2808/AB XXI.GP

Eingelangt am: 20.11.2001

 

 


Sehr geehrter Herr Präsident!

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage der
Abgeordneten Heidrun Silhavy und GenossInnen Nr. 2838/J wie folgt:

Die von meiner Amtsvorgängerin in Auftrag gegebene Studie trägt den Wortlaut
“Eingehende rechtsvergleichende Untersuchung der Systeme von
Teilinvaliditätspensionen" von Univ.-Prof. Dr. Theodor Tomandl, wurde den
Mitgliedern des Unterausschusses “Invalidität" der beim Bundesministerium für
soziale Sicherheit und Generationen eingesetzten Expertenkommission
“Alterssicherung" zur Verfügung gestellt und ist eine wichtige Arbeitsunterlage für die
Beratungen der Experten.


Anlage Seite l

Anlagen zum Gutachten

Ein Modell zur Neuordnung der sozialen Sicherung

bei Invalidität

von Prof. Tomandl

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30 11.00


Anlage Seite 2


Anlage 1:

<Bitte die Vorlage von Stefanits/Obermayer
für die Informationstagung einfügen >

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Bundesministerium für

soziale Sicherheit und Generationen

Sektion II - Sozialversicherung

Mag. Hans STEFANITS

Mag. Ursula OBERMAYR

Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit
bzw. Erwerbsunfähigkeit

Fakten und Trends 1970 bis 1999

K:\STEFANIT\IPFAKT.DOC


I. Stand an Invaliditätspensionen und vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit

Entwicklungstrends

•   Im Jahr 1970 gab es 287.730 Bezieher einer Pensionsleistung wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit, gemessen am Stand aller Direktpensionen waren das 35 %.

•   Davon waren 157.557 Leistungen an Männer, 130.173 Leistungen an Frauen. Der Anteil
der Invaliditätspensionen an den Direktpensionen betrug bei Männern 37 %, bei den Frauen
34 %.

•   Im Jahr 1999 gab es 459.821 Leistungen wegen einer geminderten Arbeitsfähigkeit bzw.
Erwerbsunfähigkeit: Der Anteil an allen Direktpensionen betrug 39 %, was bedeutet, dass
die Zahl der Invaliditätspensionen und der vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit in den vergangenen 30 Jahren etwas stärker gestiegen ist als jene der
Alterspensionen.

•   Eine weitaus größere Schere hat sich dabei zwischen den Geschlechtern aufgetan Im Jahr
1999 gab es 287.706 derartige Leistungen bei den Männern, d. i - gemessen an den
Direktpensionen - ein Wert von 43 %.

•   Bei den Frauen ist der relative Anteil hingegen gesunken: Die Zahl von 172 115

Bezieherinnen einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit kommt einem Anteil von
23 % gleich.

•   Zusammenfassend kann man drei Gesichtspunkte festhalten:

1. Der Anteil der Bezieher einer Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat
sich in den vergangenen 30 Jahren erhöht.

2. Diese Entwicklung ist ausschließlich durch die Zunahme derartiger Leistungen bei den
Männern verursacht.

3. Diese geschlechtsspezifische Ungleichentwicklung tritt beinahe ausschließlich im
Bereich der Unselbständigen auf. Bei den Selbständigen hingegen ist eine eher
geschlechtskonforme Entwicklung zu beobachten, wobei allerdings die Zuwachs-
raten bei den Selbständigen - sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen -
deutlich höher sind als jene im ASVG.

K 'STEFANIT\PFAKT.DOC


13.10.2000

Stand an Invaliditätspensionen und vorzeitigen
Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Jahr

 

PV der
Unselbständigen

 

PV der
Selbständigen 1)

 

gesamte
Pensionsversicherung 1)

 

Männer                   Frauen

 

Männer                   Frauen

 

Männer                   Frauen                   gesamt

 

1970

 

141.272                   119.865

 

16.285                      10.308

 

157.557                    130.173                    287.730

 

1975

 

124.901                    114.377

 

26.047                      19.113

 

150.948                    133.490                    284.438

 

1980

 

122.910                   115.654

 

29.309                      29.805

 

152.219                    145.459                    297.678

 

1985

 

147.900                   120.933

 

32.176                      41.132

 

180.076                    162.065                    342.141

 

1990

 

177.407                   120.650

 

37.744                     46.332

 

215.151                   166.982                   382133

 

1995

 

210.451                    125.006

 

46.243                      51.529

 

256.694                    176.535                    433.229

 

1996

 

221.065                   125.704

 

47.784                     51.973

 

268.849                   177.677                   446.526

 

1997

 

227.292                   125.325

 

47.885                      51.503

 

275.177                   176.828                   452.005

 

1998

 

232.826                   124.879

 

48.180                      50.387

 

281.006                    175.266                    456.272

 

1999

 

238.854                   123.736

 

48.852                     48.379

 

287.706                   172.115                   459.821

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquete\stsum.xls - ipvga


13.10.2000

Stand an
Invaliditätspensionen

Jahr

 

PV der
Unselbständigen

 

PV der
Selbständigen 1)

 

gesamte
Pensionsversicherung 1)

 

Männer                  Frauen

 

Männer                   Frauen

 

Männer                   Frauen                   gesamt

 

1970

 

141.272                    119.865

 

16.285                      10.308

 

157.557                    130.173                   287.730

 

1975

 

124.901                    114.377

 

26.047                      19.113

 

150.948                   133.490                   284.438

 

1980

 

122.910                    115.654

 

29.309                     29.805

 

152.219                   145.459                  297.678

 

1985

 

147.900                    120.933

 

32.176                     41.132

 

180.076                   162.065                   342.141

 

1990

 

177.407                    120.650

 

37.744                     46.332

 

215.151                    166.982                   382.133

 

1995

 

188.845                     121.170

 

39.686                      47.860

 

228.531                   169.030                  397.561

 

1996

 

186.022                   120.218

 

38.557                     46.966

 

224.579                   167.184                   391.763

 

1997

 

183.782                   119.040

 

37.446                     45.928

 

221.228                    164.968                   386.196

 

1998

 

182.493                   118.399

 

36.553                     45.017

 

219.046                    163.416                   382.462

 

1999

 

180.939                   117.766

 

35.647                     43.981

 

216.586                    161.747                   378.333

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats


13.10.2000

Stand an vorzeitigen
Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

 

 

PV der

 

PV der

 

gesamte

 

Jahr

 

Unselbständigen

 

Selbständigen 1)

 

Pensionsversicherung 1)

 

 

 

Männer                  Frauen

 

Männer                  Frauen

 

Männer                  Frauen                  gesamt

 

1970

 

0                               0

 

0                              0

 

000

 

1975

 

0                               0

 

0                                0

 

000

 

1980

 

0                              0

 

0                                0

 

000

 

1985

 

0                              0

 

0                                0

 

000

 

1990

 

0                                0

 

0                                0

 

000

 

1995

 

21.606                       3.836

 

6.557                       3.669

 

28.163                       7.505                     35668

 

1996

 

35.043                       5.486

 

9.227                        5.007

 

44.270                      10.493                      54763

 

1997

 

43.510                        6.285

 

10.439                        5.575

 

53.949                     11.860                     65.809

 

1998

 

50.333                        6.480

 

11.627                        5.370

 

61.960                      11.850                      73.810

 

1999

 

57.915                        5.970

 

13.205                        4.398

 

71.120                      10.368                      81488

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquete\stsum.xls - vga


II. Erstmalige Neuzuerkennungen bei Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Entwicklungstrends

•   Im Jahr 1970 gab es 16.411 erstmalige Neuzuerkennungen bei diesen Pensionsleistungen.

•   Im Jahr 1985 wurde bis dato mit 36.165 neuzuerkannten Pensionsleistungen die Höchstzahl
erreicht.

•   Ein weiteres Zwischenhoch gab es in den Jahren 1995 und 1996 mit rund 34.000
neuzuerkannten Leistungen.

•   Gegenwärtig, d.h. 1999, lag die Zahl der neuzuerkannten Leistungen bei 29.313.

•   Auch hier gibt es massive geschlechtsspezifische Unterschiede: Bei den Männern stieg die
Zahl der neuzuerkannten Leistungen von 10,318 (1970) auf 21.156 (1999), bei den Frauen
jedoch nur von 6.093 (1970) auf
8.157 (1999).

•   Die Ursache für diese Entwicklung liegt in drei Bereichen:
l  der demografischen Entwicklung

2. der Arbeitsmarktsituation

3. den Zugangsvoraussetzungen und der Zuerkennungspraxis

K:\STEFANIT\1PFAKT.DOC


 


13.10.2000

Erstmalige Neuzuerkennungen von Invaliditätspensionen und
vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Jahr

 

PV der
Unselbständigen

 

PV der
Selbständigen 1)

 

gesamte
Pensionsversicherung 1)

 

Männer                 Frauen

 

Männer                  Frauen

 

Männer                 Frauen                 gesamt

 

1970

 

8.265                       4.812

 

2.053                       1.281

 

10.318                       6.093                     16.411

 

1975

 

8.296                       5.524

 

3.850                       2.521

 

12.146                       8.045                     20.191

 

1980

 

11.508                       6.958

 

2.405                       3.120

 

13.913                      10.078                      23.991

 

1985

 

19.215                       9.435

 

3.368                        4.147

 

22.583                      13.582                      36.165

 

1990

 

16.711                        6.669

 

2.922                        2.345

 

19.633                        9.014                      28.647

 

1995

 

20.024                        7.312

 

3.669                        2.497

 

23.693                        9.809                      33.502

 

1996

 

21.188                        6.940

 

3.456                        2.386

 

24.644                        9.326                      33.970

 

1997

 

17.245                       6.715

 

2.120                        1.711

 

19.365                        8.426                      27.791

 

1998

 

17.036                       6.500

 

2.276                        1.606

 

19.312                        8.106                      27.418

 

1999

 

18.236                       6.728

 

2.920                        1.429

 

21.156                       8.157                     29.313

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquete\nzsum.xls - ipvga


13.10.2000

Erstmalige Neuzuerkennungen von
Invaliditätspensionen

Jahr

 

PV der
Unselbständigen

 

PV der
Selbständigen 1)

 

gesamte
Pensionsversicherung 1)

 

Männer                  Frauen

 

Männer                  Frauen

 

Männer                  Frauen                  gesamt

 

1970

 

8.265                        4.812

 

2.053                       1.281

 

10.318                       6.093                     16.411

 

1975

 

8.296                       5.524

 

3.850                       2.521

 

12.146                       8.045                    20191

 

1980

 

11.508                       6.958

 

2.405                       3.120

 

13.913                     10.078                    23.991

 

1985

 

19.215                        9.435

 

3.368                        4.147

 

22.583                     13.582                     36.165

 

1990

 

16.711                       6.669

 

2.922                       2.345

 

19.633                       9.014                     28.647

 

1995

 

8.270                       5.195

 

776                          627

 

9.046                        5.822                      14.868

 

1996

 

7.505                       4.864

 

656                          503

 

8.161                       5.367                     13.528

 

1997

 

8.378                       4.882

 

736                          516

 

9.114                       5.398                     14.512

 

1998

 

8.726                        4.851

 

862                          583

 

9.588                        5.434                      15.022

 

1999

 

8.836                       5.156

 

819                          532

 

9.655                        5.688                      15.343

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats


13.10.2000

Erstmalige Neuzuerkennungen von
vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Jahr

 

PV der
Unselbständigen

 

PV der
Selbständigen 1)

 

gesamte
Pensionsversicherung 1)

 

Männer                   Frauen

 

Männer                   Frauen

 

Männer                   Frauen                   gesamt

 

1970

 

0                              0

 

0                               0

 

000

 

1975

 

0                              0

 

0                                0

 

000

 

1980

 

0                              0

 

0                               0

 

000

 

1985

 

0                              0

 

0                              0

 

000

 

1990

 

0                              0

 

0                                0

 

000

 

1995

 

11.754                       2.117

 

2.893                       1.870

 

14.647                       3.987                     18.634

 

1996

 

13.683                        2.076

 

2.800                        1.883

 

16.483                        3.959                      20442

 

1997

 

8.867                       1.833

 

1.384                       1.195

 

10.251                       3.028                     13.279

 

1998

 

8.310                        1.649

 

1.414                        1.023

 

9.724                        2.672                      12396

 

1999

 

9.400                        1.572

 

2.101                            897

 

11.501                        2.469                      13970

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquete\nzsum.xls - vga


III. Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und vorzeitige Alterspensionen wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit in % aller neuzuerkannten Direktpensionen

Entwicklungstrends

•   Die im Punkt II genannte Zahl von 16.411 erstmaligen Neuzuerkennungen im Jahr 1970
entspricht einem Anteil von rund 29 % aller neuzuerkannten Direktpensionen dieses Jahres.

•   In dem ebenfalls angerührten Jahr 1985 betrug dieser Anteil mehr als 42 %, seither ist er
beinahe kontinuierlich gesunken: Im Jahr 1999 liegt er bei 34,6 %. Mit anderen Worten,
knapp jede dritte neu zuerkannte Pensionsleistung des Jahres 1999 erfolgte aus
krankheitsbedingten Gründen.

•   Erhebliche Unterschiede gibt es allerdings zwischen den einzelnen
Pensionsversicherungsträgern:

Arbeiter                                              44 %

Angestellte                                         22 %

gewerbliche Wirtschaft                        28 %

SVA der Bauern                                 49 %
Die genannten Daten beziehen sich auf das Jahr 1999.

•   Ebenso massive Unterschiede gibt es zwischen Männern und Frauen: Gemessen an den
Direktpensionen beträgt der Anteil an den Neuzugängen des Jahres 1999 bei den

Männern            48 %

Frauen            20 %.
Dieses geschlechtsspezifische Muster existiert bei allen Pensionsversicherungsträgern.

K:\STEFANITMPFAKT.DOC


13.10.2000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und vorzeitige

Alters Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit 1)

in % aller neuzuerkannten Direktpensionen

Männer und Frauen


PVA der                      PVA der
Arbeiter                    Angestellten

 

ASVG
insgesamt

 

SVA der gew.                    SVA der
Wirtschaft                       Bauern

 

gesamte
PV 2)

 

Jahr            Zahl             %             Zahl             %

 

Zahl             %

 

Zahl              %              Zahl              %

 

Zahl              %

 

1970            10.182           32,6           2.334            18.3
1975            10.283            33,4            2.959            18,0
1980            13.741            38,0            4.076            18,4
1985            21.283           52,5           6.787           24,1
1990            17.715           46,7           5.103           24,0
1995            19.787           44.8           7.045           24,5
1996            19.797           46,0           7.814           26,7
1997            16.703           44,7           6.852           25,2
1998            16.419           46,7           6.770           25,3
1999            17.032           44.4           7.430           22,2

 

13.077           28,9
13.820           28,4
18.466           30,9
28.650            40,9
23.380           38,6
27.336            36,8
28.128           38,3
23.960            36,5
23.536           37,4
24.964           34,1

 

1.739              23,5            1.595              37,0
1.598             20,4           4.773             47,0
1.477             24,1            4.048             54,1
1.700             26,7           5.815             64,9
1.335             26,0           3.932             57,5
1.849              30,5            4.317              57,5
1.840             32,3           4.002             59,1
1.523             28,4           2.308             47,6
1.699              32,5            2.183              46,7
1.710             28,3           2.639             49,2

 

16.411             28,8
20.191              30,3
23.991              32,7
36.165              42,3
28.647              39,5
33.502              38,2
33.970              39,5
27.791              36,6
27.418              37,6
29.313              34,6

 

1) ab 1. Juli 1993 inkl. vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (dauernder Erwerbsunfähigkeit)

2) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquele\nzsum.xls - anteildp-mw


13.10.2000

Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und vorzeitige

Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit 1)

in % aller neuzuerkannten Direktpensionen

Männer

PVA der                      PVA der
Arbeiter                   Angestellten

 

ASVG
insgesamt

 

SVA der gew.                    SVA der
Wirtschaft                      Bauern

 

gesamte
PV 2)

 

Jahr            Zahl             %             Zahl             %

 

Zahl              %

 

Zahl              %               Zahl              %

 

Zahl              %

 

1970              6.329            35,9            1.444            19,1
1975              6.210            35,8            1.603            18,0
1980             8.818           47,7           2.117           23,3
1985            14.867           63,4           3.867           28,8
1990            13.169           56,1            3.056           29,0
1995            15.148           61,4           4.458           39,8
1996            15.614            62,6            5.127            44,2
1997            12.595            60,0            4.300            40,0
1998            12.382           60,6           4.360           40,8
1999           13.014           57.4           4.797           33,1

 

8.265           31,5
8.296            30,3
11.508            40,1
19.215            50,6
16.711            47,6
20.024            54,4
21.188            56,5
17.245            53.0
17.036            53,4
18.236           47.6

 

1.217              26,7               836              35,4
888              17,9           2.962             47,5
767              21,4            1.638              42,2
951               25,6            2.417              56,0
959             28,6            1.963             52,6
1.355              35,9            2.314              66,5
1.416              39,7            2.040              67,3
1.140              34,7               980              50,9
1.280              40,0               996              54.5
1.317              35,5            1.603              62,5

 

10.318             31,1
12.146             31,5
13.913              38,5
22.583              49,1
19.633              46,5
23.693              53,8
24.644              55,9
19.365              51,3
19.312              52,3
21.156              47,5

 

1) ab 1. Juli 1993 inkl. vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (dauernder Erwerbsunfähigkeit)

2) ohne VA des österreichischen Notariats


13.10.2000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und vorzeitige

Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit 1)

in % aller neuzuerkannten Direktpensionen

Frauen


PVA der                     PVA der
Arbeiter                  Angestellten
Jahr            Zahl            %            Zahl            %

 

ASVG
insgesamt

Zahl             %

 

SVA der gew.                   SVA der
Wirtschaft                       Bauern

Zahl              %              Zahl              %

 

gesamte
PV 2)

Zahl              %

 

1970             3.853           28,2              890           17,1
1975             4.073           30.3           1.356           18,1
1980             4.923           27,8           1.959           15.0
1985             6.416           37,6           2.920           19.8
1990             4.546           31,4           2.047           19,1
1995             4.639           23,8           2.587           14,7
1996             4.183           23,1            2.687           15,2
1997             4.108           25,1            2.552           15,5
1998              4.037            27,4            2.410            15,0
1999             4.018           25,6           2.633           13,9

 

4.812           25.2
5.524           25,9
6.958           22.4
9.435           29,4
6.669            26.2
7.312            19,5
6.940            19,3
6.715            20,3
6.500            20,9
6.728            19,2

 

522              18,3              759             38,8
710              24,6            1.811               46,1
710             28,0           2.410             66,9
749              28,4            3.398              73,2
376              21,0            1.969              63,4
494             21,5           2.003             49,7
424              19,9            1.962              52.5
383              18,4            1.328              45,4
419              20,7            1.187              41,7
393              16,8            1.036              37,1

 

6.093             25,5
8.045              28,6
10.078              27,1
13.582              34,5
9.014              29,7
9.809              22,4
9,326              22,3
8.426              22,1
8.106              22,6
8.157               20,3

 

1) ab 1. Juli 1993 inkl. vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (dauernder Erwerbsunfähigkeit)

2) ohne VA des österreichischen Notariats

k:\enquele\n?sum xls - anteilrtn-w


IV. Neuzuerkannten Pensionen \vegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach
Krankheitsgruppen

Entwicklungstrends

•   Rund 75 % aller neuzuerkannten Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit entfallen
auf vier Krankheitsgruppen:

Bewegungs- und Stützapparat           42 %
psychiatrische Erkrankungen und
Krankheiten des Nervensystems        20 %
Herz- und Arterienkrankheiten           7 %
Krebs                                                7 %

•   Während bei den Männern die Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates noch
ausgeprägter sind (44 %), sind bei den Frauen die psychiatrischen Erkrankungen und die
Krankheiten des Nervensystems äußerst stark vertreten (29 %).

•   Extrem hoch ist der Anteil der psychiatrischen Erkrankungen und Krankheiten des
Nervensystems bei den weiblichen Angestellten, wo er mit 40 % aller Neuzugänge eine
doppelt so hohe Häufigkeit aufweist wie die nächst wichtige Krankheitsgruppe, nämlich die
des Bewegungs- und Stützapparates (21 %)

•   Allerdings zeigt sich zwischen den beiden Pensionsarten “Invaliditätspension" und

“vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit" ein deutlicher Unterschied.
Bei den Invaliditätspensionen, d.s. im Vergleich zu den vorzeitigen Alterspensionen die
jüngeren Pensionisten, machen die Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates
“nur"23 % aus. Die psychiatrischen Erkrankungen und die Krankheiten des Nervensystems
sind hingegen mit bereits 30 % (Frauen 37 %) die mit Abstand wichtigste Zugangsquelle.

•   Bei den vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die zugehörigen
Personen sind 55 Jahre und älter, ist es genau umgekehrt. Hier stellen die Krankheiten des
Bewegungs- und Stützapparates mit 62 % die Abstand wichtigste Zugangsursache dar. Auf
die psychiatrischen Erkrankungen und die Krankheiten des Nervensystems entfallen 9 %
aller Zugänge.

•   In diesem Zusammenhang gibt es infolge der Systemumstellung bei der Erfassung der
Krankheitsgruppen nur die eingeschränkte Möglichkeit für Zeitreihenvergleiche: Aber selbst
bei einem Vergleich kurzer Zeiträume zeigen sich doch signifikante Trends.

1. Die Herzkrankheiten und die Krankheiten der Arterien nehmen als Zugangsursache
stetig ab.

2. Die Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates nehmen umgekehrt dazu stetig

zu.
3 Die deutlichsten Zuwächse gibt es bei den psychiatrischen Erkrankungen und den

Krankheiten des Nervensystems, wo seit Jahren ein signifikanter jährlicher Anstieg zu

verzeichnen ist

K:\STEFANITMPFAKT.DOC


13.10.2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Männer und Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

k \enquete\nzkrgr xls - ipvga-mw


3) inkl. VA der Österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Berghaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13 10 2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Männer

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

3) inkl.. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA dos österreichischen Notariats


13.10. 2000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen nach Krankheitsgruppen 1999

Männer und Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

k:\enquete\nzkrgr xls - ip-mw


3) inkl.. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13. 10. 2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

3) inkl. VA der Asterreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13102000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen nach Krankheitsgruppen 1999

Männer

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

Z) ohne Tuberkulose

k \enquete\nzkrgr xls - ip-m


3) inkl. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariate


13102000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen nach Krankheitsgruppen 1999

Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

3) Mi. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13 102000

Neuzuerkannte vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Männer und Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

k:\enquete\nzkrgr.xls - vga-mw


3) inkl. VA der Österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13 10. 2000

Neuzuerkannte vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Männer

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

3) inkl. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des Österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13. 10. 2000

Neuzuerkannte vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen 1999

Frauen

1) ohne rheumatische Herzerkrankungen

2) ohne Tuberkulose

k:\enquete\nzkrgr xls - vga-w


3) inkl.. VA der österreichischen Eisenbahnen und VA des österreichischen Bergbaus, ohne VA des österreichischen Notariats


13.10.2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen

gesamte Pensionsversicherung 1)

Männer und Frauen


 

 

 

 

1996

 

 

 

1999

 

 

 

Code

 

Krankheitsgruppe

 

absolut

 

in %

 

absolut

 

in %

 

9-13

 

Krebs

 

1.625

 

6,1

 

1.930

 

6,6

 

19

 

psychiatrische Erkrankungen

 

3.770

 

14,1

 

5.052

 

17,2

 

20

 

Krankheiten des Nervensystems

 

735

 

2,7

 

939

 

3,2

 

24,30

 

Hypertonie und sonstige
Kreislauferkrankungen

 

935

 

3,5

 

791

 

2,7

 

25, 26, 28

 

ischämische bzw. sonstige
Herzkrankheiten und Krankheiten der
Arterien 2)

 

1.983

 

7,4

 

2.003

 

6,8

 

27

 

cerebrovaskuläre Krankheiten

 

506

 

1,9

 

728

 

2,5

 

31,32

 

Krankheiten der oberen Luftwege
bzw. der Atmungsorgane 3)

 

927

 

3,5

 

1.047

 

3.6

 

43

 

Krankheiten des Bewegungs- und
Stützapparats

 

10.509

 

39,2

 

12.185

 

41,6

 

48,49

 

Arbeitsunfälle und Wegunfälle

 

567

 

2,1

 

567

 

1,9

 

 

 

sonstige Krankheiten

 

5.250

 

19,6

 

4.071

 

13,9

 

 

 

gesamt

 

26.807

 

100,0

 

29.313

 

100,0

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

2) ohne rheumatische Herzerkrankungen

3) ohne Tuberkulose

 


13.10.2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen

gesamte Pensionsversicherung 1)

Männer


 

 

 

 

1996

 

 

 

1999

 

 

 

Code

 

Krankheitsgruppe

 

absolut

 

in %

 

absolut

 

in %

 

9-13

 

Krebs

 

870

 

4,7

 

1.120

 

5,3

 

19

 

psychiatrische Erkrankungen

 

2.236

 

12,1

 

3.042

 

14,4

 

20

 

Krankheiten des Nervensystems

 

428

 

2,3

 

581

 

2,7

 

24,30

 

Hypertonie und sonstige
Kreislauferkrankungen

 

676

 

3,7

 

607

 

2,9

 

25, 26, 28

 

ischämische bzw. sonstige
Herzkrankheiten und Krankheiten der
Arterien 2)

 

1.663

 

9,0

 

1.765

 

8,3

 

27

 

cerebrovaskuläre Krankheiten

 

398

 

2,2

 

542

 

2,6

 

31,32

 

Krankheiten der oberen Luftwege
bzw. der Atmungsorgane 3)

 

739

 

4,0

 

860

 

4,1

 

43

 

Krankheiten des Bewegungs- und
Stützapparats

 

7.740

 

42,0

 

9.377

 

44,3

 

48,49

 

Arbeitsunfälle und Wegunfälle

 

469

 

2,5

 

520

 

2,5

 

 

 

sonstige Krankheiten

 

3.193

 

17,3

 

2.742

 

13,0

 

 

 

gesamt

 

18.412

 

100,0

 

21.156

 

100,0

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

2) ohne rheumatische Herzerkrankungen

3) ohne Tuberkulose

k:\atab\nzkrgr.xls - vergleich-m


13.10.2000


Neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit nach Krankheitsgruppen

gesamte Pensionsversicherung 1)

Frauen


 

 

 

 

1996

 

 

 

1999

 

 

 

Code

 

Krankheitsgruppe

 

absolut

 

in %

 

absolut

 

in %

 

9-13

 

Krebs

 

755

 

9,0

 

810

 

9,9

 

19

 

psychiatrische Erkrankungen

 

1.534

 

18,3

 

2.010

 

24,6

 

20

 

Krankheiten des Nervensystems

 

307

 

3,7

 

358

 

4,4

 

24,30

 

Hypertonie und sonstige
Kreislauferkrankungen

 

259

 

3,1

 

184

 

2,3

 

25, 26, 28

 

ischämische bzw. sonstige
Herzkrankheiten und Krankheiten der
Arterien 1)

 

320

 

3,8

 

238

 

2,9

 

27

 

cerebrovaskuläre Krankheiten

 

108

 

1,3

 

186

 

2,3

 

31,32

 

Krankheiten der oberen Luftwege
bzw. der Atmungsorgane 2)

 

188

 

2,2

 

187

 

2,3

 

43

 

Krankheiten des Bewegungs- und
Stützapparats

 

2.769

 

33,0

 

2.808

 

34,4

 

48,49

 

Arbeitsunfälle und Wegunfälle

 

98

 

1,2

 

47

 

0,6

 

 

 

sonstige Krankheiten

 

2.057

 

24,5

 

1.329

 

16,3

 

 

 

gesamt

 

8.395

 

100,0

 

8.157

 

100,0

 

1) ohne VA des österreichischen Notariats

2) ohne rheumatische Herzerkrankungen

3) ohne Tuberkulose


V. Zuerkennungs- und Ablehnungsquoten

Entwicklungstrends

•   Misst man die neuzuerkannten Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit an
der Summe aus den zuerkannten und abgelehnten Anträgen, so zeigt sich, dass die
Zuerkennungsquote im abgelaufenen Jahrzehnt im abnehmen begriffen ist.

•   In den Jahren 1993/1994 betrug die Zuerkennungsquote noch rund 60 %, in den Jahren
1997 bis 1999 hat sie sich auf einem Niveau von rund 51 % stabilisiert.

•   Mit anderen Worten, rund die Hälfte aller Anträge auf Zuerkennung einer derartigen
Leistung wird gegenwärtig von den Pensionsversicherungsträgern in erster Instanz
abgelehnt.

•   Bei den Frauen ergibt sich folgendes Bild: 1993 betrug die Zuerkennungsquote noch rund
50 % und liegt gegenwärtig (1999) bei 41 %.

•   Bei den Männern betrug die Zuerkennungsquote rund 66 % (1993) und liegt gegenwärtig
bei 57 % (1999).

•   Eklatante Unterschiede gibt es allerdings zwischen den Invaliditätspensionen und den
vorzeitigen Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit: Bei letzeren liegt die
Zuerkennungsquote bei rund 76 %, bei den Invaliditätspensionen allerdings nur bei rund
40 %.

K:\STEFANITMPFAKT. DOC


17.10.2000

Zuerkennungsquoten 1) nach Pensionsarten

gesamte Pensionsversicherung 2)

Männer und Frauen

 

 

 

 

davon

 

davon   vorzeitige  Alterspensionen

 

 

 

alle Pensionen

 

 

 

Alters-

 

normale

 

bei langer            bei Arbeits-                Gleit-             wegen gemind.

 

Invaliditäts-

 

wegen

 

 

 

pensionen

 

Alters-

 

Vers.Dauer              losigkeit               Pensionen          Arbeitsfähigk.

 

pensionen

 

geminderter

 

 

 

 

 

pensionen

 

bzw. Erw.Unf.

 

 

 

Arbeitsfähigkeit

 

1993

 

90,4%

 

84,7%

 

94,5%                 97,2%               100,0%                89,4%

 

56,8%

 

59,4%

 

1994

 

89,2%

 

81,8%

 

95,3%                96,1%                 98,5%                85,3%

 

45,8%

 

59,5%

 

1995

 

88,1%

 

81,7%

 

95,7%                96,2%                97,9%                81,0%

 

42,2%

 

57,7%

 

1996

 

85,3%

 

81,3%

 

95,2%                94,1%                96,7%                75,2%

 

35,4%

 

52,1%

 

1997

 

85,2%

 

77,7%

 

95,0%                86,4%                96,6%                75,7%

 

39,6%

 

51,0%

 

1998

 

84,7%

 

76,5%

 

95,6%                83,9%                96,4%                75,4%

 

39,6%

 

50,3%

 

1999

 

87,3%

 

82,9%

 

96,2%                83,9%                 97,5%                76,3%

 

39,6%

 

51,5%

 

1) Zuerkennungen gemessen an der Summe aus Zuerkennungen und Ablehnungen

2) ohne VA des österreichischen Notariats


13.10.2000


Zuerkennungsquoten 1) nach Pensionsarten

gesamte Pensionsversicherung 2)

Männer

1) Zuerkennungen gemessen an der Summe aus Zuerkennungen und Ablehnungen

k:\enquete\zuerqu.xls -qu-m


2) ohne VA des österreichischen Notariats


16.10.2000


Zuerkennungsquoten 1) nach Pensionsarten

gesamte Pensionsversicherung 2)

Frauen

1) Zuerkennungen gemessen an der Summe aus Zuerkennungen und Ablehnungen

2) ohne VA des österreichischen Notariats


VI. Altersspezifische Entwicklung der neuzuerkannten Pensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit - Invalidisierungsquote

Um den unter Punkt II genannten Einfluss der demografischen Entwicklung auf die
neuzuerkannten Pensionsleistungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit herauszufiltern, wurde
die Zahl der neuzuerkannten Pensionen eines bestimmten Alters/einer bestimmten Altersgruppe
in Relation zur jeweiligen Bevölkerungszahl gesetzt und daraus Invalidisierungshäufigkeiten
ermittelt.

Entwicklungstrends

•   Bei den 15- bis 44-Jährigen, die mit einer Invalidisierungshäufigkeit von 0,12 % (1999) die
geringste Häufigkeit aufweisen, zeigt sich seit 1970 ein beinahe stetiges Ansteigen der
Invalidisierungsquote. Im Jahre 1970 war sie nur halb so hoch, nämlich 0,6 %.

•   Bei der Altersgruppe der 45- bis 49 Jährigen ergibt sich sogar eine Verdreifachung der
Invalidisierungsquote. Nahmen im Jahr 1970 nur 26 von 10.000 Personen dieser
Altersgruppe eine derartige Leistung in Anspruch, so waren es im Jahr 1999 bereits 76 von
10.000 Personen Die Invalidisierungsquote beträgt somit gegenwärtig 0,76 %.

•   Etwas schwächer stiegen hingegen die Invalidisierungsquoten bei den 50- bis 54-Jährigen.
Sie lagen im Jahr 1970 bei 0,47 % und sind gegenwärtig (1999) bei 1,1 % Allerdings gibt
es hier keinen stetigen Anstieg, sondern einen starken Anstieg von 1970 bis 1985 (1,54 %)
und danach einen ebenso stetigen Abfall auf 1,1 % bis zum Jahr 1999.

•   Bei den 55- und 56-Jährigen ist das Bild wiederum völlig anders. Hier stieg die

Invalidisierungshäufigkeit von rund 0,9 % um das Fünffache auf rund 5 % im Jahr 1995 und
ist sodann infolge der Anhebung des Pensionsantrittsalter von 55 Jahren auf 57 Jahre für
Männer deutlich gesunken und liegt gegenwärtig bei 1,2 %.

•   Bei den 57- und 58-Jährigen ergeben sich die mit Abstand höchsten Invalidisierungsquoten.
Sie liegen gegenwärtig bei rund 4,1 % und haben sich seit 1970 vervierfacht

•   Bei den 59-Jährigen ist die Invalidisierungsquote trotz des stetigen Anstiegs im Zeitraum
1970 bis 1999 mit 2,6 % wiederum niedriger und dies gilt ebenso für die 60-Jährigen, wo
sie gegenwärtig bei l % liegt.

•   In den Altern darüber kommt der Invaliditätspension kaum mehr eine Bedeutung zu, da hier
bereits die Möglichkeiten für die Inanspruchnahme einer Alterspension gegeben sind.

•   In Bezug auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede ist Folgendes anzumerken: Die
Invalidisierungshäufigkeiten der Männer sind in allen Jahren und in allen Altersgruppen bzw.
in allen Einzelaltern beinahe immer höher als jene der Frauen. Die einzigen niedrigeren
Werte ergeben sich bei den Altem 55 und 56 im Jahr 1999 als Folge der oben genannten
Gesetzesänderung.

•   Die Anhebung des gesetzlichen Antrittsalters für die vorzeitige Alterspension wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit von 55 auf 57 Jahren bei den Männern ist darüber hinaus die
einzig rechtliche Maßnahme, die schlagartig äußerst signifikante Spuren bei den
Invalidisierungshäufigkeiten hinterlassen hat. Sie führt zu einem drastischen Absinken der
Invalidisierungsquote bei den betroffenen Personen.

K:\STEFANIT\1PFAKT.DOC


•   Die anderen im Zeitraum 1970 bis 1999 erfolgten gesetzlichen Maßnahmen bei den
Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit - in der Regel waren dies meist
Verbesserungen - haben wohl ebenso ihre Spuren - im Sinne von höheren Zugangsquoten -
hinterlassen, allerdings können sie auch durch anderweitige Faktoren wie einer
Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation überlagert werden.

•   Trotzdem verbleibt als ein weiteres signifikantes Faktum noch der Anstieg der

Invalidisierungshäufigkeiten bei den 55- bis 60-Jährigen im Zeitraum 1970 bis 1985. Dies ist
mit Sicherheit auf die in diesem Zeitraum mehrfach erfolgte Erleichterung der
Zugangsvoraussetzungen zurückzuführen und hat sowohl Männer als Frauen betroffen.

K:\STEFANIT\IPFAKT.DOC


13.10.2000


Invalidisierungsquote

(neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit in % der Bevölkerung)

gesamte Pensionsversicherung 1)

Männer und Frauen



1) ohne VA des österreichischen Notariats


k:\enquete\nzalter.xls - iqu-mw


 


13.10.2000


Invalidisierungsquote

(neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit in % der Bevölkerung)

gesamte Pensionsversicherung 1)

Männer



1) ohne VA des österreichischen Notariats


 


13.10.2000


Invalidisierungsquote

(neuzuerkannte Pensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit in % der Bevölkerung)

gesamte Pensionsversicherung 1)

Frauen



1) ohne VA des österreichischen Notariats


k:\enquete\nzalter.xls - iqu-w


 


13.10.2000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und
vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

1) ohne VA des österreichischen Notariats


gesamte Pensionsversicherung 1)
Männer und Frauen


13.10.2000


 


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und
vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

gesamte Pensionsversicherung 1)
Männer



 


1) ohne VA des österreichischen Notariats


 


k:\enquete\nzalter.xls - pnz-m


II


 


13.10.2000


Neuzuerkannte Invaliditätspensionen und
vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

1) ohne VA des österreichischen Notariats


gesamte Pensionsversicherung 1)
Frauen


Anlage Seite 3


Anlage 2:

<Bitte die Vorlage von Wörister
für die Informationstagung einfügen >

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Invalidenrenten: Europäische Trends und Politik

Länderbericht: Österreich1

von Kar! WÖRISTER

(Bundesarbeitskammer)

l   Kurzer   Überblick   über   das   österreichische   System   zur   Sozialen   Sicherung
erwerbsgeminderter Personen

Die Versorgung von dauerhaft erwerbsgeminderten Personen ist im österreichischen
System der sozialen Sicherheit im wesentlichen Aufgabe des Pensionssystems.
Das öffentliche Pensionssystem besteht aus zwei Teilen:

- Pensionsversicherung

- Beamtenversorgung

Derzeit entfallen 87% der öffentlichen Pensionen auf die Pensionsversicherung. Die
restlichen Pensionen kommen aus verschiedenen Beamtenversorgungssystemen
(Bundes- und Landesbeamte, Bahn, Post u.a). Da über Beamtenpensionen nur sehr
wenig Daten vorliegen, werden sie hier - von einzelnen Hinweisen abgesehen - nicht
weiter behandelt. Die folgende Darstellung beschränkt sich im wesentlichen auf die
Pensionsversicherung.

Geschützter Personenkreis

Mit Ausnahme der Beamten sind in Österreich fast alle Erwerbstätigen
pensionsversichert.2 Nur Beschäftigungsverhältnisse mit geringen Einkommen sind
teilweise von der Versicherungspflicht ausgenommen (1999 mit einem monatlichen
Einkommen von weniger als öS 3.899,-). Seit Jänner 1998 besteht jedoch die
Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung ("opting in").
Weiters bestehen auch für Nichterwerbstätige Möglichkeiten einer freiwilligen
Versicherung. Diese Option wird aber nur wenig genutzt (derzeit 0,5% der
Versicherten).

Organisation

Insgesamt sind 7 nach Berufsgruppen gegliederte Träger für die
Pensionsversicherung zuständig (Arbeiter, Angestellte, Gewerbetreibende, Bauern,
nichtpragmatisierte Eisenbahnbedienstete, Bergarbeiter und Notare).

' Der vorliegende Beitrag ist Teil einer Studie, die im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherung (Schweiz) vom
Europaischen Zentrum Wien erstellt wurde. Eine Zusammenfassung ist im folgenden Sammelband enthalten: Prinz,
Christopher/Marin, Bernd, Pensionsreformen. Campus-Verlag 1999 (Prinz, Chr.: Invaliditätspension als
die
Frohpension? österreichische Entwicklungen im europaischen Vergleich. S. 419-483).

²    Bei Beamten stellt die Pension eine direkte Leistung des Dienstgebers dar. Eine Versicherung erübrigt sich daher.


Zusammengefaßt sind diese in einer Dachorganisation (Hauptverband der
österreichischen Sozialversicherungsträger), der auch die Kranken- und
Unfallversicherungsträger (Arbeitsunfälle, Berufserkrankungen) angehören.
Für diese Gruppen gelten fünf Bundesgesetze. Mit Ausnahme des kleinen Bereichs
der Notare sind die Bestimmungen weitgehend vereinheitlicht. Die Unterschiede
bestehen im wesentlichen im Bereich des Beitragsrechts und in der Definition der
Invalidität, die auf die besondere Situation dieser Gruppen abgestimmt ist.
Das zentrale Gesetz, das vor allem die Sozialversicherung der unselbständig
Erwerbstätigen regelt (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung), ist
das
Allgemeine Sozialversicherungsgesetz
(ASVG), das 1955 geschaffen wurde.

Arten der Pensionierung

Der gesetzliche Überbegriff für Pensionen, die aus gesundheitlichen Gründen im
wesentlichen vor Erreichung einer gesetzlichen Altersgrenze zuerkannt werden,
lautet in Österreich: "Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit".
Seit 1993 gibt es innerhalb der vorzeitigen Alterspensionen (wegen langer
Versicherungsdauer, wegen Arbeitslosigkeit) auch noch eine
vorzeitige
Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Es handelt sich hier um eine
Pension, die früher Teil der Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit war
(ab55jährige), aber substantiell kaum verändert wurde. Für beide Pensionsarten
zusammen wird in der folgenden Darstellung meist der Begriff "Invaliditätspension"
verwendet, es sei denn, es ist eine begriffliche Trennung im jeweiligen
Zusammenhang notwendig.

Um die Stellung der Invaliditätspensionen in der österreichischen
Pensionsversicherung besser beurteilen zu können, werden im folgenden die
übrigen Pensionsarten kurz dargestellt:

•   Als reguläres Pensionsalter gelten in Österreich die Altersgrenzen 60 (Frauen)
und 65 (Männer). Diese Altersgrenzen werden nach der derzeitigen Rechtslage
zwischen 2018 und 2032 auf eine einheitliche Altersgrenze angeglichen.3 Wer in
diesem Alter in Pension geht, hat Anspruch auf eine normale Alterspension.
Voraussetzung für diese Pension sind in der Regel 15 Versicherungsjahre.4
Tatsächlich ist diese Pension nicht “normal", da etwa 1998 nur 20% der neuen
Eigenpensionen auf diese Pensionsart entfielen (Frauen: 27%, Männer: 13%).
Innerhalb der Männer entfällt der Großteil dieser neuen Pensionen auf Personen,
für die ein zwischenstaatliches Abkommen gilt.

•   Daneben existieren vorzeitige Alterspensionen, die - abgesehen von der
vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (siehe oben und
auch detaillierter weiter unten) - ab vollendetem 55. Lebensjahr (Frauen) bzw.

    Diese Übergangsfrist wurde 1992 in Verbindung mit einem “Gleichbehandlungspaket" beschlossen. Vereinzelt wird nun

gelegentlich eine Vorverlegung dieser schrittweisen Angleichung der Altersgrenzen verlangt.
4     Auf die komplizierten Regelungen soll hier nicht weiter eingegangen werden.


60. Lebensjahr (Männer) beansprucht werden können, soweit die besonderen
Voraussetzungen erfüllt sind. Die vorzeitige Alterspension bei langer
Versicherungsdauer konnte bis 1996 im wesentlichen dann angetreten werden,
wenn 35 Versicherungsjahre vorlagen. Bis zum Jahr 2000 wird diese
Mindestdauer auf 37,5 Jahre angehoben. 1998 entfielen 37% der neuen
Eigenpensionen auf diese Pensionsart. Die vorzeitige Alterspension wegen
Arbeitslosigkeit kann im wesentlichen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in
Anspruch genommen werden, wenn 20 Versicherungsjahre5 vorliegen; bis 1996
reichten 15 Versicherungsjahre. 5% der neuen Eigenpensionen entfielen 1998
auf diese Pension (Frauen: 8%, Männer: 2%).

•   Seit 1993 besteht die Möglichkeit eines gleitenden Übergangs in die Pension, für
den dieselben Altersgrenzen wie für die vorzeitigen Alterspension gelten. Diese
Gleitpension wird aber kaum angenommen (0,5% der Neuzugänge); es handelt
sich hier im wesentlichen um eine Angestelltenpension. Rund 90% dieser
Pensionen entfallen auf Angestellte.

In der folgenden Darstellung wird vorerst ein Überblick über die einzelnen rechtlichen
Bestimmungen geboten. Anschließend wird die Rechtsentwicklung insbesondere seit
1980 dargestellt. Danach wird ein Überblick über die Rechtssprechung gegeben, in
der die einzelnen Kriterien für die Abgrenzung zwischen Invalidität/Nichtinvalidität
entwickelt wurden. Abschließend wird auf Ergebnisse von Studien eingegangen.

Überblick über die gesetzlichen Bestimmungen

Im Unterschied zu den meisten gesetzlichen Bestimmungen in der
Sozialversicherung ist der Invaliditätsbegriff für einzelne Erwerbsgruppen
unterschiedlich geregelt. Alleine innerhalb des Allgemeinen
Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) wird zwischen drei verschiedenen Gruppen
unterschieden:

•   Arbeiter (Invaliditätspension)

•   Angestellte (Berufsunfähigkeitspension)

•   Bergarbeiter (Knappen) (Knappschaftsvollpension und Knappschaftspension)

Im Bereich der Selbständigen sind die Erwerbsunfähigkeitspensionen für
Gewerbetreibende, freiberuflich Erwerbstätige und Bauern gesondert geregelt.
In den einzelnen Beamtensystemen (Bund, Bahn, Post, Länder und einzelne
Gemeinden) stellen sie einen Teil der
Ruhegenüsse (d.s. die Eigenpensionen) dar,
die in diesen Fällen wegen
Dienstunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit vorzeitig
gewährt werden (zweistufiges System).

Innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen ist zu unterscheiden zwischen

Auf nähere Details wird hier nichl eingegangen.


•    dem jeweiligen Invaliditätsbegriff bzw. der Definition von Invalidität,

•   der erforderlichen Wartezeit (=erforderliche Mindestversicherungszeiten) für die
Pension,

•    Sonderregelungen für die Berechnung der Pension und

•    Regelungen für zeitlich befristete Invaliditätspensionen.

Zum Invaliditätsbegriff

Neben den Wartezeitbestimmungen ist bei Invaliditätspensionen die Abgrenzung
zwischen Invalidität/Nichtinvalidität ein entscheidendes Kriterium für die
Zuerkennung der Pension.

Wie bereits hingewiesen wurde, ist der Invaliditätsbegriff für einzelne
Versichertengruppen im Gesetz unterschiedlich geregelt. Die einzelnen
Bestimmungen geben nur grobe Kriterien an, die bei den Entscheidungen zu
berücksichtigen sind. Im Detail hat jedoch die Rechtssprechung eine entscheidende
Rolle für die inhaltliche Bestimmung des Invaliditätsbegriffes eingenommen.
Der Grund hiefür ist vor allem die von der Realität überholte Formulierung in den
gesetzlichen Bestimmungen. Zentrales Abgrenzungskriterium im ASVG ist, ob die
Arbeitsfähigkeit "infolge eines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als
Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten ...
herabgesunken
ist" (§ 255 Abs 1, Bestimmung für Facharbeiter und angelernte
Arbeiter)6. Für Hilfsarbeiter wird im Gesetz das Entgelt in den Vordergrund gestellt:"
... gilt er als invalid, wenn infolge seines geistigen und körperlichen Zustandes nicht
mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird
und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten
zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein
körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit
zu erzielen pflegt"
(§ 255 Abs 3).7
Diese Bestimmungen wurden dem Wortlaut nach von der
Reichsversicherungsordnung übernommen und stammen praktisch aus dem Ende
des letzten Jahrhunderts. Damals waren die Einkommen nicht durchgehend
aufgrund von Kollektivvertragen (bzw. gesetzl. Mindestlohntarifen etc.) geregelt.
Nach geltendem Recht müssen auch aufgrund der sozialrechtlichen Bestimmungen
Sozialversicherungsbeiträge für ein Entgelt mindestens in der Höhe des Kollek-
tivvertragslohns entrichtet werden (§§ 44 und 49 ASVG). Andere Vereinbarungen im
Rahmen eines Einzelvertrages sind auch arbeitsrechtlich nicht wirksam (Berger, S.
38).

Eine gesundheitlich bedingte Erwerbsminderung darf also zu keiner Verringerung
des Einkommens unterhalb des kollektivvertraglich geregelten Niveaus führen.

6    Eine gleichlautende Bestimmung gilt für Angestellte (§ 273 Abs l ASVG).

7    Für Selbständige gilt der Begriff der Erwerbsunfähigkeit: "Als erwerbsunfähig gilt der (die) Versicherte, der (die) infolge
von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer-
stande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen." (§ 133 Abs l GSVG, § 124 Abs 1 BSVG)


Insofern handelt es sich daher bei den zitierten gesetzlichen Bestimmungen um
"totes" Recht.

Die Rechtssprechung hat im Laufe der Zeit zahlreiche Einzelkriterien für die
Bestimmung des Invaliditätsbegriffes festgesetzt. Die wesentlichen Krieterien werden
im folgenden dargestellt:

a) Feststellung der Erwerbsminderung (Rolle der Gutachten)

b) Aspekte des gesundheitlichen Zustandes

c) Gesundheitliche Einschränkungen und deren Zumutbarkeit für die Dienstgeber

d) Die Bedeutung des Arbeitsmarktes

e) Mobilität der Arbeitnehmer/innen

f) Einschränkungen hinsichtlich der Zumutbarkeit einzelner Beschäftigungen (inkl.
Berufsschutz)

g) Teilzeitarbeit und Verweisbarkeit

a) Feststellung der Erwerbsminderung

Nach Einreichung des Pensionsantrages beim zuständigen

Pensionsversicherungsträger werden die Antragsteller zur Untersuchung vorgeladen.
Allfällige privatärztliche Gutachten, die hiefür mitgebracht werden, stellen praktisch
nur Hinweise für die Ärzte bei den Begutachtungsstellen der Träger dar. Die
Beurteilung der Leistungsfähigkeit obliegt ausschließlich den Begutachtern der
Träger. Die medizinischen Untersuchungen sind erfahrungsgemäß relativ gründlich.8
Wenn im Falle einer Ablehnung des Antrages eine Klage gegen die Entscheidung
der Pensionsversicherungsträger eingebracht wird, werden neuerlich
Untersuchungen durch die vom Gericht bestellten beeideten Sachverständigen
durchgeführt. Auch in dieser Phase des Verfahrens stellen privatärztliche Gutachten
kein Beweismittel dar.

Untersuchungen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien über die
gerichtsärztlichen Gutachten beim Schiedsgericht (1985) und beim Arbeits- und
Sozialgericht Wien (1990,1995) haben gezeigt, daß die Qualität der Gutachten sehr
uneinheitlich ist und das Ergebnis der medizinischen Untersuchung in hohem
Ausmaß vom untersuchenden Arzt abhängt. Die einzelnen Arzte unterscheiden sich
danach,

•   welche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit sie typischerweise verwenden,

•   wieviele Kategorien von einzelnen Leistungsminderungen sie verwenden,

•   wie häufig sie bestimmte Leistungsminderungen bei den Klägern feststellen und

Die Antragsteller werden jedoch in der Regel nicht Ober die festgestellten Einschränkungen informiert Dies ist wohl
einer der Gründe für die Vielzahl erfolgloser Rechtsmittelverfahren bzw. auch der langen Verfahrensdauer (alle Unter-
suchungen werden wiederholt, obwohl einzelne Fragen vielleicht pur nicht strittig wären)


•   wie sie das Ausmaß einzelner Leistungsminderungen einschätzen (z.B.

Gewichtsangaben bei zumutbaren Hebe- und Trageleistungen).9
Fallweise werden auch im Rahmen eines stationären Aufenthaltes zusätzliche
Gutachten eingeholt.

b) Aspekte des gesundheitlichen Zustandes

Neben den konkreten Leistungseinschränkungen spielen bei der Beurteilung
allgemeine Fragen eine gewisse Rolle.

Zwecks Abklärung der Leistungsfähigkeit sind im Detail u.a. folgende Fragen zu
klären: In welchem Ausmaß sind Arbeiten im Sitzen, im Gehen oder Stehen
möglich? Welche Hebe- und Trageleistungen können noch zugemutet werden? Wie
steht es mit der Fingerfertigkeit? Können Arbeiten an exponierten Stellen (auf
Leitern, an gefährlichen Maschinen etc) geleistet werden? Sind Arbeiten unter
(besonderem) Zeitdruck möglich? Wie steht es mit Arbeiten im Bücken? usw.
Die Klärung dieser Fragen kann von Bedeutung sein, wenn es darum geht, ob
jemand noch bestimmte Tätigkeiten innerhalb eines möglich erscheinenden
Verweisungsberufes ausüben kann.

Generell von Bedeutung sind folgende Feststellungen der Obergerichte. Als invalid
gilt,

•   wer eine Tätigkeit nur unter Gefahr einer Verschlechterung des
Gesundheitszustandes ausüben kann,

•   wer eine Tätigkeit nur unter Schmerzen oder besonderer Überwindung ausüben
kann,

•   wenn Gehleistungen von 100 m nur mehr nach einer Pause von 10 bis 15
Minuten wiederholt werden können oder wenn jemand pro Arbeitstag maximal 4
mal 200m gehen kann,

•   wer nicht mehr imstande ist, eine regelmäßige Arbeitszeit einzuhalten, also
gezwungen ist, längere als üblichen Arbeitspausen einzuhalten,

•   wenn die Einhaltung der wegen des Leidenszustandes vorgeschriebenen Diät
unmöglich ist,

•   wenn Krankenstände von mehr als 6 Wochen pro Jahr zu erwarten sind,

•   wenn epileptische Anfälle mehr als 1 bis 2 mal monatlich zu erwarten sind.
Weiters muß Alkoholismus im Grad einer unbeherrschbaren Süchtigkeit
berücksichtigt werden.

Nicht Berücksichtigung finden persönliche Umstände. Dazu gehören etwa

•   Nichtvereinbarkeit von Berufstätigkeit und Haushaltspflichten,

•   fehlende Sprachkenntnisse (bei Gastarbeitern),

•   der Umstand, daß der Versicherte über (k)ein Kraftfahrzeug verfügt.

9    Vgl. Wörister, K. 1986, Marischka, Chr 1992 und Wörister/Marischka 1995. Forderungen, die daraus resultieren, sind:
Standardisierung der Gutachten (Checkliste), arbeitsmedizinische Ausbildung bzw. verbesserte Ausbildung der
Gutachter, Beiziehung der behandelnden Ärzte.


Manchmal kann mit Hilfe von Operationen und Heilbehandlungen die Arbeitsfähigkeit
wieder hergestellt werden. Inwieweit derartige Behandlungen zumutbar sind, hängt
von den damit verbundenen Gefahren, Schmerzen, Erfolgsaussichten, der Schwere
des Eingriffes und seiner Folgen ab. Dies muß jeweils von Fall zu Fall entschieden
werden.

c) Gesundheitliche Einschränkungen und deren Zumutbarkeit für Dienstgeber

Aus dem obigen Überblick ist ersichtlich, daß die Rechtssprechung bereits Grenzen

dahingehend gezogen hat, was Arbeitgebern zugemutet bzw. nicht zugemutet

werden kann, wie etwa die Dauer von zu erwartbaren Krankenständen, der Anzahl

von erwartbaren epileptischen Anfällen, bestimmte Einschränkungen der

Leistungsfähigkeit (die zwar in bestimmten Berufen nicht relevant sein mögen, aber

die Einsatzbarkeit der Arbeitnehmer einschränken). Faktisch handelt es sich um eine

mehr oder weniger realistische Einschätzung von Vermittlungshindernissen auf dem

Arbeitsmarkt.

