16.10.2023 | Symposium Convergence

Weiche Roboter: Verlässlich als Herzen und sanft bei der Ernte

Die Anwendungsmöglichkeiten von sogenannten weichen Robotern scheinen schier unbegrenzt. Die neuesten Trends auf diesem Gebiet stellt der Robotik-Forscher Johannes Overvelde bei einem ÖAW-Symposium vor, das diese Woche internationale Expert:innen zur Verschmelzung von Technologien und Körper in Wien versammelt.

Sanfte Roboter könnten bald Aufgaben übernehmen, die bisher der Feinfühligkeit des Menschen bedürfen. © AdobeStock

Beim Symposium "Convergence? Interfaces of the Digital and the Living" an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigen sich Forscher:innen am 17. und 18. Oktober mit der Verschmelzung von neuen Technologien und dem Körper. Johannes Overvelde von der Technischen Universität Eindhoven ist einer der internationalen Expert:innen, die den aktuellen Wissenstand zu einem der Teilgebiete vorstellen werden: Der Niederländer forscht zu sogenannten "weichen Robotern", die beispielsweise als Erntehelfer oder als intelligente künstliche Herzen zum Einsatz kommen könnten. Einblicke in dieses Forschungsfeld gibt er vorab im Gespräch.

Oktopus als Vorbild

Sie sind Experte für “soft robotics”. Was kann ich mir unter einem weichen Roboter vorstellen?

Johannes Overvelde: Roboter waren eigentlich nicht mein Spezialgebiet, ich bin über die Mechanik und die Erforschung neuer Materialien in das Fachgebiet gerutscht. Unser Ziel ist es, Roboter zu konstruieren, die nicht aussehen wie das klassische Klischee des Terminators. Wir nutzen weiche Materialien, die eine kontinuierliche Verformung erlauben. Als Vorbilder dient zum Beispiel der Oktopus, der, obwohl er kein Skelett hat, komplexe Bewegungsabläufe beherrscht. Wir verwenden zum Beispiel aufblasbare Ballons statt Motoren und Aktuatoren.

Weiche Roboter können eng mit Menschen zusammenarbeiten, ohne dass ein Sicherheitsrisiko besteht.

Wo liegen die Vorteile?

Overvelde: Es ist Teil unserer Forschung, mögliche Anwendungen zu erkunden. Ein wichtiger Schwerpunkt ist dabei die Interaktion mit Menschen. Weiche Roboter können eng mit Menschen zusammenarbeiten, ohne dass ein Sicherheitsrisiko besteht. Andere interessante Anwendungen liegen in der Landwirtschaft. Mit Seestern-ähnlichen, weichen Greifarmen könnten empfindliche Früchte wie Tomaten gepflückt werden, ohne Schaden zu nehmen. Dabei ist keine komplizierte Elektronik notwendig, die Sensordaten verarbeitet, um die Greifer zu steuern. Die Greifarme passen sich durch ihre Konstruktion automatisch an die Form und Größe einer Frucht an.

Werden solche Roboter heute schon eingesetzt?

Overvelde: Es gibt bereits erste Anwendungen, aber die Technik ist noch nicht zu hundert Prozent ausgereift. Wir arbeiten gerade daran, Systeme zu bauen, die unter realistischen Bedingungen mit der Umwelt interagieren können, um repetitive Aufgaben zu übernehmen. 

Wie funktioniert das ohne zentrale Steuerung?

Overvelde: Wir sprechen von eingebetteter Intelligenz, die ohne Gehirn oder zentrale Steuereinheit auskommt. In weichen Robotern übernimmt der Körper selbst die notwendige Informationsverarbeitung. Der Traum wäre, komplett ohne Elektronik auszukommen, aber so weit sind wir noch nicht. Als Vorbilder dienen uns oft biologische Systeme: Manche einfachen Bewegungsabläufe wie das Gehen werden im menschlichen Körper nicht zentral vom Gehirn gesteuert, sondern basieren auf einfachen Mechanismen im Körper, wie der Speicherung von Energie in unseren Sehnen. Anderswo im Körper gleicht unser Herz ungleiche Belastung zwischen den Herzkammern ebenfalls durch mechanische Formänderungen aus, die automatisch passieren und nicht gesteuert werden müssen. Solche selbstregulierenden Systeme können Aufgaben, die immer gleich ablaufen, ohne komplexe Steuermechanismen übernehmen. Wenn unser Gehirn derartige Mechanismen aktiv steuern müsste, wären wir wahrscheinlich permanent komplett überfordert. 

