnte viel Erfahrung sammeln und zahlreiche Freundschaften schliessen.» Jetzt möchte er sich als Sachbearbeiter weiterbilden.

SP und AL fordern von der Stadt Zürich Gratistests

bai. Die Pandemie entwickelt sich zur Endemie. Das hat zur Folge, dass die Bevölkerung die Kosten für Corona-Tests ab 2023 selber übernehmen muss. Das entschied der Ständerat am 8. Dezember. Ein PCR-Test für Erwachsene schlägt mit 120 bis 150 Franken zu Buche, ein Antigen-Schnelltest kostet ab dem neuen Jahr ungefähr 40 Franken. Nur ärztlich angeordnete Tests können über die Krankenkasse abgerechnet werden. Wer sich künftig testen lassen möchte, dürfte sich das aufgrund der Preise zweimal überlegen.

Im Zürcher Stadtparlament sorgt der Beschluss, die Gratistests abzuschaffen, für Kritik. Die SP-Gemeinderätin Anna Graff und ihr Kollege von der AL, Andreas Kirstein, monieren, dass damit eine der letzten Massnahmen wegfalle, welche zur Eindämmung des Virus beigetragen hätten. Das niederschwellige Angebot habe dafür gesorgt, dass sich viele Personen mit dem Verdacht auf eine Corona-Infektion testen liessen. Insbesondere werde mit dem Wegfallen der kostenlosen Tests auch eine erhöhte Belastung des Gesundheitspersonals in Kauf genommen.

Die beiden haben daher ein Postulat eingereicht. Sie fordern den Stadtrat dazu auf, für die Bevölkerung «frühestmöglich» an mehreren Orten in der Stadt Zürich kostenlose PCR-Tests und Antigen-Schnelltests anzubieten. Diese sollen insbesondere symptomatischen Personen oder solchen mit engem Kontakt zu gefährdeten Menschen zugutekommen.

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