Grundsätzlich wird von den Arbeitgebern kein besonderes Entgegenkommen

erwartet. So gilt jemand als invalid, wenn ein Pensionswerber eine von ihm

ausgeübte Beschäftigung nur versehen kann, weil der Dienstgeber die

normalerweise zu stellenden Anforderungen nachsieht.

Dies ist Ausdruck einer Wirtschaftsordnung, in der von Unternehmen soziale

Verantwortung nicht verbindlich erwartet wird. Dies bedeutet auch, daß eine Vielzahl

von Invaliditätspensionisten einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten, wenn man

am Arbeitsplatz ein gewisses Entgegenkommen von Seiten der Dienstgeber (und

Kollegen und Kunden) erwarten könnte.

Wie in den nächsten Punkten gezeigt wird, sind hingegen die Erwartungen an

arbeitswillige erwerbsgeminderte Personen weitaus größer.

d) Arbeitsmarkt und Invalidität

Eines der zentralen Probleme vieler Antragsteller auf eine Invaliditätspension ist, daß
sie keinen Arbeitsplatz finden, der ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Zumeist
handelt es sich auch noch um ältere Arbeitnehmer, deren Chancen auf dem
Arbeitsmarkt bekanntlich besonders schlecht sind. Vorurteile von Dienstgebern und
die zumeist begrenzte Einsatzfähigkeit der Betroffenen machen die Arbeitssuche zu
einem erfolglosen Unternehmen.

Die Rechtssprechung hat stets klar zwischen den Tatbeständen "Arbeitslosigkeit"
und "Invalidität" unterschieden. Die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, ist
grundsätzlich kein Kriterium für die Zuerkennung der Invaliditätspension. Da jedoch
in der Realität bzw. in den Erfahrungen der Betroffenen ein enger Zusammenhang
zwischen geminderter Arbeitsfähigkeit und Arbeitslosigkeit gesehen wird, wird die
Beurteilung durch die Rechtssprechung als "abstrakt" bezeichnet. Das Korrelat zu
dieser abstrakten Betrachtungsweise stellen zwei verschiedene Institutionen im


System der sozialen Sicherheit dar: die Arbeitslosenversicherung und die
Pensionsversicherung (Arbeitsmarktservice und Pensionsversicherungsträger).
Allerdings werden in der Rechtssprechung auch einige konkrete Aspekte
berücksichtigt. Wenn etwa jemand nur mehr einem Beruf bzw. einer Tätigkeit
nachgehen kann, für den/die es überhaupt zu wenig Arbeitsplätze in Österreich gibt,
dann wird der/die Betroffene nicht mehr darauf verwiesen und gilt daher als invalid.
Die Grenze liegt etwa bei 100 Arbeitsplätzen in Österreich. Wenn es deutlich mehr
als 100 Arbeitsplätze gibt (egal, ob frei oder besetzt) und diese Tätigkeit
gesundheitlich noch zumutbar ist, dann liegt keine Invalidität vor.
Manche Tätigkeiten sind ausschließlich dem anderen Geschlecht vorbehalten. In
diesen Fällen kann jemand nicht darauf verwiesen. Auch hier gilt: Deutlich mehr als
100 von Arbeitnehmern des eigenen Geschlechts besetzte Arbeitsplätze reichen
aus, um jemanden darauf zu verweisen. 10

e) Von erwerbsgeminderten Arbeitnehmer/innen erwartete Mobilität

Wie bereits aus dem Vorgegangenen deutlich wurde, erstreckt sich die
Verweisbarkeit auf das gesamte Bundesgebiet. Entscheidend ist, ob jemand bei
einem gegebenen Leistungsvermögen - unter Berücksichtigung des Berufs- bzw.
Tätigkeitsschutzes - theoretisch noch Tätigkeiten ausüben kann, die in Österreich in
ausreichender Zahl auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind.
Zentrale Probleme für die Betroffenen sind hierbei in der Praxis die Frage der
Wohnungskosten bei Wohnsitzwechsel oder Kosten für eine allfällige Zweitwohnung
und Einschränkungen des Familienlebens. So wird auch von verheiratete Personen
mit zu betreuenden Familienangehörigen erwartet, daß sie sich um eine Arbeit in
einem anderen Bundesland bemühen.

Dies alles ist besonders gravierend, wenn man bedenkt, daß die Dauer einer
Beschäftigung zumeist nicht vorhersehbar ist, aber möglicherweise beträchtliche
Kosten für den Wohnsitzwechsel anfallen.

In der Arbeitslosenversicherung wird ein Teil dieses Personenkreises als "schwer
vermittelbar" qualifiziert und entsprechend den zustehenden Leistungen versorgt
(nach Ablauf des Arbeitslosengeldes nur bei Bedürftigkeit). Im Jahresdurchschnitt
1998 wurden etwa 40.000 Arbeitslose aufgrund physischer oder psychischer
Behinderung als schwervermittelbar ausgewiesen (knapp jede/r fünfte Arbeitslose).

f) Zumutbarkeit von einzelnen Beschäftigungen (inkl. Berufsschutz)

Ein Ziel des österreichischen Pensionsrechts ist die Sicherung des
Lebensstandards. Ein Aspekt ist hierbei auch der Schutz vor sozialem Abstieg. Wer
aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes seine bisherige Tätigkeit nicht mehr
weiter ausüben kann, gilt als invalid, wenn eine Weiterbeschäftigung im Rahmen

Vgl. OGH vom 12.3.1991, 10 Ob S66/9I


einer anderen Tätigkeit mit einem sozialen Abstieg verbunden wäre. Dies soll durch
folgende Regelungen gesichert werden:

Facharbeiter und angelernte Arbeiter dürfen auf keinen anderen Beruf verwiesen
werden. Wer aufgrund des Gesundheitszustandes innerhalb seines Berufes - unter
Berücksichtigung einzelner Teilberufe innerhalb des Berufbildes - nicht mehr
arbeitsfähig ist, gilt als invalid. Bei angelernten Arbeitern wird geprüft, ob sie alle
wesentlichen Kenntnisse erworben haben, die ein Facharbeiter im Rahmen seiner
Ausbildung erwerben muß. Wenn sie diese Bedingung nicht erfüllt haben, gelten sie
als Hilfsarbeiter.

Angestellte können aufgrund der ständigen Rechtssprechung nur auf Tätigkeiten
verwiesen werden, die maximal eine Verwendungsgruppe unter der bisherigen
liegen." Im Unterschied zu den Arbeitern orientiert sich der Vergleich nicht an der in
den letzten 15 Jahren ausgeübten Tätigkeit, sondern am zuletzt ausgeübten Beruf.
Bei Angestellten, die Arbeitertätigkeiten ausgeübt haben (Arbeiter mit
Angestelltenvertrag), wird der Invaliditätsbegriff für Arbeiter herangezogen.

Dienstunfähigkeit und Invalidität bei Knappen: Bergarbeiter, die aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Tätigkeit (oder andere im
wesentlichen gleichartige Tätigkeit) weiter auszuüben bzw. deswegen eine
Einkommensminderung von mehr als 20% hinnehmen müßten, gelten als
dienstunfähig. Es handelt sich hiebei um eine Art Teilinvalidität. Diese Personen
haben bis zum Anfall einer
Knappschaftsalterspension Anspruch auf eine
Knappschaftspension. Zumeist üben sie eine andere Beschäftigung aus oder
beziehen Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ansonsten gilt der Invaliditätsbegriff für
Arbeiter.

Personen ab vollendetem 55. (Frauen) bzw. 57.Lebensiahr (Männer):
Wer in den letzten 15 Jahren eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat
und die entsprechenden Wartezeitbestimmungen erfüllt, kann auf keine andere
Tätigkeit mehr verwiesen werden. Gleichartig ist eine Tätigkeit dann, wenn sie im
wesentlichen ähnliche psychische und physische Anforderungen an die
Handfertigkeit, Intelligenz, an Kenntnisse für die überwiegend ausgeübte Tätigkeit,
Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Körperhaltung, Durchhaltevermögen, Schwere
der Arbeit und auch an die Konzentration stellen. Seit 1988 wird in der
Rechtssprechung betont, daß die Gleichartigkeit in den Kernbereichen der Tätigkeit
gegeben sein muß; Unterschiede in den Randbereichen sind unbedeutend, wenn sie
nicht typischerweise mit einer Tätigkeit verbunden ist.

11   In den Angestellten-Rahmenkollektivverträgen werden die Tätigkeitsbereiche von Angestellten in 6 Verwendungs-
gruppen aufgegliedert. Diese stellen eine hierarchische Ordnung hinsichtlich des Einkommens und des sozialen Status
dar.


Diese Bestimmung wurde aus arbeitsmarktpolitischen Gründen geschaffen. Sie
orientierte sich an einer analogen Regelung für ab 55jährige Selbständige; für diese
gab es bereits seit längerer Zeit eine solche Sonderregelung.

Hilfsarbeiter, die jünger als 55/57 Jahre sind bzw. die besonderen Bedingungen bei
Älteren nicht erfüllen, gibt es keinen Tätigkeitsschutz. Falls sie gesundheitlich in der
Lage sind, irgendeine Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt auszuüben, haben sie keinen
Anspruch auf eine Invaliditätspension.

Invalidität nach Rehabilitationsmaßmahmen: Anspruch auf eine Invaliditätspension
besteht auch dann weiter, wenn durch Rehabilitationsmaßnahmen durch die
Pensions- oder Unfallversicherung die Fähigkeit zur Ausübung eines neuen Berufes
erworben wurde. Erst wenn insgesamt eine wesentliche Besserung erreicht wurde
und der alte Beruf wieder ausgeübt werden könnte, fällt die Pension weg. Seit
1.7.1993 (51.ASVG-Novelle) fällt die Pension jedoch auch im neuen Beruf weg,
wenn

a) das Einkommen daraus das doppelte der Bemessungsgrundlage beträgt und

b) das Einkommen die Höchstbeitragsgrundlage überschreitet. Wenn das

Einkommen wieder unterhalb dieser Grenzen zu liegen kommt, dann lebt sie -
nach erstatteter Anzeige - wieder auf. Die relativ großzügige Regelung nach
erfolgreichen Rehabilitationsmaßnahmen ist ein Beitrag zur Wiedereingliederung
in das Erwerbsleben.

g) Teilzeitarbeit und Verweisbarkeit

Wer vollzeitbeschäftigt ist, kann aufgrund der Rechtssprechung auch auf eine
Teilzeitbeschäftigung verwiesen werden, wenn dadurch die Hälfte des Entgelts
erzielt werden kann, “das ein gesunder Versicherter durch eine solche Tätigkeit zu
erzielen pflegt.12 Allerdings handelt es hier nur eine Entscheidung eines Gerichtes
1 .Instanz; Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof haben hiezu noch nicht
Stellung bezogen. In der Praxis dürfte diese Rechtssprechung derzeit keine große
Bedeutung haben.

h) Abschließende Anmerkungen

Neben den versicherungsrechtlichen Bestimmungen sind für die Zuerkennung einer
Invaliditätspension eine Reihe Kriterien entscheidend, die in der Rechtssprechung
der Obergerichte entwickelt wurden. Ein wesentliches Merkmal dieser
Entscheidungen ist, daß sie einer abstrakten Betrachtungsweise folgen.
Sie abstrahieren erstens von der realen Bewertung erwerbsgeminderter Menschen
auf dem Arbeitsmarkt. Das Restleistungsfähigkeit wird in der rechtlichen Praxis

"   Landesgericht Feldkirch 23. 1. 1996, 33 Cgs 112/95.


höher bewertet als in der sozialen Wirklichkeit. Zweitens wird auch von der
Möglichkeit abstrahiert, eine (Zweit-)Wohnung zu vertretbaren Kosten zu finden. Die
Rechtssprechung geht von einer Mobilität aus, die oft über die realen Möglichkeiten
der Betroffenen hinausgeht (soweit sich diese nicht total verschulden wollen)13. Die
Rechtssprechung wäre nur bei einer geänderten Einstellung gegenüber behinderten
Personen und anderen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt aber auch bei
Kinderbetreuungseinrichtungen realistisch.

Wartezeit für die Invaliditätspension

Die erforderliche Versicherungsdauer hängt vor allem vom Alter der Betroffenen ab.
Für jüngere Invalide sind weniger Versicherungszeiten erforderlich als für ältere:

•   Wer vor Vollendung des 27. Lebensjahres invalid wird, braucht nur 6

Versicherungsmonate nachzuweisen14; Zeiten der freiwilligen Selbstversicherung
(Möglichkeit hiefür ab 1.1.1992 aufgrund der 5O.ASVG-Novelle als
Einstiegsversicherung) zählen hierbei nicht.15

•    Danach sind bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres 5 Versicherungsjahre (60
Versicherungsmonate) erforderlich; diese Zeiten müssen aber innerhalb der
letzten 10 Jahre liegen.

•   Ab Vollendung des 50. Lebensjahres erhöht sich die erforderliche

Versicherungsdauer um jenen Zeitraum, um den die Pension nach diesem
Lebensalter beansprucht wird. Beispiel: Wer zu seinem 54.Geburtstag eine
Invaliditätspension beantragt, muß 9 Versicherungsjahre nachweisen.

Diese Zeiten müssen innerhalb einer doppelt so langen Rahmenfrist liegen (im
Beispiel: zwischen dem vollendeten 36. und 54.Lebensjahr).'6 Mit Erreichung des
60. Lebensjahres müssen 15 Versicherungsjahre innerhalb der letzten 30 Jahre
nachgewiesen werden. Es handelt sich hier um eine Altersgrenze, die für Männer
und Frauen gleich geregelt ist.

•    In der seit 1.7.1993 bestehenden vorzeitigen Alterspension wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit wurde
die erforderliche Versicherungsdauer für jene, die ab
Vollendung des 55. Lebensjahres invalid werden (ab Herbst 1996: 57.Lebensjahr
bei Männern), in der Regel auf 10 Versicherungsjahre begrenzt (mit Rahmenfrist:
die Zeiten müssen innerhalb der letzten 20 Jahre liegen), seit Herbst 1996 sind
jedoch 15 Beitragsjahre (innerhalb der letzten 30 Jahre) erforderlich. Im

"   Die Rechtssprechung nimmt diesbezüglich zwar auf die gesundheitlichen Möglichkeiten (eines Wohnortwechsels) aber

nicht auf die finanziellen Möglichkeiten Rücksicht.
Diese Zeit gilt im Gesetz nicht als "Wartezeit"

"Diese Zeiten gelten generell nicht für die Wartezeit. Vgl Wörister 1995.
"Diese Rahmenfristen können sich jedoch - wie bei Alterspensionen - um "neutrale Zeiten" verlängern, wie z.B. Zeiten der

Arbeitslosigkeit ohne Arbeitslosengeldbezug.


Unterschied zur Invaliditätspension müssen jedoch noch zwei zusätzliche
Bedingungen erfüllt sein: a) Innerhalb der letzten 15 Jahre muß in mindestens
der Hälfte der Beitragsmonate eine gleiche oder gleichartige Beschäftigung
ausgeübt worden sein17 und b) innerhalb der letzten 15 Jahre müssen 6 Jahre
der Pflichtversicherung vorliegen (d.i. bei Beschäftigten). Diese Pension ist auch
mit einem großzügigeren Invaliditätsbegriff verbunden (siehe weiter unten).

•   Keinerlei Wartezeit ist für Invaliditätspensionen erforderlich, wenn die Invalidität
Folge eines Arbeitsunfalles, einer anerkannten Berufskrankheit oder einer
Dienstbeschädigung beim Bundesheer ist.

Wesentliche Veränderungen in den Wartezeitbestimmungen wurden mit der
40.ASVG-Novelle (1984) beschlossen.

Sonderregelungen für die Berechnung der Invaliditätspensionen

Die Höhe der Invaliditätspension wird ebenso berechnet wie die Alterspension. Dies
bedeutet, daß sie von der Versicherungsdauer und dem Einkommen im
Bemessungszeitraum abhängt.

Für jüngere Invalide gibt es jedoch eine Sonderregelung. Bis 30.6.1993 gab es
folgenden "Zurechnungszuschlag" (§ 261 Abs 2): Wenn die Invaliditätspension vor
Erreichung des vollendeten 50. Lebensjahres anfiel, wurde der - sich aus der
Versicherungsdauer ergebende Steigerungsbetrag18 - auf maximal 50% aufgestockt,
wobei pro Jahr vor Vollendung des 50. Lebensjahres eine Erhöhung um 1,9%
vorgesehen war19.

Mit der Pensionsreform 1993 wurden sowohl der maximale Steigerunqsbetrag als
auch die Altersgrenze angehoben und eine zusätzliche Grenze eingezogen. Im
einzelnen wurde festgesetzt:

•   Fehlende Versicherungszeiten werden nun bis zum vollendeten 56. Lebensjahr
berücksichtigt,

•   der sich daraus ergebende Steigerungsbetrag darf 60% nicht übersteigen und

•   der Zurechnungszuschlag wird nur in dem Ausmaß gewährt als die Summe von
Pension + allfälliges Erwerbseinkommen die Höhe der Bemessungsgrundlage
unterschreiten.20

•   Bei vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ist kein
Zurechnungszuschlag vorgesehen.

"Die Bedeutung dieser Regelung wird weiter unten näher erläutert.

"i,9% der Bemessungsgrundlage pro Versicherungsjahr für die ersten 30 Jahre.

"Diese Regelung war ein Ersatz für den in der 40. ASVG-Novelle (1984) abgeschafften "Grundbetrag" und "Grundbe-
tragszuschlag".

20Als Faustregel gilt, daß die Bemessungsgrundlage bei üblichen Einkommensverläufen (vor allem bei Männern anwendbar)
etwa 10% unter dem letzten Erwerbseinkommen liegt. Zu berücksichtigen ist, daß generell Brutto-Einkommen verglichen
werden.


Im Herbst 1996 wurde die Pensionsberechnung neu geregelt. Die Reform sah durch
eine Art von Abschlägen Anreize für eine Erhöhung des Pensionsalters (auch
Invaliditätspensionen!) vor. Die einzelnen Regelungen wurden jedoch derart
kompliziert und intransparent ausgestaltet, daß, eine Vereinfachung notwendig war.
Diese erfolgte im Rahmen einer größeren Pensionsreform (1997), die ab dem Jahr
2000 schrittweise wirksam wird. Mit dieser Reform wurden u.a. Maßnahmen be-
schlossen, die auf eine weitere Anhebung des faktischen Pensionszugangsalters
abzielten.

Ab dem Jahr 2000 gilt allgemein ein Steigerungsbetrag von 2% pro Jahr (Alters- und
Invaliditätspensionen). Wird jedoch die Pension vor Erreichung des gesetzlichen
Pensionsalters (Frauen: 60, Männer: 65) angetreten, verringert sich der
Steigerungsbatrag um 2 Prozentpunkte pro Jahr, maximal jedoch um 15% des
ursprünglichen Steigerungsbetrages.21 Hier gilt allerdings eine Sonderregelung für
Invaliditätspensionen: Der jährliche Steigerungsbetrag beträgt mindestens 1,8%,
soweit der gesamte Steigerungsbetrag maximal 60% beträgt.

•) Pensionshöhe-Steigerungsbetrag mal 1/100 der Bemessungsgrundlage (=Durchschnittseinkommen der 15
.besten' Jahre, falls weniger Durchschnittseinkommen)

**) Vorzeitige Alterspensionen (inkl. wegen geminderter Arbeitsfährigkeit).

Insgesamt ergibt sich aus den geltenden und neuen Bestimmungen, daß
Invaliditätspensionist/innen in der Regel mit einer geringeren Einkommensersatzrate

"Beispiel: Eine Frau geht mit 55 Jahren in Pension und kann 30 Versicherungsjahre nachweisen (etwa bei einer vorzeitigen
Alterspension wegen Arbeitslosigkeit oder wegen geminderter Arbeitsfähigkeit). Dies ergibt vorerst einen Steige-
rungsbetrag von 30 mal 2 - 60%. Pro vorgezogenes Jahr (insgesamt 5 Jahre vor dem regulären Pensionsalter) werden 5
mal 2 Prozentpunkte abgezogen - 10 Prozentpunkte. Da diese 10 Prozentpunkte einer Verminderung von 16,7% ent-
sprechen worden, aber eine Begrenzung von 15% vorgesehen ist, reduziert sich der ursprüngliche Steigerungsbetrag
(60%) nur um 15% (= 9 Prozentpunkte). Die Pension betragt in diesem Fall 51% der Bemessungsgrundlage. Mit dieser
Sonderregelung wurde vor allem Personen mit kurzer Versicherungsdauer (meist Frauen) entgegengekommen.


rechnen müssen als Alterspensionist/innen. Dies belegen auch die Daten des
Hauptverbandes bzw. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales:

Tabelle 2: Nettopension in % des letzten Nettoeinkommens (Neuzugänge  1997, Unselbständige)
(Durchschnitte):

 

 

Alterspensionen*)

 

Invaliditätspensionen")

 

Manner

 

84%

 

76%

 

Frauen

 

75%

 

66%

 

*) inkl. vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

**) ohne vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

1997 lag die mittlere neue Invaliditätspension eines männlichen Arbeiters mit öS
11.922 monatlich (Mediän, brutto, ohne zwischenstaatliche Pensionen) um 25%
unter dem Niveau der entsprechenden Alterspension männlicher Arbeiter (öS
15.859).

Grundsätzlich wäre hier die Frage zu stellen, ob dieser Berechnungsmodus nicht
eine Diskriminierung behinderter Menschen darstellt.22 Insbesondere ist auch noch
zu bedenken, daß Personen, die in jüngeren Jahren invalid werden,
Einkommenschancen nicht realisieren konnten und sich dies schon als solches in
der Bemessungsgrundlage niederschlägt - und damit auch auf das Pensionsniveau.

Zeitliche Befristung von Invaliditätspensionen

Seit 1996 sollen die Invaliditätspensionen aufgrund des Gesetztes in der Regel
zeitlich befristet werden (maximal 24 Monate), es sei denn, daß “auf Grund des
körperlichen oder geistigen Zustandes dauernde Invalidität anzunehmen ist" (§ 256
Abs 2). Bei weiter bestehender Invalidität wird die Pension weiter gewährt werden,
wenn innerhalb von 3 Monaten ein Antrag auf Weitergewährung gestellt wird (§ 256).
Faktisch werden Invaliditätspensionen weiterhin überwiegend unbefristet gewährt;
schließlich handelt es sich meist um chronische Leiden bzw. um ältere Personen
(siehe weiter unten).

Neben dieser im vorhinein befristet gewährten Pension kann auch eine dauernd
gewährte Invaliditätspension wieder entzogen werden, wenn die Voraussetzungen
nicht mehr gegeben sind. Wenn diese in der Wiederherstellung des körperlichen
oder geistigen Zustandes bestehen, fällt die Pension nach Ablauf des Monats weg,
der auf die Zustellung des Bescheides folgt (§ 99 Abs 3). Auf Grund der ständigen
Judikatur muß eine "wesentliche" Besserung eingetreten sein (Teschner/Widlar
1974, S. 580f). 1997 wurden von den Pensionsversicherungsträgern 500
Invaliditätspensionen wieder entzogen (Sozialrechtsstatistik des Hauptverbandes).

Vgl. Tälos/Wörister 1994, S. 159ff.


Rechtsweg

So wie alle übrigen Bescheide der Sozialversicherungsträger können auch
ablehnende Bescheide bzw. Entziehungen von den Betroffenen bekämpft werden.
Es besteht die Möglichkeit innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung des Bescheides
eine Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht einzubringen. Dadurch tritt
der Bescheid (im Umfang des Klagebegehrens) außer Kraft23. Weitere
Rechtsinstanzen sind das Oberlandesgericht (Berufung) und der Oberste
Gerichtshof (Revision).

1997 wurden von den Pensionsversicherungsträgern 15.000 Invaliditätspensionen
zuerkannt und 22.000 Anträge abgewiesen. Dies bedeutet, daß etwa 4 von 10
Anträgen im Sinne der Antragsteller entschieden wurden. Von den Abgewiesenen
ging - wie in den Vorjahren - etwa jede/r zweite in die nächste Instanz
(Sozialgericht). Dort war nur jede/r vierte Kläger/in erfolgreich.
Etwas günstiger ist die Situation bei jenen, die eine
vorzeitige Alterspension wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit beantragt haben. Hier wurden drei Viertel der Anträge
zugunsten der Antragsteller entschieden (13.000 Zuerkennungen, 4.000
Abweisungen). Auch jene, die gegen die Abweisung klagten, waren beim
Sozialgericht erfolgreicher (6 von 10).

2. Entwicklung der rechtlichen Bestimmungen

Für die weitere Entwicklung der Invaliditätspensionen waren zwei Reformen
bedeutsam, die anfang der 60-er Jahre beschlossen wurden:

a) Mit der Einführung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer
im Jahr 1961 sollte u.a. der hohen Zahl von Invaliditätspensionen (vor allem
innerhalb der Arbeiter) begegnet werden. Wer 35 Versicherungsjahre nachweisen
konnte und zuletzt beschäftigt war, konnte 5 Jahre vor dem normalen Pensionsalter
(Frauen: 60, Männer: 65) in Pension gehen.24 Wenngleich es sich hier um keine
Änderung von rechtlichen Bestimmungen bei Invaliditätspensionen handelte, steckte
hinter dieser Entscheidung doch die pauschale Annahme, daß eine derart lange
Erwerbstätigkeit zu einem gesundheitlichen Verschleiß führt.25

b) Ab 1962 wurde für Facharbeiter (und angelernte Arbeiter) der "Berufsschutz"
eingeführt. Seither können qualifizierte Arbeiter nicht mehr auf Hilfsarbeitertätigkeiten
verwiesen werde. Es handelte sich um eine Anpassung an eine ähnliche, bereits
bestehende, Regelung bei Berufsunfähigkeitspensionen (Angestellte).

23   Ein Problem im Rahmen des Verfahrens stellen die wenig informativen Bescheide der Pensionsversicherungsträger dar.
Diesen Bescheiden sind kaum Details Ober die Ablehnungsgründe zu entnehmen. Aufgrund dieses Umstandes muß das
Verfahren beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht breit aufgerollt werden. Neben der Prüfung der rechtlichen
Aspekte werden auch alle medizinischen Untersuchungen wiederholt. Diese waren jedoch großteils überflüssig, wenn die
abgewiesenen Antragsteller Ober die festgestellten Einschränkungen der Erwerbsminderung informiert würden.

14   Daneben sind noch einige andere Voraussetzungen erforderlich (gewesen), auf die hier nicht näher eingegangen wird.

"   Es soll durch diese neue Alterspension die Möglichkeit eröffnet werden, daß der (die) Versicherte bei langer Versiche-
rungsdauer und großer Dichte des Versicherungsverlaufes in der letzten Zeit vor dem vollendeten 65. bzw. 60. Lebens-
jahr ohne vorherige ärztliche Untersuchung ... in den Pensionsbezug gelangen kann." Aus: Teschner,H./Widlar. P. a.a.O.
S. 1279.


Tätigkeitsschutzfür Ab55jährige ab 1981

Die nächste größere wesentliche Rechtsänderung erfolgte 1980 (wirksam ab 1981)
für Personen, die das 55. Lebensjahr vollendet haben. Mit dieser Reform wurde auch
eine Art Berufsschutz für Hilfsarbeiter geschaffen, die innerhalb der letzten 15 Jahre
überwiegend eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt haben. Sie können
seither bei Vorliegen der entsprechenden gesundheitlichen Voraussetzungen auf
keine andere Tätigkeit mehr verwiesen werden. Damit wurde zugleich der sich
verschlechternden Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmer Rechnung
getragen.26

Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses speziellen Tätigkeitsschutzes war das
Vorliegen von 180 (bemessungswirksamen27) Versicherungsmonaten. Diese
Regelung war somit strenger als bei den übrigen Invaliditätspensionen. Damals
waren in dieser Altersgruppe hierfür 5 - 8 Versicherungsjahre erforderlich und ab
1985 wurde dann die Wartezeit schrittweise auf 10 (55jährige) bis 15 Jahre
(60jährige) angehoben (näheres siehe weiter unten).

Die Regelung galt ursprünglich nur für Hilfsarbeiter. Sie wurde 1983 (39. ASVG-
Novelle, wirksam ab 1.1.1984) auf angelernte Arbeiter und Facharbeiter ausgeweitet.
Mit der Pensionsreform 1993 wurde diese besondere Bestimmung für ältere Invalide
in eine eigene Alterspension für Ab55-jährige
(vorzeitige Alterspension wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit)
übergeführt. Anders als bei der alten Regelung fällt
diese Pension jedoch weg, wenn eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, bei der ein
Einkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielt wird. Außerdem waren für
diese Pension vorerst generell nur mehr 10 Versicherungsjahre (innerhalb einer
Rahmenfrist von 20 Jahren) erforderlich.

Diese Reform hat in der Folge zu einer beträchtlichen Verwirrung über die
Entwicklung der “Frühpensionen" geführt (Problem der Statistik, siehe weiter unten).

Änderung der Wartezeitbestimmungen

Bis 1984 waren für den Pensionsanspruch 5 Versicherungsjahre innerhalb der
letzten 10 Jahre erforderlich, wenn der Versicherungsbeginn vor Vollendung des
50. Lebensjahres lag. Wenn der erste Versicherungsmonat danach lag, mußten 8
Versicherungsjahre nachgewiesen werden.

Aufgrund dieser Regelung konnten auch ältere Menschen mit einer vergleichsweisen
kurzen Versicherungsdauer einen eigenen Pensionsanspruch erwerben. Dies kam
vor allem Frauen (etwa in der Landwirtschaft nach Übergabe des Betriebes durch
den Ehegatten) und einzelnen Beschäftigtengruppen (etwa pragmatisierten

26   Zu erwähnen wäre hier, daß ein Jahr davor die allgemeine Sonderunterstützung geschaffen wurde; diese ermöglichte - bei
Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (vor allem auf Arbeitslose zugeschnitten) - eine Art vorzeitiger Pensionierung ab
dem vollendeten 54. (Frauen) bzw. 59. (Männer) Lebensjahr. Diese Art des Vorruhestandes wurde jedoch inzwischen
weitgehend beseitigt

27   Ein Teil der Ersatzzeiten zählt nur für die Wartezeit aber nicht für die Höhe der Leistung.


Eisenbahnern nach deren Pensionierung zumeist ab vollendetem 53. Lebensjahr28)
zugute. 1984 wurden diese Bestimmungen verschärft. Bei Erreichung des
60. Lebensjahres sind nun ebenso viele Versicherungszeiten wie für die
Alterspension erforderlich (15 Jahre).

Ab 1.4. 1991 kein Pensionsanfall bei aufrechtem Dienstverhältnis

Aufgrund des Sozialrechtsänderungsgesetzes 1991 (BGBI Nr. 157/91) darf bei
Pensionsantritt in der Regel keine Pflichtversicherung bestehen. Früher konnte eine
Invaliditätspension grundsätzlich auch bei aufrechtem Dienstverhältnis (zumeist
während des Krankenstandes) anfallen. Nach dieser neuen Bestimmung fällt die
Pension erst an, wenn das Dienstverhältnis aufgelöst wurde. Eine spätere Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit führt jedoch nicht zum Verlust der Pension.

3. Daten/Studien zur Invaliditätspension

Den Großteil der - kleineren und größeren - Studien hat der Autor selbst im Rahmen
seiner Tätigkeit in der Arbeiterkammer gemacht bzw. daran mitgearbeitet.29
Eine Problematik bei Analysen besteht darin, daß in Österreich die
Invaliditätspensionen bis zum Tod als solche gezählt werden. Dazu kam noch, daß
neuzugegangene Pensionen an Ältere seit 1993 als “vorzeitige Alterspension"
gelten. Dies hat in Österreich zu großer Verwirrung geführt, da diese Pensionen in
Österreich gerne als “Frühpensionen" bezeichnet werden.

Verwirrung aufgrund der Daten

Im Unterschied zu den Invaliditätspensionen gelten vorzeitige Alterspensionen in der
Statistik nur bis zur Erreichung des regulären Pensionsalters (Frauen: 60, Männer.
65) als solche. Danach werden sie in “normale Alterspensionen" umgewandelt. Dies
gilt nun auch für die vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.
Da die nun steigende Zahl dieser Pensionen auch den “Frühpensionen"
zugeschlagen wird, stieg die Zahl dieser Pensionen in den letzten Jahren gewaltig
an. Hinzu kam noch eine außergewöhnliche demografische Entwicklung. Aufgrund
des starken Geburtenrückgangs in den 30er-Jahren und eines Geburtenbooms
zwischen 1938 und 1942 stieg zwischen 1993 und 1998 die Zahl der 55-59jährigen
um ca. 50% an. Zusätzlich verstärkt wurde die Entwicklung durch die neue
Anrechnung von Kindererziehungszeiten ab 1993, die vielen Frauen eine frühere
Pensionierung ermöglicht hat.

In der öffentlichen Diskussion über diese Entwicklung waren diese Faktoren viel
zuwenig bewußt. Zugleich wurden die - nun weniger werdenden -
Invaliditätspensionen ausgeblendet, über die man in den keine vergleichbaren Daten

28   Auf diese Weise konnten sie im Rahmen einer kleineren Beschäftigung neben ihrer Eisenbahnerpension zusätzlich einen

ASVG-Pensionsanspruch erwerben.
29   Z.B. Wörister 1982, Wörister 1986, Finder 1995, Tomand/Mazal 1997, Obermayr u.a. 1991, Bundesarbeitskammer

1993, Wörister/Marischka 1997.


hatte. Diese Pensionen werden nur einmal jährlich nach Alter ausgewiesen (jeweils

im Sommer für den letzten Dezember); die Daten sind daher nicht so aktuell wie die

monatlichen Daten über die Zahl der einzelnen Personen und gehen daher in der

Berichterstattung gerne unter.

Mit den vorangegangen Anmerkungen soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß

die Diskussion hierzulande aufgrund der Datenlage häufig sehr irrational geführt

wird.

Im folgenden soll nun die Entwicklung der “Frühpensionen" und der

Invaliditätspensionen seit 1990 in Österreich dargestellt werden.

Aus Tabelle 3 wird deutlich, wie verwirrend Statistiken sein können. Sie zeigt aber
die tatsächlichen Entwicklungen der einzelnen Pensionsarten. Besonders wichtig ist
dabei auch die Unterscheidung nach Geschlecht. So ist die besonders starke
Dynamik bei Frauen ersichtlich, bei denen die demografische Entwicklung (vorzeitige
Alterspensionen zwischen 55 und 59 Jahren) und die Auswirkungen der neuen
Anrechnung von Kindererziehungszeiten ins Gewicht fällt.

Innerhalb der Männer hat die demografische Entwicklung vor allem bei den
Invaliditätspensionen insgesamt Wirkung gezeigt, da schließlich ein großer Teil der
Invaliditätspensionen erst in dieser Altersgruppe anfällt. Frauen konnten wiederum
aufgrund der größeren Zahl von Versicherungszeiten (Zeiten der Kinderbetreuung)
verstärkt auf vorzeitige Alterspensionen ausweichen, wodurch der Invalidenanteil
rückläufig war. Während bei Männern die Zahl aller “Frühpensionen" in den 7 Jahren
um 5% stieg, betrug bei Frauen die Steigerung 61%.


Insgesamt ist in diesem Zeitraum die Anzahl der Invaliditätspensionen (insgesamt)
von 190.000 auf 222.000 gestiegen (+ 17%). Da in Österreich wie in anderen
Staaten die Zunahme der Invaliditätspensionen in einem engen Zusammenhang mit
der Entwicklung der Arbeitslosigkeit steht, ist hier wohl auch ein Vergleich mit dieser
Entwicklung interessant.

Im Jahresdurchschnitt stieg die Zahl der Arbeitslosen zwischen 1990 und 1997 von
166.000 auf 233.000, was einer Zunahme von 40% entpricht. Deren Anzahl ist also
in diesem Zeitraum wesentlich stärker gestiegen als die Zahl der
Invaliditätspensionen.

Inklusive Beamte: Rund 260.000 Invaliditätspensionen (1997)

Nicht enthalten sind in diesen Daten die “Invaliditätspensionen" bei Beamten. Hier
liegen keine exakten Zahlen vor. Seit einigen Jahren errechnet jedoch der
Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger alljährlich die Zahl
aller Pensionen nach Alter, wobei jedoch bei den Beamtenpensionen ein Teil fehlt
(Beamte einiger Bundesländer und Gemeinden ca. knapp 20%). Aus diesen
Berechnungen geht hervor, daß 33.000 Beamte in den Altersgruppen bis 59 Jahren
einen “Ruhegenuß" beziehen. Diese Zahl entspricht in etwa den Pensionen wegen
Invalidität, da für Beamte eine einheitliche Altersgrenze von 60 Jahren für die
Altersleistung gilt. Berücksichtigt man die in dieser Zahl nicht enthaltenen
Beamtengruppen, läßt sich sagen, daß es Ende 1997 in Österreich insgesamt rund
260.000 Invaliditätspensionen gab. Diese Zahl liegt also deutlich höher als die Zahl
der Arbeitslosen.

Im folgenden sollen folgende Themen angeschnitten werden:

•   Arbeitsmarkt und Invalidität

•    Invalidisierungsrisiko (Alter, Gruppen von Erwerbstätigen, Regionen),

•    Invaliditätsursachen (Krankheitsgruppen)

Arbeitsmarkt und Invalidität

Nach Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales
sind 1997 ein Viertel (26%) der neuen Invaliditätspensionistlnnen (insgesamt; nur
unselbständig Erwerbstätige) aus der Arbeitslosigkeit heraus in Pension gegangen
und weitere 25% bezogen Krankengeld.30 Bei Arbeiterinnen ist der Arbeitslosenanteil
etwas höher, bei Angestellten etwas niedriger.

Nach einer Studie des BMAGS waren 1991 30% der von der Pensionsversicherung
abgewiesenen AntragstellerInnen arbeitslos und 15% im Krankenstand. Waren 1991
noch 40% in einem Beschäftigungsverhältnis, waren 2 Jahre später nur mehr 17% in
einem aufrechten Dienstverhältnis (gleiche Personengruppe) (Finder 1995, S. 118f.).

30   Ergebnis eigener Berechnungen anhand der Daten, die dem Autor zur Verfügung gestellt wurden. Die Daten wurden an-
hand von Pensionszugangsdaten von Herrn Stefanits (BMAGS) errechnet (Verwaltungsstatistik).


Aus diesen Daten ist ersichtlich, daß die Chancen dieser Gruppe (abgewiesene
Antragsteller) auf einen Arbeitsplatz sehr gering sind.
Welche Auswirkungen Einschränkungen bei den Invaliditätspensionen auf den
Arbeitsmarkt haben können, läßt sich an der Entwicklung 1996/1997 zeigen. Nach
dem ab Oktober 1996 die Altersgrenze für vorzeitige Alterspensionen wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit bei Männern von 55 auf 57 Jahre hinaufgesetzt wurde,
ist die (nationale) Arbeitslosenquote innerhalb der 55-59jährigen Männer von 10,4%
(1996) auf 11,3% (1997) und 1998 weiterauf 12,7% angestiegen. Während die Zahl
der neuzugegangenen Pensionen (vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit) zwischen 1996 und 1997 bei Männern (vor allem: Arbeiter) um
6.600 gesunken ist, stieg die Zahl der arbeitslosen Männer in der Altersgruppe der
55-59jährigen zwischen September 1996 und September 1998 um knapp 6.000 an
(von 9.500 auf 15.200).

Erwerbstätigkeit von Invaliditätspensionistlnnen

Die österreichische Pensionsversicherung kennt praktisch keine Teilinvalidität
(Ausnahme: Bergarbeiter). Es ist aber möglich, während des Pensionsbezuges eine
Erwerbstätigkeit auszuüben, etwa in einem Beruf, der nicht den “Berufsschutz"
begründet hat, im Rahmen von Teilzeitarbeit etc.. Deren Anteil ist jedoch sehr
gering. Ende 1997 waren nach Berechnungen des Hauptverbandes der öster-
reichischen Sozialversicherungsträger bzw. eigenen Berechnungen auf Basis dieser
Daten von den 162.000 Invaliditätspensionistlnnen im Erwerbsalter51 3.700
erwerbstätig (ohne geringfügige Beschäftigungsverhältnisse). Dies entspricht einem
Anteil von 2,3% der Invaliditätspensionistlnnen. Auffallend ist dabei, daß fast die
Hälfte dieser Erwerbstätigen selbständig erwerbstätig waren (1.700).
Ab dem 1. Jänner 2001 gelten neue Regelungen für erwerbstätige PensionistInnen (§
254 ASVG). Wenn dann ein Erwerbseinkommen erzielt wird, das über der
Geringfügigkeitsgrenze liegt, gilt die Invaliditätspension als
Teilpension. Zu einer
Kürzung der Pension kommt es allerdings erst dann, wenn das Gesamteinkommen
(Pension+Erwerbseinkommen) über öS 12.000,- liegt. Darüberliegende Einkommen
werden mit 30% (bis öS 18.000,-), 40% (zwischen öS 18.000,- und öS 24.000,-) bzw.
50% (Einkommensteile über öS 24.000,- Gesamteinkommen) auf die Pension
angerechnet. Diese Regelung entspricht einem progressiven Steuersatz zwischen
30% und 50%. Der entsprechende Anrechnungsbetrag darf jedoch 50% der Pension
oder das Erwerbseinkommen nicht übersteigen.

Invalidisierungsrisiko

Eine Analyse der Daten zeigt, daß Invalidisierungsrisiko bei einzelnen Gruppen sehr
unterschiedlich ist. Abgesehen davon, daß Ältere besonders häufig invalid werden,

31   Ohne vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit; bei diesen fällt die Pension weg, wenn eine-
Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, bei der das erzielte Einkommen Ober der Geringfügigkeitsgrenze liegt


sind vor allem Arbeiterinnen und Bauern/Bäuerinnen sowie Personen in besonders
belastenden Berufen besonders häufig von Invalidität betroffen.
Bezogen auf die Anzahl aller neuzugegangenen Eigenpensionen gingen 1998 60%
der männlichen Arbeiter, aber nur 41% der männlichen Angestellten und der
selbständig Erwerbstätigen (ohne Bauern) wegen Invalidität in Pension (Bauern:
54%). Innerhalb der Frauen nahmen die Bäuerinnen einen Spitzenplatz ein (47%),
danach folgten Arbeiterinnen (27%), Selbständige (ohne Bäuerinnen) (22%) und
Angestellte (15%).

Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen ergeben sich im wesentlichen
aufgrund des unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsalters. Vergleicht man das
Invalidisierungsrisiko nach Altersgruppen (neue Invalide in % der Beschäftigten in
einer Altersgruppe), dann zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der
Krankenstandsstatistik: weibliche Angestellte sind eher krank bzw. werden häufiger
invalid als ihre männlichen Kollegen, innerhalb der Arbeiter wiederum werden
Männer etwas häufiger invalid als Arbeiterinnen. Dieses unterschiedliche Risiko wird
im folgenden am Beispiel der 45-49jährigen für das Jahr 1995 gezeigt (Tabelle 4):

Tabelle 4:    Krankenstandshäufigkeit und Invalidisierungsrisiko 1995 (45-49jährige Arbeiterinnen)

 

 

Arb/M

 

Arb/F

 

Ang/M

 

Ang/F

 

Krankenstandstage pro Beschäftigte

 

23,7

 

22,7

 

10,2

 

13.8

 

Neue Invalide auf 10.000 Beschäftigte

 

127

 

111

 

44

 

58

 

Quellen: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, eigene Berechnungen

Anmerkung: Derartige Berechnungen wurden vom Autor auch für frühere Jahre mehrmals erstellt; die Relationen

zwischen den Gruppen blieben im wesentlichen unverändert.

Daten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter zeigen auch deutlich, daß der
Anteil der Invaliditätspensionen bei einzelnen
Berufsgruppen unterschiedlich ist. So
lagen etwa 1997 bei den männlichen Arbeitern die Invaliditätsquoten innerhalb der
neuzugegangenen Alterspensionen zwischen 71% (Chemiearbeiter) und 54%
(öffentlicher Dienst), wenn man hierbei nur jene Gruppen berücksichtigt, bei denen
mindestens 300 Arbeiter in Pension gingen (Alters- und Invaliditätspensionen)
(Bundesarbeitskammer 1999). Besonders hoch ist auch der Invalidenanteil im
Bereich der Fremdenverkehrsbetriebe (70%).

Daten aus dem Jahr 1992 zeigen auch, daß große regionale Unterschiede bestehen.
Gingen innerhalb der männlichen Arbeiter in den östlichen Bundesländern
Niederösterreich 43% und in Burgenland 47% wegen Invalidität in Pension, waren
dies in den Fremdenverkehrsbundesländern Kärnten 75%, in Salzburg 73%, in
Vorarlberg 70% und in Tirol 68% (eigene Berechnungen auf Grundlage von Daten
der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter).


Invaliditätsursachen

1997 entfielen 70% der neuzuerkannten Invaliditätspensionen auf 3
Krankheitsgruppen:

•   42% auf Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates

•    15% auf psychiatrische Krankheitsgruppen

•    13% auf Herzkreislauferkrankungen

Dieses Bild ergibt sich, wenn man die Neuzugänge aller Altersgruppen in der
gesamten Pensionsversicherung betrachtet (inklusive vorzeitige Alterspensionen
wegen geminderter Arbeitsfähigkeit).

Die Struktur ist jedoch in den einzelnen Altersgruppen sehr verschieden. Anhand der
detaillierten Jahresberichte der beiden größten Pensionsversicherungsträger
(PVA
der Arbeiter, PVA der Angestellten)
läßt sich ermitteln, aus welchen gesundheitlichen
Gründen in den einzelnen Altersgruppen Invaliditätspensionen zuerkannt werden.
Eine derartige Berechnung wurde vom Autor für das Jahr 1995 angestellt (siehe
Tabelle 5). Sie zeigt, daß etwa bei den Unter-29jährigen Invaliden 35% auf
psychiatrische Leiden entfielen und 23% auf Unfälle; in der Gesamtheit aller
Altersgruppen entfielen hingegen nur 13% auf psychiatrische Leiden und 3% auf
Unfälle. Innerhalb der Ab55jährigen, auf die mehr als die Hälfte der
Invaliditätspensionen entfielen, gingen 58% wegen Krankheiten des Bewegungs-
und Stützapparates in Pension, 15% wegen Herz- und Kreislauferkrankungen und
6% wegen psychiatrischer Leiden; 3% entfielen auf Unfälle.
In den 10Jahres-Altersgruppen waren psychiatrische Leiden innerhalb der
Unter50jährigen jeweils die häufigste Invaliditätsursache (jeweils bei Arbeiterinnen
und Angestellten). Innerhalb der 40-49jährigen entfiel noch fast jede vierte neue
Invaliditätspension (23%) auf diese Krankheitsgruppe.

In der Pensionsversicherung der Unselbständigen liegen für einen längeren Zeitraum
Daten über die Invaliditätsursachen vor. Diese zeigen, daß zwischen 1975 und 1995
der Anteil der Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates von 16% auf 44%
angestiegen ist. Besonders stark war die Steigerung zwischen 1980 und 1985 (+17
Prozentpunkte); diese Entwicklung erklärt sich vor allem daraus, daß ab 1981
besonders günstige Zugangsvoraussetzungen für Ältere (ab 55 Jahren) gelten und
daher der Anteil der Älteren innerhalb der Neuzugänge stark zugenommen hat.
Aufgrund der höheren Altersgrenze (57 für Männer), für die diese
Sonderbestimmungen gelten, ab Herbst 1996 ist der Anteil dieser Krankheitsgruppe
im Jahr 1997 auf 40% gesunken.

Im angeführten 20Jahreszeitraum hat sich der Anteil der - früher dominanten -
Herz-/Kreislauferkrankungen von 31% auf 14% halbiert. Ähnliches gilt für
Krankheiten des Nervensystems (von 9% auf 3%). Dies bedeutet aber nicht, daß die
Wahrscheinlichkeit gesunken wäre, wegen dieser Krankheiten invalid zu werden. Zu
bedenken ist schließlich, daß die Invaliditätspensionen insgesamt stark


zugenommen haben und so - selbst bei gleichbleibender

Invalidisierungswahrscheinlichkeit bei den zwei angeführten Krankheitsgruppen - der
Anteil sinken mußte.

Beachtlich ist jedenfalls auch, daß, der Anteil der psychiatrischen Leiden in den zwei
Jahrzehnten von 6% auf 12% gestiegen ist. Der weiter stark steigende Anteil bis zum
Jahr 1997 (16%) muß jedoch im Zusammenhang mit dem Rückgang der
Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates aufgrund der pensionsrechtlichen
Neuerungen gesehen werden.


Tabelle 5      Invaliditätsursachen nach Alter (PV der Unselbständigen)
Von 100 Neuzugängen entfielen auf die einzelnen Krankheilsgruppen

 

 

Altersgruppen

 

Krankheitsgruppen

 

-29

 

30-39

 

40-49

 

50-54

 

55-

 

Gesamt

 

Skeletts/Muskeln/BGW

 

6

 

9

 

21

 

29

 

58

 

43

 

Herz-/Gefäß-/Kreislauf

 

4

 

5

 

13

 

17

 

15

 

14

 

Psychiatr. Krankheiten

 

35

 

37

 

23

 

15

 

6

 

13

 

Krebs

 

6

 

7

 

9

 

9

 

3

 

5

 

Kh. der Atmungsorgane

 

1

 

1

 

4

 

4

 

5

 

4

 

Kh.d. Nervensystems

 

7

 

8

 

5

 

3

 

1

 

3

 

Arbeitsunfälle

 

8

 

4

 

4

 

3

 

2

 

2

 

Kh. Verdauungssystem

 

2

 

3

 

4

 

2

 

1

 

2

 

Endokrinopathien

 

2

 

5

 

3

 

2

 

2

 

2

 

Freizeitunfälle

 

15

 

6

 

3

 

2

 

1

 

2

 

Sonstige

 

15

 

14

 

12

 

13

 

6

 

10

 

Insgesamt

 

100

 

100

 

100

 

100

 

100

 

100

 

Anzahl der Neuzugänge

 

600

 

1.700

 

4.800

 

6.600

 

17.600

 

31.500

 

Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit + vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit ohne Invaliditätspensionen an Witwen mit 4 Kindern (ab 55; § 254 Abs 4 ASVG)
Anmerkung: Auf die Eisenbahner und Bergarbeiter entfielen 2% der neuen Invaliditätspensionen.
Quellen: Jahresbericht der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter 1995, Jahresbericht
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten 1995, eigene Berechnungen.


Literatur:

Berger. J., Einführung in das Österr. Arbeits- und Sozialrecht, Wien 1993.
Bundesarbeitskammer, Die Lage der Arbeitnehmer 1993 (S.99-116).
Bundesarbeitskammer (Wien), Wirtschafts- und sozialstatistisches Taschenbuch 1999.

Bundesarbeitskammer (Wien), Statistische Informationen, November 1998 (Arbeits- und Sozial-
rechtsverfahren 1970-1997; Karl Wörister).

Finder, R., Entwicklung der Invaliditätspensionen, in: Bericht über die soziale Lage 1994, S. 101-122.
BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Wien 1995. (Studie unter Mitarbeit des Autors)

Marischka, Chr., Ergebnisse einer Analyse von von medizinischen Gutachten im sozialgerichtlichen
Verfahren. In: Das Recht der Arbeit 42 (1992), S.161-164.

Obermayr, U, u.a. (u.a. der Autor), Fakten und Trends zur Invaliditätspension, in: Soziale Sicherheit

44(1991), S. 296-316).

Tálos.E.Wörister.K., Soziale Sicherung im Sozialstaat Österreich. Baden-Baden 1994.

Teschner H./Widlar P., Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (Kommentar), Wien 1974 (Loseblatt-
sammlung).
Tomandl Th./Mazal W., Das Invaliditätsproblem. Wien 1997. (Studie unter Mitwirkung des Autors)

Wörister, K., Soziologische Betrachtungen zum Schiedsgerichtsverfahren. In: Das Recht der Arbeit 32
(1982), S. 397-403.

Wörister, K., Ergebnisse einer Analyse von medizinischen Gutachten im Schiedsgerichtsverfahren. In:
Das Recht der Arbeit 36 (1986), S. 452-456.

Wörister, K., Die freiwilligen Versicherungen in der österreichischen Sozialversicherung. In: Ausge-
wählte Probleme des österreichischen Sozialversicherungsrechts, Band l, hg. von Flemmich, G.;
Wien 1995.

Wörister, K./Marischka, Chr., Sozialgerichtsverfahren: Aktuelle Daten und
Entwicklungen. In: Soziale Sicherheit 50(1997), S. 248-260.


Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Aktuelle Daten

Mag. Karl Wörister/Abt. Wirtschaftswissenschaften - AK Wien

Oktober 2000
“Frühpensionen": Alters- und Invaliditätspensionen im Erwerbsalter

Ende 1999 entfielen nach den Daten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialver-
sicherungsträger in der gesamten Pensionsversicherung folgende Eigenpensionen auf
Personen im Erwerbsalter:

Pensionsart                                                                                             Anzahl

Vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer                                          131.400
Vorzeitige Alterspension wegen Arbeitslosigkeit: 18.600
Gleitpensionen 800
Vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit______81.500_______


Invaliditätspensionen im Erwerbsalter (F bis 59, M bis 64)_______144.500_______

•    Addiert man diese Zahlen, ergibt dies eine Summe von 377.000 PensionistInnen, die das
gesetzliche Pensionsalter (Frauen: 60, Männer: 65) noch nicht erreicht haben. Davon
entfielen 60% auf Pensionen aus Gesundheitsgründen.

•    Die oben angeführte Gesamtzahl beinhaltet neben den vorzeitigen Alterspensionen -
anders als in den monatlichen APA-Meldungen - auch die Invaliditätspensionen im
Erwerbsalter (Frauen: bis 59, Männer: bis 64).32

•    In der PV der Unselbständigen entfielen von den 327.000 Frühpensionen 194.000 auf
Pensionen wegen Erwerbsminderung, was einem Anteil von 59% entspricht (Männer:
73%, Frauen: 37%). Am höchsten war der Anteil von Pensionen aus Gesundheits"
gründen bei männlichen Arbeitern mit 81 %! (l 113.000 von 139.000 - siehe Grafik).

•    Wichtig für eine korrekte Beurteilung der Entwicklung bei den Frühpensionen bzw.
Pensionen aus Gesundheitsgründen ist die Beachtung der außerordentlichen
demografischen Entwicklung in den 90er-Jahren. So ist zB die Zahl der 55jährigen
zwischen 1992 und 1995 um 58% (!!) gestiegen.

•    Alter der InvaliditätspensionistInnen: Ende 1999 waren 58.000 Invaliditäts-
pensionistInnen jünger als 55 Jahre. Davon waren 10.400 jünger als 40, 21.100 waren
zwischen 40 und 49 Jahre alt und 26.400 zwischen 50 und 54 Jahre.