Die Beziehung zwischen Körperlichkeit und Intelligenz ist eine offene Frage, die alle paar Jahrzehnte wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.

Wo liegt die Intelligenz bei solchen Systemen?

Overvelde: Der Begriff Intelligenz ist schwer zu definieren und eingebettete Intelligenz ist definitiv ein seltsames Phänomen. Bei einem Oktopus sind Teile des Gehirns in die Arme ausgelagert, die so autonom bestimmte Aufgaben übernehmen. Die Beziehung zwischen Körperlichkeit und Intelligenz ist eine offene Frage, die alle paar Jahrzehnte wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Bei unseren Robotern liegt die “Intelligenz” im sensiblen mechanischen Gleichgewicht zwischen den sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren Druck und Formveränderung. Ob Intelligenz hier der richtige Begriff ist, ist fraglich. Es handelt sich am Ende um robuste Lösungen für einfache, repetitive Aufgaben. 

Weiches künstliches Herz

Woran arbeiten Sie aktuell?

Overvelde: Wir haben ein Projekt, in dem wir in Zusammenarbeit mit Chirurgen ein künstliches Herz aus weichen Materialien entwickeln, das sich so weit wie möglich wie das biologische Vorbild verhalten soll. Statt Muskeln arbeiten wir mit pneumatischen Systemen, aber die Prinzipien sind sehr ähnlich. Von der Leistungsfähigkeit eines echten Herzens, das pro Jahr etwa 30 Millionen Mal schlägt, sind wir aber noch weit entfernt. Probleme wie Energieeffizienz und Stromversorgung sind noch nicht zufriedenstellend gelöst. Grundsätzlich ist die Technologie sehr robust und kommt ohne komplizierte Elektronik aus. Für ein anderes Projekt versuchen wir, einen Robotergreifarm zu bauen, der sehr empfindliche Pilze pflücken kann, ohne sie zu beschädigen. Das ist eine Aufgabe, in der Menschen bisher unschlagbar waren. 

Wie sieht so ein weicher Greifarm aus?

Overvelde: Das ist eine Silikonstruktur mit aufblasbaren Kammern, die das komplette System verformen können. Wenn er richtig designt ist, greift der Arm durch das Aufblasen feinfühlig nach Gegenständen. Die Steuerung erfolgt über die delikate Balance in der Konstruktion und braucht keine Sensoren oder andere Elektronik. Natürlich muss ein einsatzfähiges Erntesystem für Obst aber auch andere Dinge können, zum Beispiel Äste erkennen, die im Weg sind. Dafür kombinieren wir den Greifarm mit komplexeren Systemen zur Bildverarbeitung..

Künstliche Intelligenz

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist zuletzt so schnell passiert, dass es einen gruseln kann.

Sind weiche Roboter das fehlende Puzzlestück, um künstlicher Intelligenz eine Interaktion mit der realen Welt zu ermöglichen?

Overvelde: Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist zuletzt so schnell passiert, dass es einen gruseln kann und es fühlt sich manchmal so an, als würden wir in einem riesigen Experiment leben, indem wir Versuchskaninchen für neue Technologien sind. In diesem Kontext denke ich natürlich manchmal darüber nach, welche Auswirkungen unsere Arbeit unter Umständen haben könnte. Es ist eine riesige Herausforderung, Maschinen zu bauen, die sich in der realen Welt zurechtfinden können, aber unsere Neugier treibt die Entwicklung stetig voran. Ich freue mich schon darauf, beim Symposium in Wien über mögliche ethische Konsequenzen zu diskutieren, ich glaube, dass solche Fragen heute oft zu kurz kommen. 

 

AUF EINEN BLICK

Johannes Overvelde ist Professor an der Technischen Universität Eindhoven und leitet die Forschungsgruppe Soft Robotic Matter Group an der niederländischen Forschungseinrichtung AMOLF.

Das Symposium "Convergence? Interfaces of the Digital and the Living" findet vom 17. bis 18. Oktober an der ÖAW in Wien statt (Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien). Die Veranstaltung ist mit einer Anmeldung auch öffentlich zugänglich. Am 17. Oktober um 18 Uhr findet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Living the future: How biomedical technology and AI may change society and humanity“ statt, die die Themen der Konferenz zusammenfasst.