Schwandorf
03.05.2021 - 11:18 Uhr
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Bauernseele in Bedrängnis: Immer mehr stressgeplagte Landwirte

Die Krafträuber lauern überall. Wo Stress und Überlastung zum Alltag gehören, ist der Burn-out nicht weit. Längst ist das auch in der Landwirtschaft angekommen. Verbände im Landkreis Schwandorf haben reagiert.

Ein Einzelkämpfer, der vor vielen Herausforderungen steht und mangels Wertschätzung in eine Sinnkrise gerät: Dieses Bild eines Landwirts deckt sich nicht mit der Klischee-Vorstellung von einem grünen Beruf, trifft aber immer öfter zu.

"Montagstelefon" heißt nur eines von vielen Angeboten, das auf die zunehmende psychische Belastung von Familien in der Landwirtschaft reagiert. Es ist die erste Einrichtung, die Josef Wittmann, Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) im Landkreis einfällt, wenn er an den Stress in den "grünen" Berufen denkt. Und an die Folgen. Burn-out, das sei eigentlich ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Symptomen, die alle eines gemeinsam haben: Erschöpfung und Überforderung.

Psychische Erkrankungen liegen auf Platz zwei, wenn Landwirte krankheitsbedingt ausfallen, und auch bei so manchem Arbeitsunfall haben Fachleute Überlastung und Stress als Faktor und Grund für Fehler ausgemacht. Warum das so ist, liegt für den BBV-Geschäftsführer auf der Hand. Er zählt auf: zunehmende Gängelei durch Bürokratie, Auflagen und immer neue Gesetze, Kostendruck, Zukunftsängste und Sinnkrisen. "Zwischen diesen Mühlsteinen werden Landwirte heute völlig aufgerieben", klagt Wittmann und verweist auf "über Jahrzehnte gleichbleibende Erzeugerpreise". Klar, der Raps sei jetzt etwas rauf gegangen, "aber die Preise für Milch und Fleisch dümpeln vor sich hin." Dazu kämen explodierende Kosten für Futter, Düngemittel, Energie und Maschinen. Wenn die Landwirte dann auch noch als Umweltzerstörer gebrandmarkt würden, sei die Sinnkrise perfekt.

Schwandorf14.04.2021

Wie sehr gerade die öffentliche Meinung hier das Fass zum Überlaufen bringt, weiß auch Kreisbäuerin Sabine Schindler. Nur zu gut erinnert sie sich an das "Bauern-Bashing" vor zwei Jahren, als das Volksbegehren Artenschutz "Rettet die Bienen" einen ganzen Berufsstand mit Kritik überschüttete. Ob man nun von Burnout oder psychischer Last spreche, die Belastung sei in den vergangenen Jahren auf jeden Fall extrem geworden, stellt sie fest. "Ich kenne alle unsere Kühe mit Namen", erklärt sie und verdeutlicht an einem Beispiel wie extrem da pauschale Kritik von Tierschützern trifft: "Das ist, wie wenn man allen Müttern vorwerfen würde, dass sie ihre Kinder schlagen."

Schindler weiß, was es heißt, ein "Geschenk in Form eines 500 Jahre alten Familienbesitzes" weiter zu entwickeln. Sie spricht von einem "Blumenstrauß an Herausforderungen", wenn es darum geht, ständig zu investieren und am Ball zu bleiben. Sie entwirft das Bild eines Allrounders, der Elektriker, Fliesenleger, Spengler, Schreiner und Melktechniker ist, sich mit Buchführung Computer und Förderanträgen auskennen muss und bei der Dünge-Berechnung fit in Mathe sein sollte. Das Modell "viele Hände" auf dem Bauernhof mit mehreren Generationen die anpacken können, ist längst nicht mehr überall anzutreffen. Und dann ist da noch die Sache mit der Abgrenzung. "Immer betrifft alles gleich alle in der Familie, wenn die Kuh brüllt, dann hört man sie auch am Küchentisch", sagt die Bäuerin, "Berufliches und Privates sind bei uns verzahnt".