Neuzugänge 1999

•    In der gesamten Pensionsversicherung wurden 1999 86.000 neue Eigenpensionen
zuerkannt, davon entfielen 18% auf Invaliditätpensionen (15.600) und 17% auf vorzeitige
Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (14.300). Damit entfielen insgesamt
35% auf Pensionen aus Gesundheitsgründen (Männer: 47%, Frauen: 21%).

•    Bezogen auf die 69.000 neuen Frühpensionen (=vorzeitige Alterspensionen und

Invaliditätspensionen) entfielen 44% auf Pensionen aus Gesundheitsgründen (vorzeitige
Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und Invaliditätspensionen). Innerhalb
der Männer waren es mehr als die Hälfte (53%), bei Frauen 30%.
Besonders hoch war der Anteil bei männlichen Arbeitern und Bauern bzw

32 Sie liegt daher deutlich höher als die allmonatlich von der APA veröffentlichten Zahlen Ober “Frühpensionen", in der nur
die Entwicklung der vorzeitigen Alterspensionen dargestellt wird. Die entsprechenden Zeitreihen ergaben ein falsches
Bild über die tatsächliche Entwicklung, da aufgrund der Reform 1993 die Zahl der neugeschaffenen vorzeietigen
Altenpension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bis zum Jahr 2003 steigen mußte (von null an) und zugleich die Zahl
der Invaliditätspensionen im Erwerbsalter sinken mußte. Es handelte sich schließlich im wesentlichen um eine
Umwandlung von Invaliditätspensionen an ab 55-jährige (ab 1996: Männer ab 57) in vorzeitige Alterspensionen.


Bäuerinnen. Innerhalb dieser Gruppen gingen jeweils zwei Drittel der
FrühpensionistInnen aus Gesundheitsgründen in Pension.

•    1999 waren 5.500 neuen InvaliditätspensionistInnen jünger als 50 Jahre (36% der
Neuzugänge), 5.100 waren bei Pensionsantritt zwischen 50 und 54 Jahre alt (34%).

•    Unmittelbar vor Pensionsantritt waren 1998 nur mehr 30% der Invaliditäts-

pensionistInnen und die Hälfte der vorz. Alterspensionistlnnen (wegen gem. Arb.f.)
erwerbstätig. Der Rest war arbeitslos oder bezog Krankengeld. (Berechnungen des
BMSG für Unselbständige).

•    Den 30.000 Zuerkennungen bei Pensionen aus Gesundheitsgründen standen 28.300
Ablehnungen gegenüber. Dies bedeutet, daß etwa die Hälfte der Pensionsanträge
abgewiesen wurden. Bei Invaliditätspensionen wurden 60% der Anträge abgewiesen, bei
vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit 24%.

•    Etwa jede/r zweite abgewiesene Antragstellern reichte gegen die Entscheidung beim
Arbeits- und Sozialgericht eine
Klage ein (ca 15.000; 13.000 wegen Invaliditätspension
und 2.000 wegen vorzeitiger Alterspension bei geminderter Arbeitsfähigkeit).

•    Von den im Jahr 1999 in der ersten Instanz erledigten Verfahren (13.000) waren nur ca
4.000 bzw ein Drittel für die Klägerinnen erfolgreich. Bei Verfahren wegen einer
Invaliditätspensionen waren es nur 28% und bei vorzeitigen Alterspension wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit
rund sechs von zehn Klägerinnen.

Invaliditätsursachen - inkl.vorz. Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit

Von den 29.200 Neuzuerkennungen33 entfielen 1999 in der gesamten
Pensionsversicherung..

-    12.200 auf Krankh. des Bewegungs- und Stützapp. (42% - Arb: 44%, Ang: 29%),

-    5.100 auf psychiatrische Leiden (17% - Arb: 16%, Ang: 27%),

-    3.700 auf Herz-/Kreislauf- und Gefäßkrankh.(13% - Arb: 12%, Ang: 13%) und

-    1.900 auf Krebs (7% - Arb: 6%, Ang: 8%).

Damit entfielen 78% aller Zuerkennungen auf diese vier Krankheitsgruppen.
Auffallend ist, daß - wie bei den Krankenständen - der Anteil
psychiatrischer
Leiden
von Jahr zu Jahr deutlich ansteigt. Bei jüngeren Invaliden (bis 40jährige,
Neuzugänge) liegt deren Anteil als Invaliditätsursache zwischen 40 und 50%, dies
sowohl bei Arbeiterinnen als auch Angestellten (siehe Grafiken im Anhang).

.   Innerhalb der Invaliditätspensionen (ohne vorzeitige Alterspensionen) stellen
die psychiatrischen Leiden die häufigste Ursache dar. 1999 gingen in der

11 Ohne “Invaliditätspensionen" an Witwen mit mindestens vier Kindern ab dem vollendendeten 55. Lebensjahr.


gesamten Pensionsversicherung 26% der neuen Invaliditätspensionistlnnen
deswegen in Pension (Frauen: 32%, Männer: 22%). Danach folgten mit einem
Anteil von 23% Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates (Frauen: 22%,
Männer: 24%) und Herz-/Kreislauf-erkrankungen (12%).
•    Innerhalb der vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter

Arbeitsfähigkeit dominierten Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates
(62% der Neuzugänge). Danach folgten Herz-/Kreislauferkrankungen (13%) und
psychiatrische Leiden (8%).

Invaliditätspensionen bei Männern rund ein Drittel niedriger als
Alterspensionen

Ein Vergleich der neuzuerkannten Alters- und Invaliditätspensionen im Jahr 1999 ergibt
folgendes Bild:

•    Der Mediän der Invaliditätspensionen lag bei Männern um 36% unter jenem der
Alterspensionen, bei Frauen um 20% darunter.
Hinweis: 63% der Invaliditätspensionen entfielen auf Männer und 37% auf Frauen.

•    Wegen des besonders hohen Invalidenanteils innerhalb der Arbeiterinnen und der
Bauern/Bäuerinnen wird wegen des allgemein niedrigeren Pensionsniveaus bei diesen
beiden Gruppen der Unterschied vergrößert. Eine nach Gruppen getrennte Darstellung
ergibt daher ein besseres Bild:

•    Innerhalb der männlichen Arbeiter, Angestellten und Gewerbetreibenden lag die
Invaliditätspension jeweils um 32% niedriger als die Alterspension (Vergleich des
Medians). Innerhalb der männlichen Bauern war die Differenz etwas geringer (-26%).

•    Berufsunfähige weibliche Angestellte erhalten um 30% weniger als

Alterspensionistinnen und erwerbsunfähige weibliche Gewerbetreibende um 26%
weniger.

•    Gering bzw nicht vorhanden ist der Unterschied bei Arbeiterinnen und Bäuerinnen.
Diese haben sowohl sehr niedrige Invaliditäts- als auch Alterspensionen; der Mediän liegt


bei beiden Pensionsarten jeweils deutlich unter dem Einzelrichtsatz für die
Ausgleichszulage - inklusive Ausgleichszulage!
(Siehe Tabelle im Anhang)

Quellen: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Statistiken zur Pensionsversicherung und
Statistik über Sozialrechtssachen), eigene Berechnungen daraus.


Anlage Seite 4

Anlage 3:

Theodor Tomandl/Andreas Jöst:
Berichte über die Rechtslage in einigen europäischen

Staaten

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


m


Anlage Seite 5

A. Dänemark1

1.    Allgemeine Übersicht

In den Schutzbereich der dänischen Alters- und Krankheitssicherung fällt die gesamte dänische
Wohnbevölkerung (Volksversicherung). Grundlage für die Sicherung bei Invalidität ist das
Sozialpensionsgesetz (SozPG), in das auch das alte Invaliditätspensionsgesetz aufgenommen
wurde. Der Begriff Invaliditätspension wird allerdings nicht mehr verwendet, das Gesetz
spricht nur von vorgezogenen Pensionen; zur Vereinheitlichung aller Länderberichte wird hier
jedoch weiterhin der Ausdruck Invaliditätspensionen verwendet. Invaliditätspensionen werden
im Anschluß an das Krankengeld aus der ebenfalls obligatorischen Krankenversicherung (für
Arbeitnehmer und Selbständige) gewährt. Beide Systeme werden von den Gemeinden verwal-
tet und zur Gänze staatlich finanziert. Auf ergänzende Alterssicherungssysteme (Betriebspen-
sionen) wird hier nicht eingegangen.

1 Gesprächspartner waren Kirsten Söderblom, Julie Sebber, Helene Morgensterne, Charlotte Kruse
Lange und Barbette Hjelmborg, alle Sozialministerium und Kirsten Borum, National Social Apeels
Board.

Literatur: Köhler, Invaliditätssicherung im Rechtsvergleich, Studien aus dem Max-Planck-Institut für
ausländisches und internationales Sozialrecht, Band 18, 1998, 63; Bericht der Internationale Vereini-
gung für Soziale Sicherheit,
Systeme der Invaliditätsbemessung, 1996, 66; Internationale Vereinigung
für Soziale Sicherheit,
Sozialschutz in Europa: Übersicht über die Systeme Sozialer Sicherheit, 1996,
52: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, MISSOC Soziale Sicherheit in den Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union, 1998. 218.

Anlage Tomandl Invalidital.doc 30.11.00


Anlage Seite 6

Die Unfallversicherung ist ebenfalls obligatorisch, erfolgt jedoch bei einer vom Arbeitgeber
ausgesuchten Privatversicherung.

2.    Invalidität (Überblick)

Eine Invaliditätspension wird gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit wegen einer feststellbaren
Krankheit dauerhaft um mindestens 50% gemindert wurde und Aktivierungs-, Rehabilitie-
rungs- und Behandlungsversuche - sowie andere Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbs-
fähigkeit - keinen Erfolg gehabt haben. Zu berücksichtigen sind aber auch noch andere Grün-
de, die einen Einfluß auf die Erwerbsfähigkeit besitzen. Personen zwischen 50 und 65 Jahren
kann eine solche Pension auch aus rein "sozialen Gründen" zuerkannt werden. Das Ausmaß
der Invalidität wird letztlich nach dem zu erwartenden Einkommensausfall bestimmt.

3.    Prävention, Rehabilitation

Ein erkrankter und arbeitsunfähiger Versicherter muß sich an die Gemeinde wenden, wenn er
Sozialleistungen erhalten will. Diese entscheidet, was weiter mit dem Versicherten geschehen
soll, insbesondere ob er Krankengeld oder eine Invaliditätspension erhält. Seit dem 1. Juli 1998
darf eine vorgezogene Pension jedoch erst dann zuerkannt werden, wenn die Gemeinde ver-
geblich Aktivierungs-, Rehabilitierungs-, Behandlungsversuche oder andere Maßnahmen zur
Verbesserung der Erwerbsfähigkeit angestellt hat, es sei denn, solche Versuche erscheinen von
vornherein als aussichtslos. Je jünger ein Antragsteller ist, desto höhere Anforderungen werden
an das Rehabilitationsverfahren gestellt.

Die Gemeinde ist verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den
Arbeitsprozeß zu veranlassen. Sie hat dem Antragsteller insbesondere auf der Basis eines be-
ruflichen Entwicklungsplanes eine Rehabilitation anzubieten, die aus höchstens 5 Jahren Trai-
ning (dabei Arbeitstraining in einem öffentlichen oder privaten Unternehmen) oder Ausbildung
besteht. Während dieser beruflichen Rehabilitation bezieht der Rehabilitand die ziemlich groß-
zügig bemessene Rehabilitationsleistung.

Der Versicherten besitzt kein Antragsrecht auf eine Invaliditätspension, vielmehr fällt die Ent-
scheidung über die Art der zu erbringenden Leistungen die Gemeinde von Amts wegen. Diese
Entscheidung hat auf einer Gesamtbetrachtung der Lage des Versicherten zu beruhen, um die
geeignetste Vorgangsweise sicher zu stellen. Die Pension ist dabei das letzte Mittel Vor der

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 7

Pensionsgewährung ist auch zu überprüfen, ob nicht andere Sozialleistungen in Betracht kom-
men.

Bei längeren Krankenständen diskutiert die Gemeinde mit dem Versicherten und seinem Ar-
beitgeber, welche Schritte zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit unternommen werden
können und veranlaßt die entsprechenden Maßnahmen. Dazu werden teilweise auch Gewerk-
schaftsvertreter beigezogen, um die Versicherten zu beraten und allfällige Hilfestellungen zu
leisten. Üblicherweise wird Krankengeld nicht länger als für 52 Wochen bezahlt, wenn jedoch
ein Arbeitsunfalls- oder Pensionierungsverfahren eingeleitet wurde, wird es bis zur Pensions-
gewährung geleistet. Zur Verlängerung der Krankengeldzahlung kann es jedoch auch noch aus
anderen Gründen (z.B. wenn Rehabilitationsmaßnahmen wahrscheinlich sind) kommen. Die
Regierung hat eine intensive Kampagne gestartet, die auch von den Sozialpartnern mitgetragen
wird, um die Verantwortung der Arbeitgeber für die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu erhö-
hen.

Zur Rehabilitation bedienen sich die Gemeinden bestehender Rehabilitationseinrichtungen. Die
Motivation der Gemeinden besteht nicht zuletzt in den finanziellen Folgen ihrer Entscheidung,
da sie bei erfolgreicher Rehabilitation von den Kosten der Weiterzahlung von Krankengeld
oder Invaliditätspension entlastet werden. Ursprünglich zahlte der Staat die Invaliditätspensio-
nen und die Gemeinden die Kosten der Rehabilitation, was für die Gemeinden eher einen An-
reiz zur Pensionsgewährung bot. Von 1991 bis Ende 1998 wurden die Kosten für die Invalidi-
tätspensionen je zur Hälfte vom Staat und den Gemeinden getragen, seit anfangs 1999 müssen
die Gemeinden die Invaliditätspensionen jedoch vorfinanzieren und erhalten nur mehr 35%
vom Staat refundiert. Das hat offensichtlich zusammen mit der noch darzustellenden neuen
Ermittlungsmethode zur Verringerung der Zuerkennungen (siehe unten) beigetragen.

Kann ein ständig erwerbsgeminderter Arbeitnehmer (etwa mit geringerer Arbeitszeit) weiterhin
im Unternehmen beschäftigt werden und ist der Arbeitgeber bereit, ihm dafür den vollen tarif-
mäßigen Lohn zu zahlen, können dem Arbeitgeber zum Ausgleich Zuschüsse gewährt werden
(sogenannte
Flex-jobs). Dieselbe Möglichkeit besteht für Arbeitgeber, die Personen mit Er-
werbsminderung einstellen, doch wird sie wesentlich seltener genützt. Die Kosten für einen
Flex-job betragen im Jahr durchschnittlich DKK 100.000. Die Anzahl solcher Flex-jobs im pri-
vaten und öffentlichen Sektor hat sich von Jänner 1996 bis zum ersten Vierteljahr 2000 von

Anlage Tomandl Invalidit.doc 30.11.00


Anlage Seite 8

rund 2.000 auf 7.000 erhöht, wobei Ende 1999 die Altersgruppen zwischen 40 und 49 Jahren
bzw. über 50 Jahren am stärksten (mit jeweils 33%), jene unter 30 Jahren (mit 12%) am
schwächsten vertreten waren. Interessant ist, wie die Position vor der Aufnahme des flex-jobs
beschaffen war: 35% dieser Personen hatten vorher keine Sozialleistungen erhalten (also of-
fenbar normal gearbeitet), 38% erhielten Krankengeld und 10% eine Sozialhilfeleistung
(Kontanthjaelp), die nach dem Krankengeldbezug bei Verlust der Arbeit aus gesundheitlichen
Gründen gewährt wird.

Um Arbeitsversuche zu erleichtem, wird bei der Erzielung eines Arbeitseinkommens, das be-
stimmte Grenzwerte übersteigt, eine zuerkannte Invaliditätspension nicht entzogen, sondern
nur ruhend gestellt.

4.    Leistungsvoraussetzungen für die
Invaliditätspension

Es gibt drei Arten von Invaliditätspensionen, die höchste, die mittlere und die niedrigste. Für
alle gilt, daß sie nur an Personen zwischen 18 und 65 Jahren gewährt werden, die ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt (mindestes 3 Jahre im Alter zwischen 15 und 65 Jahren) in Dänemark
haben. Die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise der Gemeinde und damit auch über
die Gewährung einer Invaliditätspension ist das Ergebnis einer Gesamtbetrachtung, bei der
verschiedene Faktoren, also nicht nur der Gesundheitszustand, berücksichtigt werden. Basis ist
ein Bericht der Wohnortgemeinde, der eine medizinische Beurteilung und eine Stellungnahme
zu sozialen Befindlichkeiten und zum Grad der Erwerbsminderung zu enthalten hat. In den
letzten zwei Jahren wurde die Praxis durch eine Verbesserung der Dokumentation verändert.
Als besonders wichtig wird angesehen, daß man den Versicherten in alle Schritte und Ent-
scheidungen einbindet und versucht, eine einvernehmliche Lösung zustande zu bringen.

Im Vordergrund stehen gesundheitliche Gründe. Dabei muß es sich um eine dauerhafte Be-
einträchtigung der Erwerbsfähigkeit durch eine Krankheit im objektiven Sinn handeln. Be-
schwerden, die nicht objektiv auf eine bestimmte Krankheit zurückgeführt werden können,
werden daher nicht anerkannt. Zugrunde gelegt werden die vom Versicherten beigebrachten
ärztlichen Befunde. Die Vertrauensärzte der Gemeinden und der Beschwerdeinstanzen nehmen
selbst keine Untersuchungen vor, sondern bewerten die Diagnose und die Arbeitsfähigkeit nur

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 9

auf der Basis der ihnen vorgelegten Dokumentation. Sie können aber ergänzende Untersu-
chungen auftragen. Von den Ärzten wird dabei nicht die Ausfüllung bestimmter Formulare
verlangt. Allerdings orientieren sie sich zumeist an Publikationen, die die Auswirkungen be-
stimmter Erkrankungen auf die Erwerbsfähigkeit quantifizieren

Bei der Entscheidung über die Zuerkennung einer Invaliditätspension sind auch die sozialen
Verhältnisse in Betracht zu ziehen. Entscheidend ist, ob ein dauerndes Bedürfnis nach Unter-
haltsmitteln besteht. Ein solches Bedürfnis wird verneint, wenn mehr als ein Einkommen von
bestimmter Höhe bezogen wird oder ein Anspruch auf andere unterhaltssichernde Soziallei-
stungen besteht. Dieser Aspekt spielt seit der Abschaffung der Witwenpensionen bei Witwen
eine große Rolle. Berücksichtigt wird auch das Lebensalter, dabei wird angenommen, daß das
Bedürfnis nach Unterhalt um so geringer ist, je jünger der Versicherte ist.

Zu berücksichtigen ist weiters, ob der Versicherte beschäftigt bzw. aus welchen Gründen dies
nicht der Fall war. Eingeholt werden Informationen über die Ausbildung sowie die Art der bis-
herigen Beschäftigungen. Als wichtig wird der Umfang der bisherigen Beschäftigung (Voll-
oder Teilzeitarbeit) angesehen. Alleinstehende Personen werden allerdings immer als Vollzeit-
arbeitende betrachtet. Da eine Hausfrau ihre Arbeit selbst organisieren und darin die notwendi-
gen Pausen einlegen kann, wird sie eine Invaliditätspension nur bei einem höheren Grad von
Invalidität erhalten. Wenn sich der Versicherte weigert, an Aktivierungen, Berufsausbildung
oder anderen Maßnahmen der Rehabilitation teilzunehmen, besteht kein Anspruch auf eine
Invaliditätspension.

Schließlich werden die Möglichkeiten des Antragstellers, mittels seiner Restarbeitsfähigkeit in
Zukunft ein Erwerbseinkommen zu erzielen, mit dem Einkommen einer gesunden Person mit
entsprechender Ausbildung und Erfahrung, die in derselben Gegend wohnt, verglichen. Die
generelle Lage auf dem Arbeitsmarkt wird hingegen nicht berücksichtigt.

Die vom National Appeals Board (der höchsten verwaltungsbehördlichen Instanz; in Hinkunft
Board genannt) bisher akzeptierte Praxis hat jedoch - abgesehen von Grenz- und Härtefällen -
vor allem die gesundheitlichen Aspekte beachtet. Ein am 22.12.1999 ergangenes Urteil des
dänischen Höchstgerichtes, das erstmals die Rechtsprechungspraxis des Boards überprüfte, hat
jedoch zum Ausdruck gebracht, daß angesichts der bestehenden gesetzliche Regelungen neben
den gesundheitlichen auch andere, insbesondere soziale Aspekte zu berücksichtigen sind. Eine

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11 00


Anlage Seite 10

diesbezügliche Änderung der Rechtsprechung des Board und damit in Folge auch der Gemein-
den ist zu erwarten. Die individuellen Umstände werden daher in Hinkunft eine größere Rolle
spielen.

Die höchste Invaliditätspension erhalten Personen zwischen 18 und 60 Jahren, die aus ge-
sundheitlichen Gründen 100% arbeitsunfähig sind. Bei Fortbestehen der Beeinträchtigung über
das 60. Lebensjahr hinaus wird diese Pension jedoch bis zur Erreichung des Anfallsalters für
die Alterspension weiterbezahlt.

Die mittlere Invaliditätspension erhalten (a) Personen zwischen 18 und 60 Jahren, deren
Arbeitsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen mindestens um 2/3 vermindert ist und (b) Per-
sonen zwischen 60 und 65 Jahren, die 100% arbeitsunfähig sind. Wenn die Beeinträchtigung
bei Leistungsbeziehern nach (a) über die Vollendung des 60. Lebensjahres anhält, erhalten sie
ihre Pension bis zur Erreichung des Anfallsalters für die Alterspension weiterbezahlt.

Die niedrigste Invaliditätspension erhalten Personen zwischen 18 und 60 Jahren, deren Ar-
beitsfähigkeit zu mindestens 50% aus gesundheitlichen Gründen gemindert ist. Wenn ein dau-
ernder Bedarf nach Unterhaltsmitteln besteht, erhalten sie jedoch auch Personen zwischen 18
und 60 Jahren, deren Arbeitsfähigkeit zu mindestens 50% aus gesundheitlichen und sozialen
Gründen gemindert ist und Personen zwischen 50 und dem Anfallsfalter für die Alterspension,
wenn dafür gesundheitliche und/oder soziale Gründe sprechen.

Das System sieht damit ein allmähliches Absinken der Höhe der Invaliditätspension bis zur
Erreichung des Pensionsalters (das von 67 auf 65 Jahre herabgesetzt wurde) vor.

Zur Feststellung der Invalidität ist die Wohnortgemeinde zuständig Gegen die Entscheidun-
gen der kommunalen Sozialausschüsse ist eine Klage bei den auf Kreisebene eingerichteten
Beschwerdeausschüssen möglich. Die Entscheidungen dieser Ausschüsse können nicht mehr
durch ein ordentliches Rechtsmittel bekämpft werden, doch kann der Board Angelegenheiten
von grundlegender Bedeutung zur Entscheidung an sich ziehen. Überdies läßt sich der Board
alle Entscheidungen der Unterinstanzen vorlegen und gibt dazu jährlich in einem Bericht seine
Meinung ab. Das dänische Höchstgericht hat sich vorbehalten, auch Entscheidungen des
Boards zu überprüfen.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 11

5.    Berechnung der Pensionen

Der volle Betrag der nunmehr darzustellenden Pension steht nur zu, wenn der Versicherte 4/5
seiner Wohnzeit zwischen seinem 15. Lebensjahr und dem Beginn der Pensionszahlung in Dä-
nemark zugebracht hat. War die Wohnzeit kürzer, kommt es zu einer aliquoten Verringerung.
Die Höhe der Pensionen ist nicht einkommensbezogen, sondern für alle Versicherten gleich. Es
handelt sich dabei um Jahresbeträge (Wen 1.1.2000).

Die niedrigste Pension besteht aus dem Grundbetrag (DKK 49.560) und dem Pensionszu-
schlag (DKK 22.536, für Alleinstehende 49.140). Wenn die Pension einem Pensionisten unter
60 zuerkannt wird, kommt noch ein Frühpensionszuschlag (DKK 12.600) hinzu.

Die mittlere Invaliditätspension besteht aus Grundbetrag, Pensionszuschlag und Invalidi-
tätsbetrag (DKK 24.108).

Die höchste Invalidenpension besteht aus Grundbetrag, Pensionszuschlag, Invaliditätsbetrag
und Erwerbsunfähigkeitsbetrag (DKK 33.276).

Der Grundbetrag kommt allerdings nur dann ohne Kürzung zur Auszahlung, wenn ein Er-
werbseinkommen einen bestimmten Freibetrag nicht überschreitet; ähnliche Anrechnungen gibt
es beim Pensionszuschlag, dort wird jedoch das Gesamteinkommen des Versicherten und sei-
nes Ehegatten berücksichtigt. Grundbetrag, Pensionszuschlag und Erwerbsunfähigkeitsbetrag
werden besteuert, die übrigen Bestandteile sind steuerfrei.

Die Invaliditätspension wird üblicherweise unbefristet zuerkannt, doch ist der Pensionist ver-
pflichtet, der Gemeinde Änderungen seiner Verhältnisse mitzuteilen. Bei wesentlicher Besse-
rung oder Verringerung der Erwerbsfähigkeit des Pensionisten kann die Pension aberkannt
werden oder in eine andere Pensionsstufe geändert werden.

Spezielle Zulagen gibt es für Blinde und Pflegebedürftige, aber auch für besonders schwierige
finanzielle Situationen (z.B. hohe Heiz- oder Medikamentenkosten), die durch andere Beihilfen
nicht behoben werden können.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 12

6.    Statistische Daten

Zuerkannte Alterspensionen und vorzeitige Pensionen

 

 

1997

 

1998

 

1999

 

Alterspensionen

 

42.145

 

41.729

 

42.000

 

Vorzeitige Pensionen

 

21.919

 

19.125

 

12.975

 

Anteil an den Alterspensionen

 

52%

 

46%

 

31%

 

Zusammensetzung der zuerkannten Invaliditätspensionen

 

 

1995

 

IN%

 

1996

 

IN%

 

1997

 

IN%

 

1998

 

IN%

 

1999

 

IN%

 

Höchste IP

 

3.124

 

13

 

2.441

 

11

 

2.308

 

11

 

2.205

 

12

 

1.806

 

14

 

Mittlere IP

 

7.904

 

33

 

7.189

 

31

 

6.868

 

31

 

6.900

 

36

 

5.140

 

40

 

Niedrigste
IP unter 60

 

10.977

 

45

 

11.148

 

48

 

10.503

 

48

 

8.182

 

43

 

4.866

 

38

 

Niedrigste
IP über 60

 

2.277

 

9

 

2.354

 

10

 

2.240

 

10

 

1.838

 

10

 

1.163

 

9

 

Zusammen

 

24.282

 

100

 

23.132

 

100

 

21.919

 

100

 

19.125

 

100

 

12.975

 

100

 

Während der Anfall an Alterspensionen in den Jahren 1997 bis 1999 annähernd konstant blieb,
sank die Zahl der neu zuerkannten vorzeitigen Pensionen auf nahezu die Hälfte ab. Von diesem
Rückgang waren die niedrigsten Invaliditätspensionen für Personen unter 60 Jahren am stärk-
sten betroffen, die früher die häufigsten waren. 1999 wurden am häufigsten mittlere Pensionen
zuerkannt.

Anlage Tomandl lnvaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 13

Das erste Vierteljahr 2000 zeigte ein etwas anderes Bild. Zuerkannt wurden 3.251 vorgezoge-
ne Pensionen, das sind um 8% mehr als im ersten Vierteljahr 1999. Gestiegen ist die Zahl der
höchsten (um 31 %) und der mittleren Pensionen (um 19 %), gesunken jene der niedrigsten
(um 6 %).

Hauptgründe für die Invalidität sind Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates (1998:
30%) sowie psychiatrische Erkrankungen (1998: 27%).

7.    Die Stellung Teilinvalider im Arbeitsleben

Teilinvalide werden am Arbeitsmarkt wie gesunde Arbeitnehmer behandelt. Sie besitzen vor
allem denselben Lohnanspruch, auch auf geschützten Arbeitsplätzen. Wenn ein Invaliditätspen-
sionist jedoch ein Erwerbseinkommen verdient, das höher ist als sein Einkommen vor der Inva-
lidität, ist er nicht länger für eine Invaliditätspension berechtigt. Er erhält statt dessen jedoch
die "Invaliditätsbeihilfe" von jährlich DKK 24.252, wenn seine Invalidität zur höchsten oder
mittleren vorgezogenen Pension berechtigt. Diese Beihilfe soll die Mehrkosten auf Grund der
Invalidität ausgleichen.

Auf dem freien Arbeitsmarkt ist es jedoch schwierig, einen Arbeitsplatz für einen Invaliden zu
finden, wenn der Arbeitgeber keinen Zuschuß erhält. In öffentlichen Institutionen soll ein ge-
wisser (niedriger) Prozentsatz der Arbeitsplätze mit Invaliden besetzt sein - mit Zuschüssen.

8.    Übergang zur Alterspension

Bei Erreichung des Pensionsalters (nunmehr 65 Jahre) werden die vorzeitigen Pensionen einge-
stellt und durch die Alterspension ersetzt. Da diese nur aus dem Grundbetrag und dem Pensi-
onszuschlag besteht, entspricht sie der niedrigsten vorzeitigen Pension. Das damit verbundene
Absinken des Einkommens wird damit gerechtfertigt, daß auch der gesunde Arbeitnehmer
beim Übertritt in den Ruhestand mit einem Absinken seines Einkommens rechnen muß. Zudem
erhalten alle Alterspensionisten bestimmte Vorteile, wie Begünstigungen beim Fernsehen, beim
Radio, bei der Bahn, usw. Härter als andere Alterspensionisten werden die Bezieher von Inva-
liditätspensionen aber deshalb getroffen, weil sie in der Regel keine Betriebspensionen erhalten.
Es wird daher überlegt, in Hinkunft auch für die Bezieher von Invaliditätspensionen eine Zu-
satzpension einzurichten, die zum Teil vom Pensionsbezieher und zum Teil vom Staat finan-
ziert werden soll.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 14

9.    Arbeitsunfälle

Die Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, ihre Arbeitnehmer bei anerkannten privaten Versi-
cherungen gegen das Risiko von Arbeitsunfällen und beim Arbeitsmarkt-Berufskrankheiten-
Fonds gegen das Risiko von Berufskrankheiten zu versichern. Führt ein Arbeitsschaden zu
einer
Erwerbsminderung von mindestens 15 %, stehen Geldleistungen zu. Liegt die Er-
werbsminderung zwischen 15 und 50 % gibt es idR eine einmalige Abfindung, liegt sie darüber,
eine laufende Monatsrente. Bei einer Erwerbsminderung von 100% beträgt diese 80 % des
Jahreslohnes (bis zu einer Höchstgrenze von DKK 333.000), bei einer Teil-Erwerbsminderung
nur den entsprechenden Anteil.

Unfallrenten und Invaliditätspensionen können nebeneinander ohne Anrechnung bezogen wer-
den.

10. Arbeitslosenversicherung

Die Arbeitslosenversicherung ist eine freiwillige Versicherung. Ihre Durchführung obliegt
privaten Einrichtungen (den sogenannten Arbeitslosenkassen), die von den Gewerkschaften
organisiert sind, deren Kosten aber zum großen Teil vom Staat getragen werden. Sie ist auch
für Teilinvalide zuständig, nicht jedoch für Versicherte, die infolge physischer/psychischer Be-
einträchtigungen arbeitsunfähig sind.

Ein Mitglied, das eine Invaliditätspension bezieht, kann höchstens für 12 Monate innerhalb von
18 Monaten Arbeitslosengeld beziehen Danach muß es mindestens 26 Wochen innerhalb von
1
8 Monaten arbeiten, um ein neues Recht auf Leistungen zu erwerben.

Andere Arbeitslosenversicherte können das Arbeitslosengeld 12 Monate innerhalb von 24 Mo-
naten beziehen und danach, wenn sie Aktivierungsangebote angenommen haben, weitere 36
Monate innerhalb von 48 Monaten.

Nichtmitglieder erhalten bei Arbeitslosigkeit Unterstützungen durch die Gemeinde (Sozialhilfe
und Aktivierung).

Anlage Tomandl Invalidit.doc 30.11.00


Anlage Seite 15

11. Reformvorhaben

Das dänische Frührentensystem, das während einer langen Reihe von Jahren herangewachsen
ist, wird als zu kompliziert angesehen. Überdies besteht das Hauptanliegen darin, noch ar-
beitsfähigen Personen keine Pensionen zu gewähren, sondern sie in das Arbeitsleben einzuglie-
dern. Um diese besser erreichen zu können, soll u.a. das Bewertungssystem umgestellt werden.
Derzeit erfolgt die Beurteilung danach, welche Funktionen der Versicherte nicht mehr ausüben
kann (no-fünction-ability-Kriterium). In Hinkunft soll dagegen nur bewertet werden, welche
Funktionen der Versicherte noch ausüben kann (working-ability- Kriterium). In diesem Zu-
sammenhang soll u.a. die Zahl der zumutbaren Arbeitsstunden, das zumutbare Arbeitstempo
und die Möglichkeit von flex-work berücksichtigt werden. Überdies denkt man an eine Ver-
einfachung des Systems. Entweder soll nur mehr die höchste vorgezogene Pension aufrechter-
halten werden oder es soll zwei Kategorien geben (Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsfähigkeit von
einem Drittel oder der Hälfte mit einer Mindestarbeitszeit von 10 Stunden in der Woche). Man
erwartet sich dadurch einen stärkeren Anreiz für die Betroffenen, sich wieder in das Arbeitsle-
ben integrieren zu wollen. Diese Pension soll nur dem Einkommensersatz dienen. Eine Lei-
stung zum Ausgleich der Behinderung soll in der Sozialhilfegesetzgebung als Ermessenslei-
stung eingebaut werden.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 16

B. Niederlande2

12. 1.              Allgemeine Übersicht

Die Sozialversicherung ist in den Niederlanden mehrgeleisig aufgebaut. Neben der aus Steuer-
mitteln finanzierten allgemeinen staatlichen Volksversicherung (Alters- Hinterbliebenensiche-
rung, außergewöhnliche Krankheitskosten, Kindergeld) bestehen eine staatliche Arbeitneh-
merversicherung
(Invaliditätsversicherung, Gesundheitsversicherung bei einem Einkommen
unter NLG 64.600 pro Jahr und Arbeitslosenversicherung, Krankengeldversicherung) und eine
staatliche Unternehmerversicherung (Invaliditätsversicherung, Gesundheitsversicherung bei
einem Einkommen unter NLG 41.200 pro Jahr). Grundlegend sind verschiedene Gesetze. Die
Gesundheitsversicherung der Arbeitnehmer und der Unternehmer (Behandlungskosten, Me-
dikamentenkosten) regelt das Krankenkassengesetz ZFW, die
Invaliditätsversicherung der
Arbeitnehmer die WAO, die Invaliditätsversicherung der Unternehmer die WAZ und die Inva-
liditätsversicherung für junge Behinderte das WAJONG. Das Risiko der Invalidität ist daher
nicht in das Alterssicherungssystem eingebunden, da man es als eigenständiges Risiko begreift;
die Invaliditätspension wird vielmehr als Folgeleistung nach langem Krankengeldbezug ver-
standen.

Seit 1967 gibt es keinen Sonderschutz von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten mehr. Auch
für die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten stehen daher nur die Leistungen der

2 Besprechung mit Herrn Johan de Jong, GAK Niederlande am 15. September 2000.

Literatur: Nordam, Die Soziale Sicherheit in den Niederlanden auf Diät: Die Invaliditätssicherung
(1975-1998), in Tomandl (Hsg), Wie schlank kann soziale Sicherheit sein?, 1998; Kotter, Invaliditätssi-
cherung im Rechtsvergleich. Studien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Sozialrecht, Band 18, 1998, 231: van Wirdum, Wandel im Kontext: Reform der sozialen Sicherheit in
den Niederlanden, IRSozSi 4/98, 105

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 17

Krankengeld- und der Invaliditätsversicherung zur Verfugung. Es macht daher keinen rechtli-
chen Unterschied, ob der Versicherte infolge einer normalen Erkrankung, einer beruflich be-
dingten Erkrankung, eines Arbeitsunfalles oder eines Privatunfalles arbeitsunfähig ist.

Der Arbeitgeber ist nach Arbeitsrecht verpflichtet, den Lohn bei Arbeitsunfähigkeit infolge
von Krankheit bis zu 52 Wochen zu 70% fortzuzahlen (durch Kollektivvertrag mitunter bis zu 100 % erhöht). Wenn der Arbeitnehmer jedoch seine Arbeit infolge seiner Erkrankung verloren
hat oder der Arbeitsvertrag während eines Krankenstandes durch Zeitablauf endet, steht dem
Versicherten Krankengeld aus der Krankengeldversicherung, und zwar ebenfalls höchstens bis
zum Ablauf der 52. Krankheitswoche, zu.

Organisatorisch fallen die staatliche Krankengeld Versicherung, die Invaliditätsversicherung
und die Arbeitslosenversicherung in den Verantwortungsbereich des LISV (Nationales Sozial-
versicherungsinstitut). Dabei handelt es sich um eine sozialpartnerschaftliche Einrichtung, de-
ren Mitglieder von der Regierung ernannt werden. Die Durchführung dieser Versicherungen
wird jedoch nicht vom LISV selbst besorgt, sondern von diesem auf der Basis von Verträgen
an besondere Einrichtungen des öffentlichen Rechtes (Sozialversicherungsagenturen) übertra-
gen, die nach Branchen organisiert sind: GUO (Landwirtschaft und Fleischverarbeitung), SFB
(Bauwirtschaft), USZO (Staatsbereich), Cadans (Einzelhandel und Gesundheitsbereich), GAK
Nederland (alle anderen Bereiche). LISV und diese Sozialversicherungsagenturen unterstehen
ihrerseits der Aufsicht des unabhängigen CTSV (Kontrollorgan der Sozialversicherung), die
dem Sozialminister berichtet.

Finanzierung der Arbeitnehmerversicherung

 

 

AG-BEITRAG

 

AN-BEITRAG

 

Altersversicherung

 

-

 

17,9%

 

Invaliditätsversicherung

 

7,8%

 

-

 

Gesundheitsversicherung

 

6,35%

 

1,75%

 

Arbeitslosenversicherung

 

3,75%

 

6,25%

 

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 18

13. 2.           Die Entwicklung der Gesetzgebung

Das niederländische System läßt sich nur vor dem Hintergrund der Entwicklung in den letzten
15 Jahren verstehen. Die Niederlande standen vor erheblichen Problemen. Als Folge der wirt-
schaftlichen Rezession stieg nicht nur die Zahl der Arbeitslosen sondern auch jene der Bezieher
von Invaliditätspensionen beträchtlich an, da die Leistungen im Falle der Invalidität wesentlich
großzügiger ausgestaltet waren. Das Risiko der Arbeitslosigkeit teilinvalider Personen wurde
daher über die Invaliditätsversicherung abgefangen. Die Kosten des Invaliditätssystems waren
zwei- bis dreimal so hoch wie in den Nachbarstaaten. Zudem gelang es kaum, Invaliditätspen-
sionisten wieder in den Arbeitsprozeß zurückzuführen. Die organisatorische Trennung von
Geldleistungen und Sachleistungen wegen Krankheit hatte Mängel in der Zusammenarbeit zwi-
schen den Ärzten der beiden Systeme zur Folge, was zur verspäteten Einleitung von Rehabili-
tationsmaßnahmen führte. Weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer waren unmittelbar
von den wirtschaftlichen Auswirkungen von Krankheit und Minderung der Arbeitsfähigkeit
betroffen. Bis 1994 konnte Krankengeld auch dann bezogen werden, wenn der Arbeitgeber
vorher keine Lohnfortzahlung leistete. Andererseits hatten die meisten Kollektivverträge Ka-
renztage abgeschafft und die Arbeitgeber dazu verpflichtet, das Krankengeld aus der Sozialver-
sicherung ab dem ersten Tag der Krankheit bis auf 100% des früheren Lohnes aufzustocken.

Ein weiterer Grund für die Einleitung von Reformen war die zunehmende Kritik an der Ver-
waltung des Systems. Die Träger der Sozialversicherung hatten einen zu großen Ermessen-
spielraum bei der Leistungsgewährung. Die Reformen führten in der Folge zu wesentlich präzi-
seren Normen, zur Einführung vorgeschriebener Protokolle und Standards und zudem wurde
der frühere nahezu automatische Übergang von einem Schema (Krankheit) in das andere (In-
validität) nur mehr auf Antrag der Betroffenen und nach eingehender Untersuchung vorge-
nommen.

Die Hauptzielrichtung der Reformen bestand aber darin, die Arbeitgeber zu veranlassen, die
hohe Krankenstandsrate zu senken, mehr Investitionen in die Gesundheit der Arbeitnehmer
durchzuführen, behinderte Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten und Arbeitsplätze für Be-
hinderte zu schaffen. Diese Reformen erfolgten schrittweise.

Früher wurde auch die Chance, tatsächlich einen Arbeitsplatz zu finden, bei der Zuerkennung
von Invaliditätspensionen berücksichtigt. 1987 wurde jedoch festgelegt, daß die Benachteili-

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 19

gung am Arbeitsmarkt infolge der Behinderung bei der Zuerkennung von Invaliditätspensionen
nicht mehr berücksichtigt werden darf.

1992 wurden die Beiträge der Arbeitgeber zur Gesundheitsversicherung nach dem Ausmaß der
Krankenstände im Betrieb gestaffelt und ein Bonus/Malus-System für die Beschäftigung von
erwerbsgeminderten Personen und Strafen für Arbeitgeber eingeführt, die sich weigerten, mit
den Sozialversicherungsträgern bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen für Teilinvalide zu-
sammenzuarbeiten.

1993 wurden noch drastischer Maßnahmen ergriffen: Der Berufsschutz bei der Zuerkennung
von Invaliditätspensionen wurde aufgehoben, Invaliditätspensionen durften nur mehr befristet
auf 5 Jahre zuerkannt werden, die Sozialversicherungsträger sollten mehr Wert auf periodische
Überprüfungen des Gesundheitszustandes von Behinderten legen und alle Personen unter 50
Jahren, die schon im Bezug einer Invaliditätspension standen, wurden verpflichtet, sich einer
Nachuntersuchung zu stellen. Als Begleitmaßnahme wurde 1994 die Verpflichtung aller Ar-
beitgeber eingeführt, sich von einem anerkannten privaten Beratungsunternehmens für Sicher-
heit und Gesundheit am Arbeitsplatz (Arbodienst) beraten zu lassen, wie sie in ihrem Unter-
nehmen die Arbeitsbedingungen und präventiven Maßnahmen zur Vermeidung von Kranken-
ständen und Invalidität verbessern könnten. Gleichzeitig wurde der Arbeitgeber verpflichtet,
seine Arbeitnehmer über betriebliche Gesundheitsrisken umfassend zu informieren, möglichst
viele präventive Maßnahmen zu ergreifen und behinderte Arbeitnehmer anzuregen und es ihnen
zu erleichtern, die Arbeit wieder aufzunehmen. Nur wenn der Arbeitgeber nachweisen kann,
daß er keinen geeigneten Arbeitsplatz für einen behinderten Arbeitnehmer bereitstellen kann,
geht die Verantwortung für diesen Arbeitnehmer auf den zuständigen Sozialversicherungsträ-
ger über, der sich dann bemühen muß, einen anderen Arbeitgeber zu finden. 1996 wurde das
Malus-System wieder beseitigt, das sich nie voll durchgesetzt hatte. Dies geschah vor allem
wegen des erbitterten Widerstandes der Arbeitgeber, die es für ungerecht hielten, auch dann
eine "Strafe" zahlen zu müssen, wenn die Behinderung nicht arbeitsbezogen war oder wenn sie
über keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten verfügten.

1998 trat ein neues Gesetz in Kraft, das zu vorbeugenden Maßnahmen anregen sollte und den
Arbeitgebern erhöhte finanzielle Lasten bei Auftreten von Invalidität auferlegte. Die Arbeit-
nehmer wurden von ihrer Beitragsleistung nach WAO und dem mit 1.1.1998 außer Kraft ge-

Anlage Tomandl Invalidiät.doc 30.11.00


Anlage Seite 20

tretenen AAW befreit und den Arbeitgebern die alleinige Finanzierung der WAO auferlegt.
Durch verschiedene Ausgleichsmaßnahmen wurde aber sichergestellt, daß weder die Arbeitge-
ber durch erhöhte Lohnkosten noch die Arbeitnehmer durch niedrigere Löhne belastet werden.

Dieser Beitrag der AG zur WAO setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einem für alle gleichen
Grundbeitrag, der zur Finanzierung der bereits 1998 angefallenen Invaliditätspensionen und
von Langzeitinvaliden dient und einem flexiblen Zusatzbeitrag zur Abdeckung der Kosten der
übrigen Invaliditätspensionen, dessen Höhe davon abhängt, wie viele (frühere) Arbeitnehmer
des Unternehmers Invaliditätspensionen beziehen. Der Arbeitgeber kann sich aber auch dafür
entscheiden, diesen Zusatzbeitrag nicht zu leisten, muß dann aber für jeden in seinem Unter-
nehmen auftretenden Invaliditätsfall bis zu einer Dauer von 5 Jahren die Invaliditätspension
bezahlen. Voraussetzung ist allerdings die Vorlage der Erklärung einer Bank oder Versiche-
rung, daß die künftigen Leistungen auch im Falle einer Insolvenz des Unternehmers gedeckt
sind. Der Arbeitgeber kann das Invaliditätsrisiko aber auch durch Abschluß einer Privatversi-
cherung abdecken.

Ebenfalls 1998 trat ein Gesetz zur Reintegration in Kraft, das Maßnahmen auf diesem Gebiet
ausweiten und erleichtern und mehr Flexibilität und Transparenz bringen sollte. Gleichzeitig
wurden die Einstellquoten für "Behinderte" abgeschafft, die sich in der Praxis nicht bewährt
hatten.

Seit 1998 tragen daher die Arbeitgeber die Hauptverantwortung für Sicherheit und Gesundheit
am Arbeitsplatz. Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutz sind nunmehr eng miteinander verbun-
den, um Krankenstände und Invalidität zu verhindern. Das Grundprinzip der immer noch an-
dauernden Änderungen lautet: "Arbeit geht vor Gewährung von Sozialleistungen".

14. 3.           Invalidität (Überblick)

Der Begriff der Invalidität ist in allen in Betracht kommenden Gesetzen einheitlich, daher be-
darf es hier keiner weiteren Differenzierung. Nach Art 18 Abs l WAO gilt als erwerbsunfähig,
wer als unmittelbare und objektiv medizinisch festgestellte Folge von Krankheit/Gebrechen
ganz oder zum Teil nicht mehr in der Lage ist, mit einer allgemein anerkannten Arbeit jenes
Einkommen zu erzielen, das eine vergleichbare gesunder Person mit ähnlicher Ausbildung und
Erfahrung üblicherweise verdient.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 21

Der Grad der Minderung der Arbeitsfähigkeit wird daher in den Niederlanden nicht durch Me-
diziner je nach der Schwere der Gesundheitsstörung mit einem bestimmten Prozentsatz festge-
legt. Ermittelt wird vielmehr das Ausmaß des Verlustes der Erwerbsfähigkeit.

15. 4.           Prävention, Rehabilitation

Ein Hauptziel der Reformen bestand darin, die Anreize zur (Re)Integration in das Arbeitsleben
zu erhöhen und die Erlangung einer Invaliditätspension zu erschweren. Da der erste Schritt in
die Invalidität während der Zeit des Krankengeldbezuges gesetzt wird, wurden große Verände-
rungen bei jenen Maßnahmen vorgenommen, die innerhalb der 52 Wochen der Arbeitsunfähig-
keit vor der Stellung eines Antrages auf Invaliditätspension liegen.

Die besten Chancen zur Wiederaufnahme der Arbeit bestehen dann, wenn noch ein Arbeitgeber
vorhanden ist, da nach holländischem Recht für (teil)invalide Arbeitnehmer ein wirksamer
Kündigungsschutz besteht. Wenn der Arbeitnehmer, der seine bisherige Arbeit aus gesundheit-
lichen Gründen nicht mehr ausüben kann, dem Arbeitgeber anbietet, eine andere Arbeit zu lei-
sten, ist der Arbeitgeber verpflichtet, an der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers mitzuwirken.
Nach 13 wöchiger Krankenstandsdauer hat der Arbeitgeber erstmalig die Sozialversiche-
rungsagentur zu informieren und dies nach 6 Monaten (unter Beifügung eines Berichts des
Beratungsunternehmens für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz) zu wiederholen. Dau-
ert der Krankenstand nach 9 Monaten noch immer an, hat der Arbeitnehmer einen Antrag auf
Gewährung einer Invaliditätspension zu stellen.

1998 wurden durch ein neues Gesetz die bestehenden Möglichkeiten transparenter gemacht,
die Leistungsvoraussetzungen harmonisiert und die Reichweite der zur Verfügung stehenden
Instrumente zur Wiedereingliederung weiter ausgedehnt. Ein Arbeitgeber, der einen teilinvali-
den Arbeitnehmer beschäftigt, erhält für eine Dauer bis zu 3 Jahren einen Lohnkostenzuschuß
im Ausmaß von bis zu 20%; wenn er diesen Arbeitnehmer auch noch ausbildet (on the job),
gibt es dafür einen weiteren Zuschuß. Bei der Einstellung eines (teil)invaliden Arbeitnehmer
muß der Arbeitgeber keine finanziellen Nachteile für den Fall befürchten, daß dieser erkrankt;
die Sozialversicherung übernimmt die Lohnfortzahlung. Es gibt aber auch Anreize für den Ar-
beitnehmer. Wenn sich seine Arbeitsfähigkeit auf Grund einer erfolgreichen Ausbildung erhöht,
wird der Grad der Minderung seiner Arbeitsfähigkeit für die Dauer eines Jahres nicht herabge-
setzt. Ältere und schon längere Zeit arbeitslos gewesene Behinderte erhalten, wenn sie eine

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 22

Arbeit aufnehmen, eine Zulage in Höhe von 60% der durch den Wegfall oder die Reduktion
der Invaliditätspension eingetretenen Ersparnis. Auf regionaler Ebene werden Versuche mit
einem Gutscheinprogramm unternommen: der Arbeitnehmer erhält einen Gutschein, mit dem er
selbst Ausbildungsmaßnahmen und Beschäftigungsdienste nach eigener Wahl einkaufen kann.

Daneben besteht eine Reihe von Reintegrationsinstrumenten. Die AG-
Reintegrationsinstrumente
zielen zum einen auf die Beschäftigungssicherung von im Unter-
nehmen tätigen Invaliden ab. Insofern ist alles zu unternehmen, um den Invaliden in seinem
alten Arbeitsbereich zu halten (Beistellung von Hilfsmitteln). Beschäftigt der Arbeitgeber einen
Invaliden, der seiner alten Arbeit nicht mehr nachgehen kann, zumindest l Jahr in einem ande-
ren Arbeitsbereich, bekommt er eine Einmalzahlung von NLG 8.000.

Zum anderen wird der Arbeitgeber bei der Einstellung von Behinderten unterstützt. So be-
kommt ein Arbeitgeber, der einen Invaliden zumindest 6 Monate beschäftigt, eine Einmalzah-
lung, deren Verwendung er frei bestimmen kann, oder eine Unterstützung für die Dauer von 3
Jahren, die aber von Jahr zu Jahr aber abnimmt (im 1. Jahr NLG 12.000, im 2. Jahr NLG 8.000
und im 3. Jahr NLG 4.000).

Neben den vorgenannten AG-Reintegrationsinstrumenten, sind auch Direktzuwendungen an
den Behinderten
vorgesehen. So übernimmt die Sozialversicherungen die Kosetn von Hilfs-
mitteln, die den Behinderten zur Ausübung einer Arbeit befähigen (zB behindertengerechte
Ausstattung des PKW, Hörapparat, SpezialComputer). Nach Art 60 WAO erhalten Invalide,
die eine Arbeit mit einem Lohn annehmen, der niedriger ist als der Lohn, der der verbliebenen
Arbeitsfähigkeit entspricht, einen Lohnzuschlag für die Dauer von 4 Jahren, der von Jahr zu
Jahr allerdings abnimmt (im 1. Jahr 100 %, im 2. Jahr 75 %, im 3. Jahr 50 % und im 4. Jahr
25 %).

Auch für Selbständige, die eine unselbständige Tätigkeit annehmen, ist eine Einkommenser-
satzleistung vorgesehen.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 23

16. 5.           Leistungsvoraussetzungen für die Invali-
ditätspension

Eine Invaliditätspension steht auf Antrag nach einer Wartezeit von 52 Wochen zu. Leistungs-
berechtigt sind Versicherte, die noch nicht 65 Jahre alt sind (dann steht eine Alterspension zu)
und eine Erwerbsminderung von mindestens 15 % nachweisen können.

Zwischen der Erkrankung, der eingetretenen Gesundheitsschädigung und dem Verlust der Er-
werbsfähigkeit muß ein klarer Kausalzusammenhang bestehen. Seit 1993 muß die Erkrankung
oder Gesundheitsschädigung "auf objektive medizinische Weise" ermittelt werden, dh das blo-
ße Vorliegen von Beschwerden oder Symptomen reicht dazu nicht aus. Der Arzt muß vielmehr
festgestellt haben, daß die funktionellen Einschränkungen eine direkte Manifestation von medi-
zinisch anerkannten Erkrankungen darstellen.

Früher war gesetzlich vorgeschrieben, daß bei der Feststellung des Grades der Invalidität die
verminderten Beschäftigungsmöglichkeiten so weit wie möglich zu berücksichtigen sind, dh die
Arbeitsmarktbedingungen waren ein relevantes Kriterium. Seit 1987 sieht das Gesetz aus-
drücklich vor, daß bei dieser Feststellung nicht zu berücksichtigen ist, "ob der Versicherte tat-
sächlich in der Lage sein wird, einen Arbeitsplatz zu finden".

Die Verweisung erfolgte früher auf eine geeignete Arbeit (suitable labour). 1993 wurde dies in
"allgemein anerkannte Arbeit" (generally accepted labour) verändert. Seither kommen als
Verweisungstätigkeiten nicht nur solche Arbeiten auf einer vergleichbaren Ebene in Betracht,
wie sie auf dem bisherigen Arbeitsplatzes anfielen, sondern jede beliebige Art von Arbeit, die
tatsächlich auf dem Hoheitsgebiet der Niederlande existiert. Die Feststellung der Restarbeitsfä-
higkeit ist seither ein weitgehend technischer Vorgang, in dem das computerisierte Job Infor-
mation System eine entscheidende Rolle spielt.

Zur Feststellung von Invalidität hat das LISV bestimmte Standards (vor allem zur Beurteilung
von Erkrankungen) ausgearbeitet, die eher auf Erfahrungswerten als auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen beruhen. Ein Abweichen von diesen Standards ist zulässig, bedarf aber einer
entsprechenden Begründung.

