Leukämien – weißes Blut

Darüber hinaus sind sie im Blutkreislauf in großer Zahl nachweisbar. Der Berliner Arzt Rudolf Virchow beschrieb dieses Phänomen bereits 1847 als „weißes Blut“, auf Griechisch: Leukämie.

Weiße Blutkörperchen oder Leukozyten sind keine einheitlichen Zellen, sondern bilden eine große Familie mit rund einem Dutzend unterschiedlicher Zelltypen. Alle spielen in der Immunabwehr eine wichtige Rolle – und alle können zur Krebszelle entarten. Das heißt es gibt nicht nur eine Leukämie, sondern eine Reihe unterschiedlicher Leukämieformen. Alle Blutkörperchen und -plättchen entstehen im Knochenmark aus Blutstammzellen. Die Reifung der Leukozyten verzweigt bereits zu Anfang in zwei Richtungen: Es bilden sich lymphatische und myeloische Vorläuferzellen (siehe Abbildung).

Lymphatische und myeloische Zellen

Aus den lymphatischen Vorläuferzellen entwickeln sich die B- und T-Lymphozyten. Nach ihrer Reifung wandern sie in die Gewebe, die für die Immunabwehr besonders wichtig sind: in die Lymphknoten, die Rachenmandeln, die Milz und die Schleimhäute von Darm und Lunge. Diese Gewebe nennen Mediziner daher auch lymphatische Gewebe oder insgesamt lymphatisches System.

Lymphozyten sind in der Lage, körperfremde Strukturen wie etwa Bakterien, Pilze und Viren zu erkennen. Wenn solche krankmachenden Mikroorganismen in den Körper eindringen und damit eine Infektion droht, werden Lymphozyten aktiv. T-Lymphozyten können eine Abwehrreaktion ein- oder ausschalten und zum Teil auch virusinfizierte oder krebsbefallene Körperzellen abtöten. B-Lymphozyten beziehungsweise die aus ihnen hervorgehenden Plasmazellen sind für die Produktion von Antikörpern zuständig.

Die myeloischen Vorläuferzellen entwickeln sich im Knochenmark unter anderem zu neutrophilen Granulozyten (häufig auch einfach Neutrophile genannt) und Monozyten. Sie sind in der Lage, in infizierte Gewebe des Organismus einzuwandern. Dort werden sie zu kleinen und großen Fresszellen (Makrophagen). In gewisser Weise sind Neutrophile und Makrophagen die ausführenden Organe der Lymphozyten; denn alles, was diese zur Vernichtung freigegeben haben, verleiben sich die Fresszellen ein und verdauen es.

Vier häufige Leukämieformen

Wenn Lymphozyten oder ihre Vorformen entarten und eine Leukämie verursachen, spricht man von einer lymphatischen Leukämie. Sind dagegen Zellen der myeloischen Reihe Ursprung des bösartigen Wachstums, so handelt es sich um eine myeloische Leukämie. Sowohl lymphatische als auch myelo­ische Leukämien kommen in akuter und in chronischer Form vor. 

Akute Leukämien entwickeln sich rasch und verursachen schwere Symptome. Die entarteten Zellen sind im Reifungsprozess noch nicht weit vorangeschritten. Sie vermehren sich derart rasant, dass die gesamte Blutzellbildung im Knochenmark gestört ist. Die Folge: Die Patienten klagen über ein plötzlich einsetzendes Krankheitsgefühl, sie leiden unter Fieber und häufig auch unter hartnäckigen Infektionen. Aber keines dieser Symptome allein beweist, dass der Patient an einer Leukämie erkrankt ist. Die exakte Diagnose kann erst durch eine Blut- beziehungsweise eine Knochenmarkuntersuchung gesichert werden.

Chronische Leukämien beginnen dagegen schleichend und verursachen lange keinerlei Symptome. Häufig werden sie im Rahmen einer Routineuntersuchung diagnostiziert. Ursache sind ausgereifte oder fast ausgereifte Blutzellen, die zu Krebszellen entarten. Erst in fortgeschrittenem Krankheitsverlauf klagen die Patienten wie bei den akuten Leukämien über Leistungsminderung, Unwohlsein, Gewichtsverlust oder auch Nachtschweiß und Fieber. Aber auch hier gilt: Anhand der Symptome allein lässt sich keine chronische Leukämie diagnostizieren.

