Zürcher Linke rufen zur Demonstration gegen Rechtsextreme auf – dabei sitzt die grössere Gefahr in ihren eigenen Reihen

Zürich will es Deutschland gleichtun und von der Strasse aus die Demokratie verteidigen. Das Feindbild liegt auf der Hand.

Zeno Geisseler 4 min
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Demonstrationen in Deutschland, hier in Hamburg Ende Januar, sind die Inspiration für eine ähnliche Kundgebung in Zürich.

Demonstrationen in Deutschland, hier in Hamburg Ende Januar, sind die Inspiration für eine ähnliche Kundgebung in Zürich.

Jacob Schröter / DPA

Die deutschen Massenproteste der letzten Wochen haben auch einige Zürcherinnen und Zürcher elektrisiert: Für diesen Samstag rufen SP, Grüne und GLP, die linke Kampagnenorganisation Campax, die Operation Libero und die Junge Mitte zu einem Umzug in der grössten Stadt der Schweiz auf.

Sie haben dazu Stossrichtung, Stil und Sprache des deutschen Vorbilds importiert. Es gehe darum, «klare Kante zu zeigen», tönt es ziemlich teutonisch auf einem Flyer. Gefragt sei jetzt «eine wehrhafte Demokratie».

Der Begriff dürfte in vielen Schweizer Köpfen andere Assoziationen wecken als in deutschen, zumal der Zürcher Umzug auch noch im Kasernenareal endet. Doch es geht den Demonstranten nicht um die bewaffnete Form der Landesverteidigung, sondern um die ideologische Abwehr des Rechtsextremismus in allen seinen üblen Facetten – das verstehen die Deutschen unter der «wehrhaften Demokratie».

Dominik Waser.

Dominik Waser.

Simon Tanner / NZZ

«Wir müssen der Realität ins Auge blicken», sagt Dominik Waser. Er sitzt für die Grünen im Zürcher Stadtparlament und ist einer der Organisatoren der Demonstration. «Die grösste Gefahr kommt vom Rechtsextremismus, von der neuen Rechten, von Gruppen wie der Jungen Tat, die auch in Zürich aktiv sind.»

Was in Deutschland passiere, betreffe auch die Schweiz, sagt er. «Es gibt viele Verbindungen der AfD, aber auch von Reichsbürgern und der identitären Bewegung in die Schweiz. Die Schweiz ist ein Treffpunkt, von hier aus fliesst auch Geld.» Das müsse man ansprechen und deutlich verurteilen. Es gehe darum, ein Zeichen zu setzen gegen menschenverachtende Ideologien, welche die Demokratie zerstören könnten.

Geheimdienst warnt vor Linksextremen

Dass der Rechtsextremismus die grösste Gefahr für die Schweiz sei, können Experten der Schweizer Regierung nicht bestätigen: Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zählte von 2016 bis 2022 jährlich zwischen 0 und 5 rechtsextreme Gewaltakte. Viel häufiger waren hingegen linksextreme Angriffe: Von diesen gab es zwischen 60 und 115 pro Jahr.

«Die Szene organisiert Demonstrationen, verursacht gezielt Sachbeschädigung und Brandstiftung und setzt unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen sowie körperliche Gewalt ein», schreibt der NDB in seinem jüngsten Lagebericht.

Zürich ist ein Hotspot dieser linksextremen Gewalt, und die Täter können auf viel Wohlwollen in der rot-grün dominierten Stadt zählen. Als letztes Jahr ein Zug von Linksextremen Polizisten angriff und Geschäfte demolierte, verortete die linke Alternative Liste die Gründe für die Ausschreitungen «in der Entwicklung der Stadt, in welcher bezahlbarer Wohnraum zerstört wird und nichtkommerzielle und kulturelle Freiräume zunehmend eingeschränkt werden». Schuld ist also das System.

Samuel Balsiger.

Samuel Balsiger.