An der Feststellung der Invalidität arbeitet ein Team, bestehend aus einem Sozialversiche-
rungsarzt, einem Berufssachverständigen und einem Juristen zusammen. Die Sozialversiche-

Anlage Tomandl lnvaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 24

rungsärzte benötigen eine vierjährige Spezialisierung in der Sozialmedizin und werden von den
Sozialversicherungsagenturen angestellt. Sie untersuchen den Antragsteller und setzen sich,
falls die erforderlich erscheint, mit den behandelnden Ärzten in Verbindung. Steht allerdings
von vornherein fest, daß der Versicherte vollkommen invalid ist, kann eine eingehende Unter-
suchung unterbleiben. Völlige Invalidität ist nach den Standars des LISV in folgenden vier
Fällen anzunehmen: Chronische Bettlägrigkeit (1), langfristige Aufnahme in ein Spital oder
eine andere stationäre Einrichtung (2), langfristige Abhängigkeit von fremder Hilfe bei den
allgemeinen, alltäglichen Verrichtungen (3), langfristige Unfähigkeit zu grundlegenden sozialen
Aktivitäten (4). In den übrigen Fällen wird das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit
an Hand des zu erwartenden Einkommensverlustes bestimmt.

Der Berufssachverständige vergleicht dann das Einkommen, das die Person vor dem Eintritt
der Erwerbsminderung erzielt hat, mit jenem, das sie nachher zu verdienen fähig ist. Daher
würde selbst ein Mensch, der beide Beine verloren hat, aber fähig ist, auf einem Verwaltungs-
posten zu arbeiten und dort dasselbe Einkommen wie vor dem Verlust seiner Beine zu erzielen,
nicht als invalid angesehen werden. Dagegen würde ein hochbezahlter Flugzeugpilot, der ge-
ringfügige Sehstörungen hat und daher seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, als teilinvalid
gelten, wenn er in jenen Berufen, die er noch ausüben kann, nur mit einem geringeren Ein-
kommen rechnen muß.

Theoretisch sollte bei der Feststellung des früheren Einkommens nicht auf das konkret erzielte
Einkommen geblickt werden, sondern darauf, welches Einkommen gesunde Arbeitnehmer von
ähnlicher Ausbildung und Arbeitserfahrung erzielen. In der Praxis der Sozialversicherungsbe-
hörden und der Gerichte mißt man dagegen dieses von Gesunden erzielbare Einkommen am
früheren tatsächlichen Einkommen des Antragstellers, es sei denn, die Sozialversicherungsbe-
hörde kann belegen, daß dieses Prinzip im Einzelfall nicht anwendbar ist .

3 Da mit 45 Jahren niemand mehr als Fußballprofi arbeiten kann und daher das Einkommen dann erheb-
lich absinken wird, wird bei einem hochbezahlten Fußballprofi, der seinen Beruf aus gesundheitlichen
Gründen aufgeben muß, als Ausgangseinkommen das niedrigere Einkommen herangezogen, das andere
Arbeitnehmer zu erzielen pflegen.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 25

Verwaltungstechnisch wird so vorgegangen, daß das Belastungsmuster des Versicherten mit
dem Anforderungsmuster von Berufen, die dem Versicherten noch zuzumuten sind, vergli-
chen wird. Das Belastungsmuster wird vom Sozialversicherungsarzt, das Anforderungsmuster
vom Berufssachverständigen ausgearbeitet. Um ein einheitliches Vorgehen zu erreichen, hat
das LISV bestimmte Beurteilungskriterien bindend vorgegeben. Das Belastungsmuster ist vom
Versicherungsarzt nach folgenden
28 Kriterien zu bestimmen: Sitzen (1), Stehen (2), Gehen
(3), Stufensteigen (4), Klettern (5), Knien/Kriechen/Hocken (6), Beugen (7), nacheinander
Beugen/Kreisen (8), Halsbewegen (9), Greifen (10), Arbeiten ober dem Kopf (l 1), Hand- und
Fingergeschick (12), Heben (13), Drücken/Ziehen (14), Tragen (15), Luftzug (16),
Staub/Rauch/Gase/Dampf (17), Kälte (18), Hitze (19), Temperaturschwankung (20), Feuch-
tigkeit (21), Trockenheit (22), Allergien (23), Erschütterung (24), Hören/Sehen/Fühlen (25),
Schutzvorrichtung (26), Gefahr/Risiko (27), Streß (28). Manche dieser Kriterien sind nur dar-
aufhin zu untersuchen, ob sie gegeben sind oder nicht, andere verlangen nach einer eingehen-
den Untersuchung (zB wie oft der Versicherte ein bestimmtes Gewicht heben kann).

Das so entstandene Belastungsmuster wird mit dem Anforderungsmuster von Berufen, die
dem Versicherten zuzumuten sind, verglichen. Grundlage dafür ist eine Datenbank (Job Infor-
mation System), die das LISV ausgearbeitet hat und ständig aktualisiert. Sie umfaßt alle am
Arbeitsmarkt vorkommenden Berufe. Für jeden dieser Berufe wird auf der Basis derselben 28
Kriterien, die dem medizinischen Befund zugrundeliegen, festgehalten, welche funktionellen
Anforderungen er an den Arbeitnehmer stellt. Der Berufssachverständige kann somit die aus
dem Belastungsmuster ersichtliche und durch die 28 Kriterien genau bestimmte Restarbeitsfä-
higkeit in den Computer eingeben und erhält als Antwort alle jene Berufe genannt, deren An-
forderungen der Versicherte noch erfüllen kann. Sie bilden das Verweisungsfeld.

Da dieses Job Information System von ganz besonderer Bedeutung für das niederländische
System ist, sei es etwas genauer dargestellt:

Das System wird von einer eigenen Abteilung des LISV mit 20 Mitarbeitern administriert. Spezialisten ("Ar-
beitsmarkt- Analysten") aktualisieren diese Datenbank laufend auf der Basis von Informationen von 3.500 Ar-
beitgebern, die sie alle 18 Monate besuchen. Bei diesen Arbeitgebern kommen rund 9.000 Berufstätigkeiten (in
Hinkunft als "Berufe" bezeichnet) vor, die als relevant und geeignet für die Datenbank angesehen und daher
eingehend untersucht werden. Die Aufgabe der Analysten besteht darin, die Datenbank stets am neuesten Stand
zu halten. Sie sammeln zu diesem Zweck in standardisierter Form permanent Daten über diese Berufe :Aufga-

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 26

ben. Arbeitskategorie (level). erforderliche Qualifikation, mentale und physische Belastung. Arbeitsbedingun-
gen u. dgl. Dafür werden folgende Detailinformationen benötigt:

>    Allgemeine Information: Tag der Untersuchung. Name des Analysten und Art der Ermittlung der Infor-
mation.

>    Information über den Arbeitgeber: Name, Adresse und Registernummer.

>    Allgemeine Information über den Beruf: untemehmensinteme Bezeichnung. Anzahl der Arbeitsplätze.
Code-Nummer und (allenfalls) altersmäßige Begrenzungen.

>    Arbeitszeitanforderungsprofil: Schichtarbeit, Teilzeitbeschäftigung, tägliche Höchstarbeitsstunden, durch-
schnittliche Wochenstundenanzahl, Anzahl der Arbeitstage pro Woche, Arbeitszeit im allgemeinen.

>   Entgelt: als Indikator für die Lohnhöhe werden die laufenden und gleichbleibenden Entgeltbestandteile für
einen 23-jährigen Arbeitnehmer am Beginn seiner Laufbahn herangezogen. Weiters werden Urlaubsgeld.
Sonderzahlungen und sonstige Entgeltbestandteile berücksichtigt.

>    Arbeitskategorie (level): Es werden 7 Kategorien gebildet, wobei die Problemlösungsfähigkeiten. die Selb-
ständigkeit und das Ausbildungsniveau berücksichtigt werden. Die unterste Kategorie (1) betrifft Hilfsar-
beiter und die höchste Kategorie (7) Akademiker.

>    Berufsanforderungen. Art und Niveau der Ausbildung, erforderliche Erfahrung, die wichtigsten Funkti-
onsmerkmale (Quantität, technisch, organisatorisch, verbal oder auf Serviceleistungen ausgerichtete Tätig-
keit, Überzeugungsfähigkeit, Wachsamkeit u.s.w. Die beiden charakteristischsten Elemente sollen erwähnt
werden).

>    Berufsbeschreibung: Zielsetzungen, Inhalt und Aufgaben.

>    Berufsbelastungen: hier wird auf die 28 medizinischen Kriterien eingegangen.

Letztlich entscheidend für die Feststellung des Grades der Invalidität sind die Verdienst-
erwartungen in diesen Verweisungsberufen. Dafür werden aber nur jene drei Berufe herange-
zogen, bei denen mit dem höchsten Lohn zu rechnen ist. Allerdings werden dabei nur solche
Verweisungsberufe berücksichtigt, für die es in den Niederlanden insgesamt mindestens 30
Arbeitsplätze gibt. Dagegen wird, wie schon ausgeführt, nicht berücksichtigt, ob der Antrag-
steller tatsächlich eine Chance besitzt, in einem dieser Berufe eine Arbeit zu finden. Aus dem
aus diesen drei Berufen errechneten Durchschnittslohn wird dann im Vergleich zum früheren
Einkommen das Ausmaß der Minderung der Arbeitsfähigkeit berechnet Ist auf Grund dieser
Berechnungen beispielsweise mit einer Einkommensminderung von 30% zu rechnen, liegt
30%-ige Invalidität vor.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 27

Lehnt der Versicherte die Teilnahme an einer Umschulung ab, wird dieser Berechnung jenes
Einkommen zugrundegelegt, das in jenen Berufen verdient werden kann, die nach Durchfüh-
rung der Umschulung als Verweisungsberufe in Betracht kämen.

Gegen die Entscheidung kann der Antragsteller einen Antrag auf Überprüfung an die erlassen-
de Stelle richten. Ist er damit nicht zufrieden, kann er eine Klage bei der verwaltungsrechtli-
chen Abteilung des Bezirksgerichtes einbringen. Gegen deren Entsheidung kann noch das zen-
trale Appelationsgericht angerufen werden.

17. 6.              Leistungen

Die Invaliditätspension besteht aus zwei Leistungen, die nacheinander zur Auszahlung kommen
und steuerpflichtig sind: Die Lohnausfallsleistung und die Folgeleistung. Diese Leistungen
unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Höhe. Bemessungsgrundlage für die Lohnausfallsleistung
ist der zuletzt bezogene Tageslohn (im Jahr 2000 max 144,78 Euro) . Die Lohnausfallsleistung
beträgt maximal 70% dieses Tageslohnes (bei einem Invaliditätsgrad von 80-100%). Die Be-
messungsgrundlage für die Folgeleistung ist niedriger und hängt vom Lebensalter ab. Sie setzt
sich aus dem Mindestlohn und einem Zuschlag zusammen. Dieser Zuschlag beträgt für jedes
Jahr, das der Antragsteller im Zeitpunkt der Zuerkennung der Invaliditätspension älter als 15
Jahre ist, 2% des Unterschiedsbetrages zwischen seinem Tageslohn und dem Mindestlohn.
Wenn die Invalidität also mit 50 Jahren eintritt, beträgt die Bemessungsgrundlage den Min-
destlohn plus 70% des fehlenden Betrages auf den Tageslohn. Auch die Folgeleistung kann
höchstens 70% der Bemessungsgrundlage betragen.

Die Lohnausfalls- und die Folgeleistung werden in 7 Stufen je nach dem Ausmaß der Er-
werbsminderung, gewährt. Jeder Stufe entspricht ein bestimmter Leistungsprozentsatz, der
angibt, wieviel Prozent der Bemessungsgrundlage der Invalide als Lohnausfalls- oder Folgelei-
stung erhält.

4 Ganz genau 100/108 des Tageslohnes (Berücksichtigung des Urlaubs).

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 28

Leistungshöhe

MINDERUNG DER
ERWERBSFÄHIGKEIT

 

LEISTUNGS-
PROZENTSATZ

 

15-25%

 

14%

 

25-35%

 

21%

 

35 - 45 %

 

28%

 

45-55%

 

35%

 

55-65%

 

42%

 

65 - 80 %

 

50%

 

80-100%

 

70%

 

Ein 15% -ig Invalider erhält also eine Teilpension von 14% seiner Bemessungsgrundlage, wäh-
rend ein zumindest 80%-ig Invalider die Höchstpension von 70% erhält.

Die Dauer der Lohnausfallsleistung bestimmt sich nach dem Alter des Invaliden:

ANFALLSALTER
IN JAHREN

 

BEZUGSDAUER
IN JAHREN

 

33

 

0,5

 

38

 

1,0

 

43

 

1,5

 

48

 

2,0

 

53

 

2,5

 

58

 

6

 

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 29


 


 


59


bis 65. Geburtstag


 


 


Erst nach Ausschöpfung der Lohnausfallsleistung oder bei Eintritt der Invalidität vor Vollen-
dung des 33. Lebensjahres kommt auf Antrag die
Folgeleistung zur Auszahlung. Sie steht an
sich bis zu einem Alter von 65 Jahren zu, wird aber jeweils nur auf 5 Jahre befristet zuer-
kannt. Nach Verstreichen dieser Frist ist eine neuerliche Bewilligung nötig. Wenn das soziale
Existenzminimum nicht erreicht wird, steht eine Ergänzungsleistung nach einem anderen Ge-
setz zu.

18. 7.             Die Sondersysteme

Alle selbständigen Personen und ihre mithelfenden Ehegatten sowie und freiberuflich Tätige
sind beitragspflichtig gegen das Risiko der Invalidität nach dem WAZ versichert. Die Haup-
tunterschiede sind folgende: Selbständige erhalten eine Invaliditätspension erst dann, wenn die
Invalidität mindestens 25% beträgt (daher gibt es 6 Stufen). Die Invaliditätspension steht 52
Wochen nach dem Eintritt der Invalidität zu. Der Grad der Invalidität wird ähnlich wie nach
WAO als Differenz zwischen dem früheren Erwerbseinkommen und dem zu erwartenden Ein-
kommen auf dem gesamten Arbeitsmarkt ermittelt. Als früheres Erwerbseinkommen gilt das
durchschnittliche Einkommen des letzten Jahres, oder - wenn dies höher ist - der letzten drei
Jahre. Die Invaliditätspension ist mit 70% des gesetzlichen Mindestlohnes nach oben hin be-
grenzt.

Nach dem WAJONG erhalten jugendliche Invalide steuerfinanzierte Invaliditätspensionen,
wenn die Invalidität schon vor dem 17. Lebensjahr oder später während des Studiums oder
einer anderen Art von Ausbildung vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten ist. Die
Invaliditätspension steht 52 Wochen nach Eintritt der Invalidität zu. Ihr Ausmaß bestimmt sich
wie nach WAZ, Bemessungsgrundlage ist jedoch der Mindestlohn für Jugendliche.

19. 8.              Statistische Daten

Ende 1999 bezogen insgesamt 922.466 Personen eine Invaliditätspension (das sind rund 13%
aller Arbeitnehmer), davon 744.117 Unselbständige (WAO), 56.885 Selbständige (WAZ) und

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 30

121.464 junge Behinderte (WAJONG). Diese Invaliditätspensionen verteilten sich auf vorge-
nannte Grade wie folgt:

Verteilung der Invaliditätspensionen in Prozenten (Ende 1999)



Verteilung der Invaliditätspensionen in absoluten Zahlen (Ende 1999)

Quelle: GAK Nederland

Die nächsten Tabellen geben einen Überblick über die Verteilung der Neuzugänge an Invalidi-
tätspensionen in den Jahren 1998 und 1999.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Neuzugänge 1998 und 1999 in absoluten Zahlen


 


Anlage Seite 31

 


Neuzugänge 1998 und 1999 in Prozenten


 

 


Quelle: GAK Nederland

Diese Daten lassen erkennen, daß doch einige Unterschiede in der Zusammensetzung der Neu-
zugänge und des Gesamtbestandes an Invaliditätspensionen (Bestandspensionen), in dem sich
die Zugänge der früheren Jahre widerspiegeln, bei den Arbeitnehmern (WAO) feststellbar sind.
So lag 1999 bei den Neuzugängen unter den Arbeitnehmern der Anteil der Schwerstinvaliden
(über 80% Invalidität) mit 67% deutlich niedriger als bei den Bestandspensionen mit 70,4%,
was auf einen Rückgang hindeutet. Dagegen war der Anteil der Leichtinvaliden (bis 35% Inva-
lidität) bei den Neuzugängen mit 14.9% etwas höher als bei den Bestandspensionen mit 13.9%.
Ob damit allerdings ein anhaltender Trend angezeigt wird, läßt sich aus diesem Datenmaterial
noch nicht ableiten.

Während die Verteilung der einzelnen Invaliditätsgrade bei den Neuzugängen unter den Ar-
beitnehmern und bei den Selbständigen (WAZ) in den beiden Jahren keine erheblichen Unter-
schiede aufwies, war dies bei den jugendlichen Invaliden (WAJONG) ganz anders. Da sich
stärkere Abweichungen aber nur in jenen Kategorien finden, in denen weniger als 100 Fälle pro

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 32

Jahr anfielen, dürften diese Abweichungen auf das zu kleine Sample zurückzuführen und daher
eher zufallsbedingt sein.

Bei den Krankheitsursachen standen 1999 bei den Arbeitnehmern psychiatrische Erkrankun-
gen mit 34,2 % an erster Stelle Danach kamen Erkrankungen des  Bewegungsapparates mit
25,2 %, Unfälle mit 6,3 % und Herz- und Kreislauferkrankungen mit 5,1 %. Bei den Selbstän -
digen standen 1999 hingegen Erkrankungen des Bewegungsapparates mit 24 % an erster Stel -
le, gefolgt von psychiatrischen Erkrankungen mit 14,1 % und Herz- und Kreislauferkrankun-
gen mit 8 %. Im WAJONG nahmen 1999, ebenso wie bei den Arbeitnehmern, psychiatrische
Erkrankungen mit 52,5 % die erste Stelle ein.

20. 9.           Die Stellung Teilinvalider am Arbeits-

markt

Teilinvalide werden am Arbeitsmarkt wie Gesunde behandelt. Der Bezieher einer Invalidi-
tätspension kann zusätzlich ein Erwerbseinkommen erzielen, bis er die Höhe seiner früheren
Einkommens erreicht. Wenn jedoch sein Gesamteinkommen diese Grenze übersteigt, kommt es
zum aliquoten Ruhen der Invaliditätspension. So kann etwa der Bezieher einer Vollpension
ungekürzt 30% seines früheren Einkommens dazuverdienen, da seine Pension ja nur 70% be-
trägt. Steht nicht fest, ob die Absenkung bleibend ist, kann die WAO-Leistung auch vorüber-
gehend (höchstens 3 Jahre) entsprechend verringert werden. Eine Neufeststellung des Minde-
rungsgrades findet gern Art 44 WAO in einem solchen Fall allerdings nicht statt.

Tatsächlichen gehen viele Invaliditätspensionisten einer Erwerbstätigkeit nach. Die Beschäfti-
gungsrate liegt für alle Invaliditätspensionisten bei 22% und für die Teilpensionisten bei 52%
(wobei 10% voll arbeiten).

21. 10.        Übergang zur Alterspension

Pflichtversichert ist die gesamte Wohnbevölkerung ab dem vollendeten 15. bis zum 65. Le-
bensjahr. Die Höhe der Alterspension hängt von der Versicherungsdauer ab: für jedes Versi-
cherungsjahr werden 2% der Bemessungsgrundlage gewährt. Die Bemessungsgrundlage ist
vom vorher bezogenen Einkommen unabhängig und einheitlich für Alleinstehende bzw. für
Paare festgelegt. Wer seit seinem 15. Lebensjahr in Holland gelebt hat, erhält daher mit 65

Anlage Tomandl lnvaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 33

Jahren die Vollpension. Das gilt auch für die Bezieher einer Invaliditätspension, da deren Be-
zug mit Vollendung des 65. Lebensjahres endet.

22. 11.        Arbeitsunfälle

Wie dargestellt, werden Arbeitsunfall und Berufskrankheit im niederländischen Sozialversiche-
rungsrecht nicht mehr als eigenständiges Risiko anerkannt.

23. 12.        Arbeitslosenversicherung

Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung (WW) erfaßt alle Arbeitnehmer bis zur Vollendung
des 65. Lebensjahres. Für die allgemeine Leistung muß der Arbeitslose die 26-Wochen-
Bedingung (mindestens 26 Wochen Beschäftigung innerhalb der letzten 39 Wochen) erfüllen.
Er erhält dann bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit ein Arbeitslosengeld in Höhe von 70% des
gesetzlichen Mindestlohnes bis zu 6 Monaten.

Der Arbeitslose erhält eine erweiterte und allenfalls auch eine Folgeleistung, wenn er zusätzlich
die 4-Jahre-Bedingung erfüllt (Beschäftigung in mindestens 4 der letzten 5 Jahre mit mehr als
52 bezahlten Arbeitstagen pro Beschäftigungsjahr). Bei einem Invaliden entfällt die 4-Jahre-
Bedingung. Die erweiterte Leistung wird je nach Lebensalter und Dauer der Beschäftigung 6
Monate bis zu 5 Jahre gewährt und beträgt 70% des vorher bezogenen Einkommens. Im An-
schluß daran kann noch zwei Jahre (dreieinhalb Jahre ab Lebensalter 57,5) eine Folgeleistung
in Höhe von 70
% des Mindestlohnes bezogen werden.

Wer eine Leistung nach dem WW bekommt, muß sich beim Arbeitsamt melden, angebotene
und geeignete Arbeit annehmen und sich bis zu einem Alter von 57,5 Jahren auch selbst be-
werben.

Die bezogene Invaliditäts(teil)pension wird auf das Arbeitslosengeld angerechnet.

24. 13.        Reformvorhaben, Probleme

In einer parlamentarischen Enquete wurde festgestellt, daß die Sozialpartner die Invalidenver-
sicherung auch dazu verwendet haben, um Strukturänderungen auf Kosten der Sozialversiche-
rung durchzuführen. Die für das Jahr 2001 geplante Neuorganisation, nach der das LISV mit

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 34

den 5 Sozialversicherungsanstalten zusammengelegt und unmittelbar dem Sozialministerium
unterstellt werden soll, will dieser Entwicklung entgegenwirken.

Durch die ab 2001 vorgesehenen Organisationsänderungen sollen zudem verstärkt Wettbe-
werbselemente auch in die Absicherung gegen des Risiko der Invalidität eingeführt werden. So
sollen sich an der Durchführung der gesetzlich geregelten Programme (nicht jedoch an der Be-
urteilung der Arbeitsfähigkeit) auch private Institutionen (z.B. Versicherungen) beteiligen kön-
nen. Man erwartet sich durch diese Liberalisierung eine Steigerung der Effizienz bei den Be-
mühungen zur Reintegration durch eine erhöhte Kreativität. Die Sozialversicherungsträger
sollen dann mit verschiedenen privaten Leistungsanbietern Zeitkontrakte abschließen. Aber
auch die Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern und den Gemeinden, welche die Sozialhilfe-
programme durchführen, soll verstärkt werden. Schon derzeit werden Experimente mit einem
one-stop-shop (Zentrum für Arbeit und Einkommen) durchgeführt, in denen der Klient auf alle
Organisationen trifft, die sich mit der Erbringung von Sozialleistungen und Rehabilitations-
maßnahmen befassen. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob der Klient invalid, arbeits-
los oder Sozialhilfeempfänger ist. Es wird sogar überlegt, diesen Zentren auch die Zuerken-
nung von Invaliditätspensionen und Arbeitslosengeld zu übertragen.

In Diskussion ist ganz allgemein, von einem reinen Riskensystem zu einem Versicherungssy-
stem überzugehen, bei dem Leistungen erst nach Erfüllung von Wartezeiten erbracht werden.

Trotz aller Bemühungen gibt es Schwierigkeiten bei den Rehabilitationsmaßnahmen, da zu
viele Arbeitgeber nicht an der Beschäftigung von Behinderten interessiert sind. Dazu treten
auch personelle Engpässe bei den Sozialversicherungsagenturen auf, da diese Aufgaben sehr
personalintensiv sind. So sind neben den behinderten Arbeitnehmern auch noch die Unterneh-
mer und ihre Beratungsfirmen in die Programme mit einzubeziehen. Daher können die an sich
für die Rehabilitation zur Verfügung stehenden Geldmittel oft gar nicht zur Gänze ausgegeben
werden.

Derzeit fuhren die vorgeschriebenen Verständigungspflichten der Arbeitgebers an die Sozial-
versicherungsagentur bei längerer Krankheitsdauer in der Praxis, selbst wenn sie wirklich er-
füllt werden, zu keinen Maßnahmen. Die medizinische Beurteilung, ob Invalidität vorliegt,
sollte 9 bis 12 Monate nach Eintritt der Erwerbsminderung erfolgen, was in der Praxis immer
schwieriger wird, weshalb dann bis zur Erledigung jedenfalls Leistungen erbracht werden müs-

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


 


Anlage Seite 35

sen. Dazu trägt bei, daß als Folge der immer weitergehenden Privatisierungen viele Sozialver-
sicherungsärzte die Sozialversicherung verlassen und zu privaten Organisationen gehen und
dann erst wieder über Verträge mit diesen Organisationen für Begutachtungszwecke zur Ver-
fügung stehen.

Im Bereiche der medizinischen Rehabilitation machen sich die unterschiedlichen Zuständigkei-
ten der Gesundheitsversicherung und der Invaliditätsversicherung störend bemerkbar. Überdies
bestehen erhebliche Engpässe bei Operationen, was zu langen Wartezeiten fuhrt.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 36

C. Schweden5

25. Allgemeine Übersicht

Dem schwedischen Sozialversicherungssystem unterliegt die gesamte Wohnbevölkerung. Jeder
Wohnbürger über 16 Jahren wird bei der zuständigen Versicherungskasse registriert. Das Sy-
stem setzt sich aus Pensionsversicherung (Alterspension und Invaliditätspension), Krankenver-
sicherung (Krankengeld und Rehabilitationsgeld), Gesundheitsversicherung (Behandlungsko-
sten, Spitalskosten, Medikamentenkosten, medizinische Rehabilitation) und Berufsschadens-
versicherung (Unfallrente) zusammen. Die Arbeitslosenversicherung ist eine freiwillige Versi-
cherung.

5 Gesprächspartner waren Ylva Eklund, Reichsversicherungsamt (Invalidität und Rehabilitation), Karin
Mattsson, Reichsversicherungsamt (Invalidität und Rehabilitation), Per Henriksson, Reichsversiche-
rungsamt (Pensionsberechnung), Peter Juselius, Reichsversicherungsamt (Behindertenleistungen). Leif
Westerlind, Reichsversicherungsamt (Untersuchungskommission Rehabilitation). Hans Hellmark. Re-
gionale Versicherungskasse Stockholm. Maria Jerkland Aberg, Regionale Versicherungskasse Stock-
holm, Bengt Sibbmark, Sozialministerium, Saga Fröjd und Lennart Alund, Arbeitsmarktservice.

Literatur: Lißner./Wöss, Umbau statt Abbau - Sozialstaaten im Vergleich 1999; Pieters, Social Secu-
rity Law in the Fifteen Member States of the European Union 1997, 273;
Westerhäll in Blainpain, So-
cial Security Law, Volume 3; Bericht der Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheil, Systeme
der Invaliditätsbemessung, 1996. 131;
Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit, Sozialschutz
in Europa: Übersicht über die Systeme Sozialer Sicherheit, 1996, 179; Kommission der Europäischen
Gemeinschaften,
MISSOC Soziale Sicherheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 1998,
218; Svensson/Brorsson, Kranken- und Arbeitsunfallversicherung: Eine Zusammenfassung der Ent-
wicklungen, IRSozSi 1/1997, 87; Smedmark, Die schwedische Sozialversicherung: Ein Modell im
Wandel, IRSozSi 2/1994, 83.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 37

Zuständig zur Durchführung der Pensions-, Kranken- und Berufsschadensversicherung

sind regionale Versicherungskassen, die mehrgliedrig mit eigener Rechtspersönlichkeit aufge-
baut sind. Entscheidungen über die Leistungserbringung werden autonom von den rund
350
lokalen Kassen getroffen. Die Versicherungskassen unterstehen der Aufsicht des Reichsversi-
cherungsamtes. Dieses hat die einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen und kann be-
stimmte Richtlinien vorgeben. Die Gesundheitsversicherung wird von den Landkreisen
durchgeführt. Die Arbeitslosenversicherung, die nur Geldleistungen erbringt, liegt in den
Händen von privaten Organisationen, den sogenannten Arbeitslosenkassen, die der Aufsicht
der staatlichen Arbeitsmarktverwaltung unterstehen. Diese ist allgemein für die Arbeitsver-
mittlung und berufliche Rehabilitation und zudem für die Erbringung von Geldleistungen an
jene Arbeitslosen, die der Arbeitslosenversicherung nicht beigetreten sind, zuständig.

Die Finanzierung der Sozialversicherung ist nach den einzelnen Bereichen unterschiedlich
geregelt: Die Gesundheitsversicherung und die Arbeitsmarktverwaltung wird aus Steuern, die
Arbeitslosengeldversicherung zu 50 % aus Beitragszahlungen und zu 50 % aus Steuern, die
Kranken- und Berufsschadensversicherung aus Beitragszahlungen und die Pensionsversiche-
rung aus Beitragszahlungen und Staatszuschüssen finanziert. Für den Grundbetrag der Invali-
ditätspension muß seit 1998 die Krankenversicherung und für die Zusatzpension die Pensions-
versicherung aufkommen. Pensionen sind in Schweden ab einem bestimmten Pensionseinkom-
men voll steuerpflichtig.

Das geltende Recht kennt den Ausdruck Invaliditätspension nicht mehr, sondern spricht allge-
mein von vorzeitigen Pensionen. Nach wie vor ist aber Invalidität die wichtigste Leistungsvor-
aussetzung für eine solche vorzeitige Pension. Daher wird im folgenden Text auch weiterhin
der Ausdruck Invaliditätspension verwendet. Diese Invaliditätspension wird nur bis zur Errei-
chung des Pensionsalters gewährt; ihre Höhe ist nach dem Ausmaß der Invalidität in fünf Stu-
fen unterteilt.

26. Invalidität (Überblick)

Als invalid gilt ein Versicherter im Alter zwischen 16 und 65 Jahren, der aus gesundheitlichen
Gründen dauernd um mindestens 25% erwerbsgemindert ist. Das Ausmaß der Erwerbsminde-
rung wird danach bemessen, wieviele Arbeitsstunden pro Tag der Versicherte in irgend einem
Beruf noch leisten kann

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Anlage Seite 38

27. Prävention, Rehabilitation

Ein Versicherter, der arbeitsunfähig ist, besitzt für den 2. bis 14. Tag seiner Erkrankung An-
spruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber Dauert die Krankheit länger an, meldet
dies der Arbeitgeber der Versicherungskasse. Der Versicherte kann sich aber auch selbst an
diese Kasse wenden und besitzt einen
Anspruch auf entsprechende Hilfe. Welche Art Hilfe
(insbesondere Rehabilitation, Krankengeld oder Invaliditätspension) gewährt wird, entscheidet
jedoch die Versicherungskasse. Der Versicherte besitzt zwar kein Antragsrecht auf eine Invali-
ditätspension, wird aber in jeden Verfahrensschritt eingebunden. Die Versicherungskasse be-
müht sich vor allem um eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen und sucht daher die Zu-
sammenarbeit mit dem Arbeitgeber, der - allerdings sanktionslose - zu Rehabilitationsmaß-
nahmen verpflichtet ist. In einem 1. Schritt wird untersucht, ob der Versicherte seine bisherige
Arbeit beim bisherigen Arbeitgeber nach Anpassung der Arbeitsbedingungen (z.B. vermehrte
Ruhepausen, verschobener Arbeitsbeginn, Benutzung von Hilfsmitteln) noch ausüben kann. Ist
das nicht möglich, wird in einem 2. Schritt geprüft, ob andere Arbeitsmöglichkeiten beim bis-
herigen Arbeitgeber vorhanden sind, die der Versicherte noch ausüben kann und die ihm zu-
zumuten sind. Erforderlichenfalls kommt eine berufliche Rehabilitation (Einschulung, Um-
schulung) in Betracht, die der Arbeitgeber übernehmen soll. Die medizinische Rehabilitation
(zB Physiotherapie) obliegt hingegen den Landkreisen im Rahmen der Gesundheitsversiche-
rung.

Die vorrangige Aufgabe der Versicherungskasse besteht somit in der Vermittlung der entspre-
chenden Rehabilitation, wobei sie gemeinsam mit dem Versicherten und dessen Arbeitgeber ein
entsprechendes Rehabilitationsprogramm ausarbeiten soll. Die Rehabilitation selbst soll am
besten im Unternehmen stattfinden, wobei die Rehabilitationskosten vom Arbeitgeber zu über-
nehmen sind. Dieser wird jedoch während der Dauer der Rehabilitation von Lohnkosten entla-
stet, dafür erhält der Rehabilitand von der Versicherungskasse ein
Rehabilitationsgeld in Hö-
he des Krankengeldes. Der Arbeitgeber kann die Übernahme der beruflichen Rehabilitation
ohne Sanktion ablehnen, doch kommt es nach den Angaben der Versicherungskasse zumeist zu
einer Einigung mit dem Arbeitgeber. Das ist nicht nur eine Auswirkung der in Schweden be-
stehenden Unternehmenskultur. Es ist jedenfalls der Stockholmer Versicherungskasse in den
letzten Jahren gelungen, viele Arbeitgeber davon zu überzeugen, daß es für sie besser und auch

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Anlage Seite 39

kostengünstiger ist, bewährte Kräfte, deren Erwerbsfähigkeit gemindert ist, zu rehabilitieren
und dann weiter zu beschäftigen als an ihrer Stelle neue Arbeitnehmer aufzunehmen und einzu-
schulen.

Wesentlich ungünstiger ist die Situation, wenn der erwerbsgeminderte Versicherte seinen Ar-
beitsplatz bereits verloren hat und daher bei Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr auf seinen
Arbeitgeber zurückgegriffen werden kann. Die Versuche der Versicherungskasse, Arbeitgeber
zu finden, bei denen die erforderliche berufliche Rehabilitation durchgeführt werden kann, sind
nicht sehr erfolgreich. Da auch die Arbeitsmarktverwaltung für Arbeitslose Maßnahmen der
beruflichen Rehabilitation gewähren soll, treten gelegentlich Koordinationsprobleme zwischen
Arbeitsmarktverwaltung und der Versicherungskasse auf. Die Arbeitsmarktverwaltung stellt
insbesondere work testing, work training, Untersuchungszentren und Schulungskurse zur
Verfügung und bedient sich dabei vor allem bestehender privater Rehabilitationseinrichtungen.
Auch die Arbeitsmarktverwaltung hat große Schwierigkeiten, Arbeitgeber zu finden, die bereit
sind, bei sich Behinderte im Rahmen eines Rehabilitätionsprogrammes zu beschäftigen. Diese
Arbeitgeber werden zwar von den Lohnkosten entlastet, da der Behinderte an dessen Stelle
eine Vergütung durch die Arbeitsmarktverwaltung erhält (arbetsproevning), müssen aber
einen bestimmten Beitrag an die Landkreise zahlen.

Wegen der angesprochenen Koordinationsprobleme arbeitet derzeit eine Rehabilitations-
kommission an Vorschlägen, den Versicherungskassen eine subsidiäre eigenständige Kompe-
tenz zu geben, falls die Rehabilitation im Rahmen der Gesundheits- und Arbeitslosenversiche-
rung nicht ausreicht. Die Details sind noch offen.

Eine Invaliditätspension wird erst dann gewährt, wenn Aktivierungs-, Rehabilitations- und Be-
handlungsversuche gescheitert sind oder von vornherein als aussichtslos erscheinen.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 40

28. Leistungsvoraussetzungen für die
Invaliditätspension

Ein Versicherter, der infolge eines Gesundheitsschadens dauernd erwerbsunfähig ist, hat im
Alter von 16-65 Jahren einen Anspruch auf eine Invaliditätspension6. Der Begriff der Erwerbs-
unfähigkeit wird aber anders als im österreichischen Recht verstanden. Er stellt nämlich darauf
ab, wieviele Arbeitsstunden pro Tag der Versicherte in seinem bisherigen oder einem ändern
zumutbaren Beruf noch leisten kann. Es besteht also weder ein
Berufsschutz noch wird die
tatsächliche Chance des Versicherten berücksichtigt, eine Arbeit zu finden, der er ungeachtet
seines Gesundheitsschadens nachgehen kann.

Rechtsgrundlage: Sozialversicherungsgesetz (AFL) aus dem Jahr 1962.


Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Kann der Versicherter daher noch einen zumutbaren Beruf 8 Stunden pro Tag ausüben
(Vollarbeitzeit), gilt er nicht als erwerbsunfähig, und zwar auch dann nicht, wenn mit dem er-
forderlichen Wechsel der Beschäftigung ein Einkommensverlust verbunden ist. Ist hingegen
eine Beschäftigung auch in einem anderen Beruf von vornherein unmöglich oder nur zum Teil
möglich
(Teilzeit), steht eine Invaliditätspension zu, wenn der zeitliche Arbeitsausfall zu-
mindest 25 % ausmacht. Folgende Stufen sind vorgesehen:


Anlage Seite 41

Dieselben Stufen gelten aber auch für die Gewährung von Krankengeld (sjukpenning), das
daher je nach zeitlichem Arbeitsausfall zu 100 %, 75 %, 66 %, 50 % oder 25 % ausbezahlt
wird. Auch das Krankengeld (Teilkrankengeld) steht jedoch nur dann zu, wenn der Arbeitneh-
mer auch nach Anpassung der Arbeitsbedingungen (vermehrte Ruhepausen, zeitlich verlagerter
Arbeitsbeginn, Hilfsmittel) nicht vollzeitig arbeiten kann. Das Krankengeld ist mit 80% des
versicherten Einkommens allerdings höher als die Invaliditätspension. Es steht ab dem 15. Tag
der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an sich zeitlich unbegrenzt zu . Für den ersten Tag
erhält der Arbeitnehmer keine Leistung, für den 2. bis 14. Tag ist der Arbeitgeber zur Lohn-
fortzahlung verpflichtet. Die Entscheidung, wann der Übergang vom Krankengeld zur Invali-
ditätspension erfolgt, liegt im Ermessen der Versicherungskassen. Die Vorgangsweise ist aber
nicht einheitlich. Die Stockholmer Versicherungskasse ersucht nach einer etwa einmonatigen
Erkrankung den behandelnden Arzt um eine Stellungnahme, wie weiter vorgegangen werden
soll. Die Vertrauensärzte der Versicherungskasse (die den Erkrankten selbst nicht untersuchen)
überprüfen diese Stellungnahme und erstatten dann eine Empfehlung. Grundsätzlich geht es
darum, ob bzw. zu welcher Zeit mit einer Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu rechnen
ist. Im Normalfall wird Krankengeld nur bis zu einem Jahr Erwerbsunfähigkeit geleistet und
dann für die weitere Dauer der Erwerbsunfähigkeit (bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres)
die Invaliditätspension.

Wenn eine Invaliditätspension gewährt wird, so erfolgt die Einstufung überwiegend auf Grund
des Befundes des behandelnden Arztes des Versicherten. Der Vertrauensarzt der Versiche-
rungskasse kann aber auf Grund des Befundes des Privatarztes weitere Untersuchungen (etwa
bei Fachärzten) verlangen. Die Arbeitsmarktsituation wird ebensowenig berücksichtigt, wie
persönliche Umstände, die der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen.

Zuständig zur Entscheidung sind die in den lokalen Versicherungskassen eingerichteten Aus-
schüsse, die aus Vertretern der Versicherten zusammengesetzt sind. Dagegen kann eine Be-
schwerde an die regionale Versicherungskasse eingelegt werden. Beschwerden gegen deren

7 Nach einem Reformvorschlag soll die Anspruchsdauer hingegen - entsprechend der bereits geübten
Praxis - auch gesetzlich höchstens l Jahr betragen.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 42

Entscheidungen können an das Bezirksverwaltungsgericht gerichtet werden. Nächste und zu-
meist letzte Instanz ist das Verwaltungsberufungsgericht, nur in seltenen Fällen besteht ein
Rechtszug bis zum höchsten Verwaltungsgericht,

29. Berechnung der Invaliditätspension

Alters- und Invaliditätspensionen setzen sich aus zwei Teilen zusammen: aus der Grundpension
(folkpension) und der allgemeinen Zusatzpension ATP (allmänna tilläggspension). Die
Grundpension ist einkommensunabhängig. Ihre Berechnung baut auf einem Grundbetrag auf,
der im Jahr 2000 SEK 36.600 pro Jahr beträgt. Die Grundpension beträgt monatlich für Allein-
stehende 90% des Grundbetrages (2000 SEK 2.745) und für Verheiratete 72,5% des Grund-
betrages (2000 SEK 2.211). Dieser volle Betrag steht jedoch nur zu, wenn man im Alter zwi-
schen 16 und 64 Jahren 40 Jahre in Schweden gelebt oder ATP-Punkte für mindestens 30 Jah-
re aufzuweisen hat. Bei kürzeren Zeiten kommt es zur Aliquotierung (pro Jahr um 1/40 bzw.
1/30).

Für die Zusatzpension ATP benötigt man mindestens drei anrechenbare Jahre. Ihre Höhe hängt
von der Anzahl der gearbeiteten Jahre und der Höhe des versicherten Einkommens ab. Die
Berechnung ist kompliziert. Sie beruht auf einem anderen Grundbetrag (2000 SEK 37.300),
der nach einem Preisindex inflationsgesichert ist. ATP-Punkte gibt es nur für jenen Teil des
Jahreseinkommens, der über dem Grundbetrag liegt. Ein Einkommen in doppelter Höhe des
erhöhten Grundbetrages ergibt l ATP-Punkt, ein Einkommen in dreifacher Höhe 2 ATP-
Punkte, ein Einkommen in vierfacher Höhe 3 ATP-Punkte, usw. Maximal sind 6,5 ATP-
Punkten möglich (dh. bei einem Einkommen in Höhe des 7,5-fachen Grundbetrages). Zur Be-
messung der Zusatzpension wird der Durchschnitt der ATP-Punkte aus den besten 15 Jahren
herangezogen. Liegen zur Zeit der Invalidität noch nicht 15 Jahreseinkommen vor, berechnen
sich die fehlenden ATP-Punkte an Hand einer Einkommensprognose. Die Höhe der Zusatzpen-
sion beträgt bei 30 ATP-Jahren 60% des mit dem Durchschnittswert vervielfachten Grundbe-
trages. Hat der Versicherte daher im Durchschnitt das Dreifache des Grundbetrages verdient
(dh hat er 2 ATP-Punkte), dann beträgt die Zusatzpension 60% von SEK 74.300 (doppelter
Grundbetrag), also SEK 44.580. Im Jahre 2000 betrug die durchschnittliche Höhe der ATP-
Pensionen SEK 5.200.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 43

Besteht kein Anspmch auf eine Zusatzpension oder ist diese zu niedrig, wird eine Ergänzungs-
pension von monatlich SEK 3.443 gewährt. Weitere einkommensabhängige Zulagen sind für
Mietkosten, für die Pflege eines kranken oder behinderten Kindes oder für vor 1935 geborene
Ehefrauen eines Pensionisten vorgesehen.

30. Statistische Daten

Invaliditätspensionen und Alterspensionen in 1.000, Dezember

Quelle: Riksförsärkings-Verket; * Schätzungen

Die Gesamtzahl der Invaliditätspensionen nahm seit 1985 zu; ein Stop dieser Entwicklung
ist auch für 2000 nicht abzusehen. Die Zunahme der Grundpensionen im Jahr 1997 war vor
allem dadurch ausgelöst worden, daß ab diesem Jahr Witwenpensionen nur mehr nach einer
Eirdcommensprüfung gewährt wurden, weshalb viele Witwen in die Invalidität auswichen.
Ende 1996 und 1997 führten die neu eingeführten strengeren Leistungsvoraussetzungen zu
Vorzieheffekten; dennoch sank 1998 die Gesamtzahl nicht. Die Anzahl der Alterspensioni-
sten wie auch der Bezieher der Zusatzpension ATP ist kontinuierlich gestiegen, doch be-
ziehen noch immer rund 16% der Pensionisten nur die Grundpension.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 44

30.1.1.1 Neuzuerkennung von Invaliditätspensio-
nen
im Zeitraum August 1999 bis Juli 2000

Quelle. Riksförsärkings-Verket

Von den neu zuerkannten Invaliditätspensionen entfielen rund ein Drittel auf Teilpensionen.
Die Teilpensionen setzten sich wiederum zu 71% aus Halbpensionen, zu 21% aus Viertelpen-
sionen und nur zu 8% aus Dreiviertel- oder Zweidrittelpensionen zusammen. Das läßt deutlich
erkennen, daß nahezu zwei Drittel der Teilpensionisten nur mehr 4 bis 5 Stunden pro Tag ar-
beiten können.

Den Neuzugang 1999 dominierten folgende Krankheitsursachen: Erkrankungen des Bewe-
gungsapparates (39 %), psychiatrischen Erkrankungen (24 %), Herz- und Kreislauferkrankun-
gen (9 %).

31. Die Stellung Teilinvalider im Arbeitsleben

Teilinvalide werden am Arbeitsmarkt wie gesunde Arbeitnehmer behandelt. Sie besitzen vor
allem denselben Lohnanspruch. Solange der Versicherte einer Beschäftigung im Umfang seines
angenommenen zeitlichen Arbeitsvermögens nachgeht, steht die Invaliditätspension unvermin-
dert zu, sie wird jedoch anteilig gekürzt, wenn der Teilpensionist diese Arbeitszeit erhöht.

Bekommt der Versicherte zB eine Viertelpension, bedeutet das ein vermutetes Arbeitsver-
mögen von 6 Stunden pro Tag. Solange der Versicherte nicht mehr als 6 Stunden pro Tag
arbeitet, steht ihm die Viertelpension daher auch dann unvermindert zu, wenn Teilpension
und Einkommen zusammen sein früheres Erwerbseinkommen überschreiten. Nimmt der

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 45

Versicherte hingegen eine Beschäftigung mit 8 Stunden pro Tag an, ist eine Kumulation in
der Dauer von 3 Monaten möglich, danach kommt es jedoch zum Ruhen der Frühpension,
und zwar unabhängig davon, ob das neue Einkommen das vorangegangene Einkommen er-
reicht. Die Kumulationsmöglichkeit von drei Monaten soll zur Aufnahme einer Arbeit mit
längerer Arbeitszeit ermutigen. Demselben Ziel dient die Bestimmung, daß dieses Ruhen bis
zu drei Jahren dauern kann; beendet der Behinderte innerhalb dieser Zeit seine erhöhte Er-
werbstätigkeit, dann lebt daher auch seine Teilpension wieder auf.

Jede Aufnahme einer Beschäftigung ist der Versicherungskasse zu melden.

Aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgeminderte Personen erhalten Leistungen der Arbeits-
marktverwaltung, wenn sie arbeitslos sind. Dazu gehören Maßnahmen der beruflichen Rehabi-
litation (speziell für jugendliche Behinderte), die bei Teilpensionsempfängern in Koordination
mit der Versicherungskasse durchgeführt werden sollen; solche Maßnahmen sind auch bei auf-
rechtem Dienstverhältnis möglich. Sie haben auch Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Pro-
grammen wie Beschäftigungstraining (speziell für Behinderte), workplace induction, work te-
sting, Übernahme der Kosten eines workplace assistant und Geldleistungen zur Schaffung einer
selbständigen Existenz.

Um Arbeitsplätze für Behinderte zu schaffen, werden Lohnzuschüsse an Arbeitgeber gewährt,
die Behinderte beschäftigen. Das Ausmaß der Arbeitsfähigkeit und damit auch die Höhe der
Zuschüsse werden durch Beobachtung der Arbeit am Job beurteilt und dann einvernehmlich mit
dem Arbeitgeber festgelegt. Das Ziel besteht darin, diesen Personen wieder zu einer normalen
Beschäftigung zu verhelfen. Die Zuschüsse sollten nicht länger als 4 Jahre gewährt werden.
Spätestens nach diesem Zeitpunkt werden mit dem Arbeitgeber Verhandlungen über die weite-
re Vorgangsweise aufgenommen, die aber auch zu einer Verlängerung der Zuschußzahlung bis
zu 10 Jahren fuhren können. Es ist aber nicht leicht Arbeitgeber zu finden, die sich an diesen
Programmen beteiligen.

Im Aufbau sind (teilweise durch EU-Mittel finanzierte) Programme zur Entwicklung "nicht-
traditioneller Projekte". Zusätzlich werden auch Ausstattungen von Arbeitsplätzen für Behin-
derte finanziert.

Da sich die Arbeitsmarktsituation erheblich bessert und immer mehr Arbeitskräfte gebraucht
werden, steigen die Chancen Behinderter, Arbeit zu finden. Nach Auskunft des Experten zahlt

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 46

es sich daher immer mehr aus, Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen. Das Problem sind
vor allem Langzeitarbeitslose und alte Arbeitnehmer. Das Alter ist oft (vor allem in den ländli-
chen Regionen) ein stärkeres Hindernis bei der Arbeitssuche als Behinderungen.

32. Übergang zur Alterspension

Die Invaliditätspension wird nur bis zu einem Alter von 65 Jahren bezahlt. Dann wird sie in
gleicher Höhe in eine Alterspension umgewandelt.

<#Stimmt das auch bei Teilpensionen?>

33. Arbeitsanfälle8

Besonderes gilt im Fall der Invalidität infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufs-
krankheit. In diesem Fall wird nicht auf die Verminderung der Arbeitsleistung in Arbeitsstun-
den pro Tag, sondern auf den erlittenen Einkommensverlust abgestellt. Macht der Einkom-
mensausfall zumindest 1/15 aus, steht dem Versicherten bis zum Erreichen des Pensionsalters
eine Unfallrente zu, die den Einkommensausfall zu 100 % (allerdings nur bis zur Erreichung
des 7,5-fachen Grundbetrages der Alterspension) ausgleichen soll. Eine Kumulierung von Un-
fallrente und Einkommen ist ungekürzt möglich. Steht dem Versicherten jedoch auch eine In-
validitätspension zu, gleicht die Unfallrente nur jenen Verdienstausfall aus, der nicht durch die
Invaliditätspension abgegolten wird.

34. Arbeitslosenversicherung

Die Arbeitslosensicherung wird von rund 40 privaten Arbeitslosenkassen durchgeführt und
sieht als Leistung nur Arbeitslosengeld vor. Beiträge und Leistungen sind gesetzlich geregelt.
Da Arbeitslosengeld nur an Mitglieder der Arbeitslosenkassen bezahlt wird und Nicht-
Mitgliedern nur von der Arbeitsmarktverwaltung ein Arbeitslosengrundbetrag von 240 SEK
pro Tag gewährt wird, sind nahezu alle Arbeitnehmer Mitglied einer solchen Einrichtung. Ar-

8Rechtsgrundlage: Arbeitsunfallgesetz (LAF) aus dem Jahr 1977

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 47

beitslosengeld steht einem Arbeitslosen zu, wenn er in den vorangegangenen 6 Monaten min-
destens 70 Arbeitsstunden pro Monat oder in einem ununterbrochenen Zeitraum von 6 Mona-
ten insgesamt 450 (pro Monat mindestens 45) Arbeitsstunden nachweisen kann. Er hat sich
zudem bei der Arbeitsmarktverwaltung als arbeitssuchend zu melden, aktiv Arbeit zu suchen
Sein Arbeitsvermögen muß zumindest 3 Stunden pro Tag oder 18 Stunden pro Woche ausma-
chen.

Die Berechnung des Arbeitslosengeldes orientiert sich an der Dauer und der Höhe des voran-
gegangenen Einkommens, unbeachtlich ist der Ehestand, die Kinderzahl des Arbeitslosen oder
der Bezug einer Teilinvaliditätspension. Das Arbeitslosengeld steht pro Tag (nicht am Sa und
So), höchstens aber 300 (ab 57 Jahren 450) Tage zu und macht höchstens 580 SEK aus. Pro
Monat darf das Arbeitslosengeld 80 % des letzten Bruttolohnes nicht überschreiten. Die Net-
toersatzrate liegt bei ca 70 %. Ist der Arbeitslose nur teilarbeitsfähig, erhält er nur ein entspre-
chend vermindertes Arbeitslosengeld. Beträgt die Arbeitsfähigkeit jedoch weniger als 3 Stun-
den pro Tag (durchschnittlich 17 Stunden pro Woche), steht kein Arbeitslosengeld zu. Vollin-
valide und Teilinvalide mit einer Dreiviertelpension sind daher vom Bezug von Arbeitslosen-
geld ausgenommen.

Das Arbeitslosengeld wird aus Beitragszahlungen der Mitglieder, der Arbeitgeber und aus
Steuermitteln finanziert. Die Mitglieder zahlen pro Jahr ca 500 SEK an die Arbeitslosenkasse.
Die Beitragszahlungen der Mitglieder decken ca 3 % der Ausgaben. Die Beitragszahlungen der
Arbeitgeber machen 5,42 % der Lohnsumme aus und decken ca 50 % der Ausgaben.

Bekommt der Versicherte Arbeitslosengeld in vollem Umfang ruht eine allfällige Invalidi-
tätspension.

35. Reformvorhaben

Als Bestandteil der schwedischen Pensionsreform soll die Sicherung des Risikos der Invalidität
aus der Pensionsversicherung herausgenommen und zur Gänze der Krankenversicherung über-
tragen werden. Die Details stehen noch nicht fest. Es ist aber daran gedacht, den Arbeitgeber
zu verpflichten, schon im einem früheren Stadium der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers
als derzeit Kontakt mit der Krankenversicherung aufzunehmen, um noch früher entsprechende
Maßnahmen einleiten zu können. Das Krankengeld soll in Hinkunft in zwei verschiedenen Hö-

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 48

hen gewährt werden: einmal für kurzfristige Arbeitsunfähigkeit und einmal für langfristige (das
wäre die "Invaliditätspension neu"). Die Unterscheidung zwischen Grundbetrag und Zusatz-
pension würde dann entfallen. Im Durchschnitt soll die Leistungshöhe der "Invaliditätspension
neu" den bisherigen Invaliditätspensionen entsprechen. Für unter 30-jährige Invalide will man
eine andere Leistung einführen (activity benefit), um sie wieder in das Arbeitsleben zu integrie-
ren.

Der Grund für die geplante Ausgliederung besteht einmal darin, flexibler in den Bemühungen
zu werden, den Behinderten wieder in das Arbeitsleben zurückzuführen. Es herrscht die Auf-
fassung, daß derzeit diesbezüglich zu wenig getan wird, sobald der Behinderte einmal eine
Pension erhalten hat. Es gibt eine neuere Studie, der zufolge die finanziellen Vorteile einer ge-
lungenen Rehabilitation ungefähr das 9-fache der Rehabilitationskosten betragen sollen. Ein
weiterer Grund für die Ausgliederung liegt darin, daß man die Beitragshöhe in der neuen Pen-
sionsversicherung für längere Zeit stabil halten möchte.

