Kolumne

«Kantorei»: Wohlgestimmt

Die «Kantorei» beim Neumarkt hat uns bei einem Test vor acht Jahren wenig begeistert. Nun kehren wir zurück – und bereuen es nicht.

Urs Bühler
Drucken
Eine wahre Altstadt-Idylle bietet der Boulevard-Teil der «Kantorei». (Bild: urs./NZZ)

Eine wahre Altstadt-Idylle bietet der Boulevard-Teil der «Kantorei». (Bild: urs./NZZ)

Neulich lässt der Schreiber auf dem Lindenhof, einem der zauberhaftesten Aussichtspunkte mitten in der Stadt, den Blick schweifen. Da streift sein Auge das Dach eines Türmchens, das er nicht zuzuordnen vermag. Der stadtgeschichtlich kundigere Begleiter hilft ihm auf die Sprünge: «Die Kantorei.» Ei, das Lokal wollten wir doch schon länger wieder einmal besuchen! Also nichts wie los.

Das Haus «Zur Weissen Traube», 1323 erstmals urkundlich erwähnt, steht am Neumarkt, einem der malerischsten Flecken der Altstadt, dessen Umgebung nun mit der Übernahme der «Bauernschänke» durch eine hochtalentierte junge Crew etwas trendig geworden ist. Konkurrenz belebt das Geschäft – von der «Öpfelchammer» bis zur Wirtschaft zum Neumarkt zieht sich nun eine recht vielversprechende gastronomische Spur vom Rindermarkt her durch diesen Seitenarm des Niederdorfs.

Und wie also schlägt sich die täglich geöffnete «Kantorei», an deren Stelle vor gut hundert Jahren das Klosterbräu München eine bayrische Bierhalle betrieb, im kompetitiven Umfeld? Unser letzter Test vor acht Jahren fiel ernüchternd aus. Der Titel jener Kritik, «Kein Lobgesang», war mit Bedacht gewählt: Das Haus gehört seit gut fünfzig Jahren den Zürcher Singstudenten. Sie richteten damals nicht nur das Restaurant ein, sie gründeten in der Beletage auch ihre Wohngemeinschaft. Um diese Studentenbuden ranken sich noch heute allerlei Legenden, aber das ist eine andere Geschichte.

Das Esslokal mit den prägnanten Fenstern ist jüngst ebenso wie die Karte etwas aufgefrischt worden: Das Innere ist entrümpelt, für die verspielte Note sorgt eine Sammlung von Wandspiegeln, wie man sie von Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit her kennt. Wir aber setzen uns draussen neben dem plätschernden Brunnen an eines der Gartentischchen auf dem Pflasterstein. Welche Idylle! Den Sonnenschirm rückt uns aufmerksam der Kellner zurecht. Er macht wie sein Kollege einen sehr wohlgelaunten Eindruck, und dass dabei kurz die Grenze zum Übermut geritzt wird, passt zum Überschwang dieses Frühlingstags. Wer wird nicht lieber von Leuten bedient, die ihren Job mit Lust ausüben, als von miesepetrigen Erbsenzählern?

Der kleine Extrawunsch wird anstandslos erfüllt: Der bei den Tagesmenus aufgeführte «asiatische Pulled-Pork-Salat» mit Chinakohl und frischem Koriander darf ausnahmsweise als Vorspeise kommen (Fr. 10.50), ein guter Auftakt, wenngleich wir gezupftes Schwein schon zarter erhalten haben. Der nicht unkritisch veranlagte Begleiter lobt den Süssmost in der Bügelflasche (Fr. 6.–) und hat am Rindstatar (ab Fr. 19.50) mit geröstetem Hausbrot so wenig auszusetzen wie an der Spargelcrèmesuppe mit etwas weisser Schokolade, Vanille und Rauchlachs (Fr. 15.50). Dass die Grösse des Suppentellers inkompatibel ist mit jener des Löffels, der samt Stiel ins Nass rutscht, kann als subversive Reverenz ans nahe Cabaret Voltaire gelten, die Wiege von Dada.

Tadellos ist der Fleischkäse des Zürcher Metzgers Ziegler (ab Fr. 18.50) samt Kartoffel-Gurken-Salat mit Speck. Und das Rhabarber-Mille-Feuille (Fr. 12.50) hebt sich vom pampigen Einerlei hiesiger Crèmeschnitten ab: Blätterteigkissen, die in ihrer Luftigkeit diesen Namen verdienen, umhüllen eine leichte Vanille-Crème mit Rhabarberkompott. Zusammen mit den Singvögeln, die um diese Jahreszeit jubilieren, stimmen wir ein fröhliches Summen an und wechseln ins benachbarte Haus zum Rech. Dort geht gerade eine städtische Wechselausstellung in ihre letzten Tage, die den Wandel des Lindenhofhügels nachzeichnet, vom spätrömischen Kastell im 4. Jahrhundert über das Pfalzgebäude bis zur Burg. So schliesst sich der Kreis zu unserem Ausgangspunkt.

Kantorei, Neumarkt 2, 8001 Zürich. Tel. 044 252 27 27.