Kohlberg
05.11.2021 - 14:33 Uhr
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#gehenstattessen - Alles ändert sich

In dieser Episode seiner Serie "#gehenstattessen" beschreibt Peter Müller heute, welche Veränderungen an Körper und Seele er durch das starke Abnehmen beobachtet hat. Am Ziel, sagt er, ist er aber noch lange nicht.

"Der direkte Vergleich zu meinem 'alten Ich' ist immer wieder schwer", sagt Peter Müller, "und doch unheimlich guttuend. Ich sehe, was ich geschafft habe, und gleichzeitig ist mir klar, was ich noch vor mir habe."

Auf einmal fühlt sich im Oberschenkel etwas fest an und an der Hüfte auch! Wo vorher nur alles weich ist, sind plötzlich Muskeln, Knochen und Gelenke zu spüren. Gleichzeitig hängt aber die über Jahre gedehnte Haut viel stärker runter. Nachdem ich es endlich geschafft habe, mit dem Abnehmen anzufangen, dauert es nicht so lange, wie ich es erwartet hätte, bis ich die ersten Veränderungen an meinem Körper feststellen kann. Was im Kopf ein paar Monate vorher angefangen hat, wird langsam spürbar und nach außen sichtbar. Zumindest für mich und die Menschen, die mich kennen. Von über 240 Kilo auf 150 Kilo abzunehmen, lässt sich nicht so leicht verstecken. Und das will ich auch nicht verstecken.

Auch mein Gesicht wird schmäler, der Hals länger, der Bart wirkt auf einmal dichter, das Kinn kantiger. Besonders auf Fotos ist der Unterschied zu sehen. Eigentlich hatte ich es ja erwartet, erhofft, dass man relativ bald etwas sieht. Dass die Einschränkungen und das Mehr an Bewegung irgendwann – möglichst schnell – nach außen sichtbar werden. Aber anfangs bin ich doch selbst immer wieder überrascht, was sich da so alles verändert. Und es fühlt sich gut an. Die Veränderungen zu sehen und zu spüren, ist eine der größten Belohnungen für das Abnehmen. Aber auch das positive Feedback, das immer mehr wird, fühlt sich gut an.

Böse Sprüche hinter dem Rücken

Natürlich passiert beim Abnehmen noch viel mehr. Es verändert sich nicht nur mein Äußeres. Zu sehen und zu spüren, was ich erreichen kann, ist gut für mein Selbstbewusstsein. Gelobt zu werden, ein „Wow! Du hast aber abgenommen!“, unterstützt dabei, weiterzumachen. So entsteht aus dem positiven Feedback ein sich verstärkender Effekt.

Vorher waren meine Selbstwahrnehmung und mein Verhalten in der Öffentlichkeit von negativen Rückmeldungen geprägt und gesteuert. Ich war immer darauf gefasst, einen doofen Spruch oder einen blöden Blick abzukriegen. Menschen, die über mich die Nase rümpfen, über mich lachen – über den Fetten lachen – waren überall. Wer selbst ein bisschen dick ist, fühlt sich wohl besser, wenn er einen noch dickeren Menschen „einen Spruch reindrücken kann“. Auch wenn es nur vermeintlich heimlich hinter dem Rücken ist. Ich habe es trotzdem viel zu oft mitbekommen.

Jetzt bewege ich mich in der Öffentlichkeit viel entspannter und selbstbewusster als zuvor. Natürlich bin ich noch immer zu dick. Natürlich falle ich noch immer ein bisschen auf. Und natürlich gibt’s noch immer die Deppen, die doof gucken oder auch mal lachen. Das ist inzwischen aber sehr selten. Und ich selbst achte nicht mehr drauf. Mir ist es ziemlich egal geworden. Ich weiß, wo ich herkomme. Ich weiß, was ich schon geschafft habe. Und ich weiß auch, was noch vor mir liegt.

Was noch vor mir liegt, ist die Rückseite der sprichwörtlichen Medaille. Von außen gelobt zu werden, wenn sich sichtbar etwas ändert, spornt an. Aber die letzten Monate hat sich bei mir nichts geändert. Ich stehe seit Anfang des Jahres auf dem gleichen Gewicht. Ein oder zwei Kilo rauf, ein oder zwei Kilo runter. Mehr hat sich nicht getan. Die Gründe dafür sind mir klar: Plateauphase und Verletzungen haben mich eingeschränkt. Der innere Schweinehund hatte die Chance sich mehr auszubreiten. Auch wenn manches an Training gegangen wäre – Krücken und Schmerzen waren ein guter Grund so gut wie gar nichts zu machen.