Da sich die neue Alterspension - anders als bisher - aus der Summe der Beitragszahlungen
errechnen wird, wird jedoch erforderlich sein, auch für die Zeiten des Bezuges einer "Invalidi-
tätspension neu" eine Beitragsleistung vorzusehen, soll das Alterspensionskonto, vor allem bei
früher Invalidität, nicht zu niedrig werden. Man denkt daher daran, den Beitragsausfall in Zei-
ten des Bezuges einer Invaliditätspension durch staatliche Beitragszahlungen auszugleichen.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 49

D. Spanien

36. Allgemeine Übersicht

Das spanische System sozialer Sicherheit ist ein Mischsystem, bestehend aus einer beitragsfi-
nanzierten Sozialversicherung und einem abgabenfinanzierten Teil. Die Sozialversicherung
umfaßt Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung, Krankenversicherung (nur
Geldleistungen) und Arbeitslosenversicherung. Die Invaliditäts- und Krankenversicherung
deckt auch die Risken Arbeitsunfall und Berufskrankheit ab, wenn sich die Arbeitgeber bezüg-
lich dieser Risken für die Sozialversicherung entschieden haben (siehe unten 11). In der Sozial-
versicherung sind die erwerbstätigen Personen versichert (im allgemeines System die Arbeit-
nehmer und in fünf Sondersystemen Selbständige bzw. andere Berufsgruppen).

Die Finanzierung der Sozialversicherung erfolgt im Rahmen eines Umlagesystems durch
einen Einheitsbeitrag (AG 23,6 % und AN 4,7 %), einen Sonderbeitrag zur Arbeitslosenversi-
cherung (AG 6 % und AN 1,55 %) und zu ca 30 % aus Staatsmitteln. Die Bemessung der
Beiträge erfolgt vom gesamten Entgelt innerhalb eines Mindest- und eines Höchstbetrages, die
für verschiedene Berufsgruppen verschieden hoch sind. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei
Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die vollen Kosten für die Sachleistungen der Gesund-
heitsversicherung und für die Geldleistungen der Kranken- und Invaliditätsversicherung zu
übernehmen. Er hat zu diesem Zweck das Wahlrecht, seine Arbeitnehmer entweder privat (bei
einer Unternehmerversicherungskasse) oder bei der staatlichen Sozialversicherung zu versi-
chern.

Besprechungspartner in Spanien am 25. und 26.10.2000: Graciano Alia Alvarez und Emilio Jardon
Dato.

Literatur: Reinhard, Invaliditätssicherung im Rechtsvergleich, Studien aus dem Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Sozialrecht, Band 18. 1998, 553, derselbe, Invaliditätssicherung
in Spanien und die Reform von 1997, Deutsche Rentenversicherung 6-7-8. 1998, 537.

Anlage Tomandl lnvalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 50

Zum abgabenfinanzierten Teil der Sozialen Sicherheit gehören die Gesundheitssicherung für
alle (Behandlungskosten, Medikamentenkosten, Rehabilitation) und die Sicherung gegen die
Risken Invalidität und Alter für solche Personen, die entsprechende Leistungen nicht aus der
Sozialversicherung erhalten, weil sie entweder nicht versichert sind oder nicht die erforderliche
Wartezeit aufweisen (sogenannte nichtbeitragsbezogene Sozialversicherung).

37. Invalidität (Übersicht)

Unter Invalidität wird die dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit verstanden, wobei drei
Stufen unterschieden werden: Teilinvalidität10 (Verminderung der Fähigkeit zur Ausübung der
bisherigen üblichen Berufstätigkeit um mindestens 33%, bei Weiterbestehen der Fähigkeit zur
Ausübung der grundlegenden Berufsanforderungen), Berufsunfähigkeit (in Spanien totale Un-
fähigkeit zur Ausübung des Berufes bezeichnet11: völlige Unfähigkeit zur Ausübung des bishe-
rigen Berufs bzw. der grundlegenden Berufsanforderungen) und Erwerbsunfähigkeit (in Spani-
en absolute Erwerbsunfähigkeit bezeichnet12). Als vierte Kategorie (schwere Invalidität13) wird
noch eine Verbindung von Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit angesehen, auf die hier
nicht näher einzugehen ist.

38. Prävention und Rehabilitation

Prävention und medizinische sowie berufliche Rehabilitation (berufliche Orientierung, Um-
schulung und Einschulung) fallen in den Aufgabenbereich des staatlichen Gesundheitsdienstes,
der vom Institute Nacional de la Salud (EVSALUD), das mit eigener Rechtspersönlichkeit
ausgestattet ist, und dessen untergeordneten Einrichtungen geführt wird. Auf diesem Gebiet
besteht also eine organisatorische Trennung von der Sozialversicherung.

10 Incapacidad permanente parcial para la profesion habitual
11Incapacidad permanente total para la profesion habitual

12 Incapacidad permanente absoluta para todo trabajo

13 Gran Invalidez.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 51

Als wichtig wird die Zusammenarbeit mit dem Versicherten und seine Einbindung in die Ge-
staltung des gesamten Rehabilitationsverlaufes angesehen. Der Versicherte kann insbesondere
eigene Stellungnahmen abgeben und einen Rehabilitationsvorschlag machen. Medizinische Re-
habilitation wird vor allem in den Einrichtungen des nationalen Gesundheitsdienstes durchge-
führt. Die berufliche Rehabilitation beginnt schon im Stadium der medizinischen Behandlung
und wird allenfalls auch nach deren Abschluß fortgesetzt. Sie besteht in beruflicher Orientie-
rung, Berufsberatung und allenfalls in einer Umschulung (Einschulung). Sie wird von staatli-
chen oder privaten (Unternehmerversicherungskassen) Einrichtungen oder auch vom Arbeitge-
ber durchgeführt.

Die berufliche Rehabilitation nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten übernehmen beson-
dere staatliche Einrichtungen; sie kann aber auch im Unternehmen des Arbeitgeber stattfinden.

Die Kosten der beruflichen Rehabilitation sind gemeinsam von den staatlichen Einrichtungen
und vom Arbeitgeber zu tragen.

39. Leistungsvoraussetzungen für die Invalidi-
tätspension

Einzugehen ist hier nur auf die beitragsfinanzierte Invaliditätspension; bezüglich der nichtbei-
tragsfinanzierten siehe unten (7). Als invalid gilt ein Arbeitnehmer dann, wenn er nach Ab-
schluß der ärztlichen Behandlung schwere anatomische oder funktionelle Defekte aufweist, die
objektiv feststellbar und voraussichtlich definitiv sind und seine Arbeitsfähigkeit vermindern
oder ausschließen. Auf die Ursachen der Gesundheitsbeeinträchtigung kommt es nicht an, doch
sind im Fall eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit keine Mindestbeitragszeiten er-
forderlich und die Leistungen deutlich höher.

Solange noch nicht feststeht, ob die Beeinträchtigung dauerhaft bestehen bleiben wird, stehen
für einen Zeitraum bis zu 18 Monaten nur Leistungen der Krankenversicherung zu. Spätestens
innerhalb von drei Monaten nach Ablauf dieser 18 Monate ist zwingend zu prüfen, ob eine
dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit (invalido permanente) vorliegt oder nicht. Läßt
sich diese Frage auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten, kann die Krankenversiche-
rungsleistung weiter ausgedehnt werden, die Gesamtleistungsdauer darf aber 30 Monate nicht
überschreiten.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 52

Bei den Geldleistungen wird seit 1995 nicht mehr zwischen vorübergehender Arbeitsunfähie-
keit und vorübergehender Invalidität unterschieden In beiden Fällen wird seither eine
Geldlei-
stung für vorübergehende Arbeitsunfähigkeit erbracht, die zum Zweck der besseren inter-
nationalen Vergleichbarkeit hier als Krankengeld bezeichnet wird Vom 4. bis zum 15. Kran-
kemag ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Lohn fortzuzahlen. Anspruch auf Krankengeld be-
steht ebenfalls erst ab dem 4. Tag. Die Höhe des Krankengeldes beträgt bis zum 20. Kranken-
tag 60 % und steigt ab dem 21. Krankentag auf 75 %. Im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer
Berufskrankheit beträgt das Krankengeld jedoch schon vom ersten Tag an 75%. Bemessungs-
grundlage ist das Erwerbseinkommen aus dem Monat vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit.
Die Auszahlung des Krankengeldes erfolgt auf Rechnung der Krankenversicherung durch den
Arbeitgeber.

Wie bestimmt sich der Grad der Erwerbsminderung? 1997 sah ein Gesetz vor, daß in allgemei-
ner Form verbindlich festgelegt werden soll, mit welchem Prozentsatz der Erwerbsminderung
bestimmte Funktionsausfallen zu bewerten sind, wobei die Auswirkungen der Gesundheitsbe-
einträchtigung auf die Stellung am Arbeitsmarkt berücksichtigt werden sollten. Das Vorhaben
hat sich jedoch als zu schwierig erwiesen und soll nunmehr wieder aufgegeben werden. Die
Feststellung erfolgt daher nach wie vor am Einzelfall.

Kann der Versicherte in derselben Berufskategorie voll oder zumindest mit einer Einkom-
mensminderung von weniger als 33 % arbeiten, gilt er nicht als invalid. Im weiteren ist nach
den drei genannten Kategorien zu unterscheiden.

Teilinvalidität liegt dann vor, wenn der Versicherte, zwar die grundlegenden Arbeiten seines
gewöhnlichen Berufes weiterhin verrichten oder einen anderen Beruf ausüben kann, aber nicht
mehr fähig ist, in seinem gewöhnlichen Beruf mindestens 33 % des normalen Einkommens zu
erzielen. Diese Prüfung erfolgt konkret an Hand seines Arbeitsplatzes. Teilinvalid kann etwa
ein Bauarbeiter sein, der wegen Sehbeeinträchtigungen nicht mehr Arbeiten auf Gerüsten
nachgehen kann, auf ebener Erde aber voll einsatzfähig ist. Ein und dieselbe Beeinträchtigung
kann sich bei verschiedenen Personen unterschiedlich auswirken. So kann eine bestimmte Be-
einträchtigung bei einer körperlich schwer arbeitenden Person Invalidität begründen, bei einer
Person, die im Sitzen arbeitet, hingegen nicht. Die Feststellung der Einkommensminderung
beruht auf einer Prognose des als Folge der Behinderung zu erwartenden Einkommensausfal-

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 53

les. Die konkrete Einkommenssituation nach Eintritt der Invalidität wird nicht geprüft. Hat der
Versicherte nur deshalb keinen Einkommensausfall, weil er seine Behinderung durch erhöhte
Anstrengung kompensiert, gilt er daher dennoch als invalid.

Berufsunfähigkeit (im hier verwendeten Sinn) besteht dann, wenn der Versicherte zwar unfä-
hig ist, seinen gewöhnlichen Beruf (oder zumindest die dort anfallenden grundlegenden Arbei-
ten) weiter auszuüben, aber in der Lage ist, einem anderen Beruf nachzugehen.

Erwerbsunfähigkeit (im hier verwendeten Sinn) liegt vor, wenn der Versicherte keinen wie
immer gearteten Beruf mehr ausüben kann. Benötigt er überdies noch Pflege, liegt schwere
Invalidität vor.

Hinsichtlich der Wartezeit (Mindestversicherungsdauer) wird unterschieden. Für die Entschä-
digung bei Teilinvalidität sind 1800 Beitragstage innerhalb der letzten 10 Jahre erforderlich,
wenn sie durch eine Allgemeinerkrankung hervorgerufen wurde; geht die Teilinvalidität jedoch
auf andere Gründe zurück (Berufskrankheiten, Unfälle) ist keine Wartezeit vorgeschrieben.

Für Invaliditätspensionen hängt die erforderliche Dauer der Wartezeit vom Lebensalter ab. Sie
beträgt bei Personen unter 26 Jahren die Hälfte der Zeit zwischen der Vollendung des 16. Le-
bensjahres und dem Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität; bei Personen über 26 Jahren ein
Viertel der Zeit zwischen der Vollendung des 20. Lebensjahres und dem Zeitpunkt des Eintritts
der Invalidität (mindestens jedoch 5 Beitragsjahre). Beruht die Invalidität auf einem Arbeits-
unfall oder einer Berufskrankheit, ist keine Wartezeit erforderlich.

40. Feststellung der Invalidität

Ob eine Invaliditätspension gewährt wird, entscheiden die Provinzdirektionen des Institute
Nacional de Seguridad Social (INSS). Das diesbezügliche Verfahren kann durch die Provinzdi-
rektion selbst (zB nach Ablauf der Höchstdauer der Krankenversicherungsleistungen, auf An-
trag des ITSS14 oder des nationalen Gesundheitsdienstes) oder auf Antrag des Versicherten
eingeleitet werden.

14 Inspeccion de Trabajo y Securidad Social (Inspektion für Arbeit und Soziale Sicherheit)

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 54

Die zuständige Provinzdirektion hat alle Daten zu erheben, die zur Entscheidung nötig sind:
vor allem die Krankengeschichte (Bericht des nationalen Gesundheitsdienstes) und einen Gut-
achtensvorschlag der Equipo de Valoracion de Incapacidades (EV1). Die EVI ist ein Begut-
achtungsteam, das dem jeweiligen Provinzdirektor des INSS unmittelbar untergeordnet ist und
aus einem Vorsitzenden und vier Gutachtern (einem Kontrollarzt, einem Versicherungsarzt,
der beim INSS beschäftigt ist, einem Arbeitsinspektor und einem Beamten des INSS) besteht,
die vom Generaldirektor des INSS ernannt werden.

Die Aufgabe des Begutachtungsteams besteht darin, einen medizinischen Bericht, einen Bericht
hinsichtlich der Berufslaufbahn des Versicherten (vor allem zuletzt ausgeübter Beruf, Ausbil-
dung, Berufseignung, Restarbeitsvermögen) und einen Bericht hinsichtlich des Versicherungs-
verlaufes (Versicherungszeiten, Beitragsgrundlagen) auszuarbeiten und einen Gutachtensvor-
schlag zu erstatten.

Der medizinische Bericht wird vom Versicherungsarzt verfaßt, der sich dabei auf die Kran-
kengeschichte des nationalen Gesundheitsdienstes, sonstige Krankheitsberichte, Angaben des
Versicherten und dessen Arbeitgebers stützt. Der Versicherungsarzt kann erforderlichenfalls
Zusatzuntersuchungen verlangen, die von den Einrichtungen des nationalen Gesundheitsdien-
stes durchzuführen sind. Der Versicherte ist bei sonstigem Anspruchsverlust verpflichtet, einer
solchen Zusatzuntersuchung nachzukommen.

Der Bericht des Arbeitsinspektors stellt fest, ob die Invalidität eine Folge von Verletzungen
der Arbeitnehmerschutzbestimmungen ist, da in diesem Fall Zuschläge zur Invaliditätspension
gewährt werden. Bestehen Hinweise darauf, daß die Invalidität auf der Nichtbeachtung von
Sicherheits- und Hygienevorschriften durch den Arbeitgeber beruht, kann zudem ein Experte
aus dem Bereich "Sicherheit und Hygiene bei der Arbeit" beigezogen werden.

An Hand der verschiedenen Berichte erstattet das Team einen Gutachtensvorschlag an den
Provinzdirektor des INSS. Dieser Vorschlag muß insbesondere folgende Fragen behandeln:
Entfall oder Minderung der Arbeitsfähigkeit (1), Invaliditätsgrad (2), Frist, innerhalb derer der
Invaliditätsgrad nochmals zu überprüfen ist (3), Invaliditätsursache (4), Besserungschancen

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11 00


Anlage Seite 55

(5), bleibende Verstümmelungen und Deformierungen15 (6), Prozentsatz der Erhöhung der
Leistung, wenn die Invalidität Folge der Nichtbeachtung von Arbeitnehmerschutzvorschriften
durch den Arbeitgeber ist (7). Nicht mit einzubeziehen sind die Chancen des Versicherten, am
Arbeitsmarkt auch tatsächlich einen Arbeitsplatz finden zu können Es bestehen keine einheitli-
chen Vorgaben, wie diese Bewertung vorzunehmen ist.

Der Direktor der Provinzdirektion entscheidet dann durch Bescheid an Hand des für ihn nicht
verbindlichen Gutachtensvorschlages über das Vorliegen und den Grad der Invalidität sowie
darüber, ob die Ursache der Invalidität ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit ist.

Eine Invaliditätspension wird zwar unbefristet zuerkannt, doch hat der Provinzdirektor eine
Frist zur nochmaligen Überprüfung (Verschlimmerung oder Verbesserung des Leidens, Fehl-
diagnose) festzusetzen. Ist diese Frist nicht länger als 2 Jahre, dann muß der Arbeitgeber den
Arbeitnehmer wieder einstellen, wenn bei der Überprüfung festgestellt wird, daß der Arbeit-
nehmer arbeitsfähig ist. Unabhängig von der im Bescheid bestimmten Frist hat eine neuerliche
Überprüfung auch dann stattzufinden, wenn der Pensionist eine unselbständige oder selbstän-
dige Arbeit aufnimmt. Die Überprüfung kann zur Erhöhung, Minderung oder Entziehung der
Invaliditätspension fuhren.

In Spanien besteht eine einheitliche Datenbank, in der alle pensionsrelevanten Daten des Invali-
den enthalten sind. Alle Institutionen der Sozialen Sicherheit sind verpflichtet, die entsprechen-
den Daten zu übermitteln. Sie dienen vor allem der laufenden Kontrolle des Fortbestehens der
Leistungsvoraussetzungen.

41. Berechnung der Invaliditätspension

Die Höhe der Invaliditätsleistungen richtet sich nur nach dem Grad der Invalidität und der Hö-
he des vorher bezogenen Einkommens. Die Versicherungsdauer spielt keine Rolle.

15 Lesiones permanentes no invalidantes. In einem solchen Fall wird eine einmalige Abfindung bezahlt.
Entschädigt wird die Verstümmelung als solche und nicht deren Auswirkung hinsichtlich des Arbeits-
vermögens.

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 56

Im Fall der Teilinvalidität steht nur eine einmalige Pauschalentschädigung im Ausmaß des
Krankengeldes für 24 Monate zu.

Zur Berechnung der Invaliditätspensionen wird als Bemessungsgrundlage das durchschnittli-
che Entgelt des letzten Jahres (bei Sonderzahlungen variiert die Berechnung zwischen zwei
und 8 Jahren, je nachdem, ob es sich um Krankheiten oder Unfälle handelt) herangezogen.

Die Berufsunfähigkeitspension beträgt 55% der Bemessungsgrundlage. Dem liegt die Ver-
mutung zu Grunde, daß der Versicherte einen Teil des Einkommensausfalles durch eine andere
Arbeit ausgleichen kann. Ab einem Alter von 55 Jahren wird dazu ein Alterszuschlag von
20 % gewährt, wenn es dem Invaliden mangels einer allgemeinen oder besonderen Ausbildung
und wegen sozialer und arbeitsbedingter Umstände und seines Wohnortes nur erschwert mög-
lich ist, eine neue Arbeit zu finden. Der Zuschlag steht auf Grund seiner Zielrichtung aber nur
zu, solange der Versicherte keine Beschäftigung hat. Der Zuschlag fällt daher bei Aufnahme
irgend einer Arbeit oder bei Bezug von Arbeitslosengeld weg.

Die Erwerbsunfähigkeitspension beträgt 100%, die Pension bei schwerer Invalidität 150%
der Bemessungsgrundlage. Ein Einkommen, das der Pensionist (allenfalls) noch beziehen kann
(zB durch Gelegenheitsarbeiten), ist mit der Erwerbsunfähigkeitspension vereinbar.

War die Invalidität durch die Nichtbeachtung von Sicherheits- und Hygienevorschriften durch
den Arbeitgeber oder durch die unzureichende Wartung von Betriebsmitteln verursacht, ist der
Arbeitgeber verpflichtet einen Zuschlag zur Invaliditätspension in der Höhe von 10%, 50%
oder 100% zu bezahlen. Hinsichtlich dieser Zuschlagszahlung kann sich der Arbeitgeber nicht
versichern.

Invaliditätspensionen wegen Erwerbsunfähigkeit und schwerer Invalidität sind von der Be-
steuerung ausgenommen. Berufsunfähigkeitspensionen sind hingegen voll steuerpflichtig.

42. Die nichtbeitragsfinanzierte Invaliditätspension

Eine abgabenfinanzierte Invaliditätspension wird im Rahmen der sozialen Mindestsicherung an
bedürftige Personen zwischen 18 und 65 Jahren gewährt, deren physische, mentale oder senso-
rische Fähigkeiten durch angeborene oder später eingetretene physische oder psychische Er-
krankungen herabgesetzt oder beseitigt wurden. Weitere Voraussetzung ist eine Mindestwohn-
zeit in Spanien von 5 Jahren, darunter zwei Jahre unmittelbar vor der Antragstellung und Be-
Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 57

dürftigkeit. Bedürftigkeit wird angenommen, wenn das Gesamteinkommen eines Jahres niedri-
ger wäre als die Invaliditätspension für ein Jahr.

Vorgesehen sind zwei Kategorien, eine Invaliditätspension bei Invalidität oder chronischen
Krankheit, die zu einer Herabsetzung der Fähigkeiten um mindestes 65% fuhrt, und eine er-
höhte Pension, wenn diese Herabsetzung mindestens 75% beträgt und der Betroffene zudem
noch pflegebedürftig ist. Die niedrigere der beiden Invaliditätspensionen beträgt für das Jahr
2000 monatlich für Alleinstehende PES 40.260 und für ein Paar PES 67.170; die höhere Pensi-
on beträgt 150% dieser Leistung. Erwerbseinkommen wird bis zu 25% der Pension angerech-
net.

43. Statistische Daten

Anzahl der Pensionisten 1992 bis 1999 (jeweils 1. Jänner)

Quelle: INSS

Ein unmittelbarer Vergleich zwischen den Jahren bis und nach 1997 ist nicht möglich, weil man
erst 1998 dazu übergegangen ist, Invaliditätspensionisten nach Vollendung des 65. Lebensjah-
res zu den Alterspensionisten zu zählen. Sieht man davon ab, dann ist die Gesamtzahl der In-
validitätspensionen zwischen 1992 und 1997 jährlich um 0,6% bis 1,6% angestiegen, seit 1998
ist ein leichter Rückgang eingetreten.
Neuzugang zu den beitragsbezogenen Pensionen 1997-1999 in absoluten Zahlen

 

 

1997

 

1998

 

1999

 

 

 

Anlage Tomandl Invalidität.doc 30.11.00


 


Anlage Seite 58


 

Neuzugang zu den beitragsbezogenen Pensionen 1997-1999 in Prozenten


Quelle: I.\'SS

Die Zahl der Neuzugänge ist bei der Invaliditätspension von 1997 bis 1999 um rund 18% ge-
sunken; gleichzeitig sank aber auch die Zahl der zuerkannten Alterspensionen, allerdings mit
rund 13% doch deutlich weniger als die Zahl der Invaliditätspensionen. Dadurch ist der Anteil
der Invaliditätspensionen am Neuzugang aller Direktpensionen von rund 30,8% auf 29,6 %
gesunken. Das deutet daraufhin, daß die Maßnahmen der letzten Jahre zu einem Rückgang bei
der Zuerkennung von Invaliditätspensionen gefuhrt haben.

Unter dem Neuzugang an Invaliden des Jahres 1999 befanden nur rund 1% Teilinvalide; dage-
gen erhielten 61 % eine Berufsunfähigkeitspension (davon rund 1/3 mit Alterszuschlag),
36,1 % eine Erwerbsunfähigkeitspension und 1,8 % eine Pension wegen schwerer Invalidität.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 59

An diesen Zahlen zeigt sich die Bedeutung des dem System innewohnenden Berufsschutzes:
Nur weniger als 40% der Bezieher einer Invaliditätspension sind nicht mehr in der Lage, irgend
einem Beruf nachzugehen. Zum Unterschied vom Berufsschutz in Österreich erhalten die Be-
zieher einer Berufsunfähigkeitspension aber nur eine geringere Pension in Höhe von 55% (ab
55 Jahren 75%), während die Erwerbsunfähigkeitspension 100% ausmacht.

Nach Angaben des INSS sind mehr als 60 % aller Invaliditätspensionisten älter als 50 Jahre.
Rund 70% der Bezieher von Invaliditätspensionen sind Männer.

Hinsichtlich der Invaliditätsursachen stehen Erkrankungen des Bewegungsapparates mit ca
29 % an erster Stelle. 15 % entfallen auf Erkrankungen der Sinnesorgane, 13 % auf Herz- und
Kreislauferkrankungen, 6 % auf psychiatrische Erkrankungen und 6 % auf Lungenerkrankun-
gen. Die Zahlen sind allerdings von Provinz zu Provinz sehr unterschiedlich, was zum Teil
durch das unterschiedliche Klima bedingt ist.

44. Die Stellung Teilinvalider am Arbeitsmarkt

Das Arbeitsrecht sieht nach der Unternehmensgröße gestaffelte Beschäftigungsverpflichtungen
der Arbeitgeber für Teilinvalide vor. Wird bei Zuerkennung einer Invaliditätspension eine Frist
zur Überprüfung von nicht länger als 2 Jahren festgelegt, muß der Arbeitgeber diesen Arbeit-
nehmer wieder einstellen, wenn die Überprüfung ergibt, daß er arbeitsfähig ist.

Sobald der Pensionist eine Arbeit aufnimmt, muß er das INSS davon benachrichtigen. Das spa-
nische Recht geht - wie man an der Berechnung der Pension erkennen kann - davon aus, daß
die Bezieher einer Berufsunfähigkeitspension einen anderen Beruf ausüben können. Daher
können sie neben der Berufsunfähigkeitspension ein Einkommen aus einem anderen Beruf ohne
Einfluß auf die Pensionshöhe beziehen. Nur der Alterszuschlag entfällt bei Aufnahme einer
Berufstätigkeit. Würde ein Berufsunfähigkeitspensionist allerdings wieder seinen vorangegan-
genen Beruf aufnehmen, käme es zur Entziehung der Invaliditätspension.

Bezieher einer Invaliditätspension haben bestimmte Vorteile. Sie werden in den Einrichtungen
des staatlichen Gesundheitsdienstes kostenlos behandelt, bezahlen keine Rezeptgebühren und
haben auch Anspruch auf bestimmte Sozialdienste (z.B. Heimhilfe, Hilfe bei der Freizeitge-
staltung).

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 60

••

45. Übergang zur Alterspension

Mit Vollendung des 65. Lebensjahres wird die Invaliditätspension automatisch in eine Alters-
pension umgewandelt Es ändert sich dabei allerdings nur die Bezeichnung, nicht jedoch die
Höhe der Pension. Da die Berufsunfähigkeitspension (wenn der Invalide keine neue Arbeit
findet) ab einem Alter von 55 Jahren 75 % beträgt, macht auch die Alterspension von bisheri-
gen Empfängern der Berufsunfähigkeitspension in der Regel 75 % aus.

Im Gegensatz zur Invaliditätspension hängt die Höhe der Alterspension von der Versiche-
rungsdauer und einer anders ermittelten Bemessungsgrundlage ab. Die Höhe der beiden Lei-
stungen wird daher völlig unterschiedlich ermittelt. Zudem ist zu beachten, daß bei einer Inan-
spruchnahme der Alterspension vor der Vollendung des 65. Lebensjahres ein Abschlag von 8%
(mit mindestens 40 Versicherungsjahren von 7%) pro Jahr der früheren Pensionierung erfolgt;
der Abschlag beträgt daher bei einer Pensionierung mit 60 Jahren 40%.

Erzielt ein Invaliditätspensionist ein Erwerbseinkommen, kann er bei Erreichung des Pensions-
alters wählen, ob er die Invaliditätspension weiterbeziehen (auch in diesem Fall ändert sich nur
der Name in Alterspension) oder eine eigene Alterspension erhalten möchte, für deren Berech-
nung allerdings nur seine erworbenen Versicherungszeiten herangezogen werden.

46. Arbeitsunfallversicherung

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Arbeitnehmer gegen das Risiko eines Arbeitsunfalles
oder einer Berufskrankheit auf seine Kosten zu versichern. Er kann sich frei entscheiden, ob er
dies bei einer der privaten Unternehmerversicherungskassen (mutuas patronales) oder bei der
Sozialversicherung tut. Beitragshöhe und Leistungen sind gesetzlich vorgegeben und für beide
Systeme gleich. Das Wahlrecht zwischen der privaten und der öffentlichen Versicherung kann
der Arbeitgeber jährlich neu ausüben. Da die Entschädigung für einen Arbeitsunfall oder eine
Berufskrankheit im Rahmen der Krankenversicherung oder Invaliditätsversicherung erfolgt und
keine eigenständigen Leistungen für die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrank-
heit vorgesehen sind, sind Doppelleistungen nicht möglich.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Anlage Seite 61

47. Arbeitslosenversicherung

In die gesetzliche Arbeitslosenversicherung sind alle Arbeitnehmer einbezogen. Ein Anspruch
auf Arbeitslosengeld besteht, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig, arbeitslos, arbeitswillig und
unter 65 ist und innerhalb der letzten 6 Jahre 360 Versicherungstage aufweist. Als arbeitslos
gilt der Arbeitnehmer auch dann, wenn sich sein Beschäftigungsausmaß um mindestens ein
Drittel der Arbeitszeit verringert hat (Teilarbeitslosigkeit).

Arbeitslosengeld wird je nach Versicherungsdauer für höchstens 120 bis 720 Tage gewährt. Es
beträgt für die ersten 180 Tage 70% und für die folgenden Tage 60% der Bemessungsgrundla-
ge (durchschnittliches versichertes Einkommen aus den letzten 180 Tagen).

Verliert der Versicherte seine bisherige Arbeit wegen Berufsunfähigkeit, kann er zwischen Lei-
stungen der Invaliditätsversicherung und der Arbeitslosenversicherung wählen.

Besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld, kann der Arbeitslose eine nichtbeitragsbezogene
Leistung in Anspruch nehmen, wenn er zumindest l Monat arbeitssuchend gemeldet ist, kein
passendes Jobangebot abgelehnt hat und eine entsprechende Schulung (Umschulung) oder be-
rufliche Beratung nicht verweigert.

Eine nichtbeitragsbezogene Leistung steht einer behinderten Person auch bei Arbeitslosigkeit
nach einer Rehabilitation (aufgrund Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder schwerer In-
validität) zu. Diese Leistung macht 75 % des Mindestlohnes aus und gebührt bis zum Erreichen
des Pensionsalters (65 Jahre).

48. Probleme und Reformvorhaben

Das geltende Recht wird vor allem bei Arbeitsunfällen als sehr großzügig empfunden.

Besondere Probleme warf die Feststellung der Invalidität auf. In den 70er Jahren war die Zahl
der Zuerkennungen von Invaliditätspensionen in einigen Provinzen höher als jene für Alter-
spensionen. Man konzentrierte sich daher auf eine Verbesserung und Vereinheitlichung der
Bewertungsmethoden. Die Einführung der Bewertungsteams (EV1) hat sich ebenso bewährt
wie die Verlängerung der Wartezeit.

Als unzureichend wird die Höhe der Berufsunfähigkeitspension mit 55% empfunden, wenn der
Behinderte keine Arbeit findet. Verschärfend wirkt, daß die Arbeitslosenversicherung für Be-
Anlage Tomandl
Invalidität.doc 30.11.00


Anlage Seite 62

rufsunfähigkeitspensionisten nicht mehr zuständig ist. Das würde erst dann der Fall sein, wenn
diese wieder eine Arbeit finden und die Wartezeit erfüllen können.

Die Zahl der Ansuchen von über 60-jährigen Personen ist zurückgegangen, da sie als Invalidi-
tätspensionisten bei Erreichung der Altersgrenze häufig eine niedrigere Pension erhalten wür-
den als die bei Aufschub der Antragstellung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gebüh-
rende Alterspension.

Anlage Tomandl Invaliditat.doc 30.11.00


Ein Modell zur Neuordnung der sozialen Sicherung bei

Invalidität

Von Univ.Prof. Theodor Tomandl Wien


Inhaltsverzeichnis

Einführung      ______________________________________8

Teil I: Die Rechtsprechung_______________________________ 11

1.    Kapitel: Rechtsprechung zu allgemeinen Problemen _____________11

1.1       Nur gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen der

Arbeitsfähigkeit sind beachtlich __________________________12

1.1.1    Ursprüngliche Arbeitsfähigkeit nötig___________________12

1.1.2    Aufnahme einer Beschäftigung trotz Invalidität ____________14

1.1.3    Medizinisch unvertretbare Arbeitsleistung _______________15

1.2       Der Versicherte muß dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen____16

1.2.1    Wann werden Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt “noch

bewertet"? _____________________________________17

1.2.2    Ausschluß vom Arbeitsmarkt nach längerer

Beschäftigungslosigkeit?_____________________________19

1.2.3    Ausschluß vom Arbeitsmarkt wegen bloßen Entgegenkommens

des Arbeitgebers_________________________________19

1.2.4    Ausschluß vom Arbeitsmarkt wegen Krankheit ____________20

1.2.5    Ausschluß vom Arbeitsmarkt wegen Gehbehinderung _________21

1.2.6    Besondere Ausgestaltung des Arbeitsplatzes______________22

1.2.7    Unbeachtlichkeit persönlicher Hinderungsgründe____________22

1.2.8    Verweisung auf Teilzeitarbeit ______________________23

1.3       Mitwirkungspflichten des Versicherten__________________24

1.3.1    Heilverfahren_______________________________24

1.3.2    Beistellung von Hilfsmitteln _______________________26

1.4       Verweisung nach Rehabilitation_______________________26

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


1.5       Verweisung bei Unterschieden zwischen der Art der tatsächlich
ausgeübten Tätigkeit und der Versicherungszugehörigkeit
__________26

2_    Kapitel: Rechtsprechung zur Verweisung nichtqualifizierter Arbeiter______ 29

2.1       Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ____________ 29

2.2       Härtefälle __________________________________29

2.3       Arbeit in geschützten Werkstätten____________________30

2.4       Verweisung auf Angestelltentätigkeiten__________________31

3.     Kapitel: Rechtsprechung zur Verweisbarkeit qualifizierter Arbeiter _____ 32

3.1       Erlernte Berufe_______________________________32

3.2       Angelernte Berufe _____________________________32

3.2.1    Allgemeine Anforderungen ________________________32

3.2.2    Beispiele__________________________________35

3.3       Überwiegende Tätigkeit___________________________39

3.4      Verlust des Berufsschutzes ________________________40

3.5       Verweisungsmöglichkeiten ________________________41

3.5.1    Allgemein_________________________________41

3.5.2    Herabsinken der Arbeitsfähigkeit (Lohnhälfte)_____________42

3.5.3    Spezialisierung im Lehrberuf und Verweisung auf Teiltätigkeiten___44

3.5.4    Ein-. Nach- und Umschulung______________________47

3.5.5    Berufsschutz von Angestellten ex contractu ______________48

3.5.6   Verweisung auf Angestelltenberufe___________________48

3.5.7    Unzureichende berufliche Qualifikation _________________50

3.5.8    Zu kurze Berufsausübungsmöglichkeit _________________50

3.5.9   Verlust des Berufsschutzes durch Wohlwollen des Arbeitgebers____51
3.5.10     Verweisungsbeispiele_________________________52

4.    Kapitel: Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von Angestellten ________ 54

4.1       Allgemeines_________________________________54

4.2       Die allgemeinen Verweisungsmöglichkeiten ___________         55

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


4.3       Sozialer Abstieg _______________________________57

4.3.1    Der Grundsatz _______________________________57

4.3.2    Herabstufung um eine Stufe in der kollektivvertraglichen
Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe ____________________58

4.3.3    Fehlen eines geeigneten Kollektivvertrages ______________58

4.3.4    Art der Tätigkeit versus vorgenommene Einstufung__________59

4.3.5    Beurteilungszeitpunkt __________________________60

4.4      Berufswechsel_______________________________60

4.5       Berufswandel ________________________________61

4.6       Mischtätigkeiten_______________________________62

4.7 Verweisungsbeispiele____________________________63
5. Kapitel: Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von Bergleuten _________ 65
6. Kapitel: Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von Selbständigen
_______ 67

6.1       Allgemeines_________________________________67

6.2       Verweisungsgrundsätze bei Erwerbsunfähigkeit ohne

Berufsschutz_____________________________________67

6.2.1.1     Verweisung auf selbständige Teiltätigkeiten____________ 69

6.2.1.2     Bedeutung krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ________69

6.3       Verweisungsgrundsätze bei Erwerbsunfähigkeit mit

Berufsschutz

 

70

 

6.3.1    Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung

 

70

 

6.3.2    Verweisungsberufe

 

75

 

7.     Kapitel: Die Verweisbarkeit bei Tätigkeitsschutz

 

79

 

7.1      Allgemeines

 

79

 

7.1.1    Gleichartige Tätigkeit

 

82

 

7.1.2    Verweisungsmöglichkeiten

 

83

 

7.1.3    Verweisungsbeispiele

 

84

 

7.2       Nach dem GSVG

 

85

 

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


5
Teil II: Probleme und Lösunssansätze _________________________ 87

8.     Kapitel: Ungleichbehandlunzen___________________________87

9.     Kapitel: Systemzusammenhänge ________________________ 97

10.       Kapitel Das Verhältnis Pensionsversicheruns -

Arbeitslosen versicherung_______________________________93

11.       Kapitel: Die Zumutbarkeit __________________________ 96
1
2.       Kapitel: Der Berufs- und Tätiskeitsschutz_________________ 707

Teil III: Empirische Befunde______________________________103

13.       Kapitel: Österreichische Erfahrungen____________________103

13.1     Statistische Daten _____________________________103

13.2     Prävention. Rehabilitation ________________________107

13.3     Medizinische Beurteilung __________________________111

13.4     Gründe für die hohe Nachfrage nach Invaliditätspensionen_____113

13.5     Organisationsfragen____________________________114

13.6     Die Stellung erwerbsgeminderter Personen am Arbeitsmarkt -
Arbeitslosenversicherung
_____________________________115

13.7    Berufsschutz________________________________118

13.8    Teilpensionen_______________________________121

13.9    Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten ________________123

13.10 Sonstige Fragen _____________________________125

14.       Kapitel: Erfahrungen aus Dänemark, den Niederlanden, Schweden

und Spanien________________________________________ 727

14.1     Prävention, Rehabilitation ________________________127

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


14.2     Invaliditätsbegriff

 

130

 

14.3     Teilpensionen

 

132

 

14.4     Pensionsberechnung

 

134

 

14.5     Die Stellung Teilinvalider im Arbeitsleben

 

135

 

14.6     Arbeitsunfall, Berufskrankheit

 

137

 

14.7     Arbeitslosigkeit

 

138

 

Teil IV: Vorschläge

 

140

 

15.       Kapitel: Die Zielsetzungen

 

140

 

16.       Kapitel: Prävention und Rehabilitation

 

141

 

16.1     Prävention

 

141

 

16.2     Medizinische und berufliche Rehabilitation

 

143

 

16.3     Krankengeld oder Invaliditätspension?

 

146

 

17.       Kapitel: Der Invaliditätsbegriff

 

147

 

17.1     Im Rahmen des Alles-oder-Nichts-Prinzips

 

150

 

17.2     In einem System mit Teilpensionen

 

152

 

17.2.1      Ohne Berufsschutz

 

154

 

17.2.2      Mit Berufsschutz

 

159

 

17.3     Allgemeines zum Berufsschutz

 

160

 

18.       Kapitel: Die Zuerkennung

 

161

 

19.       Kapitel: Die Berechnung der Invaliditätspension

 

162

 

20.       Kapitel: Arbeitsunfall und Berufskrankheit

 

164

 

21.       Kapitel: Arbeitslosigkeit

 

165

 

22.       Erreichung der Altersgrenze für die Regelpension

 

167

 

23.       Kapitel: Organisationsfragen

 

168

 

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


7

23.1     Variante 1; Unfall- und Invaliditätsversicherung___________170

23.2     Variante 2: Kranken- und Invaliditätsversicherung_________171

23.3     Variante 3: Kranken-, Invaliditäts- und

Arbeitslosenversicherung _____________________________172

24.       Das vom Gutachter empfohlene Modell                                                         174

InvalGesamtgut.doc 16.01.0]


8

Einführung1

Dieser Beitrag will Möglichkeiten zu einer Neuordnung sichtbar machen, die
das soziale Risiko der Invalidität umfassend begreift, besonderen Wert auf
Prävention und Rehabilitation legt und eine Abkehr vom starren Alles-oder-
Nichts-Prinzip ins Auge faßt. Er verwertet Erfahrungen aus Österreich2 und
aus Dänemark, den Niederlanden, Schwedens und Spaniens, alles Staaten, die
Systeme mit Teilinvaliditätspensionen eingeführt haben3.

Zunächst stellen sich terminologische Probleme. Die österreichische
Gesetzessprache verwendet das Wort “Invalidität" nicht als Oberbegriff für
alle Fälle geminderter Erwerbsfähigkeit. Der Gesetzgeber spricht vielmehr je
nach Versichertenkategorie von Invalidität (Arbeiter), Berufsunfähigkeit
(Angestellte), Dienstunfähigkeit (Berglaute) und Erwerbsunfähigkeit
(Selbständige). Er unterscheidet zudem terminologisch zwischen
Arbeitsfähigkeit (bei Arbeitnehmern) und Erwerbsfähigkeit (bei
Selbständigen). Der Sache nach geht es aber stets um dasselbe Risiko: Aus
gesundheitlichen Gründen ist die Fähigkeit vermindert oder beseitigt, durch
eigene Arbeit ein Erwerbseinkommen zu erzielen.
Im Einklang mit der

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur:

Grundriß = Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts, 4. Aufl. 1989

Kölbl - Kölbl, in Schulin (Hsg), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 3,
Rentenversicherungsrecht, 1999

System = Tomandl (Hsg.), System des österreichischen Sozialversicherungsrechts,
Loseblattausgabe

Schramme], Schutz = Schramme!, Der pensionsversicherungsrechtliche Schutz im Falle
geminderter Leistungsfähigkeit, in
Tomandl, Die Minderung der Leistungsfähigkeit im Recht
der Sozialversicherung, 1978, 63 ff.

Schrammel, Verweisung = Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der
Pensionsversicherung und Unfallversicherung, ZAS 1984, 83 ff.

Teschner/Widlar, ASVG = Teschner/Widlar, Allgemeine Sozialversicherung,
Loseblattausgabe

2 Hinzuweisen ist vor allem auf die vom Sozialministerium am 30. und 31. Oktober 2000 in
Wien veranstaltete Fachtagung Invalidität.

3 Die hier eingebrachten Erkenntnisse sind das Ergebnis eingehender Fachgespräche, die der
Autor an Ort und Stelle mit Experten aus diesen Ländern geführt hat.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


9

internationalen Terminologie werden daher im weiteren Text die Ausdrücke
Invalidität und Arbeitsfähigkeit grundsätzlich als Oberbegriffe verwendet;
die vom Gesetzgeber vorgenommene sprachliche Unterscheidung wird nur
dort verwendet, wo dies zum Verständnis erforderlich ist, also insbesondere
bei der Darstellung der Gesetzeslage und der darauf aufbauenden
Rechtsprechung.

Invalidität ist - abgesehen von den Fällen, in denen sie auf einen Unfall
zurückzuführen ist - der (vorläufige) Endpunkt einer langanhaltenden
Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Will man dem Risiko der
Invalidität wirksam begegnen, liegt daher ein stufenförmiges Vorgehen nahe.
An der Spitze aller Maßnahmen müßte das Bemühen stehen, solche
Verschlechterungen gar nicht erst eintreten zu lassen oder zumindest den
Gesundheitszustand rechtzeitig so zu stabilisieren, daß es zu keiner
gesundheitsbedingten Minderung der Arbeitsfähigkeit kommt. Dies setzt eine
Beseitigung oder zumindest Eindämmung von Risikofaktoren im Arbeitsleben
wie im Privatbereich voraus. Den Menschen muß daher bewußt gemacht
werden, welche Risikofaktoren das sind und auf welche Weise sie beseitigt
oder vermindert werden können. Soweit dies den privaten Bereich betrifft,
kann dies nur durch Aufklärung, Beratung und fachliche Hilfestellung
geschehen. Die erforderlichen Maßnahmen müssen die Betroffenen dann
selbst vornehmen. Gegen Risikofaktoren des Arbeitslebens können jedoch
zusätzlich Maßnahmen auf betrieblicher Ebene unter Einbindung des
Arbeitgebers ergriffen werden.

Sobald Beeinträchtigungen der Gesundheit manifest werden, die zur
Invalidität führen können, bedarf es einer ausreichenden medizinischen
Behandlung und allenfalls darüber hinausgehender medizinischer
Rehabilitation. Diese Maßnahmen müssen rechtzeitig getroffen werden und
nicht erst in einem Stadium, in dem die Beschwerden bereits chronisch
geworden sind und daher kaum mehr behoben werden können.

Treten trotz dieser Maßnahmen oder wegen ihres Unterbleibens
Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit auf, die medizinisch nicht mehr

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


10

beseitigt werden können, sollte der Betroffene möglichst in die Lage versetzt
werden, ungeachtet seines Gesundheitszustandes einer Erwerbstätigkeit
nachgehen zu können. Das ist die Aufgabe der beruflichen Rehabilitation.

Nur als letzte Maßnahme, wenn also eine ausreichende Arbeitsfähigkeit nicht
gesichert werden kann, sollte die Zuerkennung einer Invaliditätspension in
Betracht kommen. Sie sollte den gesundheitlich bedingten Ausfall an
Erwerbseinkommen ausgleichen. Kann der Behinderte wegen seines
Gesundheitszustandes nicht mehr am sozialen Leben teilhaben, wären
Maßnahmen der sozialen Rehabilitation erforderlich.

Die Minderung der Arbeitsfähigkeit tritt in unterschiedlicher Intensität auf:
Sie reicht von geringfügigen Beeinträchtigungen, die praktisch keine
Auswirkungen auf die Erwerb s Situation haben, bis hin zur völligen
Unfähigkeit zur Ausübung jeglicher kommerziell verwertbaren Arbeit. Das
wirft drei grundlegende Fragen auf: (1) Nach welchen Kriterien ist der Grad
der Minderung der Arbeitsfähigkeit zu bestimmen? (2) Ab welchem Grad
dieser Minderung und in weichere Höhe soll eine Invaliditätspension gewährt
werden? (3) Wie ist eine verbliebene Restarbeitsfähigkeit zu berücksichtigen?

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit all diesen Problemen auseinander. An die
Spitze (Teil I) stellt sie eine eingehende Analyse der Rechtsprechung des
OGH, da sich aus ihr besonders gut die Vielschichtigkeit der Problemstellung
erkennen läßt. Aufbauend auf dieser Analyse werden dann jene rechtlichen
Herausforderungen herausgearbeitet, auf die bei einer Neuordnung eine
Antwort gefunden werden sollte (Teil
II). Dabei wird ein erster Ausblick auf
Lösungsansätze geboten. Bevor Reformvorschläge erstattet werden, erscheint
es jedoch sinnvoll, auf die bei der Durchführung der Invaliditätsversicherung
nicht nur in Österreich, sondern auch in den erwähnten europäischen Staaten
gewonnenen praktischen Erfahrungen zurückzugreifen (Teil
III). Im
abschließenden Teil (IV) werden dann Modellvorschläge für Österreich
vorgestellt.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


11

Teil I: Die Rechtsprechung

1.     Kapitel:
Rechtsprechung zu allgemeinen Problemen

Alle Versichertengruppen müssen eine bestimmte Mindestversicherungszeit
aufweisen, auf die im folgenden nicht näher einzugehen ist. Diese Wartezeit
beträgt, wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, 60
Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate
(Rahmenfrist) vor dem Stichtag; liegt der Stichtag später, verlängert sich für
jeden weiteren Lebensmonat die Wartezeit um jeweils einen Monat bis zum
Höchstausmaß von 180 Versicherungsmonaten und die Rahmenfrist um zwei
Monate bis zu einem Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten4. Alternativ
kann die Wartezeit auch durch 180 Beitragsmonate5 oder 300
Versicherungsmonate aus der Zeit nach dem 1.1.1956 bzw. einer Kombination
aus solchen Monaten und Beitragsmonaten erfüllt werden6. Die Wartezeit
beträgt jedoch nur 6 Versicherungsmonate7, wenn der Versicherungsfall vor
Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist8.

Im folgenden wird nur auf die Ausgestaltung des Versicherungsfalles
eingegangen, und zwar zunächst auf einige Probleme, die grundsätzlich für
alle Versichertengruppen bedeutsam sind und später auf Besonderheiten für
die verschiedenen Berufsgruppen.

4 Siehe § 236 Abs. l Z l, Abs. 2 Z  1 ASVG, § 120 Abs. 3 Z 1, Abs. 4 Z 1 GSVG, § 111 Abs.
3 Z 1, Abs. 4 Z 1 BSVG.

5 Ausgenommen Zeiten einer Selbstversicherung nach §  16 a, soweit sie  12 Monate
übersteigen.

6 Siehe § 236 Abs. 4 Z l ASVG, § 120 Abs. 6 Z l GSVG und § 111 Abs. 6 Z l BSVG.

7 Ausgenommen Zeiten einer Selbstversicherung nach § 16 a.

8 § 236 Abs. 4 Z 3 ASVG, § 111 Abs. 6 Z 3 BSVG, nicht jedoch nach dem GSVG.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


12

1.1    Nur gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen der
Arbeitsfähigkeit sind beachtlich

Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pensionsversicherung nur für solche
Minderungen der Arbeitsfähigkeit einzustehen, die ihre Ursachen im
Gesundheitszustand der Versicherten haben. In Ausführung dieses
Grundsatzes hat der OGH einige Fallgruppen gebildet.

1.1.1   Ursprüngliche Arbeitsfähigkeit nötig

Da Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG nur dann
vorgesehen sind, wenn der Gesundheitszustand “herabgesunken" ist9 oder
wenn der Versicherte “nicht mehr imstande ist"10, einer bestimmten
Erwerbstätigkeit nachzugehen, verlangt die Rechtsprechung ausnahmslos, daß
der Versicherte einmal arbeitsfähig war. “In den Umständen, die für die
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit maßgeblich sind, muß gegenüber einem
früheren Zustand eine Verschlechterung eingetreten" sein11. Der Versicherte
müsse daher “ursprünglich in der Lage" gewesen sein, “eine bestimmte
Tätigkeit auszuüben, und infolge einer negativen Veränderung des
körperlichen oder geistigen Zustandes außerstandegesetzt (werden), nunmehr
einer geregelten Beschäftigung, zu der er früher in der Lage war,
nachzugehen".

Im ersten entschiedenen Fall12 litt der Versicherte an angeborenen und unveränderten
körperlichen Mißbildungen. Dennoch erlernte er in einem Möbelhaus den Beruf eines
Einzelhandelskaufmannes und verrichtete anschließend bei diesem Unternehmen noch
durch einen Monat leichte Büroarbeiten. Der OGH stand also vor der Situation, daß der
Versicherte nicht nur durch einige Jahre in der Pensionsversicherung pflichtversichert war,
sondern auch tatsächlich Arbeiten verrichtet hatte. Der OGH entnahm dem ASVG, daß
bereits vor dem Eintritt in das Versicherungsverhältnis eine Arbeitsfähigkeit bestanden

9 So die §§ 255 Abs. l, 273 ASVG.

10 So §§ 253 d Abs. l Z. 4, 255 Abs. 3 ASVG.

11 OGH SSV-NF 1/33. Ebenso OGH SSV-NF 1/67, 2/87, 4/60, 8/46, 10/13, 10/21, 11/47 u.a.

12 OGH SSV-NF 1/33; siehe auch 5/14.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


13

haben mußte, “die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden
Versicherten erreicht hat". Diese Arbeitsfähigkeit müsse durch eine “nachfolgende
Entwicklung beeinträchtigt" worden sein. Der Umstand, daß der Versicherte tatsächlich
gearbeitet hatte und pensionsversichert war, sei daher unbeachtlich, da diese Tätigkeit nur
“ aus Entgegenkommen und mit besonderer Nachsicht des Dienstgebers " möglich gewesen

sei13.

Anders beurteilte der OGH einen Fall, in dem der Versicherte zwar ursprünglich
arbeitsunfähig war, dann aber wegen einer vorübergehenden Verbesserung Beitragszeiten
erworben hatte, um schließlich wieder arbeitsunfähig zu werden. Unter diesen
Voraussetzungen schließe die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit Invalidität oder
Berufsunfähigkeit nicht aus14. Das Gericht habe nur den Zustand bei Aufnahme der
Beschäftigung mit jenem zum Pensionsstichtag zu vergleichen15.

Ein Grenzfall lag bei einem Versicherten vor, der schon seit Kindheit an paranoider
Schizophrenie litt. Er trat während der 6. Schulstufe aus einem Bundesrealgymnasium aus
und ging einige Zeit keiner geregelten Beschäftigung nach. Einmal arbeitete er jedoch im
August (also in den Schulferien) durch 7 Tage bei einem Unternehmen gegen Entgelt als
Regalbetreuer, um anschließend zwei weitere Schulstufen zu absolvieren und später die
Studienberechtigungsprütung für die Universität abzulegen. Weitere Beitragszeiten erwarb
er nicht. Der OGH16 hielt ihn für invalid, weil er Versicherte zu Beginn seines Berufslebens
noch geregelte Arbeit leisten konnte (wenn auch nur für 7 Tage) und das spätere
Krankheitsbild noch nicht vollständig ausgeprägt war. Er habe daher das zur Invalidität
führende Leiden, nicht bereits “ eingebracht".

Allgemein formulierte der OGH folgenden Grundsatz17: “Ein bereits vor
Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das
Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im wesentlichen unveränderter
körperlicher oder geistiger Zustand, kann ... nicht zum Eintritt des
Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit führen". Dies gelte

13 Das hielt der OGH auch in späteren Entscheidungen für einen Grund, der eine Minderung
der Arbeitsfähigkeit ausschließt, vgl. SSV-NF 6/73, 6/104. Vgl. dazu auch 1.2.3.

14 OGH SSV-NF 9/64.

15 OGH SSV-NF 11/47, 11/117.

16 SSV-NF 11/47.

17 OGH SSV-NF 4/60, 4/160 (Taubstummheit und Debilität; weitere Entscheidungen zur
Taubheit bz. Taubstummheit OGH SSV-NF 5/100, 9/70).

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


14

auch bei Antritt einer neuen Beschäftigung nach jahrelanger
Nichtbeschäftigung18.

In § 124 BSVG und § 133 GSVG verwendet der Gesetzgeber zwar nicht die
Worte “herabgesetzt" oder “nicht mehr imstande ist", doch verlangt der
OGH19 auch bei Selbständigen, daß bereits vor Beginn des
Versicherungsverhältnisses eine Erwerbsfähigkeit bestanden haben müsse.

Dies ergebe sich schon daraus, daß alle Bestimmungen über die Falle der geminderten
Arbeitsfähigkeit den Schutz vor den Auswirkungen einer gesundheitsbedingten
Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit bezweckten. Im ASVG seien die fraglichen Worte nur
deshalb notwendig gewesen, weil dort ein Vergleich zu Gesunden herzustellen und die
Verweisung viel weiter eingeschränkt ist. Im übrigen ergebe sich auch aus den (damals
geltenden) Bestimmungen über den Tätigkeitsschutz für über 55-jährige Versicherte
zwingend, daß der Gesetzgeber dort eine früher ausgeübte Erwerbstätigkeit voraussetzt.
Schließlich spreche dafür auch die Bestimmung des § 104 Abs. l Z 2 BSVG, derzufolge der
Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit mit “dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit"
vorliege: eine Erwerbsunfähigkeit könne nämlich nur dann “eintreten", wenn vorher
Erwerbsfähigkeit bestanden habe.