Verzahnt haben sich aber inzwischen auch verschiedene Organisationen, die Hilfe anbieten, vom Stress-Seminar bis hin zur Gesprächsgruppe. Seit 2007 wird im Landkreis Schwandorf an einem Psychosozialen Netzwerk (PSN) gebaut. "Die Gruppe wurde hauptsächlich mit den Landfrauen entwickelt", berichtet Anton Zizler, der in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) im Bereich Prävention aktiv ist. Von Aggression über Depression bis hin zu scheinbar banalen Missgeschicken reichen seiner Erfahrung nach die Folgen einer "Landwirtschaft in Bedrängnis". "Bei den grünen Berufen ist längst nicht alles happy", hat er festgestellt, und wie Wittmann ist auch er überzeugt, dass Hilfe oft zu spät kommt: "Ein Landwirt ist nicht einer, der zum Psychiater geht, da muss schon viel passieren."

Manchmal äußert sich laut Zizler ein "kollektives Verlorensein" in einem Unfall. "Wenn ich Sorgen, Ängste und Zweifel habe, bin ich nicht bei der Sache, dann passieren Unfälle", so der SVLFG-Mitarbeiter. "Mit uns im Gleichgewicht" heißt deshalb auch eine Kampagne des Sozialversicherers, der Stress-Management anbietet, Einzelfall-Coaching oder Selbsthilfe-Tipps online. Ein Teil der Angebote bezieht sich auch auf Schwerpunkte wie die Pflege Angehöriger, Generationenkonflikte oder die Betriebsübergabe. Vermittler solcher Angebote sind auch in diesem Fall häufig die Landfrauen. "Frauen sind da aufgeschlossener", spekuliert der BBV-Geschäftsführer, "Viele Bauern neigen dazu, wie Märtyrer so lang zu arbeiten, bis es nicht mehr geht", bedauert er und wirbt dafür, sich rechtzeitig im psychosozialen Netz auffangen zu lassen. "Nur so kann es gelingen, eingefahrene Gleise zu verlassen", stellt er klar und appelliert gleichzeitig an die Politik "nicht noch eins draufzusatteln".

"Ein Landwirt ist nicht einer, der zum Psychiater geht, da muss schon viel passieren."

Anton Zizler

Anton Zizler

"Das ist, wie wenn man allen Müttern vorwerfen würde, dass sie ihre Kinder schlagen."

Kreisbäuerin Sabine Schindler über die Verunglimpfung der Landwirte in den Medien

Kreisbäuerin Sabine Schindler über die Verunglimpfung der Landwirte in den Medien

"Zwischen diesen Mühlsteinen werden Landwirte heute völlig aufgerieben."

Josef Wittmann, BBV, über Bürokratie und Auflagen für Bauern

Josef Wittmann, BBV, über Bürokratie und Auflagen für Bauern

Service:

Anlaufstellen für stressgeplagte Landwirte

  • Krisenhotline: eingerichtet vom der Sozialversicherung, 24 Stunden und sieben Tage die Woche erreichbar unter Telefon 0561-78510101.
  • Montagstelefon: ein Sorgentelefon, das als Projekt der BBV-Stiftung "Land und Leben" anonyme und kostenfreie Beratung bietet; jeweils montags von 9 bis 13 und 16 bis 20 Uhr unter Nummer 0800-1311310 erreichbar
  • Bäuerlicher Hilfsdienst: Verein mit Träger BBV, BLV-Verlagsgesellschaft und Genossenschaftsverband Bayern, Telefon 089-55873156 hilft unverschuldet in Not geratenen bäuerlichen Familien, bietet Fachkräfte und Überbrückungshilfe bei schwerer Krankheit und Schicksalsschlägen
  • Sozialversicherung: aktuell Online-Angebote zur Selbsthilfe sowie Seminare zur Stressbewältigung und Einzelfall-Coaching im Präventionsprogramm "Mit uns im Gleichgewicht", Telefon 0561 785-10512.
  • Psychosoziales Netzwerk: Ansprechpartner für die Landkreise Schwandorf und Regensburg: Anton Zizler, Telefon 0151-12222569.
  • Beratung: Für bäuerliche Familien wartet auch die Diözese Regensburg mit einem umfassenden Angebot auf; Ansprechpartner ist Harald Staudinger, Telefon 0941/5972468. (bl)
 
 

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