Ausgehend von den entarteten Ursprungszellen und den Verlaufsformen werden vier häufige Formen der Leukämie unterschieden: die akute lymphatische Leukämie (ALL), die akute myeloische Leukämie (AML), die chronische lymphatische (CLL) sowie die chronische myeloische Leukämie (CML). Bei Verdacht auf Leukämie muss zur Absicherung der Diagnose eine Blut- und häufig auch eine Knochenmarkprobe, bei Verdacht auf CLL auch Lymphknotengewebe untersucht werden. In diesen Proben lassen sich Art und Ausmaß der entarteten weißen Blutkörperchen genau bestimmen.

Chemo- und Strahlentherapie

Eine Leukämie lässt sich im Unterschied zu Organtumoren nicht operieren, weil sie nicht nur ein Organ, sondern den gesamten Organismus befällt. Chemo- und Strahlentherapie bilden deshalb die beiden Säulen jeder Leukämiebehandlung. Häufig werden bei der Chemotherapie zwei oder drei verschiedene Medikamente kombiniert, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Bei allen Leukämieformen kann es im Einzelfall sinnvoll sein, eine sogenannte Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzellübertragung durchzuführen.

Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation

Bei einer Hochdosistherapie werden die Chemotherapeutika in so hohen Dosen verabreicht, dass nicht nur die Leukämiezellen, sondern alle Zellen des blutbildenden Systems im Knochenmark vernichtet werden. Im Anschluss daran erhält der Patient gesunde Blutstammzellen, die von einem immunologisch „passenden“, gesunden Fremdspender stammen, um  Abstoßungsreaktionen so weit wie möglich auszuschließen. Die per Infusion verabreichten Zellen wandern vom Blut ins Knochenmark, vermehren sich dort und sorgen so für den Aufbau eines komplett neuen, krebsfreien blutbildenden Systems. Was in der Theorie einfach und überzeugend klingt, lässt sich praktisch nur in spezialisierten Zentren durchführen. Denn während der Behandlung können Unverträglichkeitsreaktionen oder schwere Infektionen auftreten.

Akute Formen sofort behandeln

Grundsätzlich gilt, dass die akuten Leukämieformen (ALL und AML) sofort mit einer konventionellen oder einer Hochdosis-Chemotherapie behandelt werden müssen, um die sich schnell vermehrenden Zellen zu bekämpfen. Bei Patienten mit ALL gehört die Bestrahlung von Kopf und oberer Halswirbelsäule zum Standardbehandlungsprogramm dazu, da die entarteten Zellen auch das Gehirn befallen können. An eine erfolgreiche Erstbehandlung schließt sich in der Regel eine mindestens 12-monatige Erhaltungstherapie an.

Für AML-Patienten mit einer sogenannten FLT-3-Mutation zeichnet sich eine Verbesserung der Behandlungssituation ab. Im Dezem­ber 2015 wurde in einer vielbeachteten Studie mit Midostaurin ein Medikament vorgestellt, auf dem viele Hoffnungen ruhen. Allerdings ist die Substanz noch nicht zugelassen.

CML: Zielgerichtete Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren

Die CML kann seit Einführung der sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) wie Imatinib, Nilotinib und Dasatinib besser behandelt werden, auch wenn eine Heilung damit nicht möglich ist. Die als Tabletten eingenommenen Medikamente unterdrücken die krankhafte Zellteilung an der Stelle, wo sie entsteht, am sogenannten BCR-ABL-Eiweiß. Man spricht deshalb von zielgerichteter Therapie. Kurz nach Diagnosestellung werden häufig auch milde Chemotherapien eingesetzt, vor allem wenn die Zahl der Leukozyten besonders hoch ist. Im weiteren Krankheitsverlauf erhalten die Patienten mitunter stärkere Chemotherapien, unter Umständen auch zur Vorbereitung auf eine Stammzelltransplantation.

Neue Optionen in der CLL-Therapie

Bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) ist es – bis auf gewisse aggressiv verlaufende Unterformen – oft ratsam, zunächst gar keine Medikamente einzusetzen, denn die Erkrankung schreitet nur sehr langsam voran. Ibrutinib hemmt eine bestimmte Tyrosinkinase und eröffnet in der Therapie auch alter und sehr kranker Patienten, für die es früher keine Behandlungsoptionen gab, neue Chancen. Das jedenfalls ist das Ergebnis neuer Studien, die Ende 2015 vorgestellt wurden.

Fazit

Die Behandlungsmöglichkeiten bei Leukä­mien haben sich in den letzten Jahren verbessert. Allerdings ist nach wie vor unklar, warum die Blutzellen oder ihre Vorläufer entarten. Keine Diät und kein Lebensstil können davor schützen. Eine echte Vorbeugung gegen Leukämien existiert leider nicht.