Goran Basic / NZZ

Samuel Balsiger ist der Präsident der SVP-Fraktion im Zürcher Stadtparlament. «Jeder gewalttätige Extremismus ist zu verurteilen, aber in der Schweiz kommt die politisch motivierte Gewalt hauptsächlich von der linken Seite», sagt er.

Aus seiner Sicht ist es unredlich, wenn zwar zu einer Demonstration «für die Demokratie» und «gegen Hass und Hetze» aufgerufen werde, sich aber die Organisatoren nicht eindeutig vom Linksextremismus distanzierten. «Die Linken bringen es nicht über die Lippen, den gewalttätigen Linksextremismus zu verurteilen.» Dies lasse tief blicken.

Kondome für die SVP

Die Organisatoren der Demonstration vom Samstag verorten den Rechtsextremismus nicht nur bei obskuren und kleinen Bewegungen wie der Jungen Tat. Ihre Feindbilder sind auch Leute wie Balsiger, die in der SVP politisieren.

Besonders für die Operation Libero ist die grösste Schweizer Partei eine wichtige Zielscheibe. Als sich die SVP-Basis letztes Jahr zum Wahlauftakt in Zürich traf, verteilten Mitglieder der Operation Libero vor dem Haupteingang Kondome an die Delegierten. Die Botschaft war klar: Es wäre besser, wenn sich diese Sorte Leute nicht fortpflanzen würde.

Sanija Ameti.

Sanija Ameti.

Peter Klaunzer / Keystone

Sanija Ameti ist Co-Präsidentin der Operation Libero. Aus ihrer Sicht ist eine Diskussion über den Rechtsextremismus in der Schweiz nicht möglich ohne Erwähnung der SVP. Die SVP, sagt Ameti, sei vielleicht keine rechtsextreme Partei, «aber sie ist klar rechtspopulistisch, und es gibt rechtsextreme Mitglieder».

Noch bis in die 1990er Jahre sei die SVP einfach eine rechtskonservative Partei gewesen, sagt sie, und daran sei überhaupt nichts auszusetzen. Viele Exponenten, etwa in den Regierungsräten, seien noch heute von diesem Schlag.

«Aber es gibt auch die andere Seite, die Schäfchen- und die Wurmplakate und die Ausgrenzung von Menschen, die nicht in das eigene Weltbild passen.»

Dies wiederum sei zutiefst antidemokratisch. Dass die SVP ihre Forderungen über demokratische Mittel, etwa Initiativen, umsetzen wolle, mache es nicht besser. «Für mich ist das die Urfrage», sagt Ameti. «Ist es noch demokratisch, wenn auf demokratischem Weg die Demokratie angegriffen wird?»

Gerade auch weil die SVP Regierungsverantwortung trage, würden ihre Ansichten vermehrt im politischen Mainstream ankommen. Dies gelte es zu verhindern. «Für mich ist das ein Hauptpunkt der Demonstration am Samstag: Es braucht eine Brandmauer, um die Normalisierung rechtsextremer und antidemokratischer Positionen zu verhindern.»

Antifa ist willkommen

Auch für Dominik Waser gehört die SVP im weiteren Sinn zur rechten Gefahr. «Nicht die SVP an sich ist rechtsextrem, aber bei etlichen Einzelpersonen gibt es deutliche Tendenzen», sagt er. «Dazu kommen enge Verbindungen der Jungen Tat zur Jungen SVP.» Mitglieder der Jungen Tat hätten ja sogar den Nationalratswahlkampf einer Zürcher SVP-Politikerin organisiert.

Den Organisatoren der Demonstration vom Samstag schlägt in der Zwischenzeit erste Kritik aus den eigenen Reihen entgegen: Die linke Wochenzeitung «WoZ» hat moniert, es entstehe der Eindruck, dass «linke ausserparlamentarische und autonome Organisationen» nicht willkommen seien. Das aber gehe gar nicht. Es dürfe «keine Antifa-Demo ohne Antifa» geben. Der Demo-Organisator Dominik Waser konnte die Zeitung beruhigen: Es seien alle eingeladen, die sich gegen Rechtsextremismus und Faschismus einsetzten.