Die Zürcher FDP will den Neuanfang, doch eine Altlast holt sie ein: Eine Parteifunktionärin hat Anzeige wegen Ehrverletzung eingereicht

Angebliche Anschwärzungen werden zum Fall für die Justiz.

Michael von Ledebur 4 min
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Der Konflikt um die Präsidentin der Bezirkspartei Meilen gehört zu jenem Erbe, von dem die neue Führung die Partei so rasch wie möglich befreien will.

Der Konflikt um die Präsidentin der Bezirkspartei Meilen gehört zu jenem Erbe, von dem die neue Führung die Partei so rasch wie möglich befreien will.

Michael Buholzer / Keystone

Filippo Leutenegger, der neue Zürcher FDP-Präsident, gleicht einem Fussballtrainer, der eine verunsicherte Mannschaft aufrichten muss. Zuversicht vermitteln, den Blick nach vorne richten, Gräben zuschütten, lautet die Devise. Einfach ist dies nicht. Leutenegger deutete dies selbst an, als er bei seinem Antritt von «autonomen Republiken in der FDP» sprach. Die soll es nicht mehr geben. Einigkeit soll herrschen.

Vor allem ein Streit hat in den vergangenen Monaten für Unruhe gesorgt: jener zwischen der Kantonalpartei und der langjährigen Präsidentin der Bezirkspartei Meilen, Bettina Schweiger.

Wie toxisch diese Altlast tatsächlich ist, zeigt sich nun. Schweiger ging sogar so weit, dass sie Rechtsmittel ergriffen hat, wie die NZZ von mehreren Quellen erfahren hat. Hintergrund ist der Konflikt mit dem früheren Vorstand.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage der NZZ, dass im Sommer 2023 eine Anzeige eingegangen ist. Sie befinde sich in Bearbeitung.

Schweiger hat Anzeige wegen Ehrverletzung erstattet – gegen Unbekannt, weil der Absender der Mail, um die es geht, unklar ist. Es liegt aber auf der Hand, dass sie auf den Vorstand der kantonalen FDP zielt und insbesondere auf Hans-Jakob Boesch, Leuteneggers Vorgänger als FDP-Präsident. Beide Seiten haben Anwälte eingeschaltet.

Es ist die letzte Eskalationsstufe in einem lange schwelenden Konflikt. Das Verhältnis zwischen Kantonal- und Bezirksparteien birgt Konfliktpotenzial. Zwischen Schweiger und dem Vorstand sowie der Geschäftsstelle soll es schon seit Jahren immer wieder Spannungen gegeben haben. Zum offenen Streit kam es diesen Frühling, als es um die Kür der Kandidatinnen und Kandidaten für den Nationalrat ging.

Schweiger äusserte gemeinsam mit weiteren Bezirksparteipräsidenten gegenüber der NZZ Kritik am Kantonalvorstand: Der Prozess sei schlecht geplant gewesen.

Boeschs Wutrede war gegen Schweiger gerichtet

Dann, kurz vor der entscheidenden kantonalen Delegiertenversammlung, wurde der Vorschlag der Findungskommission für die Nationalratsliste publik. Der Parteipräsident Boesch machte seinem Ärger an einer Parteiversammlung in einer Rede Luft, die noch lange in Erinnerung bleiben dürfte.

Boesch setzte zu einer eigentlichen Standpauke an und sprach von Anschwärzungen, Falschaussagen, Gerüchten und einem Bruch des Gebots der Vertraulichkeit, der die Arbeit von Vorstand und Geschäftsstelle blockiere. So sei es schwierig, im Wahljahr die Motivation hoch zu halten. Wörtlich sagte Boesch: «Wir haben die Nase voll.»

Damals liess Boeschs Rede viele ratlos zurück. Heute ist klar, dass sie in erster Linie gegen Bettina Schweiger gerichtet war.

Zur Rechtssache wurde der Streit aber aufgrund dessen, was danach geschah. Der Parteivorstand brach die Kommunikation mit Bettina Schweiger ab und teilte dies den Parteimitgliedern mit. Die Plattform «Inside Paradeplatz» machte die Mail publik.

Die Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit sei verletzt, hiess es da. Schweiger dürfe nicht mehr an Sitzungen des Parteivorstands teilnehmen, und die Geschäftsstelle werde «angehalten, keine weiteren Kontakte mit ihr zu unterhalten».

Keinen Niederschlag im «Inside Paradeplatz»-Artikel fand eine zweite Mail, die der Vorstand verschickte, weil Parteimitglieder nach den konkreten Vorwürfen gegen Schweiger gefragt hatten. Um diese Mail geht es in Schweigers Anzeige.

Der Vorstand nannte darin dem Vernehmen nach zwei Punkte. Erstens, dass Schweiger nicht nur die provisorische Nationalratsliste, sondern auch die Stellungnahmen zu Listenplätzen einzelner Kandidatinnen und Kandidaten nach aussen getragen habe.

Und zweitens, dass sie das – haltlose – Gerücht verbreitet habe, einer Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle werde gekündigt, was dort zu grosser Unruhe geführt habe.

Bettina Schweiger will auf Anfrage nichts zu dem Thema sagen. Ihre Anzeige reichte sie zu einem Zeitpunkt ein, als bereits klar war, dass Hans-Jakob Boesch als Parteipräsident zurücktreten würde.

Klar ist: Schweiger polarisiert. Im Juni erschien in der «Zürichsee-Zeitung» ein Artikel, in dem nicht namentlich genannte Parteimitglieder aus dem Bezirk Meilen sie als «intrigant» bezeichneten.

Marianne Zambotti, Präsidentin des Meilemer Bezirksgewerbeverbands, wurde mit den Worten zitiert: «Man ist bei Bettina Schweiger entweder auf der weissen oder der schwarzen Liste, und sie ändert ihre Einschätzung ohne Vorwarnung.»

Andere schätzten Schweiger positiver ein: Sie sei engagiert, ohne auf eine eigene Karriere zu schielen. Und sie halte mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg – damit hätten manche halt Mühe.

Hans-Jakob Boesch will sich auf Anfrage nicht gross zum Fall äussern. Er sagt aber, dass der Parteivorstand sich «aus guten Gründen» zum Handeln gezwungen gesehen habe und sich zu jeder Zeit gesetzeskonform verhalten habe. Der Vorstand habe immer wieder versucht, gemeinsam Lösungen zu finden, und bedauere diese Eskalation, gelte es doch, die Ressourcen der FDP sinnvoller einzusetzen.

Wahr oder nicht? Dies ist bei der Ehrverletzung entscheidend

Ehrverletzung bedeutet im juristischen Sinn, dass man rufschädigende Beschuldigungen weiterverbreitet. Dabei ist aber entscheidend, ob die in den Raum gestellten Vorwürfe zutreffen oder nicht.

Wörtlich heisst es im Gesetz: «Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu hal­ten, so ist er nicht strafbar.»

Unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits wird Bettina Schweiger ihr Amt als Bezirksparteipräsidentin abgeben. Dies geht aus einer Mail hervor, die sie an die Mitglieder der FDP Bezirk Meilen versandt hat und die der NZZ vorliegt. «Nach fast 20 Jahren als Ihre Präsidentin, mit vielen tollen Begegnungen und Erfahrungen, werde ich mein Amt im Mai 2024 ordentlich an ein neues Präsidium übergeben.»

Der neuen Parteiführung um Filippo Leutenegger dürfte dies gelegen kommen. Der Konflikt gehört zu jenem Erbe, von dem sie die Partei so rasch wie möglich befreien will.

Mehr von Michael von Ledebur (mvl)

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