1.1.2 Aufnahme einer Beschäftigung trotz Invalidität

Wer trotz bestehender Invalidität einen Beruf ausübt und dadurch
Versicherungszeiten erwirbt und die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen
für eine Invaliditätspension erfüllt, kann sich jedoch “nicht darauf berufen, daß
er - ohne Änderung seines körperlichen oder geistigen Zustandes - wegen
dieser Behinderung nunmehr invalid oder berufsunfähig sei"20.

So könne sich etwa ein Rollstuhlfahrer zur Erlangung einer Invaliditätspension nicht auf
seine Gehunfähigkeit berufen, da er sonst seine Invalidität “bloß durch die Aufgabe seines
bisherigen   Arbeitsplatzes   selbst   herbeifuhren"   könnte21.    Dasselbe   gilt  für   einen

18 OGH SSV-NF 6/104.

19 OGH SSV-NF 2/87.

20 OGH SSV-NF 4/60.

21 SSV-NF 4/60.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


15

Versicherten, der seit Kindheit taubstumm und debil war,  dennoch aber gelegentlich
gearbeitet hatte22.

Für einen bereits Arbeitsunfähigen ist es daher riskant, eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen oder fortzusetzen, da er dadurch seinen bereits erworbenen
Anspruch auf eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension verlieren
könnte. Es ist nach Auffassung der Rechtsprechung nicht einmal zu
berücksichtigen, daß solche Personen wegen ihrer mitgebrachten und
unveränderten Behinderung nur schwer einen neuen Arbeitsplatz finden
werden, wenn sie wegen einer weiteren Minderung ihrer Leistungsfähigkeit
(z.B. Verschlechterung eines Wirbelsäuleleidens) ihre Erwerbstätigkeit nicht
mehr fortsetzen können23.

1.1.3 Medizinisch unvertretbare Arbeitsleistung

Der OGH schränkt diese Rechtsprechung aber erheblich ein. Denn er lehnt die
Anerkennung von Invalidität dann ab, wenn ein Versicherter “auf Grund
(seiner) bei Eintritt in das Versicherungsverhältnis bestehenden
Leidenszustände von Anfang an nur unter einer medizinisch nicht vertretbaren
körperlichen Belastung arbeiten konnte und das Scheitern (seines)
Arbeitsversuches deshalb von Anfang an vorauszusehen war". Medizinisch
nicht vertretbar sei die Belastung dann, wenn sie “in kürzerer Zeit zu schweren
Schädigungen" fuhrt. Es bestehe kein Anspruch auf eine Pension wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit, wenn schon bei Antritt der Beschäftigung die
Gewißheit besteht, daß “durch diese schon nach kürzerer Zeit" Invalidität oder
Berufsunfähigkeit eintreten wird. Was unter “kürzerer Zeit" zu verstehen ist,
ließe sich nicht allgemein sagen, es komme auf die Umstände des Einzelfalles,
“vor allem auf Art und Ausmaß des bestehenden Leidens und der ausgeübten
Tätigkeit an"24.

22 OGH SSV-NF 4/160.

23 OGH SSV-NF 9/14.

24 OGH SSV-NF 4/60. Ähnlich OGH SSV-NF 6/104,11/47.

InvalGesamtgut.doc 16.01.0J


16

Es ging um eine Rollstuhlfahrerin, die 8 Monate eine einfache sitzende Tätigkeit ganztägig
ausgeübt hatte. Das ständige Sitzen führte aber zu einer einseitigen Belastung der Gelenke,
was schließlich zu einem Abbrechen der Arbeit zwang. Der OGH2i argumentierte, sie habe
ihre Arbeit von Anfang nur durch eine gesundheitlich nicht vertretbare Belastung der
Gelenke durchführen können". Da die Versicherte jünger als 27 Jahre war und daher
damals (auf Grund des in der Zwischenzeit aufgehobenen § 235 Abs. 3 lit. b ASVG) keine
weitere Wartezeit benötigte, wenn sie mindestens 6 Versicherungsmonate erworben hatte,
hielt der OGH einen Zeitraum, der nur wenige Monate länger ist, als diese 6 Monate, für
eine solche “kürzere Zeit".

1.2   Der  Versicherte  muß   dem  Arbeitsmarkt  zur
Verfügung stehen

Verweisungen auf eine unselbständige Tätigkeit können nach der einheitlichen
Rechtsprechung nur auf solche Tätigkeiten erfolgen, für die es einen
Arbeitsmarkt gibt. Daher bedarf es der Feststellung, was unter dem
Arbeitsmarkt zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen ein
Versicherter auf den Arbeitsmarkt verwiesen werden kann.

Hintergrund dieser Problematik - soweit es Arbeitnehmer betrifft - ist die Aufgabenteilung
zwischen Pensionsversicherung und Arbeitslosenversicherung. Während die Pensions-
versicherung die Aufgabe hat, für Personen zu sorgen, die nicht mehr als arbeitsfähig
angesehen werden, trifft die Verpflichtung zur Vorsorge für arbeitsfähige, aber arbeitslose
Versicherte die Arbeitslosenversicherung. Als arbeitsfähig sind dabei gem. § 8 Abs. l AIVG
Personen anzusehen, die “nicht invalid bzw. berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht
kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 bzw. 280 des ASVG" sind. Daher werden
Versicherte, die ihre bisherige Tätigkeit trotz Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit
noch ausüben können, nicht als invalid oder berufsunfähig angesehen, auch wenn sie
arbeitslos sind und wegen dieser Einschränkungen nur erschwert einen neuen Arbeitsplatz
finden können36.

25 OGH SSV-NF 4/60.

26 Vgl. etwa OGH SSV-NF 8/70 oder 12/72.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


17

1.2.1 Wann werden Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt
“noch bewertet"?

Schon der VwGH hat es zum damals in Österreich geltenden § 1254 RVO
abgelehnt, zu überprüfen, konkrete Arbeitsmöglichkeit bietet27. Die ständige
Rechtsprechung lehnt die konkrete Überprüfung ab, ob sich dem Versicherten
auch tatsächlich eine Arbeitsmöglichkeit bietet ab und prüft die
Verweisbarkeit auf den Arbeitsmarkt nur abstrakt. Sie tut dies selbst dann,
wenn es sich um einen geschlossenen Arbeitsmarkt handelt, weil alle Betriebe
bestimmte Arbeitsplätze (im Anlaßfall solche von Kontrollschlossern) nur aus
den eigenen Reihen rekrutieren; ausgeschlossen seien nur solche Berufe, die
es im Wirtschaftsleben nicht mehr gibt28. Eine “Bewertung am Arbeitsmarkt"
setzt nach seiner neueren Rechtsprechung das Vorhandensein von “etwa 100
Arbeitsstellen in Österreich" voraus29, wozu auch. Heimarbeitsmöglichkeiten
zählen, die in ausreichendem Ausmaß vorhanden seien30.

Kommen für einen Versicherten mehrere Verweisungsberufe in Betracht, wird
dabei auf die Gesamtzahl der Arbeitsplätze in sämtlichen Verweisungsberufen
abgestellt31. Bloße Saisonarbeitsplätze werden jedoch - es sei denn, der
Versicherte wäre laufend als Saisonarbeitskraft tätig gewesen - nicht
berücksichtigt, weil sie kein regelmäßiges Einkommen gewährleisten, das den
Lebensunterhalt durchgehend sichert. Zudem könne man Personen mit
angegriffenem Gesundheitszustand nicht zumuten, während des Jahres
wiederholt einen Wechsel des Aufenthaltsortes vorzunehmen32.

Die Rechtsprechung stellt grundsätzlich auf den gesamtösterreichischen,
nicht aber auf einen regionalen Arbeitsmarkt ab. Vom Versicherten wird

27 Vgl. VwGH Slg. NF A 1.078/1949.

28 OGH SSV-NF 4/140.

29 OGH SSV-NF 6/4, 7/37.

30 OGH SSV-NF 11/73, 12/163, 10 Ob S 385/98k, 10 Ob S 279/99y.

31 OGH SSV-NF 2/46.

32 OGH SSV-NF 6/4.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


18

daher auch eine Wohnsitzverlegung oder Wochenpendeln verlangt33. Eine
Verweisung auf bloßes Tagespendeln sei nur dann möglich, wenn ein
Wochenpendeln oder Übersiedeln aus medizinischen Gründen unzumutbar ist;
in diesem Fall müsse die Anzahl der geeigneten Arbeitsplätze die Annahme
rechtfertigen, “daß ein Arbeitsfähiger und Arbeitswilliger einen solchen
Arbeitsplatz auch erhalten kann"34.

Keine Bewertung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liege vor, wenn die
Anzahl der Arbeitsplätze den geforderten Schwellenwert nicht erreicht35.

Wird allerdings ein Beruf (hier: Stereotypeur und Galvanoplastiker) wegen technologischer
Neuerungen allmählich aus dem Arbeitsmarkt verdrängt, dann gilt ein Versicherter, der
diese Tätigkeiten ausübt und auch noch weiter ausüben könnte, nicht als invalid, da dieser
Umstand nichts mit einem Herabsinken der Arbeitsfähigkeit zu tun habe16. Ähnlich
judizierte der OGH im Hinblick auf Veränderungen in den Anforderungen an die
kaufmännische Leitung von Mittelbetrieben37.

Ein geschlechtsspezifischer Ausschluß vom Arbeitsmarkt liege nur dann vor,
wenn dem Einsatz positivrechtliche Verbote oder Untersagungen im Einzelfall
entgegenstehen38.

Sind in einem bestimmten Verweisungsberuf (hier Heimarbeit) in Österreich mehr als 100
Arbeitsplätze vorhanden, komme es nicht darauf an, in welchem Zahlenverhältnis sie sich
auf Männer und Frauen verteilen: anders könnte es allenfalls sein - der OGH ließ dies
offen - wenn alle Arbeitsplätze nur von Männern oder nur von Frauen besetzt sind39.

33 OGH SSV-NF 1/4, 1/20, 2/105, 3/142, 5/121, 7/37.

34 OGH SSV-NF 8/43.

35 OGH SSV-NF 1/128.

36 OGH SSV-NF 8/70.

37 OGH SSV-NF 3/155.

38 OGH SSV-NF 8/116, 9/116 (mit Kritik von Ritzberger-Mosler, öRdA 1995, 517, die
darauf verweist, daß faktische Diskriminierungen nach dem Geschlecht auch nach dem
Wirksamwerden des Gleichbehandlungsgesetzes vorkommen und daher auch berücksichtigt
werden müßten), 10 Ob S 23 1/99i, 10 Ob S 279/99y.

39 10 Ob S 231/99i, 10 Ob S 279/99y.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


19

1.2.2 Ausschluß    vom    Arbeitsmarkt    nach    längerer
Beschäftigungslosigkeit?

Minderleistungsfähigkeit in den ersten Wochen nach längerer
Beschäftigungslosigkeit bewirke keinen Ausschluß vom Arbeitsmarkt, da dies
“nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei entsprechender Arbeitswilligkeit
und Arbeitsbereitschaft" von Arbeitgebern toleriert würde40.

Vgl. dazu aber auch die Rechtsprechung zur Ein-, Nach- und Umschulung qualifizierter
Arbeiter.

1.2.3 Ausschluß    vom    Arbeitsmarkt    wegen    bloßen
Entgegenkommens des Arbeitgebers

Könnte ein Versicherter wegen seines Leidens nur bei besonderem
Entgegenkommen eines Arbeitgebers eine Arbeit finden, dann gilt er als vom
allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen41.

Auf kein solches Entgegenkommen seien Einarmige angewiesen42. Der Ausschluß vom
Arbeitsmarkt kann aber darin begründet sein, daß mit dem Versicherten ein besonders
begünstigender Arbeitsvertrag geschlossen wurde43 oder daß der Versicherte in einem
Verweisungsberuf nur unter der Voraussetzung eines besonderen und unüblichen
Entgegenkommens seiner Arbeitskollegen (die etwa für ihn schwere Gegenstände heben)
eine Arbeit verhehlen könnte44. Dagegen sei nicht zu berücksichtigen, daß mit einem
Versicherten ein für ihn besonders nachteiliger Arbeitsvertrag geschlossen wurde,
auszugehen sei vielmehr stets von den “Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes".
Eine andere Betrachtungsweise würde zu einem “auf einen bestimmten Arbeitsplatz
bezogenen Berufsschutz führen "45.

40 OGH SSV-NF 5/110.

41 OGH SSV-NF 2/121, 5/40, 6/73

42 OGH SSV-NF 6/150, 7/7.

43 OGH SSV-NF 6/3.

44 OGH SSV-NF 5/40.

45 OGH SSV-NF 6/2.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


20
1.2.4 Ausschluß vom Arbeitsmarkt wegen Krankheit

Ein Versicherter darf nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, die er nur auf
Kosten seiner Gesundheit ausführen kann46 oder die er kraft Gesetzes nicht
ausüben darf.

Ein an Tbc erkrankter Fleischwarenarbeiter darf nur auf solche Arbeitsplätze innerhalb
seiner Berufssparte verwiesen werden, die nicht den Verboten des
Bazillenausscheidergesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen unterliegen17. Von
einem Versicherten darf auch nicht verlangt werden, auf eine objektiv notwendige
Dauertherapie (hier Insulintherapie)zu verzichten48.

Versicherte gelten als vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn zu
erwarten ist, daß bei ihnen im Verweisungsberuf wegen ihrer Behinderung
(nicht also wegen sonstiger Allgemeinerkrankungen, die auch derzeit Gesunde
bedrohen49)
Krankenstände (einschließlich unbedingt erforderlicher
Kuraufenthalte50) von jährlich mehr als sechs Wochen auftreten werden51.
Dies wird damit begründet, daß erst bei einer ungewöhnlich hohen
Krankenstandsdauer eine Beschäftigung nur bei besonderem
Entgegenkommen des Arbeitgebers in Frage komme52.

Ein Versicherter, bei dem wöchentlich ein bis zwei Krankheitsanfälle (Depression,
Migräne) mit einem Ausfall von jeweils einem halben Arbeitstag auftraten, wurde als vom
Arbeitsmarkt ausgeschlossen angesehen, weil ein Arbeitgeber wegen der
Unvorhersehbarkeit des Zeitpunktes der Anfälle keine Planung vornehmen könne53.
Dagegen wurden Epileptiker, bei denen etwa zweimal monatlich Anfälle im Ausmaß von
vier Stunden bis zu zwei Tagen zu erwarten waren, auf den Arbeitsmarkt verwiesen; es sei

46 OGH SSV-NF 7/14.

47 OGH SSV-NF 3/136.

48 OGH SSV-NF 7/14.

49 OGH SSV-NF 6/3.

50 OGH SSV-NF 7/76.

51 Und zwar im mehrjährigen Durchschnitt, vgl. OGH SSV-NF 6/82, 7/75, 8/25, 12/52,
12/79, RdW 2000, 428.

52 OGH SSV-NF 7/76.

53 OGH SSV-NF 6/134.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


21

auch nicht offenkundig, daß Epileptiker deshalb vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen seien,
weil die großen Anfälle negative Gefühle bei den Arbeitgebern und Arbeitskollegen
hervorriefen14.

Versicherte, die wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes (z.B. wegen
Diabetes) zusätzliche Kurzpausen von täglich bis zu 20 Minuten benötigen,
seien nicht auf besonderes Entgegenkommen eines Arbeitgebers angewiesen55,
dieses Bedürfnis würde im allgemeinen in der Wirtschaft toleriert56.
Ebensowenig ein Hausbesorger, der täglich drei halbstündige Zusatzpausen
benötigte, da sich Hausbesorger ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen
können .

Wenn beide Probleme auftreten (jährliche Krankenstände von 6 Wochen und zusätzlich
drei- bis viermal täglich Kurzpausen von je 5 Minuten) seien beide Arten der
Arbeitsverhinderung isoliert zu prüfen, da beide den Arbeitsablauf in ganz unterschiedlicher
Weise beeinflussen “und demnach an die Toleranz des Arbeitgebers auch ganz
unterschiedliche Anforderungen stellen " 5S.

1.2.5 Ausschluß         vom         Arbeitsmarkt         wegen
Gehbehinderung

Die Rechtsprechung hält die konkrete Lage des Wohnortes für unbeachtlich,
da eine Verweisung grundsätzlich auf den gesamtösterreichischen
Arbeitsmarkt erfolgen könne. Sie prüft aber abstrakt, ob man dem
Versicherten wegen seiner Gehbehinderung zumuten kann, einen Arbeitsplatz
aufzusuchen. Dies sei der Fall, wenn er bei normalen Straßenverhältnissen
“ohne wesentliche Einschränkung ein öffentliches Verkehrsmittel benützen
und vorher sowie nachher ohne unzumutbare Pausen und mit angemessener

54 OGH SSV-NF 5/82.

55 OGH SSV-NF 2/97, 2/106, 3/107, 4/10, 4/15, 6/66

56 OGH SSV-NF 6/86. Das gelte aber nicht für eine Hausgehilfin, die täglich zusätzliche
Pausen von zweimal 30 Minuten benötige (OGH SSV-NF 6/86).

57 OGH SSV-NF 8/13.

58 OGH 10 Ob S 124/99d.

JnvalGesamtgut.doc 16.01.0!


22

Geschwindigkeit eine Wegstrecke von jeweils zumindest 500 m zu Fuß
zurücklegen kann"59.

Als zumutbare Gehgeschwindigkeit hat der OGH etwa 2 km'h60 und als zumutbare Pausen
solche von bis zu 20 Minuten61 angesehen.

1.2.6 Besondere Ausgestaltung des Arbeitsplatzes

Der OGH geht davon aus, daß die für die Arbeitsleistung erforderliche
Ausstattung der Betriebe vom Arbeitgeber beizustellen ist. Benötige der
Versicherte wegen seiner Behinderung in einem Verweisungsberuf eine
besondere Ausstattung, sei eine Verweisung nur zulässig, “wenn eine
entsprechende Anzahl von in dieser Weise eingerichteten Arbeitsplätzen
besteht oder wenn auf andere Weise, etwa durch Kostenübernahme oder
Beistellung von Hilfsmitteln durch den Sozialversicherungsträger (§§ 300 ff
ASVG) oder das Landesinvalidenamt (Förderungsmaßnahmen gem. § 6
Invalideneinstellungsgesetz) sichergestellt ist, daß ein für ihn in Frage
kommender Arbeitsplatz ohne jede Belastung für ihn in der erforderlichen
Weise ausgestattet wird und die Zustimmung des Dienstgebers hierzu
angenommen werden kann"62. Eigene Mittel müsse der Versicherte dafür nicht
einsetzen. Zu prüfen sei aber, ob sich der Versicherte um die Beistellung der
oben genannten Hilfsmittel bemüht hat63.

1.2.7 Unbeachtlichkeit persönlicher Hinderungsgründe

Findet der Versicherte aus anderen als gesundheitlichen Gründen keinen oder
nur einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, sei dies bei der Prüfung
unbeachtlich, ob der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit
vorliegt. Nicht zu berücksichtigen seien daher mangelnde

59 Grundlegend OGH SSV-NF 2/105. Vgl auch OGH SSV-NF 2/145, 3/10 (mit Kritik von
Firlei, ZAS 1992, 136), 5/39, 6/109 (mit Replik zur Kritik von Firlei), 10/17.

60 OGH SSV-NF 10/17.

61 OGH SSV-NF 3/10, 5/39, 6/109, 10/17, 12/133.

62 OGH SSV-NF 1/25, 8/76.

63 OGH SSV-NF 1/25.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


23

Deutschkenntnisse64, die familiäre Situation nach einer Chemotherapie65, der
Entzug des Führerscheins oder das Fehlen der für die Beschäftigung eines
Ausländers erforderliche Bewilligung66 sowie Vorstrafen67.

Die Verletzung persönlicher Gefühle sei nur beachtlich, wenn durch die Behinderung
tatsächlich “ein abweisliches Verhalten der Mitmenschen" veranlaßt werde oder der
Versicherte deshalb “Nachteile im gesellschaftlichen Leben" in Kauf nehmen müsse6*. Das
sei nicht der Fall, wenn der Versicherte eine Brille mit undurchsichtigem Glas tragen69 oder
seine Oberschenkelprothese bei sitzender Beschäftigung abnehmen müsse70. Unbeachtlich
sei auch das finanzielle Unvermögen, eine an sich zumutbare Operation zu finanzieren71.

In einer anderen Entscheidung hielt der OGH jedoch das Verlangen, die Versicherte solle
sich aus einer stark belasteten familiären Situation lösen, weil ohne diese Lösung das die
Arbeitsfähigkeit ausschließende Leiden (Paniksyndrom) medizinisch nicht erfolgreich
behandelt werden kann, für einen unzulässigen Eingriff in den durch Art 8 MRK geschützten
Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens•'*'.

Daß ein Versicherter zur Überwindung seiner Antriebslosigkeit einer besonderen Betreuung
im häuslichen Bereich bedarf, um einer Arbeit nachgehen zu können, bei der er durch seine
Vorgesetzten und Arbeitskollegen zur Arbeit angehalten würde,73 sei als “persönliches
Moment" unbeachtlich74.

1.2.8 Verweisung auf Teilzeitarbeit

Nach der neueren Judikatur hält der OGH die Verweisung auf Teilzeitarbeit
nicht nur bei einem Versicherten für zulässig, der schon bisher

64 OGH SSV-NF 1/22 = ZAS 1989, 16 (mit zustimmender Anm. von Wächter), SSV-NF
6/26,10/59, 12/25, RdW 2000, 433.

65 OGH SSV-NF 6/9.

66 OGH SSV-NF 6/28, RdW 2000, 433.

67 OGH SSV-NF 8/102.

68 OGH SSV-NF 11/15.

69 OGH SSV-NF 11/15.

70 OGH SSV-NF 4/114.

71 OGH SSV-NF 11/6.

72 OGH SSV-NF 9/54.

73 OGH

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


24

teilzeitbeschäftigt war75, sondern bei bisher vollzeitbeschäftigten Arbeitern76.
Zu prüfen sei, ob eine auf Teilzeit eingeschränkte Tätigkeit in einem dem
Versicherten zumutbaren Beruf auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und
ob dort die Lohnhälfte erzielt werden kann. Nur an den Besonderheiten des
Einzelfalles könne entschieden werden, ob mit Rücksicht auf die geringere
Teilzeitentlohnung eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln
zumutbar sei.

1.3    Mitwirkungspflichten des Versicherten

Die Minderung der Arbeitsfähigkeit muß kein unabwendbarer bzw.
unbehebbarer Zustand sein. Welche rechtliche Bedeutung besitzt es daher,
wenn der Eintritt oder das Andauern von Invalidität durch bestimmte
Maßnahmen vermieden werden könnte?

1.3.1 Heilverfahren

Von jedem Versicherten sei im Interesse der Gemeinschaft zu fordern und
zuzumuten, “eine notwendige Krankenbehandlung, die zu einer Heilung und
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit führen würde, auch durchzuführen,
sofern dies nicht mit unzumutbaren Gefahren für den Patienten verbunden

ist"77.

Der Versicherte müsse sich etwa einer Alkoholentziehungskur unter ärztlicher Leitung
unterziehen78. Anders wäre es nur, hätte der Alkoholabusus bereits zu einer
unbeherrschbaren Sucht geführt, die eine willensmäßige Beeinflussung und eine
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ausschließe.

74 OGH SSV-NF 4/78 (anders noch in SSV-NF 2/121).

75 So OGH SSV-NF 3/73 = öRdA 1992, 484f. (Anm. Weißensteiner), SSV-NF 5/136.

76 OGH SSV-NF 7/126 = öRdA 1994, 516 mit Zustimmung von Windisch-Graetz = ZAS
1995, 199 mit Zustimmung von Pfeil.

77 OGH SSV-NF 2/33.

78 Vgl. OGH SSV-NF 2/33, 4/23, 4/136, 5/17, 5/42, 5/63 (= ZAS 1992, 173 mit Kommentar
von Barnas), 6/13, 6/14, 8/114, 9/114, öRdA 1992, 120 (mit Kommentar von Schramme!)

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Allerdings führe nur eine schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht zum
Ausschluß von der gewünschten Leistung79. Der Versicherte müsse sich
keinen Heilverfahren unterziehen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für
Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen
werden kann, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder die einen
erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen80.

Dies gelte auch dann, wenn mit den in Betracht kommenden Heilverfahren aus
medizinischer Sicht objektiv keine besonderen Gefahren verbunden sind51. Über die
Zumutbarkeit könne nur “unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles
entschieden werden, wobei insbesondere auf die mit der Maßnahme verbundenen Gefahren,
die Erfolgsaussichten einer Behandlung oder Operation, die Schwere des Eingriffs und
seine Folgen unter Berücksichtigung auch einer erforderlichen Nachbehandlung sowie die
damit verbundenen Schmerzen Bedacht zu nehmen ist "8.

Unzumutbar sei eine operative Eröffnung des Bauchraumes mit schwierigen Eingriffen im
Darmbereich (möglicherweise künstlicher Darmausgang)83, zumutbar hingegen die
Einstellung des Rauchens84, die operative Versteifung des unteren Sprunggelenks85, die
Durchführung einer Schieloperation, einer Meniskusarthroskopie8^ oder einer Operation
der Nasenpolypen88,

Der Versicherte müsse nicht von sich aus nach den jeweils zweckmäßigsten
Behandlungsmethoden forschen, er könne sich vielmehr auf den Rat seines behandelnden
Arztes verlassen89. Dann aber müsse er sich innerhalb einer gewissen Überlegungsfrist
entscheiden, deren Dauer von den Umständen abhänge. Im allgemeinen betrage sie vier

79 OGH SSV-NF 6/14, 11/6, RdW 2000, 428.

80 OGH SSV-NF 3/23.

81 OGH SSV-NF 3/23.

82 Ebenso OGH RdW 2000, 428.

83 OGH SSV-NF 3/23.

84 OGH SSV-NF 4/136.

85 OGH SSV-NF 6/13.

86 OGH SSV-NF 6/14.

87 OGH SSV-NF 5/42.

88 OGH RdW 2000, 428.

89 OGH SSV-NF 5/42.

InvalGesamtgut. doc 16.01.01


26

Wochen bzw. einen Monat'0. Sie sei aber kürzer, wenn der Versicherte noch arbeitsfähig ist
und nur das zukünftige Auftreten von Krankenständen vermieden werden soll91.

1.3.2 Beistellung von Hilfsmitteln

Der Versicherte sei verpflichtet, wenn er die Minderung der Arbeitsfähigkeit
durch Einsatz eines Hilfsmittels abwenden könnte, die nötigen Schritte
einzuleiten, um dessen Beistellung durch die Sozialversicherung zu
erreichen92. Von ihm könne jedoch die Anschaffung solcher Hilfsmittel nicht
verlangt werden, die “seine Leistungsfähigkeit" übersteigen93. Es genüge
allerdings nicht, wenn der Sozialversicherungsträger nur ein Viertel des
Kaufpreises eines erforderlichen PKW tragen würde, während der restliche
Kaufpreis und die laufenden Kosten vom Versicherten hätte getragen werden

94

müssen   .

1.4   Verweisung nach Rehabilitation

Zu § 255 Abs. 4 und 5 ASVG, die auch für Angestellte anwendbar sind (vgl. §
273 Abs. 2 ASVG) liegen bisher keine Entscheidungen des OGH vor.

1.5   Verweisung bei Unterschieden zwischen der Art
der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und der
Versicherungszugehörigkeit

Nach Auffassung des OGH ist der Eintritt der Versicherungsfälle der
Erwerbsminderung ausschließlich nach der tatsächlichen Tätigkeit des
Versicherten und nicht nach seiner pensionsversicherungsrechtlichen
Zugehörigkeit zu beurteilen: “Für die Frage, ob der Versicherungsfall der
geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegt und welchem Versicherungszweig eine

90 OGH SSV-NF 6/13, 7/8.

91 OGH RdW 2000, 428.

92 OGH SSV-NF 2/50.

93 Im Fall SSV-NF 2/50 ging es um die Versorgung mit einer richtig sitzenden Beinprothese,
im Fall OGH SSV-NF 11/15 um die Beschaffung einer Brille mit undurchsichtigem Glas.

94 OGH SSV-NF 3/142.

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27

Tätigkeit zuzuordnen ist, (ist) ausschließlich der Inhalt dieser Tätigkeit
entscheidend"95. “Es kommt daher nicht darauf an, ob er als Arbeiter oder
Angestellter eingeordnet war, sondern ob er Arbeiter- oder
Angestelltentätigkeiten verrichtet hat"96. Dasselbe gilt, wenn jemand
tatsächlich eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat, aber zu Unrecht der
Angestelltenversicherung zugeordnet wurde: Anzuwenden sei dann nicht §
273 ASVG, sondern § 133 GSVG97.

Diese Problematik hat der OGH vor dem Hintergrund des Rechts der Angestellten
entwickelt. Die Versicherungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten
hängt § 14 ASVG davon ab, ob die Beschäftigung des Versicherten dem Angestelltengesetz
oder einem vergleichbaren Gesetz über Angestelltentätigkeiten unterliegt. Ist dies nicht der
Fall, gehören Arbeitnehmer zur Pensionsversicherung der Arbeiter (§ 13 ASVG). Mitunter
üben Arbeitnehmer jedoch tatsächlich eine Arbeitertätigkeit aus, wurden aber bei der
Pensionsversicherung der Angestellten angemeldet (wegen Irrtums oder weil es sich um
Angestellte ex contractu) und sind deshalb bei ihr versichert.

Dasselbe Problem kann auch bei Versicherten auftreten, die im Zuge ihres
Berufslebens ihre Berufszugehörigkeit und damit die Zugehörigkeit zur
Versicherung einer bestimmten Berufsgruppe (Arbeiter, Angestellte,
gewerblich Selbständige, Landwirte) gewechselt haben. Für sie ist nach dem
Grundsatz der Leistungszugehörigkeit bzw. Leistungszuständigkeit (§§ 245 f.
ASVG) stets nur der Versicherungsträger zur Leistungserbringung zuständig
und verpflichtet, bei dem der Versicherte innerhalb der letzten 15 Jahre vor
dem Pensionsstichtag die größere Zahl von Versicherungsmonaten erworben
hat98. Der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger hat kraft
gesetzlichen Auftrages alle Versicherungszeiten, gleichgültig bei welchem
Versicherungsträger sie erworben wurden, so zu behandeln, als wären sie bei
ihm erworben worden.

95 OGH SSV-NF 4/84 unter Berufung auf 3/2 und 3/132.

96 OGH SSV-NF 2/71, 3/99, 4/10, 6/20, 12/101.

97 OGH SSV-NF 4/84.

98 Vgl. §§ 245, 246, 251 a ASVG, 129 GSVG, 120 BSVG.

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28

Nach Auffassung des OGH hat der leistungszuständige Versicherungsträger
bei der Feststellung des Anspruches auf die Erwerbsminderungspension stets

nur eigenes Rechts anzuwenden 99  .

Wie der Versicherungsträger dabei vorzugehen hat, wird vom OGH aber unterschiedlich
beurteilt, je nachdem, ob es sich um einen Wechsel (1) zwischen einem Arbeiter- und einem
Angestelltenberuf, (2) zwischen einem Arbeitnehmerberuf und einer selbständigen Tätigkeit
oder (3) zwischen einer nach dem GSVG und einer nach dem BSVG
Versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit handelt.

Bei Versicherten, die zwar zur Angestelltenversicherung leistungszugehörig sind,
tatsächlich aber Arbeitertätigkeiten verrichtet haben (Fall 1), sei die Minderung der
Arbeitsfähigkeit nach den für Arbeiter geltenden Grundsätzen zu ermitteln und
umgekehrt100. Beim Wechsel zwischen unselbständiger und selbständiger Tätigkeit (Fall 2)
sei jedoch ausschließlich das Recht des leistungszuständigen Trägers anzuwenden, da sich
die Leistungsvoraussetzungen grundlegend voneinander unterschieden. Daher habe der
leistungszuständige Pensionsversicherungsträger in der Frage des Berufsschutzes “nur die
in seinem Versicherungszweig erworbenen Versicherungszeiten zu berücksichtigen"101

Handle es sich um eine Mehrfachversicherung nur nach GSVG und BSVG (Fall 3), seien für
die Verweisung auch die Zeiten aus dem jeweils anderen Versicherungszweig zu
berücksichtigen. Bei einem Versicherten, für den die Sozialversicherungsanstalt der
gewerblichen Wirtschaß leistungszuständig war und der zuletzt 60 Kalendermonate als
selbständiger Landwirt gearbeitet hatte, war seiner Meinung nach daher der Prüfung der
Verweisungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Erwerbsunfähigkeit mit Berufsschutz die
landwirtschaftliche Tätigkeit zugrunde zu legen102.

99 OGH SSV-NF 4/93, 8/25, 9/10.

100 Siehe vor allem OGH SSV-NF 3/2 mit eingehender Begründung.

101 OGH SSV-NF 9/10, ebenso 11/143.

102 OGH SSV-NF 4/93.

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29

2.     Kapitel:

Rechtsprechung zur Verweisung
nichtqualifizierter Arbeiter

Der Gesetzgeber unterscheidet in § 255 ASVG zwischen Arbeitern, die
erlernte oder angelernte Berufe ausüben einerseits (im weiteren Text als
qualifizierte Arbeiter bezeichnet) und den übrigen Arbeitern andererseits
(hier als
nichtqualifizierte Arbeiter bezeichnet).

2.1    Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Nach § 255 Abs. 3 ASVG können nichtqualifizierte Arbeitnehmer auf alle
Tätigkeiten verwiesen werden, “die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet"
werden. Im Vordergrund der Verweisung stehen daher alle Probleme, die
bereits oben dargestellt wurden. Eine Einschränkung der Verweisung sieht das
Gesetz nur für Härtefälle vor.

2.2   Härtefälle

Nach § 255 Abs. 3 ASVG darf die Verweisung nur auf eine Tätigkeit erfolgen,
die dem Versicherten “unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten
Tätigkeiten zugemutet werden kann". Die Rechtsprechung hat diese
Härteklausel überaus restriktiv interpretiert.

Der OGH betont zunächst, ihre Funktion bestehe nicht darin, die Verweisung auf
Tätigkeiten zu verhindern, “die den bisher ausgeübten unähnlich sind, sondern (sie) soll nur
in den Ausnahmefällen eine Verweisung verhindern, die bei Berücksichtigung der schon
ausgeübten Tätigkeiten (also nicht nur der während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag
ausgeübten) als unbillig bezeichnet werden müßte"103. Diese Bestimmung hindere jedoch
nicht eine Verweisung “auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich sind"104.

103 OGH SSV-NF 2/34, 2/50, 3/4, 5/45.

104 OGH SSV-NF 6/12, 10 Ob S 60/99t, 10 Ob S 332/99t.

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30

Ergänzend meinte der OGH, die Klausel wolle ausschließen, daß Hilfsarbeiter auf
selbständige Erwerbstätigkeiten105 oder auf Tätigkeiten verwiesen werden, die einen
höheren Bildungsgrad oder eine unzumutbare längere Anlernung oder Umschulung
voraussetzen106.

Tatsächlich konnte bei Durchsicht sämtlicher Entscheidungen in der SSV-Neu
nur eine einzige gefunden werden, in der von der Härteklausel Gebrauch
gemacht wurde. Dabei ging es um die generelle Aussage, daß die Verweisung
eines nichtqualifizierten Arbeitnehmers auf Heimarbeit unbillig sei, wenn
dieser nicht schon vorher in Heimarbeit gearbeitet hatte107. Ansonsten finden
sich nur Entscheidungen, in denen die Anwendung der Härteklausel
ausdrücklich abgelehnt wurde.

So leitete der OGH aus dem Wortlaut der Härteklausel ab, daß bei ihrer Anwendung nur
“die Art der Tätigkeiten", nicht aber “andere Umstände", wie etwa der Ort der Ausübung
der Tätigkeil, zu berücksichtigen seien108. Auch ein Hilfsarbeiter, der früher in Polen
höherwertige Tätigkeiten verrichtet hatte, fand vor dem OGH keine Gnade. Das Gericht
stellte sich auf den Standpunkt, daß einer zu berücksichtigenden “Tätigkeit" im Sinne der
Härteklausel eine in Österreich anrechenbare Versicherungszeit zugrunde liegen müsse109.

2.3   Arbeit in geschützten Werkstätten

Da nach den gem. § 11 Abs. 1 BEinstG erlassenen Richtlinien nur solche
Behinderte in eine geschützte Werkstätte aufgenommen werden, die nach
Arbeitstraining und Arbeitserprobung voraussichtlich eine bestimmte
“Mindestproduktivität" (50% jener einer Normalarbeitskraft in gleicher
Verwendung) erreichen werden, müsse auch ein begünstigter Behinderter, der
in einer geschützten Werkstätte arbeitet, noch jene Arbeitsleistung erbringen
können, bei der ein Versicherter noch nicht als invalid anzusehen ist. Ihm

105 OGH 10 Ob S 332/99t im Anschluß an Grillberger, Österreichisches Sozialrecht, 4. Auf.
84.

106 OGH SSV-NF 5/45, OGH 10 Ob S 140/99g.

107 OGH 10 Ob S 332/99t.

108 OGH SSV-NF 5/121.

109 OGH SSV-NF 3/4.

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31

könne daher nicht entgegengehalten werden, er sei nie wirklich arbeitsfähig
und daher auch nur aus Entgegenkommen des Arbeitgebers beschäftigt
gewesen Es sei allerdings zu überprüfen, ob der Versicherte diese
Mindestleistung auch wirklich erbracht hat110.

2.4   Verweisung auf Angestelltentätigkeiten

Der OGH läßt eine Verweisung nichtqualifizierter Arbeiter auf einfache
Angestelltentätigkeiten, die ihrem Bildungsgrad entsprechen und keine längere
Anlernzeit oder Umschulung erfordern, unter Berufung auf das Gesamtsystem
zu111. Die Beschränkung der Verweisbarkeit von Personen mit Berufsschutz
ergebe sich daraus, daß sie durch die Verweisung ihren Berufsschutz nicht
verlieren dürfen. Da nichtqualifizierte Arbeiter jedoch keinen Berufsschutz
besitzen, können sie auf sämtliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt verwiesen werden, die sie mit ihrer Restarbeitsfähigkeit noch
ausüben können112.

Der  OGH hielt daher die   Verweisung  einer   Versicherten,   die  bisher als  Büglerin.
Serviererin und Hausmeisterin tätig war, auf den Beruf einer Kassierin für zumutbar113.

110 OGH SSV-NF 5/14.

111 OGH SSV-NF 5/45.

112 OGH SSV-NF 5/45.

113 OGH SSV-NF 5/45.

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32

3.     Kapitel:

Rechtsprechung zur Verweisbarkeit
qualifizierter Arbeiter

Nur für Arbeiter, die eine qualifizierte Tätigkeit überwiegend ausgeübt haben,
gibt es Berufsschutz. Es ist daher zunächst auf diese Voraussetzungen für den
Berufsschutz und erst später auf die weiteren Voraussetzungen der
Verweisbarkeit einzugehen.

3.1    Erlernte Berufe

Die ständige Rechtsprechung geht im Sinne der Materialien zur 9. ASVG-
Novelle114 davon aus, daß unter den erlernten Berufen alle Lehrberufe im
Sinne des Berufsausbildungsgesetzes zu verstehen sind.

3.2   Angelernte Berufe

3.2.1 Allgemeine Anforderungen

Der OGH115 stützt sich auf die Gesetzesmaterialien zur 9. ASVG-Novelle116,
denen zufolge es sich bei angelernten Berufen einerseits um Tätigkeiten
handelt, “die ein Versicherter in einem üblicherweise erlernten Beruf ausübt,
ohne daß er tatsächlich den Beruf erlernt hat", andererseits könne ein
angelernter Beruf aber auch dann vorliegen, wenn der Versicherte über
Fähigkeiten verfügt, “für die eine Ausbildung in Form eines Lehrverhältnisses
überhaupt nicht vorgesehen ist". Für die Ausübung dieser Tätigkeit werde
jedoch im allgemeinen “eine ähnliche Summe besonderer Kennmisse oder
Fähigkeiten erfordert wie die Tätigkeit in einem erlernten Beruf.

114 EB zum Initiativantrag 517 Beil. NR. 9.GP, 86 f.

115 Vgl. OGH SSV-NF 1/48, 1/70, 4/74 u.a.

116 517 Beil. NR. 9.GP, 86 f.

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33

Der angelernte Arbeiter müsse jedoch nicht alle Tätigkeiten beherrschen, die
nach dem Inhalt der Ausbildungsvorschriften Gegenstand des Lehrberufes
sind. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten müßten aber “an Qualität und Umfang"
jenen von Lehrberufen entsprechen117, d.h. wie sie “üblicherweise von
ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem
Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppen)"118 unter Berücksichtigung
einer betriebsüblichen Einschulungszeit119 verlangt werden.

Das Fehlen nur “ einzelner, nicht zentraler Kenntnisse und Fähigkeiten eines Lehrberufes "
schließe den Berufsschutz daher nicht aus120. Ein angelernter Beruf könne sich auch aus
verschiedenen Teiltätigkeiten unterschiedlicher Lehrberufe zusammensetzen
(Mischberuf)121.

Der bloße Besitz entsprechender Kenntnisse und Fähigkeiten ist jedoch zu
wenig, diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen vielmehr für den vom
Versicherten ausgeübten Beruf auch
tatsächlich erforderlich gewesen sein122.

Daher mache die bloße Zurücklegung der Lehrzeit ohne Lehrabschlußprüfung für sich
allein noch nicht zum angelernten Arbeiter; es müsse zusätzlich geprüft werden, ob der
Versicherte tatsächlich ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt und ob diese auch
in seinem Beruf
“in jenem Ausmaß zum Tragen gekommen (sind), das hierfür üblicherweise
von gelernten Arbeitern dieser Berufsgruppe erwartet wird"123.

Die Kenntnisse und Fähigkeiten müssen - entgegen dem Gesetzeswortlaut -
nicht nur durch “praktische Arbeit" erworben worden sein, man müsse ja auch
bei erlernten Berufen sowohl die praktische als auch die theoretische
Ausbildung berücksichtigen124.

117 OGH SSV-NF 1/70.

118 OGH SSV-NF 3/70.

119 OGH SSV-NF 4/80, 4/111, 6/69, 12/136.

120 OGH SSV-NF 12/136.

121 OGH SSV-NF 2/78, 7/104.

122 OGH SSV-NF 2/98.

123 OGH SSV-NF 3/122.

124 OGH SSV-NF 3/70.

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34

Bei Tätigkeiten, die nicht als Lehrberufe anerkannt sind, beurteilt der OGH die
erforderlichen Berufsanforderungen in erster Linie an Hand der auf dem
Arbeitsmarkt gefragten jeweiligen Variante jenes Lehrberufes, der mit diesen
Tätigkeiten am ehesten verwandt ist .

Die Dauer der Anlernzeit sei nur ein Indiz für das Vorliegen oder
Nichtvorliegen eines angelernten Berufes, da eine früher ausgeübte Tätigkeit
die raschere Erlernung des Berufes begünstigt oder die spätere praktische
Ausübung zu einer Vervollkommnung der Fähigkeiten geführt haben
könne126.

Durch die Streichung aus der Lehrberufsliste komme ein Beruf (hier
Drahtzieher) nur dann nicht mehr als Anlernberuf in Betracht, wenn die
Berufsanforderungen so gesunken sind, daß sie mit jenen aus einem Lehrberuf
nicht mehr vergleichbar sind127. Der einmal erlangte Berufsschutz als
angelernter Arbeiter bleibe jedoch erhalten, wenn sich die Tätigkeit später
zwar etwas inhaltlich verändert, “in ihrer Gesamtheit aber doch noch als
Ausübung des angelernten Berufes anzusehen ist"128.

Andererseits mißt der OGH die Anforderungen nach dem aktuellen
Standard.

Sind die Anforderungen im Laufe der Zeit gewachsen, kann sich der Versicherte daher nicht
darauf berufen, daß verschiedene Tätigkeiten, die derzeit Gegenstand der
Ausbildungsvorschriften sind, zur Zeit seiner Einschulung und beruflichen Tätigkeit von den
einschlägig Beschäftigten nicht verrichtet wurden129. Berufsschutz könne aber auch für eine
Tätigkeit erlangt werden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt als Lehrberuf anerkannt
wurde130.

125 OGH SSV-NF 4/111, 5/76.

126 OGH SSV-NF 1/48.
127 OGH SSV-NF 4/74,4/111.

128 OGH SSV-NF 4/80.

129 OGH SSV-NF 6/69 (Fassaden- und Gebäudereiniger).

130 OGH SSV-NF 4/80 (Berufskraftfahrer), 5/51 (Schalungsbauer).

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35
3.2.2 Beispiele

Aus der Rechtsprechung des OGH lassen sich keine allgemeinen Aussagen
machen, welche Berufe als angelernte Berufe gelten und welche nicht. Es
kommt vielmehr stets darauf an, welche Kenntnisse und Fähigkeiten der
einzelne Versicherte besitzt und in seiner Tätigkeit auch einzusetzen hatte. Es
läßt sich aber dokumentieren, mit welchen Tätigkeiten sich der OGH
auseinandergesetzt hat; in den einzelnen Entscheidungen finden sich dann die
jeweiligen berufsspezifischen Anforderungen:

•   Bagger(Schubraupen)fahrer131

•     Drahtzieher132

•    Drittelführer (Tunnelbau)133

•     Fassaden- und Gebäudereinigung134

•    Fleischwarenarbeiter135

•     Glasbläser136

•     Hausbesorger137

•    Hilfsschwester138

•     Kellner(in)139

•    Kindergartenhelferin140

131 OGH SSV-NF 7/109.

132 4/74, 4/111.

133 OGH SSV-NF 6/95.

134 OGH SSV-NF 6/69.

135 OGH SSV-NF 5/117

136 OGH SSV-NF 4/94.

137 OGH SSV-NF 6/136.

138 OGH SSV-NF 5/71, 12/6.

139 OGH SSV-NF 4/88, 4/166, 7/88, 8/21, 9/96, 12/156.

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     36

•    Koch (Köchin)141

•    Kranführer142

•    Lackierer143

•   Lager(Magazins)arbeiter144

•   Lagerverwalter145

•    Landwirtschaftshelferin146

•     Lüftungsmonteuer (-spengler)147

•    Maschinenführer (Papierindustrie)148

•     Matrose (Steuermann)149

•    Montage vorgefertigter oder fertiger Möbel150

•     Näherin151

•    Pflegehelfer (Stationsgehilfe)152

•     Schalungs(Beton)bau153

140 OGH SSV-NF 12/39

141 OGH SSV-NF 7/129, 9/35, 10/64.

142 OGH SSV-NF 7/90.

143 OGH SSV-NF 1/48, 5/20 aber abweichend in 5/122.

144 OGH SSV-NF 5/16.

145 OGH SSV-NF 9/72.

146 OGH SSV-NF 7/87.

147 OGH SSV-NF 5/129.

148 OGH SSV-NF 9/99.

149 OGH SSV-NF 7/65.

150 OGH SSV-NF 12/136.

151 OGR SSV-NF 3/35...

152 OGH SSV-NF 12/6.

153 OGH SSV-NF 5/51, 8/94.

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•   Schmelzer154

•      Schwimmlehrer155

•      Stanzerin156

•      Staplerfahrer157

•      Stationsgehilfe158

•      Steinmetz159

•      Straßenbahnfahrer160

•    Tischler161

•    Universalschweißer162

•      Weber163

•   Zeitungszusteller164

Zur Illustration der Entscheidungspraxis des OGH sei der Kraftfahrer ohne
Lehre hervorgehoben, da es dazu viele Entscheidungen gibt. Der OGH
orientiert sich an den für den Lehrberuf des Berufskraftfahrers geltenden
Ausbildungsvorschriften. Diese verweisen als verwandte Lehrberufe mit
Anrechnungsmöglichkeit auf Kraftfahrzeugelektriker, Kraftfahrzeug-
mechaniker, Landmaschinenmechaniker, Motorenschlosser und Spediteure.

154 OGH SSV-NF 2/120, 5/79.

155 OGH SSV-NF 7/49.

156 OGH SSV-NF 3/35.

157 OGH SSV-NF 5/7.

158 OGH SSV-NF 5/71, 8/48.

159 OGH SSV-NF 3/70.

160 OGH SSV-NF 6/147.

161 OGH SSV-NF 3/122.

162 OGH SSV-NF 7/108.

163 OGH SSV-NF 4/158

164 OGH SSV-NF 5/103.

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Daraus leitet der OGH ab, der Kraftfahrer müsse über entsprechende
zusätzliche handwerkliche und theoretische Kenntnisse, etwa über das (auch
grenzüberschreitende) Verkehrswesen, die Transportversicherung oder das
Zollrecht verfugen165. Diese Kenntnisse müßten weit166 und nicht nur
unwesentlich167 über das hinausgehen, was bei der Führerscheinprüfung für
einen LKW verlangt wird. Es genüge daher nicht, daß der Versicherte nur die
Kenntnisse eines auf den Personenverkehr spezialisierten Buschauffeurs
besitzt, der gelegentlich bei kleineren Fahrzeugschäden Reparaturen
durchführt und bei Auslandsfahrten die Namen der Passagiere in Visaanträge
einträgt und die Beförderungssteuer bezahlt168 oder daß der Versicherte zu
80% als Fahrer eines Baggers oder Muldenkippers arbeitet und zu 20%
einfache Servicearbeiten am Fahrzeug verrichtet169.

Besonders weit in seinen Anforderungen ging der OGH bei einem KFZ
Fahrer, der zunächst Panzerschränke und Computer im internationalen
Verkehr und später Viehtransporte im Inland durchgeführt hatte. Das Gericht
verneinte das Vorliegen eines angelernten Berufes deshalb, weil dieser Fahrer
niemals gefährliche Güter transportiert hatte und daher über keinerlei
diesbezügliche Kenntnisse verfügte. Der Einwand des Versicherten, für die
Beförderung gefährlicher Güter sei eine eigene Ausbildung erforderlich, über
die nur ein kleiner Kreis von Berufskraftfahrern verfuge, wurde vom OGH mit
dem Argument zurückgewiesen, das Berufsbild des Berufskraftfahrers
umfasse ausdrücklich auch Kenntnisse über den Transport gefährlicher
Güter170.

Neuerdings hat der OGH offenbar seine Anforderungen zurückgeschraubt und
hält theoretische Kenntnisse nur für notwendig, wenn sie für die praktische

165 OGH SSV-NF 2/66, 8/17.

166 OGH SSV-NF 4/80 (lag in diesem Fall vor).

167 OGH SSV-NF 2/66.

168 OGH SSV-NF 8/17.

169 OGH SSV-NF 9/35.

170 OGH SSV-NF 9/63.

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Ausübung der Tätigkeit eines Berufskraftfahrers am Arbeitsmarkt erforderlich
sind. Insbesondere schade das Fehlen einer Bescheinigung über die
Gefahrenlenkerschulung nicht.171 Damit vermeidet der OGH einen
Wertungswiderspruch zu anderen Entscheidungen, in denen der OGH bei
angelernten Kräften nur geprüft hat, welche Anforderungen üblicherweise in
den auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten eines Berufes verlangt
werden172.

3.3   Überwiegende Tätigkeit

Der Berufsschutz setzt voraus, daß der Versicherte “überwiegend" in erlernten
oder angelernten Berufen tätig war. Nach der Legaldefinition des § 255 Abs. 2
Satz 2 ASVG ist dies der Fall, wenn der Versicherte erlernte oder angelernte
Berufstätigkeiten “in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate" nach dem
ASVG173 während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt hat. Zu
beachten ist allerdings auch § 236 Abs. 2 ASVG, demzufolge ein Anspruch
auf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nur dann besteht, wenn
die für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Versicherungsmonate
innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen (diese
Rahmenfrist verlängert sich jedoch, wenn die Invalidität nach Vollendung des
50. Lebensjahres auftritt).

Unter “Beitragszeiten" sind nach der Rechtsprechung weder Ersatzzeiten174,
noch Kalendermonate175 zu verstehen.

Berufsschutz besteht auch dann, wenn der Versicherte in den letzten 15 Jahren
verschiedene Berufe ausgeübt hat, sofern “nur die Summe der dadurch

171 OGH 10 Ob S 256/99s, ARD 5135/8/2000.

172 OGH SSV-NF 7/108, 7/129, 9/96, 12/156.

173 Die bloße Hälfte genügt daher nicht (OGH SSV-NF 12/76).

174 Darauf verweist auch der OGH in SSV-NF 6/35; siehe auch 6/38, 6/104, 6/73, 6/100.

175 OGH SSV-NF 6/100.

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40

erworbenen Beitragsmonate die Zahl der Beitragsmonate, während derer
nichtqualifizierte Tätigkeiten verrichtet wurden, übersteigt"176.

Die Lehrzeit wird vom OGH nicht als Ausübung eines qualifizierten
Berufes
anerkannt177, da ein Lehrling während seiner Lehrzeit für den
Lehrberuf nur ausgebildet wird. Durch die Ablegung einer
Lehrabschlußprüfung könne auch kein Berufsschutz für die Vergangenheit

erworben werden 178   .

Beim Anlernling nahm der OGH zunächst an, daß dieser in einem
Beschäftigungsverhältnis stehe, “in dem er bereits eine Berufstätigkeit
ausübt"179. In Folgeentscheidungen differenzierte er jedoch und vertrat
nunmehr die Ansicht, ein Anlernberuf werde “erst ab dem Zeitpunkt ausgeübt,
ab dem die Anlernung abgeschlossen ist und der Versicherte über die
Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die den in einem Lehrberuf

erworbenen gleichzuhalten sind" 180   .

3.4   Verlust des Berufsschutzes

Ob Berufsschutz besteht, entscheidet sich aufgrund der Art der tatsächlichen
Beschäftigung in den letzten 15 Jahren. Überwiegt in den Beitragsmonaten aus
diesen 15 Jahren die nichtqualifizierte Beschäftigung, dann geht der früher
bestandene Berufsschutz verloren, der Arbeiter muß sich gefallen lassen, auch
auf einen nichtqualifizierten Beruf verwiesen zu werden. Die Gründe, die zu
dem Berufswechsel geführt haben, sind nach Auffassung des OGH
unbeachtlich181.

176 OGH SSV-NF 8/119, 10/98.

177 OGH SSV-NF 4/27, 7/7, 7/91, 12/47 (mit Kritik von Resch, öRda 1998, 208 f.). Über die
Bedeutung ausländischer Prüfungen vgl. OGH SSV-NF 12/12.

178 OGH SSV-NF 12/64.

179 OGH SSV-NF 5/123.

180 OGH SSV-NF 7/129, 11/68.

181 OGH SSV-NF 12/76.

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Der Berufsschutz gehe daher auch dann verloren, wenn der Versicherte seinen erlernten
Beruf als Folge eines Arbeitsunfalles aufgeben mußte und anschließend nichtqualifizierte
Arbeit geleistet hat182. Ein Arbeiter kann seinen Berufsschutz aber auch dann verlieren,
wenn er aus gesundheitlichen Gründen weder seinen erlernten oder angelernten Beruf noch
einen zumutbaren Verweisungsberuf ausüben kann, Jedoch keinen Antrag auf Gewährung
einer Invaliditätspension stellt, sondern einen Beruf ausübt, auf den er nicht hätte verwiesen
werden können183.

