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„Im Winter hatten wir oft viel durchzumachen ...“

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Emanuel Kiem, bekannt als der Kiem Pauli.  archiv
Emanuel Kiem, bekannt als der Kiem Pauli. archiv © OVB

Wenn man den Erinnerungen der älteren Generationen und den Aufzeichnungen glaubt, dann hat es „früher“ kältere Winter mit mehr Schnee als heute gegeben.

Nun hat gerade der Winter im heurigen Januar anhaltend für beides gesorgt: kalte Temperaturen weit unter „null“ und Schnee, der in geschützten Lagen bis jetzt liegt.

In den Lebensschilderungen und Rückblicken, die der große oberbayerische Volksliedsammler, Musikant und Volksmusikpfleger Kiem Pauli (1882 bis 1960) für Bekannte und die Nachwelt anfertigte, ist auch am Rand immer wieder von den kalten Zeiten zu lesen, die besonders die einfachen Leute in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Familie Kiem gehörte in München in besonderer Weise zu den einfachen Leuten. Und nach dem Tod der Mutter 1888, waren die vier Buben Ernst, Erich, Edmund und Emanuel (später „Paul“ genannt) auch von Almosen und Spenden wohlmeinender Menschen abhängig.

Kiem Pauli erinnerte sich in einem 57 Seiten langen Manuskript, das vollständig am Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern erhalten ist, auch an die Kinderjahre in München und schreibt über seine Mutter Anna Katharina Kiem (1847 bis 1888): „Man sagt, ich sei am 25. Oktober 1882 in München, in der Corneliusstraße, geboren und in der Heiliggeistkirche getauft worden. Ich weiß nicht, was mein Vater damals für einen Beruf hatte, und was sich sonst alles in diesem Gärtnerplatzviertel um diese Zeit zugetragen hat, und so will ich gleich von der Stätte berichten, von der meine ersten Erinnerungen ausgehen. Wir wohnten damals in der Heßstraße Nr. 72 und hatten dort ein kleines Milchgeschäft, das meine Mutter führte; die Milch bezogen wir aus Feldmoching. Meine Mutter habe ich nicht mehr so recht in Erinnerung, da ich sie im 6. Lebensjahr leider, leider verloren habe. Ein großer Efeu stock fiel vom zweiten Stockwerk herunter und meiner Mutter auf den Kopf.“

Der Vater Georg Kiem (1839 bis 1910) war kein Familienmensch. „Er liebte Geselligkeit und Wein über alles und hatte wenig Sinn für ein Familienleben. Da wir zur Milch auch den Brotverkauf hatten, bezogen wir dasselbe von mehreren Bäckern. Bauern und Bäcker wurden pünktlich für ihre Lieferung bezahlt, was unserer Mutter oft sehr schwer wurde, da der Vater zuviel für sich verbrauchte.“

„Er liebte Geselligkeit und Wein über alles.“ Kiem Pauli über seinen Vater

Die Kinder mussten in den 1890er-Jahren in München beim Lebensunterhalt der Familie kräftig mithelfen. Kiem Paul beschreibt oft die „kalten Tage“, zum Beispiel das frühmorgendliche Austragen der Milchbestellungen: „Um fünf Uhr hieß es aufstehn; jeder hatte im Winter, wo es um diese Zeit noch stockfinster war, eine kleine Lampe anhängen und dann ging es Treppe auf und ab. Ich als Jüngster hatte bessere Kundschaften zu bedienen, und auf Weihnachten und Neujahr gab es auch sehr liebe Geschenke. Bei strengster Kälte, ein dünnes Höserl an, ohne Handschuh vom Wittelsbacherplatz bis zur äußersten Heßstraße hinunter in jeder Hand einen Milchkübel mit 20 bis 25 Liter Milch zu schleppen war nicht angenehm, und ich entsinne mich noch gut, daß wir oft weinten und hundertmal die Kübel niederstellen mußten, um die Finger wieder aufzuwärmen.“

Die älteren Brüder unterstützten die jüngeren im Lebensunterhalt, da sie schon etwas Geld verdienten. Ernst lernte den jüngeren auch Zither und Gitarre zu spielen. Erich war „irgendwo“ Hausbursche. Edi und Pauli lebten beim Vater, der seinen Lebensmittelpunkt in verschiedenen Wirtshäusern fand. Er trank und sang gern in Geselligkeit.

Das Singen haben Edi und Pauli auch für sich entdeckt: „Eines Tages, als wir wieder einmal durch die Straßen zogen, kamen wir auf den Gedanken in einem Hof zu singen; gesagt, getan. Der Erfolg war unglaublich. Die Fenster öffneten sich und Geld in Papier gewickelt flog auf uns herunter; jetzt waren wir schon Hofsänger geworden. Als wir dem Vater das Geld brachten, wurden wir sehr gelobt; nun sangen wir abends auch in Wirtschaften, zogen von einem Brauhaus ins andere, sangen und sammelten dann mit einem Teller. Nachts zwölf oder ein Uhr kamen wir heim und in der Früh gingen wir, ziemlich unausgeschlafen, in die Schule.“

Das „Hofsingen“ in den Hinterhöfen der großen Mietshäuser in den Münchener Vorstädten und das Singen in den Wirtshäusern machten die beiden Buben in den 1890er-Jahren ganzjährig, auch in der kalten Jahreszeit: „Während der wärmeren Jahreszeit waren unsere Nachtwanderungen ja nicht so schlimm, aber im Winter hatten wir oft viel durchzumachen, kamen dabei bis in die entlegensten Vorstadtviertel und wanderten dann oft ganz zusammengefroren, ohne viel Erfolg, heim.“       >> Fortsetzung folgt.

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