Aber wenn ich mich nicht bewege, oder nicht bewegen kann, nehme ich auch nichts ab. So blieb auch die Bestätigung von außen aus. Wenn mal wieder ein „du hast aber schon wieder abgenommen“ kommt, muss ich sagen „ne, da hat sich leider nix getan“. Auch wenn meist gleich beschwichtigt wird und wurde und jeder aus meinem Umfeld Verständnis hat, fühlt es sich nicht gut an. Sowas ist ein Dämpfer für das Selbstbewusstsein. Aber ich weiß, was ich tun muss, um es wieder zu ändern. Wenn mein Körper endlich wieder richtig mitspielt und die Nachwirkungen der drei Monate an Krücken langsam weggehen.

Natürlich wurde ich generell fitter. Mehr und längere Strecken am Stück gehen. Längere Zeit stehen ohne Rückenschmerzen zu bekommen. Weniger Schmerzen insgesamt. Meine Gelenke, die mit 40 schon deutlich Arthrose haben, werden durch jedes Kilo entlastet, das ich verliere. Die stärkere Muskulatur stützt nicht nur meinen Körper besser, sie verbrennt auch im Ruhezustand deutlich mehr Kalorien.

Aber auch sonst hat sich viel getan. Seit Ende 2009 musste ich jeden Tag eine ganze Reihe an Tabletten nehmen, um einigermaßen gut zu leben. Entwässernde Mittel, säureregulierende Mittel, Blutdrucksenker, Schilddrüsenhormone. Sieben oder acht Tabletten am Tag.

Blutdrucksenker bleiben

Davon sind noch zwei geblieben: Die Blutdrucksenker mit einem Viertel der vorherigen Dosis und prophylaktisch die Schilddrüsenhormone. Hatte ich früher, trotz Blutdrucksenkern, oft Werte jenseits der „100 zu 170“ braucht es jetzt schon viel, um den Wert mal über „70 zu 130“ zu jagen. Mein Ruhepuls lag früher bei etwa 75 bis 80 Schlägen in der Minute. Jetzt liegt er bei 55 bis 60 – mein Herz muss also 25% weniger Leistung bringen. Die Herzrhythmusstörungen, die ich früher oft sehr deutlich gespürt habe, sind fast verschwunden.

Durch das Abnehmen wurde mein gesamtes Herz-Kreislaufsystem deutlich entlastet. Und das, obwohl ich noch immer deutlich übergewichtig bin. Meine Waden, die früher jeden Tag innerhalb kurzer Zeit wieder prall mit Wasser gefüllt waren, sind heute auch abends noch weich. Mein Herz schafft es deutlich besser diesen geschrumpften Körper zu versorgen und zu entwässern.

Nicht nur das Herz, auch alle anderen Organe leiden unter starkem Übergewicht. Durch das Abnehmen werden sie entlastet. Meine Blutwerte sind deutlich besser als früher. Meine Cholesterinwerte sind annähernd im Idealbereich. Oder um meinen Hausarzt zu zitieren: „Herr Müller, ihre Blutwerte sind besser als bei den meisten Zwanzigjährigen.“ Eine Diagnose, die man mit meiner gesundheitlichen Vergangenheit und mit dem, was ich meinem Körper und meinem Organismus angetan habe, mehr als gerne hört.

Die Schlafapnoe, die mich vor gut zehn Jahren beinahe umgebracht hätte, ist fast vollständig verschwunden. Das Atemgeräte, dass mich früher nachts am Leben gehalten hat, verstaubt inzwischen im Regal. Irgendwann muss ich noch ins Schlaflabor, um mir offiziell meine Befreiung von der nächtlichen Beatmung geben zu lassen. Weder ich selbst noch meine Freundin konnten in den letzten Monaten bei mir Atemaussetzer feststellen. Kein nächtliches Herzrasen, kein Nach-Luft-Schnappen, weil nach einer Minute Schlaf die Atmung ausgesetzt hat. Ohne maschinelle Unterstützung morgens ausgeschlafen aufwachen, ist etwas Wunderbares. Genauso wunderbar, wie den eigenen Weg zu gehen, die eigenen Grenzen zu überwinden und ein neues, leichtes, freies Leben zu beginnen.

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Kohlberg07.10.2021
 

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