Kein Verlust tritt jedoch ein, wenn nur mehr Teiltätigkeiten des Berufs
ausgeübt wurden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz
unbedeutend waren (z.B. Wartungs- und Reparaturarbeiten eines gelernten
KFZ-Mechanikers in etwa einem Drittel der Arbeitszeit als Kraftfahrer)184.

3.5   Verweisungsmöglichkeiten

3.5.1 Allgemein

Qualifizierte Arbeiter können gem. § 255 Abs. l ASVG nur auf solche Berufe
verwiesen werden, die (1) eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige
Kenntnisse und Fähigkeiten wie einer der bisher überwiegend ausgeübten
Berufe erfordern und die (2) am Arbeitsmarkt noch bewertet werden. Die
Verweisung erfolgt üblicherweise auf Lehrberufe. Daher spricht der OGH
zumeist auch nur von solchen Lehrberufen. Da der Berufsschutz jedoch für
angelernte Arbeiter in gleicher Weise gilt, ist damit wohl eine Verweisung auf
qualifizierte Arbeiterberufe gemeint.

Hat der Versicherte im 15-jährigen Beobachtungszeitraum mehrere
qualifizierte Berufe ausgeübt, ist die Verweisungsmöglichkeit für jeden
einzelnen dieser Berufe zu überprüfen185. Es genügt also nicht, daß es etwa nur

für den zuletzt ausgeübten Beruf keine Verweisungsmöglichkeit gibt 186   .

182 OGH SSV-NF 3/27

183 OGH SSV-NF 3/27, 3/89.

184 OGH 10 Ob S 54/00i, ARD 5135/9/2000).

185 OGH SSV-NF 4/143, 5/65, 6/19, 8/70, 8/119.

186 OGH SSV-NF 6/19.

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Der OGH187 geht bei der Durchführung der Verweisung in ständiger
Rechtsprechung davon aus, daß zwei Größen miteinander verglichen
werden müssen: (1) Die verbliebene Arbeitsfähigkeit des Versicherten im
Zeitpunkt der Feststellung (= Pensionsstichtag) und (2) die Arbeitsfähigkeit
eines gesunden Versicherten, der jene “Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die
von gelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem
Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppe) unter Berücksichtigung
einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden"188 (= fiktive
Vergleichsperson). Dadurch werde die Vergleichsbasis auf Berufe
eingeschränkt, die “der bisherigen Beschäftigung des Versicherten vom
Standpunkte der Ausbildung und der Aufgabenstellung"

gleichkommen 189   .

3.5.2 Herabsinken der Arbeitsfähigkeit (Lohnhälfte)

Nach § 255 Abs. l ASVG muß die Arbeitsfähigkeit des qualifizierten
Arbeiters aus gesundheitlichen Gründen “auf weniger als die Hälfte derjenigen
eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung
und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" in einem
Verweisungsberuf “herabgesunken" sein. “Gesund" sei ein Versicherter, “der
zumindest noch über jene Arbeitskraft verfügt, die erforderlich ist, um (ohne
Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes) die jeweils in Betracht
kommenden (Verweisungs)Berufe auszuüben" 190.

Obwohl der Gesetzgeber bei qualifizierten Arbeitern nur auf das Ausmaß der
verbliebenen Restarbeitsfähigkeit abstellt, hat dies die Rechtsprechung unter
Hinweis auf die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung in der Weise
umgedeutet, daß es auf das Unterschreiten der Lohnhälfte in einem

187 OGH SSV-NF 8/75.

188 OGH SSV-NF 2/122, 7/6.

189 OGH SSV-NF 8/75.

190 OGH SSV-NF 1/37.

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Verweisungsberuf ankomme, wie dies im Gesetz nur für nichtqualifizierte
Arbeiter vorgesehen ist191. Zu vergleichen sei daher stets die Arbeitsfähigkeit
des Versicherten mit einer typisierten Vergleichsperson. “Die
Arbeitsfähigkeit der typisierten Vergleichsperson ist immer nach den
wirtschaftlichen Ergebnissen ihrer Tätigkeit, also nach dem durch diese
regelmäßig zu erzielenden Entgelt zu beurteilen".

In der Anwendung der Lohnhälfteregel geht der OGH davon aus, daß die
Verdienstsituation des Versicherten vor und nach der Stellung seines
Pensionsantrages abstrakt zu berücksichtigen sei192. Es wird daher geprüft,
welchen durchschnittlichen Verdienst ein gesunder Versicherter in einem
Verweisungsberuf erzielen kann. Dabei wird grundsätzlich nur das Entgelt für
die Normalarbeitszeit berücksichtigt; ausgeklammert werden auch jene
Entgeltteile, die nur “unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten (Überstunden,
Akkord, etc.) in Einzelfällen erzielt werden". In kollektivvertraglich
geregelten Branchen geht der OGH von den Kollektivvertragsentgelten aus,
sofern diese nur in Einzelfällen überzahlt werden. In Branchen, in denen es
jedoch zu regelmäßigen Überzahlungen kommt (beispielsweise, weil der
Akkordlohn die Regel darstellt) stützt es sich auf dieses regelmäßig erzielbare
höhere Einkommen.

Ist “ein Versicherter in der Lage, eine Verweisungstätigkeit ohne jede
Einschränkung inhaltlicher oder zeitlicher Art auszuüben", dann geht der
OGH davon aus, daß er den Kollektivvertragslohn verdienen kann193. Die
Konsequenz dieser Auffassung bestand darin, daß in keinem einzigen vom
OGH entschiedenen einschlägigen Fall, in dem der Versicherte noch in der
Lage war, die volle Arbeitszeit einzuhalten, die Lohnhälfte irgend eine
rechtliche Bedeutung erlangte. Denn der OGH betont selbst, daß bei
Vollzeitbeschäftigung auch gemindert Leistungsfähige Anspruch auf den im

191 OGH SSV-NF 9/46.

192 Vgl. OGH SSV-NF 9/46.

193 OGH SSV-NF 1/11, 1/54.

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Kollektivvertrag allgemein vorgesehenen Mindestlohn haben und damit
jedenfalls mehr als 50% eines gesunden Arbeitnehmers verdienen können, da
generelle Überzahlungen von 100% gegenüber dem Kollektivvertrag praktisch
in keiner Branche vorkommen194.

Praktische Bedeutung erlangte die Lohnhälfte erst, als der OGH begann, einen
Vollzeitbeschäftigten auf eine Teilzeitbeschäftigung zu verweisen. In diesem
Fall lehnte er eine Verweisung nur dann ab, wenn der bisher
vollzeitbeschäftigte Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht in der
Lage war, regelmäßig so viele Arbeitsstunden zu leisten, daß er die Lohnhälfte
eines gesunden Vollzeitbeschäftigten im jeweiligen Verweisungsberuf
erreichte195.

Eine gelernte Damenkleidermacherin, die bisher in Vollzeit gearbeitet hatte, wurde auf den
Beruf einer Änderungsschneiderin verwiesen, da sie zwar nicht die gesetzliche
Normalarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich oder acht Stunden täglich, wohl aber
mindestens 20 Stunden wöchentlich oder vier Stunden täglich leisten und dabei die Hälfte
des üblichen kollektivvertraglichen Lohnes einer gesunden vollbeschäftigten
Änderungsschneiderin erzielen könne196. Konsequenterweise verglich der OGH die
Einkommenserwartung eines Versicherten, der in den letzten 15 Jahren überwiegend
teilzeitbeschäftigt war und aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitszeit weiter
einschränken mußte, mit jenem Einkommen, das ein gesunder Arbeitnehmer verdienen kann,
dessen Arbeitszeit der ursprünglichen Teilzeit des Versicherten entspricht197.

3.5.3 Spezialisierung im Lehrberuf und Verweisung auf
Teiltätigkeiten

Da von einem Facharbeiter im Regelfall nur die Beherrschung eines Teiles der
in den Ausbildungsvorschriften vorgesehenen Kenntnisse, ja in gar nicht so

194 OGH SSV-NF 7/126, 9/46.

195 OGH SSV-NF 9/46, 11/158.

196 OGH SSV-NF 9/46.

197 OGH SSV-NF 3/73.

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seltenen Fällen sogar nur die Beherrschung der für einen Spezialberuf
erforderlichen Kenntnisse, verlangt wird, werden auf dem Arbeitsmarkt auch
solche qualifizierten Arbeiter bewertet, die nicht für die volle Bandbreite ihres
Berufes eingesetzt werden können. Der OGH hat daraus die Konsequenz
gezogen, daß sich ein qualifizierter Arbeiter grundsätzlich auch auf
Teiltätigkeiten eines Lehrberufes (Spezialberufe) verweisen lassen muß,
sofern dies nicht zu einem Verlust des Berufsschutzes führt. Er hält aber auch
umgekehrt einen Versicherten, der bisher überwiegend nur eine solche
Teiltätigkeit ausgeübt hat, auf den vollen Beruf für verweisbar.

In seiner grundlegenden Entscheidung betonte der OGH198, daß ein qualifizierter Arbeiter
auf Teiltätigkeiten eines Lehrberufes verwiesen werden könne, sofern diese Teiltätigkeit
noch als Ausübung einer erlernten (angelernten) Tätigkeit angesehen werden könne199 bzw.
auch bei isolierter Betrachtung außerhalb des Invalidisierungsverfahrens den Berufsschutz
erhalte200. Dabei komme es jedoch nicht darauf an, in welcher Wirtschaftssparte jemand
tätig ist (zB in der Landwirtschaft, im gewerblichen, industriellen, privaten oder
Verwaltungsbereich), sondern nur auf den tatsächlichen Inhalt der ausgeübten Tätigkeit201.

Die Verweisung auf eine zumutbare Teiltätigkeit ist auch dann zulässig, wenn
sie der Versicherte noch nie ausgeübt hat202; als entscheidend sieht der OGH
nur an, welche Ausbildung und dadurch erworbene Kenntnisse und
Fähigkeiten der Versicherte besitzt203. Diese Grundsätze erfahren aber dadurch
eine gewisse Einschränkung, daß der OGH eine Verweisung auf
Teiltätigkeiten offenbar nur dann für zulässig erachtet, wenn die Teiltätigkeit
zum "Kernbereich" des Berufes bzw. der vorgesehenen Berufsausbildung

198 OGH SSV-NF 2/29; im gleich Sinn SSV-NF 3/29, 3/119, 3/122, 4/2, 4/140, 6/67, 7/6,
9/40, 12/139.-3/29, 3/119, 3/122,4/2, 4/140, 6/67, 7/6, 9/40, 12/139.

199 Unter Hinweis auf Würth, Beurteilung der verbleibenden Arbeitsfähigkeit im Rahmen der
Invalidität, öRdA 1973, 115 ff (117) und ähnlich
Schmidt, ZAS 1983, 117.

200    Unter   Hinweis    auf   Schrammel,    Zur   Problematik    der   Verweisung    in    der
Pensionsversicherung und Unfallversicherung, ZAS 1984, 83 ff (88).

201 OGH SSV-NF 4/2, 7/88, 12/47.

202 OGH SSV-NF 3/29.

203 OGH SSV-NF 3/29, 12/139.

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zählt204. Entscheidend sei, daß sich die Verweisungstätigkeit qualitativ von
Hilfsarbeiten wesentlich hervorhebt und nicht bloß untergeordnet ist205.

Es hat allerdings den Anschein, daß diese Rechtsprechung in einem
Wertungswiderspruch zu ändern Entscheidungen steht, in denen der OGH
betont, der Berufsschutz setze voraus, daß sich die Kenntnisse und Fähigkeiten
des Versicherten nicht nur “auf ein Teilgebiet oder auf mehrere Teilgebiete
eines Tätigkeitsbereiches beschränken, der von ausgelernten Facharbeitern

allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird"206 . Was ist unter diesem
“Tätigkeitsbereich" zu verstehen? Ist damit ein Beruf gemeint, der nicht mehr
als Teiltätigkeit oder als Kernbereich eines Lehrberufes aufgefaßt werden
kann?

Einige Beispiele aus der Verweisungspraxis des OGH:

Ein gelernter Betriebsschlosser muß sich auf die Tätigkeit eines Schlossers im Schloß- und
Apparatebau207, ein Spengler auf die Tätigkeit eines Karosserie- oder
Galanteriespenglers203, ein Schriftsetzer auf die Tätigkeit eines Korrektors209, ein
Drahtzieher210 oder Stahlbauschlosser211 auf die Tätigkeit eines Zwischen- oder
Endkontrollors bzw. eines Fertigungsprüfers, ein gelernter Kellner auf das bloße Servieren
von Speisen und Getränken in Kaffeehäusern, Konditoreien und Bars212, eine ländliche
Hauswirtschaftsgehilfin auf die Küche, die Vorratshaltung, das Bekleidungs- und
Wäschewesen und die Personenbetreuung in Schulinternaten, Krankenhäusern,
Beherbergungsbetrieben, Kurheimen und privaten Haushalten213 verweisen lassen.

204 OGH SSV-NF 4/2, 12/47.

205 OGH SSV-NF 4/140, 6/67, 7/6, 7/62, 9/40, 12/139.

206 OGH SSV-NF 1/48, 2/66, 3/70.

207 OGH SSV-NF 2/29.

208 OGH SSV-NF 2/46.

209 OGH SSV-NF 2/72.

210 OGH SSV-NF 3/119.

211 OGH SSV-NF 4/140.

212 OGH SSV-NF 12/47.

213 OGH SSV-NF 4/2.

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3.5.4 Ein-, Nach- und Umschulung

Einem Versicherten, der überwiegend in qualifizierten Berufen tätig war,
wird vom OGH nicht zugemutet, “sich wesentlich neue Kenntnisse und
Fähigkeiten ... in einem wegen unähnlicher Ausbildung und anderen zur
Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fremden Beruf
zu erwerben214. Vom Versicherten dürfe daher keine Umschulung
verlangt werden, wohl aber eine bloße Nachschulung215.

Die Nachschulung beziehe sich eben nur “auf die Weiterentwicklung der im bisherigen
Beruf (in der bisherigen Berufsgruppe) " erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten und nicht
auf den Erwerb völlig neuer. Sie bestehe in einer “Auffrischung oder Ergänzung der
aufgrund der Ausbildung und Ausübung im bisherigen Beruf erworbenen Kenntnisse und
Fähigkeiten" und ziele auf die “Hebung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch
Vervollkommnung der Fachkenntnisse durch Anpassung an veränderte berufliche
Anforderungen, insbesondere an neue Arbeitsmethoden, Werkstoffe, Verfahrensmethoden,

Apparate und Instrumente " ab216

Vom Versicherten könne eine Nachschulung auf solche Kenntnisse und
Fähigkeiten verlangt werden, wie sie von qualifizierten Arbeitern, die im
selben erlernten oder angelernten Beruf tätig sind und ihre
Fachkenntnisse an die sich ändernden Berufsanforderungen angepaßt
haben, auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise verlangt werden217. Von
einem Facharbeiter, der über alle Kenntnisse und Fähigkeiten in seinem
erlernten Beruf verfugt, wird verlangt, sich einer Nachschulung zum Erwerb
von Spezialkenntnissen in diesem Beruf zu unterziehen, wenn er diesen nur
mehr in dieser spezialisierten Form ausüben kann218.

214 OGH SSV-NF 2/122, 8/75.

215 Die Begriffe Um- bzw. Nachschulung entnahm er den zwischenzeitlich (durch das BG
BGB1. 1994/314, Art 7) aufgehobenen Bestimmungen des § 19 Abs. l lit. b
Arbeitsmarktförderungsgesetz.

216 OGH SSV-NF 2/122, 8/75.

217 OGH SSV-NF 2/122, 3/79, 7/6.

218 OGH SSV-NF 8/75, 8/84.

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Hinsichtlich der Länge der zumutbaren betrieblichen Ein- oder Nachschulung
sind die Entscheidungen des OGH uneinheitlich.

In einigen sprach er von 3 Monaten219, in anderen220 von 6 Monaten. Möglicherweise ist
damit noch nicht einmal die Höchstdauer angesprochen, weil er dabei jeweils nur die im
konkreten Fall erforderliche Einschulungszeit als zumutbar bezeichnet hat.

3.5.5 Berufsschutz von Angestellten ex contractu

In der betrieblichen Praxis wird Arbeitern oft angeboten, sie trotz
Beibehaltung ihrer Arbeitertätigkeit als Angestellte zu behandeln (sogenannte
Angestellte ex contractu oder “Vertragsangestellte"). Diese Arbeiter werden
sozialversicherungsrechtlich als Angestellte behandelt und sind daher bei der
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten nicht nur versichert, sondern
bei dieser Anstalt gem. § 245 ASVG auch leistungszugehörig. Da nach den
oben dargestellten Grundsätzen das Vorliegen der Minderung der
Arbeitsfähigkeit nach der tatsächlich ausgeübten Beschäftigung zu beurteilen
ist, behandelt der OGH die Angestellten ex contractu somit als Arbeiter221.

3.5.6 Verweisung auf Angestelltenberufe

Der OGH hält auch die Verweisung eines qualifizierten Arbeiters auf
Angestelltentätigkeiten grundsätzlich für zulässig, und zwar auch dann, wenn
der Versicherte bisher noch keine Angestelltentätigkeit verrichtet hat, etwa bei
einem Werkzeugmacher, den er auf den Angestelltenberuf eines Konstrukteurs
verwies222. Zur Begründung führte er an, daß der berufliche Aufstieg
hochqualifizierte Facharbeiter in Angestelltenpositionen bringe. Diese
Verweisung auf einen Angestelltenberuf sei zumutbar, weil sie zu keinem

219 OGH SSV-NF 3/79, 12/25.

220 OGH SSV-NF 8/84, 12/70.

221 Grundlegend OGH SSV-NF 3/2 vgl. aber auch 2/57, 2/60, 2/71.

222 OGH SSV-NF 8/75.

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Verlust des Berufsschutzes führe, denn die Ausübung dieses
Verweisungsberufes begründe einen Berufsschutz nach § 273 ASVG223.

Der OGH verwies aber auch auf Angestelltentätigkeiten, bei denen von
keinem beruflichen Aufstieg gesprochen werden konnte. In diesen Fällen
deutete er bestimmte Angestelltentätigkeiten als “qualifizierte Teiltätigkeiten"
eines erlernten oder angelernten Arbeiterberufes224.

Er entwickelte diesen Gedanken bei einem angelernten Belagsverleger. Aus den damals
eingeholten berufskundlichen Gutachten ergab sich, daß zu den Aufgaben eines
Belagsverlegers auch die Kundenberatung gehöre, daß viele kleinere und mittlere
Bodenverlagsunternehmen zusätzlich einen Handel mit Belägen Teppichen udgl.
betreiben und daß größere Handelsunternehmen und Bodenverlagsunternehmen Belagsver-
leger wegen ihres Fachwissens oft als Vertreter und Verkaufsberater aufnehmen. Der OGH
schloß daraus, daß bei diesen Arbeitnehmern eine gewisse Bereitschaft vorhanden sein
müsse, “sich einfache kaufmännische Kenntnisse anzueignen". Er kam jedoch noch zu
keiner Sachentscheidung, da ausreichende Feststellungen darüber fehlten, ob ein
Belagsverleger in den Verweisungsberufen “noch qualifizierte Teiltätigkeiten seines
erlernten und angelernten Berufs " ausübe. In diesem Zusammenhang sei zu prüfen, welche
Tätigkeiten er als Verkaufsberater oder Vertreter zu verrichten habe, welche Teile seiner
Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten er dafür verwerten könne, welche zusätzlichen
Kenntnisse und Fähigkeiten er benötige und unter welchen Umständen er diese erwerben
könne: der OGH ließ aber nicht erkennen, welche konkreten Anforderungen er dabei
stellt225. Nicht anders verfuhr der OGH bei der Verweisung eines gelernten Tischlers auf
den Beruf eines Wohn- bzw Verkaufsberaters. Er hielt sie grundsätzlich für zulässig, sofern
diese Tätigkeit noch eine qualifizierte Teiltätigkeit des Tischlerhandwerks sei. Abermals
verlangte er die genaue Feststellung des Berufsbildes eines “ Wohnberaters" in seinen
besonderen Ausformungen, des Ausbildungsganges und der Kenntnisse und Fähigkeiten, die
für die Ausübung dieses Berufes erforderlich seien226. In ähnlicher Weise hielt er die
Verweisung eines Karosseurs auf den Angestelltenberuf eines Kundendienstbetreuers in
einem größeren KFZ-Spenglerbetrieb für zumutbar. Er begründete dies damit, daß die

223 OGH SSV-NF 8/75. Der OGH verweist etwa darauf, daß durch den Wechsel eines
Facharbeiters auf den Posten des Leiters einer Werkstätte oder eines Werkmeisters kein
Verlust des Berufsschutzes eintrete.

224 OGH SSV-NF 7/6, 10/58.

225 OGH SSV-NF 7/6.

226 OGH SSV-NF 10/58.

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Kundenbetreuung “eine qualifizierte Variante des Karosseurberufes" sei22 . Von einem
Kundendienstbetreuer würden nämlich “in erster Linie die praktischen Kenntnisse und
Fähigkeiten eines Karosseurs verlangt". Ein Karosseur hingegen benötige zusätzlich
lediglich einige relativ einfache und gegenüber den handwerklichen nur untergeordnete
Kenntnisse kaufmännischer Art, die durch innerbetriebliche Einschulung erworben werden
können. Ebenso hielt der OGH die Verweisung eines Installateurs auf die Tätigkeit eines
Baumarktberaters für Installationsbedarf228 und eines Maurers auf jene eines Fachberaters
in einem Baumarkt229 für zumutbar. Er berief sich im letztgenannten Fall darauf, daß nach
dem berufskundlichen Gutachten “die handwerkliche Ausbildung als Mauer und die dabei
erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten ein Anstellungs- und Ausübungskriterium" des
Verweisungsberufes eines Fachmarktberaters/Fachmarktverkäufers sei. Daher sei dieser
Beruf,, eine qualifizierte Teiltätigkeit des Lehrberufes Maurer"230.

3.5.7 Unzureichende berufliche Qualifikation

Der OGH gewährt einem Arbeiter dann keinen Berufsschutz, wenn dessen
berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten das Niveau eines Facharbeiters, wie er
auf dem Arbeitsmarkt in seinen jeweiligen Varianten gefragt wird, nicht
erreichen oder wenn dessen Nachschulung nur deshalb nicht möglich ist, weil
ihm die dafür nötigen Grundkenntnisse fehlen231. In diesen Fällen sei nämlich
die Arbeitsfähigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen vermindert, sondern
infolge einer unzureichenden beruflichen Qualifikation232.

3.5.8 Zu kurze Berufsausübungsmöglichkeit

Bei einem Berufsfußballspieler hat der OGH jeden Berufsschutz verneint, weil
von Haus aus feststehe, daß eine Berufsausübung nur eine untypisch kurze

227 OGH SSV-NF 8/84.

228 OGH 10 Ob S 2339796k.

229 OGH SSV-NF 12/25.

230 OGH SSV-NF 12/25.

231 OGH SSV-NF 2/122.

232 OGH SSV-NF 2/122.

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Zeitspanne möglich ist233. Die Bestimmungen über die Pensionen wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit setzen bei Männern “als Leitbild des bisherigen
Berufes eine Tätigkeit voraus, die potentiell zumindest bis zum 57. bzw. 60
Lebensjahr, regelmäßig aber bis zum 65. Lebensjahr ausgeübt werden kann".
Es liege daher “als in absehbarer nahen Zukunft unvermeidbar im Blickfeld
des Berufsfußballers", daß die Sportausübung nur eine zeitlich
vorübergehende Erwerbsquelle ist und nachher durch Jahrzehnte eine andere
Erwerbstätigkeit gefunden werden muß. Man könne auch der
Solidargemeinschaft der Versicherten nicht zumuten, bis zur Erreichung ihres
Pensionsalters Beiträge aufzubringen, um Pensionen für junge “Sportinvalide"
zu finanzieren, die noch durchaus fähig sind, im “normalen" Erwerbsleben
eine Tätigkeit gewinnbringend auszuüben. Einem Berufsfußballer komme
daher kein Berufsschutz zu; er müsse sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
verweisen lassen.

3.5.9 Verlust des Berufsschutzes durch Wohlwollen des
Arbeitgebers

Zum Verlust des Berufsschutzes kommt es nach Auffassung des OGH, wenn
der Versicherte innerhalb des 15-jährigen Beobachtungszeitraumes
überwiegend eine (an sich qualifizierte) Beschäftigung ausübt, bei dieser
Ausübung aber (wegen gesundheitlicher Beeinträchtigung) auf das
Wohlwohlen seines Arbeitgebers angewiesen ist.

Einem Maurer wurden nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch nur mehr leichte
Arbeiten zugewiesen; dennoch benötigte er in erheblichem Ausmaß zusätzliche
Arbeitspausen. Der OGH234 hielt diesen Maurer für praktisch vom Arbeitsmarkt
ausgeschlossen, weil die Arbeitsbedingungen an seinem konkreten Arbeitsplatz nicht mehr
denjenigen am allgemeinen Arbeitsmarkt im Beruf des Maurers entsprächen. Der Maurer
sei daher bereits invalid gewesen. Übe er trotz bestehender Invalidität seine Tätigkeit weiter
aus, könne dies nicht als qualifizierte Tätigkeit angesehen werden.

233 OGH SSV-NF 12/146.

234 OGH SSV-NF 6/73.

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                                                                                                                                        52
3.5.10 Verweisungsbeispiele

Da der Gesetzgeber den angelernten Beruf einem erlernten gleichstellt und es
sich bei den meisten Versicherten, die als angelernte Arbeiter anerkannt
wurden, um solche handelte, die sich durch praktische Arbeit die Kenntnisse
aus einem Lehrberuf angeeignet haben, wird hier nicht weiter zwischen
gelernten und angelernten Arbeitern unterschieden. Um die Tragweite und
konkreten Voraussetzungen beurteilen zu können, bedarf es jeweils einer
eingehenden Prüfung der im folgenden beispielsweise aufgelisteten
Verweisungen:

•   Belagsverleger auf Verkaufsberater215

•   Drahtzieher auf Fertigungsprüfer oder Endkontrollor236

•   Elektromechaniker (Flugsicherungsmechaniker) auf Fertigungsprüfer, Schaltwärter oder
Schalttafelwärter217.

•   Hauswirtschaftsgehilfin auf Teiltätigkeiten in Küche, Vorratshaltung, Bekleidungs- und
Wäschewesen238

•  Karosseur auf Kundendienstberater239

•  Maurer auf Fachmarktberater240

•  Schlosser auf Schloß- und Apparatebau241

•  Schneider auf Reparatur- oder Änderungsschneider242

•  Setzer auf Korrektor243

235 OGH SSV-NF 7/6.

236 OGH SSV-NF 6/67 in teilweiser Abänderung von 3/119.

237 OGH SSV-NF 12/70.

238 OGH SSV-NF 4/2.

239 OGH SSV-NF 8/84.

240 OGH SSV-NF 12/25.

241 OGH SSV-NF 3/29.

242 OGH SSV-NF 7/62.

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•   Spengler auf Kühler- oder Galanteriespengler244, auf spezialisierte Spenglertähgkeiten in
Werkstätten oder auf Herrichtearbeiten für die Montage245

•   Tischler auf Furniertischler246, Rahmentischler24'7 oder Wohnberater248

•   Werkzeugmacher        (Werkzeugmaschinen)        auf       Endproduktprüfer249        oder
Verkaufsberater250.

243 OGH SSV-NF 2/72.

244 OGH SSV-NF 2/46.

245 OGH SSV-NF 8/59

246 OGH SSV-NF 6/23.

247 OGH SSV-NF 2/93

248 OGH SSV-NF 10/58.

249 OGH SSV-NF 7/11.

250 OGH SSV-NF 8/75.

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54

4.     Kapitel:

Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von
Angestellten

4.1    Allgemeines

Die Angestellteneigenschaft wird nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen
ermittelt251. Es muß sich also um Tätigkeiten handeln, die als kaufmännische,
höhere nicht-kaufmännische oder Kanzleidienste im Sinne des § 1 AngG
anzusehen sind.

Grundsätzlich geht der OGH davon aus, daß es für die sozialversicherungsrechtliche
Zuordnung unbeachtlich ist, ob eine bestimmte Tätigkeit von einem
Angestelltenkollektivvertrag erfaßt wird oder nicht252.

Der Berufsschutz der Angestellten unterscheidet sich nur unwesentlich von
jenem der qualifizierten Arbeiter, da der Berufsschutz für Arbeiter dem schon
länger bestehenden Berufsschutz der Angestellten nachgebildet worden war.
Nach dem Gesetzestext kommt es nur auf das Herabsinken der
Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte jener eines gesunden Angestellten
in einem Verweisungsberuf an, doch orientiert sich die Rechtsprechung
entgegen dem Gesetzeswortlaut auch bei Angestellten an der Lohnhälfte. Für
den Berufsschutz der Angestellten ist nicht erforderlich, daß sie in den letzten
15 Jahren überwiegend eine Angestelltentätigkeit ausgeübt hätten, es genügt
vielmehr (§ 236 Abs. 2 ASVG), daß die für die Erfüllung der Wartezeit
erforderlichen Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120
Kalendermonate vor dem Stichtag liegen.

251 Vgl. zuletzt etwa OGH SSV-NF 12/86.

252 OGH SSV-NF 3/156.

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55

Im folgenden wird näher auf die Unterschiede gegenüber der
Verweisungsmöglichkeit bei qualifizierten Arbeitern und auf
Verweisungsbeispiele eingegangen.

4.2   Die allgemeinen Verweisungsmöglichkeiten

Der OGH geht auf Grund einer historischen Analyse253 davon aus, daß die
Pensionsversicherung der Angestellten eine Berufs(gruppen)versicherung
darstelle, “deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge
seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner
Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem
Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt (später ergänzte er:
nicht nur vorübergehend"254) ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das
Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe
zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige
Kenntnissen und Fähigkeiten verlangen"255. In späteren Entscheidungen
präzisierte der OGH, daß sich die Festlegung des Verweisungsfeldes daran zu
orientieren habe, “welcher Berufsart die Tätigkeit des Versicherten allgemein
und nicht nach ihrer besonderen Ausprägung an einem bestimmten
Arbeitsplatz zuzuordnen" sei256. Im Zentrum der somit abstrakt
durchzuführenden Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten steht daher die
Feststellung, welcher Berufsgruppe der Versicherte angehört.

Zur Berufsgruppe zählen nicht nur Berufe aus einer bestimmten Branche (z.B.
Bankenbereich257, Sozialversicherung258), sondern auch aus fremden

253 OGH SSV-NF 2/73. Dem folgt die ständige Rechtsprechung, z.B. OGH SSV-NF 2/92,
3/108, 3/156, 5/132, 5/136, 6/53, 11/113, 12/86.

254 Ebenso OGH SSV-NF 2/92, 4/17, 4/101, 6/53, 6/135, 6/153, 7/51, 8/45, 8/101, 10/11.
11/113,12/86.

255 Ebenso OGH SSV-NF 5/34, 12/15, 12/86.

256 OGH SSV-NF 3/41, 4/17, 4/101.

257 OGH SSV-NF 12/15).

258 OGH SSV-NF 4/10.

InvalGesamtgul.doc 16.01.01


56

Branchen, wenn sie gleichwertige                              Kenntnisse voraussetzen259.
Unterschiedliche Berufsgruppen erblickt der OGH etwa in technischen (dh in
Berufen mit weitaus überwiegender technischer Qualifikation) und in
kaufmännischen Tätigkeiten, auf die daher wechselseitig nicht verwiesen
werden dürfe260. Bei der Festlegung der für die Verweisung maßgeblichen
Berufsgruppe verwendet der OGH auch das von qualifizierten Arbeitern
bereits bekannte Argument der Spezialisierung im Beruf261. Wer einen solchen
spezialisierten Beruf ausübt (z.B. Operationsschwester) müsse sich auf die
gesamte Berufsgruppe (z.B. Diplomkrankenschwester) verweisen lassen.

Da “Verkäufer" nur eine Teiltätigkeit mehrerer verwandter kaufmännischer Lehrberufe
darstelle, könne ein Verkäufer auf jeden dieser Lehrberufe verwiesen werden262. Ein
hauptberuflicher Verwaltungsjuristen, der seinen Nebenberuf als Rechtskundelehrer nicht
mehr ausüben kann, ist auf alle juristischen Berufe verweisbar263.

Alle Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitspension sind nach den
Verhältnissen am Pensionsstichtag zu beurteilen264. Daher ist auch die
Qualifikation der vom Versicherten zuletzt ausgeübten Tätigkeit oder der von
ihm erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an Hand der von der
Allgemeinheit zu diesem Zeitpunkt gestellten Berufsanforderungen zu
beurteilen. Das trifft vor allem Versicherte, bei denen die letzte
Berufsausübung schon längere Zeit zurückliegt. Denn bei ihnen werden die
vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten häufig nicht mehr den nunmehr
geltenden Berufsanforderungen entsprechen. Das hat zur Folge, daß bei der
Verweisung nicht mehr von der seinerzeitigen Einstufung in die
Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe des Kollektivvertrages auszugehen


57

ist, sondern von einer Einstufung, wie sie den nunmehrigen
Berufsanforderungen entspricht265.

Den Umstand, daß dieses Wissensdefizit durch eine vier- bis fünfmonatige
betriebsspezifische Nachschulung ausgeglichen werden könnte, hält der OGH für
unbeachtlich, da diese Nachschulungszeit zu lange sei266.

Unzulässig ist nach Auffassung des OGH jedoch die Verweisung auf eine
Arbeitertätigkeit, “weil der Versicherte nicht auf eine Tätigkeit verwiesen
werden darf, durch die er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren
würde267.

4.3   Sozialer Abstieg

4.3.1  Der Grundsatz

Seit langem wird judiziert, daß die Verweisung eines Angestellten zu keinem
sozialen Abstieg führen dürfe268. Der OGH hielt daran in ständiger
Rechtsprechung fest269. Ein unzumutbarer sozialer Abstieg liege dann vor,
wenn die Verweisungstätigkeiten “in den Augen der Öffentlichkeit"
gegenüber der bisher ausgeübten Tätigkeit ein wesentlich geringeres Ansehen
genießen270.

265 OGH SSV-NF 4/97, 6/135.

266 OGH SSV-NF 6/135.

267 OGH SSV-NF 4/101, 3/123, 9/48.

268 Siehe etwa VwGH Slg. 14.663 A und Slg NF 2480 A; OLG Wien SV-Slg. 5.354/1956.
12.410/1962.

269 Vgl. vor allem OGH SSV-NF 1/47, 2/57, 3/13, 3/156, 4/15, 4/97, 5/34, 5/ 132, 5/136,
6/53, 6/135, 7/25, 7/51, 9/85, 10/11, 12/32.

270 OGH SSV-NF 4/15, 5/34, 5/132.

lnvalGesamtgut.doc 16. 01. 01


58

4.3.2 Herabstufung um eine Stufe in der
kollektivvertraglichen Beschäftigungs- oder
Verwendungsgruppe

In seiner praktischen Handhabung orientierte sich der OGH nahezu
ausschließlich an den Einstufungskriterien der kollektivvertraglichen
Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppen. Er entwickelte dazu den
Grundsatz, daß eine Herabstufung um eine Gruppe keinen unzumutbaren
sozialen Abstieg bedeute271. Bei der Prüfung des sozialen Abstieges komme es
nämlich “auf den sozialen Wert an, den die Allgemeinheit der Ausbildung und
den Kenntnissen und Fähigkeiten des Versicherten beimißt. Die Einstufung im
Kollektivvertrag kann dafür ein Indiz bilden und daher zur Beurteilung des

272

sozialen Wertes herangezogen werden" . Kein unzumutbaren sozialer
Abstieg liege jedoch bei einer Verweisung auf Tätigkeiten der nächst
niedrigeren Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe eines
Kollektivvertrages vor, “auch wenn es sich dabei um Arbeiten mit weniger
Eigenverantwortung handelt. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem
Prestige muß ein Versicherter hinnehmen"273.

4.3.3 Fehlen eines geeigneten Kollektivvertrages

Fehlt ein anwendbarer Kollektivvertrag274 oder enthält der anzuwendende
Kollektivvertrag keine entsprechenden Beschäftigungs- oder
Verwendungsgruppen275,                geht der OGH vom
Handelsangestelltenkollektivvertrages.

Im Falle eines Fahrschullehrers modifizierte der OGH diese eigenartige
Rechtsprechung, indem er betonte, dieser Grundsatz gelte nur dann, “wenn die

271 Vgl. OGH SSV-NF 2/57, 3/13, 3/80, 3/156, 4/15, 4/97, 5/34, 5/132, 5/136, 6/53, 6/135,
7/25, 9/29, 10/85.

272 OGH SSV-NF 6/53, 10/11; sinn-, aber nicht wortgleich schon OGH SSV-NF 2/57, 3/80.

273 OGH SSV-NF 6/53, 6/135, 7/25, 9/58.

274 OGH SSV-NF 6/53.

275 OGH SSV-NF 8/49, 6/118, 9/29, 9/103, 10/85, 12/161.

JnvalGesamtgut.doc 16.01.01


59

kollektivvertragliche Einstufung den einzigen Anhaltspunkt für die
Qualifikation der Tätigkeit bildet"; lägen noch andere Kriterien vor, seien
auch diese zu beachten276.

Im konkreten Fall stellte er fest, daß der Kollektivvertrag für die Angestellten in
Fahrschulen zwar Gehaltstafeln für Fahrschullehrer, Fahrlehrer und Büroangestellte
enthält, ein Beschäftigungsgruppenschema ähnlich jenem des Kollektivvertrages für die
Handelsangestellten, aber nur für die Berufsgruppe der Büroangestellten vorsieht. Die
Ausübung des Berufes eines Fahrschullehrers setze aber auch technische Fähigkeiten und
Kenntnisse voraus. Daher lasse sich die Tätigkeit eines Fahrschullehrers “nicht
schematisch mit Tätigkeiten im Handelskollektivvertrag vergleichen". Dafür den Beruf des
Fahrschullehrers die Reifeprüfung Voraussetzung sei, scheide jedenfalls eine Verweisung
auf den niedrigst qualifizierten technischen Angestelltenberuf (Telefonist) aus. Ob die
erfolgte Verweisung auf den Beruf eines technischen Kaikulanten zulässig sei, könne noch
nicht entschieden werden, weil das Anforderungsproß! für diesen Beruf nicht festgestellt
wurde.

4.3.4 Art     der     Tätigkeit     versus     vorgenommene
Einstufung

Wie sich bereits aus den oben allgemein dargestellten Grundsätzen ergibt,
kommt ein Berufsschutz als Angestellter nach der Rechtsprechung nicht in
Betracht, wenn der Arbeitgeber den Versicherten nur aus besonderem
Entgegenkommen als Angestellten behandelt277. Für die Verweisung sei aber
auch nicht die vom Arbeitgeber vorgenommene Einstufung eines
Angestellten in die kollektivvertraglichen Beschäftigungs- oder
Verwendungsgruppen entscheidend; maßgeblich sei vielmehr, ob “die Art der
ausgeübten Beschäftigung" den jeweiligen Einstufungskriterien des
Kollektivvertrages entspricht278. Fehlen dem Versicherten nämlich jene
besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Einstufung erforderlich sind,
wären andere Versicherte, die nicht nur dieselbe Tätigkeit ausüben, sondern


60
auch die vom Kollektivvertrag vorgesehenen Kenntnisse und Fähigkeiten

279

besitzen, bei der Verweisung schlechter gestellt    .

4.3.5 Beurteilungszeitpunkt

Auch die Frage, ob ein unzumutbarer sozialer Abstieg vorliege, ist nach
Auffassung des OGH stets nach den Verhältnissen am Pensionsstichtag zu
beantworten280. Als entscheidend gilt ihm der “soziale Wert" der am Stichtag
vorhandenen und bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung
gewesenen Kenntnisse und Fähigkeiten281.

Arbeitnehmer, die vor dem Stichtag jahrelang in keinem Beschäftigungsverhältnis standen,
müssen daher gleichsam “ von vorn beginnen "2S2. Es wäre nämlich nicht gerechtfertigt, für
den Pensionsanspruch “jene Behandlung außer Betracht zu lassen, die dem Versicherten im
Berufsleben tatsächlich zuteil würde "283.

4.4   Berufswechsel

Das Verweisungsfeld wird durch den zuletzt ausgeübten Beruf bestimmt. Das
gilt nach Auffassung des OGH auch dann, wenn der Versicherte seinen letzten
Beruf nicht aus freier Wahl, sondern wegen einer Krankheit, einem Unfall
oder drohender Kündigung aufgegeben hat284. Nach einer entsprechend langen
Zeit sei nämlich in jedem Fall davon auszugehen, daß sich der Versicherte mit
der neuen Beschäftigung abgefunden habe und erkennbar nicht mehr auf
seinen früheren Berufsweg zurückkehren wolle; andernfalls hätte er ja einen
Antrag auf Berufsunfähigkeitspension stellen können285.


 


61

Bei einem Versicherten, der viele Jahre hindurch in leitenden Tätigkeiten
(Beschäftigungsgruppen 5 und 6 des Handelsangestelltenkollektivvertrages) beschäftigt
war, dann aber aus gesundheitlichen Gründen auf die Tätigkeit eines Autoverkäufers
(Beschäftigungsgruppe 2) übergehen mußte, legte der OH der Verweisung die
Beschäftigungsgruppe 2 zugrunde™6.

Wie lange der Zeitraum der Ausübung des neuen Berufes sein muß. erscheint noch unklar;
einmal sprach der OGH von etwas weniger als drei Jahren287, in einem anderen Fall
genügten ihm schon eineinhalb Jahre288.

Der bisherige Beruf sei allerdings nicht einfach mit der zuletzt bekleideten
Position des Angestellten im Erwerbsleben gleichzusetzen. Er umfasse
vielmehr jede von der Sozialversicherung erfaßte Rolle, die der Angestellte im
Arbeitsleben eingenommen habe. “Die erlernte und verwirklichte
Berufsfunktion verdiene wohl dann eine erhöhte Beachtung, wenn sie das
angestrebte Ziel oder die Zwischenstufe einer Aufwärtsentwicklung sei und
der Versicherte dorthin nicht nur für eine vorübergehende Zeit gelangt sei. Ein
unfreiwilliger Abstieg solle die Vorstellung, die man vom bisherigen Beruf
des Versicherten hatte, nicht verdrängen"289.

Eine Versicherte, die nach einer langen Tätigkeit als kaufmännische Angestellte zuletzt drei
Jahre halbtags als Lernhilfe gearbeitet hatte und diese Tätigkeit aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben konnte, verwies der OGH auf ihr zumutbare kaufmännische
Angestelltenberufe, weil er diese dreijährige Tätigkeit als nur “vorübergehend" ansah290.

4.5   Berufswandel

Die Auswirkungen geänderter Berufsanforderungen beurteilte der OGH in
folgendem Fall: Der Versicherte hatte früher die kaufmännische Leitung einer
kleinen Brauerei über. Nach Beendigung dieser Tätigkeit war er wegen
gesundheitlicher Probleme mit zwei kurzen Ausnahmen neun Jahre lang


62

arbeitslos. In dieser Zeit hatte sich das Berufsbild eines leitenden Angestellten
in Mittelbetrieben so stark gewandelt, daß der Versicherte diese Position mit
seinem Wissensstand nicht mehr ausüben konnte. Die Gutachter hielten ihn
auch nicht mehr für fähig, sich die für das geänderte Berufsbild erforderlichen
Kenntnisse (insbesondere auf dem EDV-Sektor) anzueignen.

Der OGH291 schloß daraus, daß sein Gesundheitszustand dem Versicherten die
Ausübung seiner letzten Berufstätigkeit auch weiterhin gestatte. Daß diese
Tätigkeit in dieser Form auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt sei, habe
nichts mit einem Herabsinken der Arbeitsfähigkeit des Versicherten aus
gesundheitlichen Gründen zu tun. Dieser Umstand falle in den Risikobereich
der Arbeitslosenversicherung und nicht in jenen der Pensionsversicherung.

4.6   Mischtätigkeiten

Nach welchen Kriterien ist die Minderung der Arbeitsfähigkeit zu beurteilen,
wenn der Versicherte in den letzten 15 Jahren zwar überwiegend die Tätigkeit
eines qualifizierten Arbeiters verrichtet hat, zuletzt aber als Angestellter tätig
war? Die Haltung des OGH ist dazu kontrovers.

Im ersten Fall hatte der Versicherte in den letzten 15 Jahren überwiegend als
Hüttenarbeiter, in den letzten eineinhalb Berufsjahren jedoch als angestellter Lagerleiter
gearbeitet. Er konnte zwar noch den Beruf des Lagerleiters, nicht mehr aber jenen eines
Hüttenarbeiters ausüben. Der OGH292 argumentierte folgendermaßen: “Es würde einen
unüberbrückbaren Wertungswiderspruch bedeuten, bei einer Gesamtschau der in den
letzten 15 Jahren zurückgelegten Tätigkeiten eine ausgeübte und Berufsschutz begründende
Angestelltentätigkeit
... anders zu beurteilen als einen ausgeübten, ebenfalls Berufsschutz
begründenden erlernten oder angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs. 1 ASVG". Daher
müßten die als Angestellter erworbenen Versicherungszeiten zumindest dann, wenn der
Versicherte die Angestelltentätigkeit weiterhin ausüben kann, ebenso behandelt werden wie
jene aus einem qualifizierten Arbeiterberuf. Konsequenterweise wies der OGH die Klage
ab. Die sehr unklar formulierte Entscheidung ist wohl so zu interpretieren, daß der OGH
meinte, in diesem Fall sei § 255 ASVG (zumindest analog) anzuwenden, der ja nach seiner

291 OGH SSV-NF 3/155.

292 OGH SSV-NF 4/143.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


63

Rechtsprechung eine Verweisung auf einen Angestelltenberuf zuläßt. Nur in dieser Sicht
läßt sich seine Begründung nachvollziehen, daß den Regelungen des ASVG über die
Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit offenbar der Gedanke eines höheren
Sozialprestiges der Angestelltentätigkeit zugrunde liege. Der OGH ließ dagegen offen, ob in
einem solchen Falle auch eine Verweisung auf eine Arbeitertätigkeit zulässig wäre, wenn
der Versicherte nur mehr in der Lage ist, diese Arbeitertätigkeit zu verrichten.

Ganz anders beurteilte der OGH den Fall eines überwiegend als Maurer tätigen
Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen in seinen letzten drei Berufsjahren auf den
Beruf eines kaufmännischen Angestellten überwechselte. Hier stellte der OGH darauf ab,
daß der Versicherte den Angestelltenberuf nicht nur vorübergehend ausgeübt habe; bleibe
ein Versicherter aber trotz Eintritts der Invalidität (gemeint als Maurer) weiterhin
berufstätig, dann sei die Prüfung eines später gestellten Pensionsantrages ausschließlich
auf Grund der Verhältnisse zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung vorzunehmen293.

Schließlich mußte der OGH auch noch einen Fall entscheiden, in dem die
Versicherte bei ein und demselben Arbeitgeber in einer Mischverwendung (zu
gleichen Teilen Bürokraft und Arbeiterin im Bäckerei- und Mühlenbetrieb)
stand. Sie konnte aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht mehr diese
Gesamttätigkeit, wohl aber die Angestelltentätigkeit weiterhin auszuüben. Der
OGH meinte, hier läge keine Verknüpfung einer Haupt- mit einer
Nebentätigkeit vor, es handle sich vielmehr um zwei Kerntätigkeiten. Da sie
eine der beiden noch ausüben könne, liege weder Berufsunfähigkeit gem. §
273 noch Invalidität gem. § 255 Abs. 3 ASVG vor294.

4.7   Verweisungsbeispiele

Im allgemeinen erfolgte die Verweisung auf Tätigkeiten, die derselben oder
der nächsttieferen kollektivvertraglichen Beschäftigungs- oder
Verwendungsgruppe angehören. Damit wurden Verweisungen auf
Angestelltentätigkeiten grundsätzlich ausgeschlossen, die zwei oder mehr
Stufen in der Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe tiefer liegen. Der

293 OGH SSV-NF 6/153.
294OGHSSV-NF6/126.

InvaIGesamtgut.doc 16.01.01


64

OGH    hat    darüber    hinaus    noch    folgende    spezielle    Verweisungen
vorgenommen:

•  Orchestermusiker auf Lehrer an einer Musikschule oder einem Konservatorium295

•  Operationsschwester auf Diplomkrankenschwester296

•  Baupolier auf Bauabrechner297

•  Diplomkrankenpfleger u. U. auf spezielle Tätigkeiten der Krankenhausverwaltung298

•  Diplomkrankenschwester auf Ambulanzschwester299

•   Kaufmännische     Angestellte     auf    Einzelhandels-,     Büro-,      Großhandels-     und
Industriekaufmann300

•  Außendienstvertreter auf Innendienstvertreter301.

295 OGH SSV-NF 7/61.

296 OGH SSV-NF 9/5.

297 OGH SSV-NF 11/151.

298 OGH SSV-NF 5/94; vgl. aber eher gegenteilig 6/105 und 7/13.

299 OGH SSV-NF 12/120.

300 OGH SSV-NF 6/87.

301 OGH SSV-NF 6/118.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


65

5.     Kapitel:

Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von

Bergleuten

Der Begriff der Dienstunfähigkeit unterscheidet sich in einigen Punkten vom
Invaliditätsbegriff für qualifizierte Arbeiter und vom
Berufsunfähigkeitsbegriff. Eine Verweisung ist nur auf “im wesentlichen
gleichartige" Tätigkeiten möglich. Das entspricht weitgehend dem
Tätigkeitsschutz nach § 253 d ASVG. Die Bestimmung über die Lohnhälfte ist
gemildert, da dem Versicherte nur eine “nicht erheblich geringer entlohnte
Tätigkeit" zugemutet wird, was nach den Gesetzesmaterialien eine Einbuße in
der Größenordnung von 15-20% bedeuten soll302. Die allgemeinen Grundsätze
über die Verweisbarkeit gelten selbstverständlich auch hier.

Einschlägige Entscheidungen des OGH finden sich in der SSV-NF nicht. Die
Instanzgerichte orientieren sich daher auch nach dem Wechsel der
höchstgerichtlichen Zuständigkeit vom OLG Wien an den OGH an der
Rechtsprechung des OLG Wien in dessen Funktion als frühere Höchstinstanz.

So verstand das OLG Wien als “bisher verrichtete Tätigkeit" nicht die zuletzt tatsächlich
verrichtete, sondern jene Tätigkeit, die der Versicherte bei im wesentlichen noch
ungeschwächter Arbeitskraft verrichtet hatte303. Eine Verweisung auf Berufe, die mit der
bisherigen Tätigkeit des Versicherten nicht verwandt sind, wird als unzulässig angesehen,
auch w
enn diese in Bergbau- oder Nebenbetrieben vorkommen304. Hat der Versicherte
verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, komme es darauf an, welche davon die eigentliche
Berufstätigkeit darstellt; dabei sei in erster Linie die Ausbildung und in zweiter Linie die

302 EB zur RV des ASVG, 599 Beil. NR. GP.

303 SV-Slg 29.983/1984. Ebenso LG Ried SV-Slg 40.871/1993, 40.872/1993, 43.294/1995.

304 SV-Slg 20.523/1970. Das LG Graz, SV-Slg 38.507/1991 versteht unter einer
gleichartigen Tätigkeit eine der zuletzt ausgeübten artverwandte, die eine ähnliche
Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


66

zeitliche Dauer zu berücksichtigen305. Die zumutbare Lohnminderung betrage 20%, und
zwar bezogen auf den gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt und nicht nur auf den Betrieb,
in dem der Versicherte bisher tätig war306.

305 SV-Slg 18.812/1969 siehe auch 14.7811964.

306 SV-Slg 27.930/1981, 27.931/1981,29.983/1984. Ebenso OLG Linz SV-Slg 40.873/1994.

InvalGesamtgut, doc 16.01.01


67

6.     Kapitel:

Rechtsprechung zur Verweisbarkeit von
Selbständigen

6.1   Allgemeines

Anders als bei Arbeitnehmern verlangt der Gesetzgeber bei Selbständigen, die
eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit beanspruchen, das Vorliegen
von Erwerbsunfähigkeit und versteht darunter, daß der Versicherte aus
gesundheitlichen Gründen außerstande ist, “einem regelmäßigen Erwerb
nachzugehen" (§§ 133 GSVG, 124 BSVG). Im übrigen unterscheiden sich die
beiden Selbständigengesetze. Nur nach dem GSVG (§ 133 Abs. 2) gibt es für
über 50-Jährige eine Erwerbsunfähigkeitspension zu erleichterten
Bedingungen (mit Berufsschutz), wenn ihre “persönliche Arbeitsleistung zur
Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war".

Im folgenden ist daher zunächst auf die Erwerbsunfähigkeit ohne Berufsschutz
und im Anschluß daran an die Erwerbsunfähigkeit mit Berufsschutz
einzugehen.

6.2   Verweisungsgrundsätze  bei  Erwerbsunfähigkeit
ohne Berufsschutz

Die Erwerbsunfähigkeit ist eine strengere Voraussetzung als Invalidität oder
Berufsunfähigkeit, weil “die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen
Erwerb nachzugehen, nachgewiesen werden muß und sich der Versicherte auf
jede wie immer geartete Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt verweisen lassen
muß"307. Hinsichtlich dieser Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
gilt das oben zur Verweisbarkeit von nichtqualifizierten Arbeitern Ausgeführte.

307 OGH SSV-NF 4/81, 10/29. Ähnlich schon OGH SSV-NF 3/91.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.0]


68

Die Verweisbarkeit erstreckt sich aber auch auf alle selbständigen
Erwerbstätigkeiten308 und auf Heimarbeit309. Eine Einschränkung, daß die
Verweisungstätigkeit dem Versicherten im Hinblick auf die bisher ausgeübte
Tätigkeit auch zumutbar sein müsse", enthält das Gesetz nicht. Übt der
Versicherte mehrere in der Pensionsversicherung nach dem GSVG versicherte
Teilerwerbstätigkeiten aus, liegt Erwerbsunfähigkeit nach Auffassung des
OGH nicht schon dann vor, wenn er nur eine von diesen nicht mehr ausüben
kann310.

Die Gefahr drohender Arbeitslosigkeit ist nach Auffassung des OGH auch bei
der Verweisung eines Selbständigen nicht zu berücksichtigen (obwohl der
Selbständige nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen ist), weil die
Erwerbsfähigkeit nach dem Gesetz nur aus gesundheitlichen, nicht aber aus
konjunkturellen Gründen zu beurteilen sei311.

Da Selbständige auch auf einfache Hilfsarbeitertätigkeiten verwiesen werden
können, bedürfe es keiner Prüfung, ob sie umgeschult oder angelernt werden
können, es genüge ihre bloße Unterweisbarkeit. Darunter sei die Fähigkeit zu
verstehen, bestimmte einfache Tätigkeiten, unter Umständen nur bestimmte
Handgriffe und Handreichungen, nach einem entsprechenden Hinweis von
Seiten Dritter vornehmen zu können312.

Bestimmte Umstände, die eine Verweisbarkeit bei Arbeitnehmern
ausschließen, sind bei Selbständigen anders zu beurteilen, weil Selbständige
auch auf andere selbständige Tätigkeiten und dabei insbesondere auf
Heimarbeit verwiesen werden können. Der OGH geht davon aus, daß
Selbständige die Möglichkeit besitzen, bestehende Einschränkungen bei der
Organisation ihrer Arbeit zu berücksichtigen, beispielsweise durch

308 OGH SSV-NF 8/83, 10/29.

309 OGH SSV-NF 8/83, 11/73, 12/163, 10 Ob S 279/99y.

310 OGH SSV-NF 7/121.

311 OGH SSV-NF 3/91.

312 OGH SSV-NF 4/81.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


69

Vermeidung übermäßigen Zeitdrucks313. Ähnliches gilt aber auch für
krankheitsbedingte Einschränkungen.

6.2.1.1         Verweisung auf selbständige
Teiltätigkeiten

Der OGH314 hält eine “Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit, die
nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfaßt, zulässig, wenn nur für diesen
Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die der
Versicherte bisher benötigte315. Dabei kommt der Frage, welche
wirtschaftliche Bedeutung ein bestimmter Tätigkeitszweig für den
Versicherten im Rahmen des von ihm bisher geführten Betriebes hatte, keine
entscheidende Bedeutung zu". Ein Selbständiger kann somit auch auf jenen
Teilbereich verwiesen werden, aus dem er bisher nur einen geringen Teil
seiner Erwerbseinkünfte bezogen hat.

6.2.1.2         Bedeutung krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit

Ein “Ausschluß von einer selbständigen Tätigkeit (könne) nur dann
angenommen werden, wenn krankheitsbedingte Ausfälle so weit gehen, daß
aus diesem Grund die Erzielung eines die Existenz sichernden Einkommens
aus der selbständigen Tätigkeit nicht mehr gewährleistet ist"; ob dies der Fall
ist, könne nur nach den Anforderungen im konkreten Verweisungsberuf
entschieden werden316. Dasselbe gelte, wenn der Selbständige wegen seiner
Diabetes zusätzliche Arbeitspausen (zur Zuckermessung und zum
Insulinspritzen) benötigt. Der OGH weist darauf hin, daß der Selbständige

313 OGH SSV-NF 12/132.

314 OGH SSV-NF 10/56.

315 So kann ein Gastwirt auf kleingastronomische Betriebe (Tagescafe, Espresso) verwiesen
werden (OGH 10 Ob S 70/OOt, ARD 5135/10/2000).

316 OGH SSV-NF 10/29 mit dem Hinweis, daß auch die Vorentscheidung OGH SSV-NF
3/152 in diesem Sinn zu verstehen sei.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


70

auch auf Heimarbeit verwiesen werden und dort seine Arbeitszeit selbst
gestalten könne317.

6.3   Verweisungsgrundsätze  bei  Erwerbsunfähigkeit
mit Berufsschutz

Eine Pension für Selbständige, die auf einer Erwerbsunfähigkeit mit
Berufsschutz beruht, sieht nur 133 Abs. 2 GSVG vor, und zwar für
Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Voraussetzung dafür ist,
daß

a) ihre persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes
notwendig war und

b) sie aus gesundheitlichen Gründen

c) außerstande sind, jener selbständiger Erwerbstätigkeit nachzugehen, die
eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnissen und
Fähigkeiten

d) wie jene Erwerbstätigkeit erfordert, die sie zuletzt durch mindestens 60
Kalendermonate ausgeübt haben.

Durch diesen Berufsschutz wollte der Gesetzgeber ausschließen, daß dem
schon älteren Versicherten zugemutet wird, “völlig neue Kennmisse zu
erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen"318.

Im folgenden muß nur auf die Punkte (a) bis (d) eingegangen werden.

6.3.1 Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung

In seiner ersten einschlägigen Entscheidung319 hielt es der OGH für
entscheidend, ob “nach Art und Umfang des Betriebes (des Versicherten) die

3I7OGH SSV-NF 12/163.

318 OGH SSV-NF 9/22, 11/25, 12/54.

319OGH SSV-NF 3/116.

InvaIGesamtgut.doc 16.01,01


71

persönliche Arbeitsleistung zu dessen rentabler Aufrechterhaltung notwendig
ist. Auf die Art der Tätigkeit kommt es nicht an". Daher lehnte der OGH die
vom OLG Wien vertretene Auffassung ab, “daß diese persönliche
Arbeitsleistung zumindest teilweise oder überwiegend in manuellen Arbeiten
bestehen müßte, rein dispositive Tätigkeit aber nicht ausreiche320". Die
gesetzlichen Voraussetzungen seien allerdings nur dann gegeben, “wenn der
Betrieb ohne Mitarbeit des Versicherten wirtschaftlich nicht lebensfähig ist".
Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn objektiv die Möglichkeit bestehe, “durch
organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, daß er auch ohne
persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers oder Teilhabers wirtschaftlich
geführt werden kann und dies ist bei Groß- und Mittelbetrieben, unabhängig
von ihrer Rechtsform jedenfalls anzunehmen (und so ist auch der Hinweis in
den Erläuternden Bemerkungen, daß vor allem Inhaber von kleinen Betrieben,
bessergestellt werden sollten, zu verstehen)". Der Gesetzgeber habe dadurch
Jedenfalls nur kleinere Selbständige schützen (wollen), die bei Ausfall ihrer
Arbeitskraft ihre einzige Einkommensquelle verlieren, nicht aber eine volle
Gleichstellung aller Selbständigen mit den nach dem ASVG Versicherten
erreichen" wollen. Diese Grundsätze über die sogenannte “ausführende
Mitarbeit" hat der OGH in der Folge beibehalten und ergänzt321.

Der OGH verneinte die Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung mitunter ohne
weitere Prüfung, wenn er den Betrieb nicht als “Kleinbetrieb" qualifizierte322. In den
meisten Entscheidungen hält er aber fest, daß die Anzahl der Mitarbeiter nicht das alleinige
Kriterium für die Notwendigkeit der Mitarbeit sei, da sich aus ihr noch nicht ableiten lasse,
ob der Arbeitsbereich des Versicherten delegiert werden könne323. Unklar blieb aber, was
der OGH unter einem “Kleinbetrieb" versteht. Bei 30 Arbeitnehmern verneinte er das
Vorliegen eines Kleinbetriebes nicht von vornherein324, wohl aber bei 100

320 Wiederholt in OGH SSV-NF 10/87 (mit Kritik von Bamas, Die “notwendige persönliche
Arbeitsleistung" als Berufsschutzkriterium in der Pensionsversicherung der Selbständigen,
ZAS 1998, 72 ff.).

321 Vgl. OGH SSV-NF 4/159, 5/55, 8/114, 9/22, 9/56, 10/87, 11/21, 11/45, 11/122.

322 OGH SSV-NF 5/55,

323 OGH SSV-NF 3/116, 5/55, 8/114, 9/22, 10/87.

324 OGH SSV-NF 8/114.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


72

Dienstnehmern32''. Einmal betonte der OGH, es widerstreite der “allgemeinen
Lebenserfahrung", daß ein Betrieb, der gewöhnlich 60 bis 70 Mitarbeiter beschäftige, ohne
die persönliche Mitarbeit des Unternehmers wirtschaftlich nicht lebensfähig sei326. In
nettester Zeit distanzierte sich der OGH etwas von der Fixierung auf den Begriff
“Kleinbetrieb", indem er darauf hinwies, daß der Wortlaut von der “persönlichen
Arbeitsleistung" schon vor der 19. GSVG-Novelle (auf die sich die zitierten Materialien
beziehen) im Gesetz verwendet wurde; zudem habe nicht einmal der neueste Gesetzgeber327
den von ihm verwendeten Begriff,, kleine oder mittlere Betriebe " näher umschrieben.

Die wirtschaftliche Notwendigkeit für die persönliche Arbeitsleistung könne
nur rückschauend geprüft werden. Dabei sei von den Erfordernissen einer
vertretbaren Betriebsführung auszugehen, weil andernfalls unwirtschaftliche
Betriebsführer, die ihren Betrieb verschulden, weit besser gestellt wären als
solche, “die ihren Betrieb ordentlich führen"328.

In diesem Zusammenhang sei auch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer
Umstrukturierung des Betriebes (z.B. Delegierung einzelner Arbeitsgänge
an Mitarbeiter, Aufnahme von Hilfs- und Ersatzkräften, Adaptierung der
Geschäftszeiten329) zu prüfen330. Der Betriebsinhaber habe “allerdings nur
wirtschaftlich zumutbaren Organisationsmaßnahmen nachzukommen, bzw.
nachzugehen"331. Der OGH stellt bei seiner Prüfung die Betriebseinnahmen
jenen Kosten gegenüber, die durch die Einstellung einer Ersatzkraft verursacht
werden.

Wann der Betrieb nach Auffassung des OGH wirtschaftlich rentabel aufrecht
zu erhalten ist, geht aus den Entscheidungen allerdings nicht klar hervor.

325 OGH SSV-NF 3/116.

326 OGH SSV-NF 5/55.

327 KMU-Förderungsgesetz BGBl. 1996/432.

328 OGH SSV-NF 5/114.

329 OGH SSV-NF 10/87.

330 OGH SSV-NF 2/70, 3/30, 3/110, 4/159, 5/114, 7/110, 7/121, 8/114, 9/22, 9/56, 11/20.
1145.

331 OGH SSV-NF 10/87, 11/122.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


73

Einmal spricht er davon, das verbleibende Erwerbseinkommen müsse zur Deckung des
Lebensunterhaltes des Versicherten (und seiner Angehörigen) ausreichen332. In anderen
Entscheidungen sagt er. der Betrieb dürfe ohne die Mitarbeit des Versicherten nicht
lebensfähig gewesen sein333. In einem Fall (1993) hielt er jedenfalls ein Monatseinkommen
von S 9833 für ausreichend, da es über dem Ausgleichszulagenrichtsatz lag134.

Der Umstand, daß ein Versicherter an sich bereits erwerbsunfähig war, aber
dennoch auf Kosten seiner Gesundheit weiter gearbeitet hatte, beeinträchtige
seinen Schutz nicht335.

Beispiele:

Ein selbständiger Lackierermeister beschäftigte drei Facharbeiter (darunter einen
Vorarbeiter) und 9 weitere Mitarbeiter und übte alle Arbeiten in seinem Gewerbe - bis ihn
Beschwerden im Bewegungsapparat daran hinderten - selbst aus. Es gelang es ihm nicht,
auf dem Arbeitsmarkt einen qualifizierten Lackierer zu finden, der seine Arbeit
übernommen hätte. Die Pensionsversicherungsanstalt meinte, der Versicherte hätte seinen
Betrieb in zumutbarer Weise umorganisieren können, und zwar durch (a) Einstellung einer
Spitzenfachkraft für Lackiererwesen, (b) vermehrte Verwendung einer branchenüblichen
Hebebühne und (c) Reduzierung des Betriebsumfanges. Der OGH vertrat zu (a) die
Auffassung es sei gerichtsbekannt, daß es in ganz Österreich eine nicht unerhebliche Zahl
solcher Fachkräfte gibt. Die Möglichkeit der Umorganisation dürfe nicht "von
konjunkturellen, regionalen oder sonstigen arbeitsmarktmäßigen Kriterien " abhängig sein.
Festzustellen wäre jedoch, ob die Beschäftigungskosten “für den Betrieb leistbar und
zumutbar sind". Eine Umorganisation gem. (b) sei dem Versicherten hingegen nicht
zumutbar, da er vielfach zu seinen Kunden gerufen werde und dort keine Hebebühne
einsetzen könne. Überdies würde die dauernde Verwendung der Hebebühne den gesamten
Betriebsablauf erheblich stören und zu großen finanziellen Einbußen führen. Eine
Betriebsverkleinerung (c) könne zwar verlangt werden, da auch ein Selbständiger “eine
gewisse Verschmälerung seiner Einkommenssituation ... vor Erfüllung der
Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf" nehmen
müsse. Sie dürfe aber zu keiner Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage des
Betriebes fuhren. Insgesamt fehlten dem OGH jedoch noch Feststellungen über “die


74

kaufmännische Struktur und die daraus betriebswirtschaftlich erzielten finanziellen Ein- und
Ausgänge (Ertragsvolumen, Umsätze, Gewinne, Afa, Steuern, Versicherungen. Zinsenlasten,
sonstige Kosten) ". Bestünde die Möglichkeit, durch solche organisatorische Maßnahmen
“den Betrieb so zu gestalten, daß er auch ohne persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers
wirtschaftlich geführt werden kann ", läge keine Erwerbsunfähigkeit vor336.

Einem allein praktizierenden Zahnarzt, der nur mehr vier Stunden über den Tag verteilt an
Patienten arbeiten konnte und daher seine Kassenpraxis aufgegeben hatte, mutete der
OGH337 zu, seine Ordination als private Bestellpraxis mit verminderter persönlicher
Arbeitsleistung zu führen, auch wenn dies mit Einkommenseinbußen verbunden sei. Der
OGH verlangte die Feststellung, ob die Kassenpraxis durch Einschränkung des
Patientenstockes nicht doch hätte weitergeführt werden können, ob der Zahnarzt seine
Praxis als Bestellpraxis (mit vorsichtiger Terminplanung) hätte fuhren und dabei für
entsprechende Arbeitspausen sorgen können (was wiederum für die Frage der
Beschäftigung seiner drei Assistentinnen und der damit gegebenen finanziellen Belastung
eine Rolle spiele), welches Einkommen der Zahnarzt durch diese umgestaltete Tätigkeit
hätte erzielen können und welche Kostenbelastung dadurch eingetreten wäre. Da nach
Auskunft des Wiener Telefonbuches etwa 30% der Wiener Zahnärzte regelmäßig
Ordinationszeiten von höchstens 4 Stunden hätten, könne man nicht von vornherein sagen,
daß die Ausübung der Zahnarztpraxis in dieser eingeschränkten Form völlig
“praxis(lebens)fremd" und damit unrentabel sei.

Bei Tabaktrafikanten338 seien die zumutbaren Organsationsmöglichkeiten eher streng zu
beurteilen, insbesondere dann, wenn weiteres Personal vorhanden ist. Es wäre ein
Wertungswiderspruch, behinderte Trafikanten sozialversicherungsrechtlich als
erwerbsunfähig anzusehen, während gleichzeitig das TabakmonoplG behinderte Personen
bei der Vergabe von Trafiken ausdrücklich bevorzuge. Außerdem seien beinamputierte oder
an den Rollstuhl gefesselte Trafikanten vielfach in ganz Österreich anzutreffen339.
Trafikanten könnten das Heben und Tragen schwerer Lasten durch einfache Maßnahmen
vermeiden (z.B. durch Teilung schwerer Zeitungspakete) und unterlägen keinem besonderen
Zeitdruck340.

336 OGH SSV-NF 10/122.

337 OGH SSV-NF 11/45.

338 OGH SSV-NF 2/70, 9/43, 10/5, 11/114, 12/54.

339 OGH SSV-NF 12/54.

340 OGH SSV-NF 10/5.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


75
6.3.2 Verweisungsberufe

Die Versicherten können nur auf selbständige Berufe verwiesen werden, die
eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten
erfordern, wie jene, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60
Kalendermonate ausgeübt hat341. Dabei werden nur Zeiten der
Pflichtversicherung nach dem GSVG, nicht aber bloß faktische
Ausübungszeiten berücksichtigt342.

Bei der Frage, welche Tätigkeiten einem Selbständigen aus gesundheitlicher
Sicht zugemutet werden können, verweist der OGH darauf, daß ein
Selbständiger die Möglichkeit besitze, einzelne Tätigkeiten auf Mitarbeiter zu
delegieren, “womit trotz Vorliegens bestimmter Behinderungen die zur
rentablen Führung des Betriebes notwendige eigene Arbeitsleistung des
Betriebsinhabers weiterhin erbracht werden kann"343. Dieser Umstand spielt
also nicht nur bei der Prüfung eine Rolle, ob die persönliche Arbeitsleistung
notwendig war, sondern auch bei der Absteckung des Verweisungsfeldes.

Ein Verweisungsberuf müsse keineswegs “der bisher ausgeübten Tätigkeit in
allen Punkten entsprechen"344. Der OGH345 greift wegen ihrer inhaltlichen
Nähe auf die Berufsschutzbestimmungen des ASVG zurück und hält daher -
wie schon erwähnt - auch eine Verweisung auf Teilbereiche der bisher
ausgeübten Tätigkeit für zulässig. Es wird allerdings nicht immer klar, ob der
OGH die von ihm verwendeten Kriterien zur Feststellung der Notwendigkeit
der persönlichen Arbeitsleistung oder zur Abgrenzung des Verweisungsfeldes
oder zu beidem verwendet hat.

341 Der Gesetzgeber stellt klar, daß dann, wenn keine vollen Kalendermonate einer solchen
Tätigkeit vorliegen, jeweils 30 Kalendertage zu einem Kalendermonat zusammenzufassen
sind.

342 OGH SSV-NF 7/31, 9/22. Bei “neuer Selbständigkeit" im Sinne des § 2 Abs. l Ziffer 4
GSVG wird diese Beschränkung grundsätzlich nur bei Einkünften unter der
Versicherungsgrenze eine Rolle spielen, da ansonsten jede tatsächliche Berufsausübung der
Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung unterliegt.

343 OGH SSV-NF 9/22.

344 OGH 10 Ob S 10/98/p.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


76

Diese Grundsätze wurden vom OCH vor allem bei Selbständigen angewendet, die den Beruf
eines Einzelhandelskaufmannes erlernt und sich später selbständig gemacht hatten. Deren
Verweisbarkeit sei angesichts ihrer Ausbildung und “den vorauszusetzenden Kenntnissen
und Fähigkeiten" nicht auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkt346. Ein Trafikant könne
daher auch auf den Zeitschriftenhandel (in einem Kiosk)347, eine Marktfahrerin auf den
stationären Handel343 und eine Obst- und Gemüsehändlerin auf den Handel mit Süßwaren,
Souvenirs oder Parfümeriewaren349 verwiesen werden.

Die wirtschaftliche Lage des Versicherten sei bei Verweisung nicht zu
berücksichtigen. Auf den Einwand der Versicherten, sie könne sich für die
Umstellung auf eine andere Branche nicht in Schulden stürzen, es könne ihr
nicht zugemutet werden, ausschließlich zwecks Schaffung einer
Erwerbsmöglichkeit Fremdkapital aufzunehmen und damit ihre bürgerliche
Existenz zu gefährden, antwortete der OGH350 lediglich, der Versicherungsfall
der Erwerbsunfähigkeit werde nur durch eine gesundheitliche
Beeinträchtigung begründet; es werde nur geprüft, ob die
Verweisungstätigkeit “unter Berücksichtigung des Marktes" eine
wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung ermögliche. Ein Abstellen auf die
konkrete Einkommens- oder Vermögenslage würde überschuldete
Unternehmer besser stellen und dazu führen, daß der Versicherte durch eine
entsprechende Verschuldung die Voraussetzungen für die
Erwerbsunfähigkeitspension mitbestimmten könne351. Es könne auch nicht
darauf ankommen, “ob der selbständig Erwerbstätige weiterhin geneigt ist, das
wirtschaftliche Wagnis eines Betriebs auf sich zu nehmen und ob er in der


.


77

Lage oder gewillt ist, diese selbständige Erwerbsgelegenheit zu
finanzieren"352.

Übt ein Versicherter mehrere selbständige Tätigkeiten aus, die alle der
Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegen, entsteht keine Mehrfach-
versicherung, sondern ein einheitliches Versicherungsverhältnis.

Der Versicherte ist daher nicht erwerbsunfähig, wenn er nur eine dieser Teiltätigkeiten
(Kohlenhandel, Gemischtwarenhandel) unter zumutbaren gesundheitlichen und
wirtschaftlichen Bedingungen ausüben kann351.

Ein Versicherter besaß Gewerbeberechtigungen für die Tischlerei und für den Möbelhandel.
Der OGH betonte, für den Berufsschutz komme es nicht auf den Besitz dieser
Gewerbeberechtigungen, sondern nur auf die tatsächliche Ausübung dieser Tätigkeiten an.
Wurde eine dieser Tätigkeiten, wenn auch nur in geringerem Umfang, tatsächlich ausgeübt,
dann sei eine Verweisung in diesem Teilbereich zulässig354. Unklar ist allerdings, warum
der OGH im ersten Anlaßfall besonders betonte, daß der Versicherte noch die wirtschaftlich
dominierende Tätigkeit (Gemischtwarenhandel), nicht aber die untergeordnete
(Kohlenhandel) weiter ausüben konnte. Wollte er damit ausdrücken, daß
Erwerbsunfähigkeit vorgelegen hätte, wenn der Versicherte nur noch die untergeordnet
betriebene Tätigkeit des Kohlenhandels hätte ausüben können? Zudem vermengte der OGH
diese Aussage noch mit der Frage der Zumutbarkeit der Umstrukturierung, da er meinte,
der Versicherte hätte seine Tätigkeit durch Aufgabe des nur geringfügig ausgeübten
Kohlenhandels auf jene des Gemischtwarenhandels reduzieren können355.

Eine Verweisung auf eine andere selbständige Tätigkeit ist nach Meinung des
OGH nur zumutbar, wenn “im Hinblick auf die Situation des Marktes ein
Unternehmen dieser Art
im Bundesgebiet erfolgreich geführt werden
kann"356. Der OGH nimmt also auch bei Selbständigen die Verweisung auf
das gesamte Bundesgebiet vor, ohne auf Zugangs- oder
Ausübungsbeschränkungen (wie etwa bei Trafikanten) Bedacht zu nehmen, da

352 OGH SSV-NF 12/124.

353 OGH SSV-NF 7/121.
354 OGH SSV-NF 9/22.

355 OGH SSV-NF 7/121.

356 OGH SSV-NF 9/22.

InvaIGesamtgut.doc 16.01.01


78

die Verweisungen abstrakt zu erfolgen hätten und dem Umstand keine
Bedeutung zukomme, daß der Berufsausübung andere (faktische oder
rechtliche) Probleme als gesundheitliche Hindernisse im Wege stünden.357

357 OGH SSV-NF 9/56, OGH SSV-NF 12/124.

InvalGesamtgut.doc ]6.01.01


79

7.     Kapitel:
Die Verweisbarkeit bei Tätigkeitsschutz

7.1   Allgemeines

Der über den Berufsschutz hinausgehende Tätigkeitsschütz hat eine
abwechslungsreiche Geschichte.

Er wurde mit der 35. ASVG-Novelle, BGBl. 585/1980, für ungelernte Arbeiter und mit der
39. ASVG-Novelle, BGBl. 590/1983,für alle Arbeiter (§ 255 Abs. 4) und Angestellten (§ 273
Abs. 3) eingeführt, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten. Die Verweisung dieser
Arbeitnehmer wurde auf “eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit" eingeschränkt (erfaßte
also nicht, wie beim Berufsschutz, auch andere Tätigkeiten derselben Berufsgruppe), die
diese Arbeitnehmer “in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15
Jahre vor dem Stichtag ausgeübt" hatten. Die 9. GSVG-Novelle, BGBl. 485 1984, engte in
§ 33 Abs. 2 die Verweisung eines über 55-jährigen Versicherten auf “jene selbständige
Erwerbstätigkeit" ein, “die er zuletzt durch mehr als 60 Kalendermonate ausgeübt hat".
Diese leichter zugängliche Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für ältere
Versicherte wurde mit der 51. ASVG-Novelle, Art. I des BGBl. 335/1993, für Arbeitnehmer
in eine “vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit" (§ 253 d ASVG) und
mit der 19. GSVG-Novelle, BGBl. 336/1993, in eine “vorzeitige Alterspension wegen
dauernder Erwerbsunfähigkeit" (§ 131 c GSVG) umgewandelt. Gleichzeitig wurde diese
Pensionsform durch die 18. BSVG-Novelle, BGBl. 337/1993, auch in das BSVG (§ 122 c)
eingeführt. Das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. 201/1996, erhöhte das
vorgeschriebene Antrittsalter für diese Pensionsart in europarechtswidriger Weise358 nur
für Männer auf 57 Jahre.

Durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000, BGBl. I 43/2000, kam es zu
einer Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit (Erwerbsfähigkeit). An ihrer Stelle wurde jedoch abermals
eine erleichterte Zugangsmöglichkeit zu Invaliditätspensionen für ältere
Versicherte eingeführt, die auf dem Tätigkeitsschutz aufbaut. Nach den

358 Siehe die Entscheidung des EuGH vom 23.Mai 2000, ASoK 2000, 229.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


80

nunmehr geltenden Bestimmungen der insoweit wortgleichen §§ 255 Abs. 4
ASVG, 133 Abs. 3 GSVG und 124 Abs. 2 BSVG, gilt ein Versicherter über
57 Jahre als invalid, wenn er aus gesundheitlichen Gründen außerstande ist,
“einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem
Stichtag mindestens 120 Kalendermonate ausgeübt hat, nachzugehen".

Der Unterschied gegenüber den Vorgängerregelungen ist - abgesehen von den
Änderungen hinsichtlich des Beobachtungszeitraumes - die weitere
Einengung der Verweisung, da den Versicherten nicht mehr zugemutet wird,
auch eine “gleichartige Tätigkeit" auszuüben. Diese Anordnung wird aber
durch einen Folgesatz erheblich relativiert. Er lautet im ASVG “Dabei sind
zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen" und im GSVG
und BSVG “Dabei ist die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der
sachlichen und personellen Ausstattung seines (ihres) Betriebes zu
berücksichtigen".

Die Bedeutung dieses “Zumutbarkeitssatzes" ist nur insoweit klar, als die
Verweisung nicht starr an die konkret vom Versicherten ausgeübte Tätigkeit
gebunden ist, dem Versicherten vielmehr auch bestimmte Änderungen dieser
Tätigkeit zugemutet werden. Weiters ergibt sich aus der Neuregelung mit
Sicherheit, daß der Arbeitnehmer im Beobachtungszeitraum durch mindestens
120 Monate “eine Tätigkeit" ausgeübt haben muß, wobei es nichts schadet,
daß Unterbrechungen vorgekommen sind. Unklar ist aber schon, was unter
“einer Tätigkeit" zu verstehen ist. Offenbar muß es sich dabei nicht um
denselben Arbeitsplatz handeln. “Eine Tätigkeit" ist sicher auch die Tätigkeit
einer Reinigungskraft, die sie bei verschiedenen Arbeitgebern erbracht hat. Da
die Aufgabenstellung aber selbst bei einem, geschweige denn bei mehreren
Arbeitgebern (im Zeitverlauf) unterschiedlich sein kann, wird die
Rechtsprechung zu klären haben, wo die Grenzlinie “der" Tätigkeit liegt und
bereits eine andere, ähnliche ausgeübt wird.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


81

Noch weniger klar ist, welche Veränderungen dem Arbeitnehmer zugemutet
werden359. Der Gesetzes Wortlaut selbst gibt darauf keine Antwort, der
Sozialausschuß360 hat dazu jedoch eine Feststellung getroffen.

Nach Meinung des Ausschusses ist ein anderer Tätigkeitsbereich “jedenfalls unzumutbar,
wenn er eine "wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten
würde, wie z.B. das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine
Tätigkeil, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muß (z.B.

 Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch

 

bewirkt werden, daß entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die

 

berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt
werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten
verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll".

Da sich diese Auffassung der Ausschußmehrheit aber nicht auf den
Gesetzestext stützen kann, der einerseits viel breiter gefaßt ist und andererseits
keinerlei Berücksichtigung eines “arbeitskulturellen Umfeldes" vorsieht, muß
in Betracht gezogen werden, daß sich die Rechtsprechung bei der Deutung der
neuen Verweisungsregeln auf ihre bisherige Judikatur zur “gleichartigen
Tätigkeit" stützen könnte, also dem versicherten Arbeitnehmer zumuten
würde, auch eine mit der bisherigen Tätigkeit gleichartige Berufstätigkeit
auszuüben.

Anders ist die Rechtslage bei den Selbständigen. Hier scheint der
“Zumutbarkeitssatz" klarzustellen, daß jede Verweisung auf eine andere
selbständige Tätigkeit ausgeschlossen ist, vom Versicherten vielmehr nur
verlangt werden kann, die sachliche und personelle Ausstattung seines

bisherigen Betriebes in einer ihm zumutbaren Weise zu verändern.

 

Im folgenden wird versucht, aus den zum Tätigkeitsschutz ergangenen

Entscheidungen des OGH jene darzustellen, die auch für die neue Rechtslage
Bedeutung haben könnten.

339      Vgl       dazu      Schramme!,      Der      Invaliditäts-,      Berufsunfähigkeits-      und
Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 ff.

360 Vgl. 187 Beil NR,21.GP,3.

lnvalGcsamtgut.doc 16.01.01


82
7.1.1 Gleichartige Tätigkeit

Unter der bis Juni 2000 vorgesehenen Verweisung auf eine “gleichartige

Tätigkeit", verstand der OGH361 die Verweisung auf Tätigkeiten, “die im

wesentlichen ähnliche psychische und physische Anforderungen u.a. an die

Handfertigkeit,   Intelligenz,   Kenntnisse   für   die   überwiegend   ausgeübte

Tätigkeit,        Umsicht,        Verantwortungsbewußtsein,        Körperhaltung,

Durchhaltevermögen,  Schwere  der Arbeit und  schließlich  auch  an  die

Konzentration   stellen".   Diese   Gleichartigkeit  müsse   allerdings   nur  im

“Kernbereich" der Tätigkeit gegeben sein, der wiederum durch jene Umstände

bestimmt werde, “die ihr Wesen ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten

unterscheiden". In jedem Einzelfall müsse dabei eine Gesamtbetrachtung

erfolgen,  die isolierte Betrachtung nur eines  Tätigkeitskriteriums reiche

regelmäßig nicht aus. Hingegen sei nicht maßgeblich, ob die Beschäftigung

beim selben Dienstgeber oder in derselben Branche erfolgte und wie der

Dienstgeber diese Tätigkeit bezeichnet hat.362.

Könnte ein Versicherter die früher ausgeübte Tätigkeit zwar weiter ausüben, wird diese
Tätigkeit aber wegen zwischenzeitig eingetretener Änderungen und technischer
Entwicklungen (EDV) auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in dieser Form nachgefragt, mache
dies noch nicht berußunfähig oder invalid. In diesen Fallen sei die Berufsausübung nicht
aus gesundheitlichen Gründen, sondern nur wegen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt
nicht mehr möglich363.

Ein Versicherter kann im Beobachtungszeitraum bei verschiedenen
Arbeitgebern unterschiedliche Arbeiten verrichtet haben, jedoch bei keinem
in der für den Tätigkeitsschutz erforderlichen Mindestdauer. In einem solchen
Fall könne sich nach Auflassung des OGH eine gleichartige Tätigkeit aus der
Kombination solcher Tätigkeiten bei zumindest zwei Arbeitgebern ergeben364.

361 OGH SSV-NF 2/53, 3/130,5/120, 6/35, 6/126, g/127, 11/49, 11/53,12/4, 12/50.
361 Vgl OGH SSV-NF

363 OGH SSV-NF 3/155

364 OGH SSV-NF 11/49.

 

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


83

Die Gleichartigkeit wurde jedoch verneint zwischen einem Hutmacher in einem
gewerblichen Kleinstbetrieb und einem Hutmacher in einer Hutfabrik365" bzw. zwischen
einem Verschieber in einem Bahnbetrieb und einem Kranführer oder Staplerfahrer366.

7.1.2 Verweisungsmöglichkeiten

In einem Fall, in dem der Versicherte in einem einheitlichen Dienstverhältnis
zwei verschiedene Tätigkeiten (z.B. Büroarbeit und manuelle Arbeit in der
Bäckerei und Mühle) mit etwa gleicher Stundenbelastung auszuführen hatte,
qualifizierte der OGH die Gesamttätigkeit als Kernbereich. Könne der
Versicherte in diesem Fall auch nur eine dieser Tätigkeiten nicht mehr
ausüben, sei er berufsunfähig367.

Anders ging der OGH jedoch vor, wenn der Versicherte zwar noch seine
Haupttätigkeit, nicht aber eine
Nebentätigkeit verrichten konnte. In diesem
Fall differenzierte das Gericht. Eine Verweisung sei dann unzulässig, wenn die

Nebentätigkeit “mit der Haupttätigkeit typischerweise so verbunden ist, daß
beide nur gemeinsam auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind"368. Ein Versicherter,
der eine Nebentätigkeit nicht mehr verrichten kann, durfte daher auf die
Haupttätigkeit nur dann verwiesen werden, wenn eine untypische
Kombination von Haupt- und Nebentätigkeit vorlag. Eine Verweisung war
jedoch unzulässig, wenn der Versicherte bei einer typischen Kombination von
Haupt- und Nebentätigkeit nicht mehr die Gesamttätigkeit (sondern nur die
Haupt- oder nur die Nebentätigkeit) ausüben konnte.

Auch der Tätigkeitsschutz bezog sich daher nach der Auffassung des OGH
nicht auf einen bestimmten konkreten Arbeitsplatz, sondern abstrakt auf
Arbeitsplätze mit einem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise

365 OGH SSV-NF 2/30.

366 OGH SSV-NF 3/89.

367 OGH SSV-NF 6/126

361 OGH SSV-NF 2/53, 3/130, 5/120, 6/35, 6/126, 8/127, 10/42, 11/8, 11/62, 11/71, 11/110,
12/4, 12/50, 12/121.

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84

gefragten Inhalt369. Wie im folgenden zu zeigen ist, wurde dieser Grundsatz in
den einzelnen Entscheidungen aber nicht immer durchgehalten.

7.1.3 Verweisungsbeispiele

In einem Landmaschinenhandels- und -reparaturbetrieb war eine Versicherte sowohl mit
einfachen Kanzleitätigkeiten als auch mit bestimmten körperlichen Tätigkeiten (z.B.
Heranbringen von Ersatzteilen. Hilfe beim Aufladen von gekauften Maschinen) befaßt. Sie
konnte zwar noch die Kanzleiarbeiten, nicht aber diese körperlichen Tätigkeiten verrichten.
Der OGH sprach aus, sie könnte nur dann auf Kanzleiarbeiten verwiesen werden, wenn
diese Kombination untypisch sei370.

Bei einem Gemeindestraßenkehrer betrachtete der OGH den Einsatz des Versicherten auf
Verkehrsflächen mit Fahrzeugverkehr nur als untypische Nebentätigkeit, als Kernbereich
komme die Reinigung von Außenflächen ohne Fahrzeugverkehr (Park- und Fabriksanlagen)
und von Innenräumen (Hallen, Werkstätten) in Betracht, könne er dort noch arbeiten, sei er
daher auch auf einen anderen Dienstgeber oder auf eine andere Branche verweisbar371.

Für einen Stoffverkäufer sei das Tragen und Herzeigen von Stoffballen und die
Schaufensterdekoration keine zufällig hinzugekommene Nebentätigkeit; könne er diese
Tätigkeiten nicht mehr verrichten, sei er daher berufsunfähig373.

 

Untypisch für einen KFZ-Meister sei es, schwere Arbeiten und Arbeiten in gebückter oder
vorgeneigter Haltung durch mehr als zwei Drittel des Arbeitstages zu verrichten: könne er
jedoch noch die typischen Tätigkeiten verrichten, sei er nicht als invalid anzusehen373.

Für einen Mechanikermeister im Baumaschinenbereich sei die Arbeit in exponierten Lagen

geradezu berufstypisch, daher sei er als invalid anzusehen, wenn er in exponierten Lagen

nicht   mehr   arbeiten   kann374.   Dasselbe   gelte  für   einen   Berufskraftfahrer,   der

Abschleppfahrten für einen Automobilclub in ganz Europa durchführe373. Dagegen sei eine

369 OGH SSV-NF 3/130.

370 OGH SSV-NF 3/130.

371 OGH SSV-NF 4/120

372 OGH SSV-NF 6/35

373 OGH SSV-NF 10/42.

374 OGH SSV-NF 11/53.

375 OGH SSV-NF 11/62

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


85

Bürokraft nicht schon deshalb berufsunfähig, weil sie nicht mehr auf ein “Stockerl" steigen
kann376.

Eine Raumpflegerin, die nicht mehr Fenster putzen konnte, wurde für invalid gehalten,

      obwohl es bei größeren Gebäudekomplexen auch Arbeitsplätze für Raumpflegerinnen gibt,

    bei denen Fensterputzen nicht berufstypisch ist. Der OGH begründet dies vor allem damit,

daß Fensterputzen zum Kernbereich der Tätigkeiten einer Reinigungskraft zähle377. Bei

Verkaufern   von   Teppichen   und   Bodenbelägen   in   Einrichtungshäusern,    würden

 Gehleistungen zu den berufstypischen Anforderungen gehören, daher sei eine Verweisung

   eines Versicherten, der diese Gehleistungen nicht mehr erbringen könne, auf die Tätigkeit

    eines Verkäufers im Einzelhandel unzulässig378.

Unbeachtlich sei, ob mit der Änderung der Tätigkeit auch eine andere Lohnform verbunden
sei. Daher könne ein Vertreter, der ausschließlich auf Provisionsbasis gearbeitet habe, auf
die Tätigkeit eines Vertreters mit Fixum verwiesen werden; man könne von ihm auch
verlangen, daß er zur Vermeidung des ihm nicht mehr zumutbaren Zeitdruckes seine
bisherige Tätigkeit bis zur Erreichung der Lohnhälfte reduziere379.

7.2   Nach dem GSVG

Obwohl der Tätigkeitsschutz nach dem Gesetzestext nicht auf Personen
beschränkt war, deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des
Betriebes erforderlich war, zog der OGH jene Kriterien heran, die er zu dieser
Problematik entwickelt hat. So genieße der Selbständige den Tätigkeitsschutz
erst dann, wenn er außerstande ist, seiner selbständigen Erwerbstätigkeit “auch
unter Berücksichtigung insbesondere wirtschaftlich zumutbarer
Organisationsmaßnahmen nachzugehen"380. Während sich die Verweisung
nach dem ASVG an der vom Arbeitnehmer konkret verrichteten Tätigkeit
orientiere, komme es beim Selbständigen auf den zuletzt geführten
Gewerbebetrieb an. Dies sei auch sachlich begründet, weil der Arbeitnehmer

376OGHSSV-NF 3/47.
377 OGH SSV-NF 11l/110.
378 OGH SSV-NF 12/4
379 OGH SSV-NF 12/50.
380 OGH SSV-NF 2/70.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


86

die Gestaltung seiner Tätigkeit kaum beeinflussen könne. Sei er unfähig, auch
nur einen Teil der mit einem bestimmten Tätigkeitsbereich verbundenen
Arbeiten zu verrichten, dann könne er seinen Beruf nicht mehr ausüben.
Dagegen könne der Selbständige zumeist Arbeiten (vor allem physischer Art)
weitgehend an Arbeitnehmer delegieren und daher trotz gesundheitsbedingter
Einschränkungen seine selbständige Erwerbstätigkeit weiter ausüben. Bei
meinem Selbständigen sei daher stets zu prüfen, ob er trotz Einschränkung

seiner   Leistungsfähigkeit   noch   in   der   Lage   ist,   seine   selbständige

Erwerbstätigkeit - wenn auch erst nach einer möglichen Umorganisation des
Betriebes - weiter auszuüben; dabei handle es sich nicht um eine
Mitwirkungspflicht des Versicherten, sondern um eine durch Interpretation zu

gewinnende gesetzliche Leistungsvoraussetzung381.

 

Leite ein Selbständiger ein Zimmer- und Gebäudereinigungsunternehmen mit 250 bis 400

Arbeitnehmern, dann könne “ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß es möglich ist,

durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß die persönliche
physische Mitarbeit des Klägers nicht erforderlich ist382. Einem Trafikanten, der keine
schweren Lasten mehr heben kann, wurde entgegengehalten, er könne die schweren
Zeitungspakete teilen und dadurch seinem Beruf weiter nachgehen383. Bei einem

selbständigen Handelsvertreter, der die für seine Tätigkeit notwendigen Musterpaletten

 

nicht mehr transportieren konnte, sei zu prüfen, ob ihm die stunden- oder tageweise

Einstellung einer Hilfskraft zugemutet werden könne, da mit Umorganisationsmaßnahmen
verbundene Einkommenseinbußen “in nicht besonders schwerwiegendem Ausmaß"
hingenommen werden müßten'".

381 OGH SSV-NF 11/145, 12/142.
382 OGH SSV-NF 11/145.
383 OGH SSV-NF 2/70
384 OGH SSV-NF 12/142

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


87

Teil II: Probleme und Lösungsansätze

8.     Kapitel:
Ungleichbehandlungen

Die Übersicht über die Rechtslage enthüllt Schwachstellen des geltenden
Systems. Offenkundig soll die Invaliditätspension einen Ausgleich für jenes
Erwerbseinkommen bieten, das infolge der gesundheitsbedingten Minderung
der Arbeitsfähigkeit ausfällt. Dieses Ziel wird als Folge der Entscheidung, die
Invaliditätspensionen wie Alterspensionen zu berechnen, nur teilweise
erreicht. Dafür sind mehrere Gründe verantwortlich. Zunächst einmal ist die
Höhe der Invaliditätspension nicht an den Grad der Invalidität gebunden.
Wegen des bestehenden Tätigkeits- und Berufsschutzes besitzen viele
Bezieher einer Invaliditätspension noch eine am Arbeitsmarkt verwertbare
Restarbeitsfähigkeit, sind daher durchaus noch teilarbeitsfähig. Sie können
einen mit ihrem Gesundheitszustand vereinbaren Nicht-Verweisungsberuf
ergreifen. Voll Arbeitsunfähigen steht diese Möglichkeit nicht offen. Beide
Gruppen erhalten jedoch Invaliditätspensionen, die nach den gleichen
Grundsätzen berechnet werden. Weitere Unterschiede ergeben sich aus dem
Zeitpunkt, zu dem die Invalidität eintritt. Dafür ist vor allem die Bildung der
Bemessungsgrundlage verantwortlich: Berücksichtigt werden die
Beitragsgrundlagen der besten 15 (ab 2003 18) Jahre, bzw. bei kürzerer
Versicherungsdauer die vorhandenen Beitragsgrundlagen. Die
Bemessungsgrundlage entspricht damit weder dem versicherten Einkommen
zum Zeitpunkt des Eintritts der Invalidität (wie dies etwa in der
Unfallversicherung durch die Heranziehung des versicherten Einkommens aus
dem letzten Jahr der Fall ist), noch berücksichtigt sie den Umstand
ausreichend, daß in vielen Berufen das Erwerbseinkommen mit zunehmender
Dauer der Berufstätigkeit ansteigt. Dadurch werden Personen, bei denen die
Invalidität schon in jüngeren Jahren auftritt, gegenüber Leidensgenossen, bei
denen die Invalidität erst erheblich später eintritt, klar benachteiligt. Aber auch

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


88

beim Steigerungsbetrag ergeben sich Probleme. So erhalten zwar Versicherte,
bei denen die Invalidität vor dem 56. (in Zukunft 56,5.) Lebensjahr eintritt, die
bis zu diesem Zeitpunkt fehlenden Jahre fiktiv als Versicherungsjahre
angerechnet. Die auf diese Weise ermittelte Pension darf jedoch höchstens
60% der Bemessungsgrundlage ausmachen. Da diese jüngeren Invaliden die
Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nehmen,
unterliegen sie jedoch - nach Ablauf der Obergangsbestimmungen - voll dem
Malus (§ 261 Abs. 4 ASVG), wodurch sich der Pensionsanspruch bis um 10,5
Steigerungspunkte bzw. 15% der Summe der Steigerungspunkte verringern
kann.

Zusammengenommen ergibt sich daher, daß die Pensionsversicherung für
Invalide vor allem dann keine ausreichenden Pensionen bereitstellt, wenn die

 

Invalidität in eher jungen Jahren einritt. Ein Rechtfertigungsversuch für diese

Benachteiligung könnte höchstens in dem Versuch liegen, auf jüngere Invalide

einen wirtschaftlichen Druck zur Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit

auszuüben.

Zusätzliche Probleme treten bei Versicherten auf, die eine verwertbare
Restarbeitsfähigkeit besitzen. Nach dem Konzept des ASVG sollten sie eine
Pension erhalten, wenn ihre Arbeitsfähigkeit unter 50% jener vergleichbarer
gesunder Versicherter herabgesunken ist. Dahinter steht die Vorstellung, daß
der Grad der Minderung der Arbeitsfähigkeit einen Rückschluß auf das
Ausmaß des durch die Invalidität eintretenden Einkommensentfalls gestattet.
Mit anderen Worten, eine Invaliditätspension sollte erst zustehen, wenn der zu
erwartende Einkommensausfall mehr als 50% beträgt. Wegen der
verunglückten Lohnhälfteregelung des § 255 Abs. 3 ASVG für nichtquali-
fizierte Arbeiter und ihre Ausdehnung durch die Rechtsprechung auch auf
qualifizierte Arbeiter und Angestellte wurde dieses Konzept jedoch nie
verwirklicht. Nach der herrschenden Praxis bleibt der wirkliche oder auch nur
der erwartete Einkommensverlust bei einer Verweisung auf Vollzeit-
beschäftigung völlig unberücksichtigt, weil kein Vergleich zwischen dem
erzielten oder erzielbaren Arbeitseinkommen vor und nach dem Eintritt der

InvalGesamtgut. doc 16.01.01


89

Invalidität angestellt wird. Verglichen wird statt dessen, welches Einkommen
in den Verweisungsberufen von einem voll arbeitsfähigen Arbeitnehmer
verdient werden kann und mit welchem Einkommen ein nur teilweise
arbeitsfähiger Arbeitnehmer in diesen Verweisungsberufen rechnen kann. Da
die kollektivvertraglichen Mindestlöhne auch für erwerbsgeminderte
Arbeitnehmer gelten, kann es in der Realität daher nie zum Verlust dieser so
definierten Lohnhälfte kommen.

Was sind die Konsequenzen? Bei einem Arbeiter wird das Ausmaß des
Einkommensverlustes, das ihm durch ein Überwechseln auf einen
Verweisungsberuf droht, nicht berücksichtigt. Wird er auf eine wesentlich
niedriger entlohnte Berufstätigkeit verwiesen, kann dieser Einkommensverlust
durchaus 50% und mehr ausmachen. Bei Angestellten kann dies jedoch nicht
eintreten, weil die Rechtsprechung bei dieser Arbeitnehmergruppe eine
Verweisung auf einen Beruf, der im Kollektivvertrag um mehr als eine
Verwendungs- oder Beschäftigungsgruppe tiefer eingestuft ist, nicht gestattet.
Die somit zugemutete Einkommensreduktion um nur eine einzige
Verwendungsgruppe ist in der Realität stets erheblich geringer als 50%. Mit
anderen Worten: Während einem Arbeiter mit gemindeter Arbeitsfähigkeit
selbst Einkommensminderungen von über 50% zugemutet werden, erhalten
Angestellte eine Berufsunfähigkeitspension auch bei zu erwartenden
Einkommensminderungen von weit unter 50%. Auf die sich aus der
Verweisung auf Teilzeit ergebenden weiteren Probleme wird noch
zurückzukommen sein.

Der Berufs- und Tätigkeitsschutz entfernt sich schließlich gänzlich vom
Konzept, eine Invaliditätspension nur dann zu gewähren, wenn die
Arbeitsfähigkeit (und damit indirekt das erzielbare Erwerbseinkommen) um
mehr als 50% gesunken ist. Die Pension wird nicht nur dann gewährt, wenn
der Versicherte weiterhin fähig ist, einen Beruf außerhalb seines
Verweisungsfeldes auszuüben, sondern auch dann, wenn er von dieser
Möglichkeit tatsächlich Gebrauch macht. Dadurch kommt das Gesetz zwar
wieder auf das Hauptanliegen zurück, einen Anreiz zum Verbleib im

JnvaKjtsamtgut.doc 16.01.01


90

Erwerbsleben  zu  geben,   doch   erscheint   der  Preis   dafür  (nämlich   die
Gewährung der Pension) zu hoch.

Will man die bestehenden Ungleichheiten beseitigen, so bedarf es daher nicht
nur einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Tätigkeits- und
Berufsschutz, sondern auch eines Oberdenkens der Anknüpfung der
Berechnung der Invaliditätspension an die für Alterspensionen geltenden
Grundsätze. Der Grund des Unbehagens scheint vor allem darin zu bestehen,
daß die Bemessung der Invaliditätspension zu wenig auf die realistischerweise
zu erwartenden Einkommenseinbußen abstellt.

JnvaKStsamtgui.doc 16.01.01


91

9.     Kapitel:
Systemzusammenhänge

Aus den dem geltenden Recht zugrundeliegenden Systementscheidungen
ergeben sich weitere Zusammenhänge. Sie werden für die Zukunft allerdings
nur dann beachtlich sein, wenn diese Systementscheidungen beibehalten
werden.

Da der Gesetzgeber den Schutz bei Erwerbsminderung in das auf
Beitragsleistungen beruhende Pensionsversicherungssystem eingebettet hat,
müssen zunächst einmal Beitragszeiten auf Grund einer
Versicherungspflichtigen Beschäftigung erworben werden, bevor Ansprüche
auf Leistungen entstehen können. Die sozialpolitisch unerfreuliche
Konsequenz besteht darin, daß Personen, die nie in der Lage waren, eine
pensionsversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben, keine Ansprüche auf
Invaliditätspensionen erwerben können.

Dagegen bedeutet es einen Systembruch, wenn bestimmte Tätigkeiten zwar als

Beitragszeiten anerkannt werden, ihnen dann aber die Relevanz für den

 

Berufsschutz abgesprochen wird, wie dies in den Fallgruppen der Arbeit bei
besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers und der medizinisch
unvertretbaren Arbeitsleistung derzeit geschieht. In beiden Fallgruppen wird
tatsächlich Arbeit geleistet, werden Beiträge bezahlt und besteht ein
Pflichtversicherungsverhältnis. Dennoch werden diese Zeiten für unbeachtlich
gehalten, wenn es um die Beurteilung von Erwerbsminderung geht. Eine
sachlich vertretbare Lösung kann nur darin bestehen, diese Zeiten entweder
auf der Beitrags- und Leistungsseite anzuerkennen oder sowohl beitrags- als
auch leistungsrechtlich unberücksichtigt zu lassen.

Entscheidet  man sich für die erstgenannte Lösung, dann dürfte dem
Versicherten dann, wenn sich sein Gesundheitszustand so verschlechtert hat,

lnvalGcsamtgut.doc 16.01.01


92

daß er nicht mehr imstande ist, der bisher von ihm ausgeübten Tätigkeit
nachzugehen, eine Invaliditätspension nicht versagt werden.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


93

10.    Kapitel

Das Verhältnis Pensionsversicherung-
Arbeitslosenversicherung

Die Rechtsprechung enthält einen auffallenden Wertungswiderspruch.
Grundsätzlich betont sie, daß die Verhältnisse am Arbeitsmarkt bei der
Prüfung des Vorliegens von Invalidität nicht zu beachten seien. Gleichzeitig
schließt sie jedoch eine Verweisung aus, wenn in ganz Österreich nicht
mindestens 100 Arbeitsplätze im Verweisungsberuf vorhanden sind, wenn
Krankenstände im Ausmaß von mehr als 6 Wochen pro Jahr drohen oder wenn
der Arbeitnehmer häufige Arbeitspausen benötigt. Womit begründet sie diese
Haltung? Für den Versicherten müsse die objektive Möglichkeit bestehen,
tatsächlich einen Arbeitsplatz zu erhalten und durch das daraus erzielte
Einkommen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten385. Es gelte daher
Verweisungsberufe ausschalten, die auf dem gesamtösterreichischen
Arbeitsmarkt fast nicht mehr vorkommen386. Der wahre Grund für die
Ablehnung der Verweisung auf solche Arbeitsplätze ist also der hohe Grad an
Wahrscheinlichkeit, daß der Versicherte keinen Arbeitsplatz finden wird.
Dasselbe gilt auch für die Fallgruppen Krankenstände und Arbeitspausen, da
der OGH dort Schwellenwerte verwendet, bei deren Übersteigen er annimmt,
daß die Arbeitgeber solche Arbeitnehmer nicht einstellen werden. Damit steht

Im  deutlichen Widerspruch  die Ablehnung  anderer  Gründe,  die  es  in

 

Verbindung   mit   einer   Minderung   der   Arbeitsfähigkeit   ebenso   höchst

unwahrscheinlich machen, daß der Versicherte einen Arbeitsplatz erlangen
wird. Es geht dabei etwa um einen geschlossenen Arbeitsmarkt387, um die
Lage des Wohnortes, um die Notwendigkeit eines besonders ausgestalteten

385 OGH SSV-NF 2/46
386 OGH SSV-NF 8/43
387 OGH SSV-NF 4/140.

lnvalGesamtgui.doc 16.01.01


94

Arbeitsplatzes, um persönliche Hinderungsgründe oder um wirtschaftliche
Hinderungsgründe. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn ein Versicherten, der

seinen Arbeitsplatz verloren hat und aus gesundheitlichen Gründen nur mehr
seinen bisherigen Beruf (Stereotypeur und Galvanoplastiker) ausüben könnte,
den es aber praktisch nicht mehr gibt, mit der Begründung abgewiesen wird,
dieser Umstand habe nichts mit einem Herabsinken der Arbeitsfähigkeit zu

tun388. Es handelte sich in jedem dieser Fälle um das Zusammentreffen einer
gesundheitsbedingten Minderung der Arbeitsfähigkeit mit einem anderen
Umstand, die erst in ihrem Zusammenwirken dazu fuhren, daß der Versicherte
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine Arbeit mehr finden wird.

Um diese Wertungswidersprüche zu beseitigen wäre es notwendig eine klare
Entscheidung zu treffen: Entweder soll die Chance, auch tatsächlich einen
Arbeitsplatz erhalten zu können, unberücksichtigt bleiben und somit die
Prüfung ausschließlich auf die Arbeitsfähigkeit beschränkt werden oder eine
Verweisung auf den Arbeitsmarkt müßte in allen Fällen ausgeschlossen
werden, in denen die Chance, einen Arbeitsplatz auch tatsächlich zu erhalten
wegen der Kombination einer gesundheitlichen Minderung der
Arbeitsfähigkeit und einem anderen Umstand verschwindend gering ist. Bei
der Entscheidung über die Vorgangsweise ist auch in Betracht zu ziehen, daß
in ihrer Arbeitsfähigkeit geminderte Personen keinerlei Verständnis für die
Ablehnung ihres Antrags auf Zuerkennung einer Invaliditätspension haben,
wenn diese mit der Begründung erfolgt, sie könnten noch bestimmte
Verweisungsberufe ausüben, während sie genau wissen, daß ihre Chance, in

388 OGH SSV-NF 8/70. Die Unhaltbarkeit dieser Entscheidung wird sofort deutlich, wenn
man den Sachverhalt nur etwas verändert: Was wäre gewesen, wenn der Versicherte bisher
einen anderen Beruf ausgeübt hatte, als Verweisungsberuf für ihn aber nur mehr der
Stereotypeur und Galvanoplastiker in Frage gekommen wäre? Dann wäre der Beruf des
Stereotypeurs und Galvanoplastikers zwar abstrakt als Verweisungsberuf in Betracht
gekommen, auf den der Versicherte aber nicht hatte verwiesen werden dürfen, da es dafür zu
wenige Arbeitsplatze gibt.

lnvalGesamtgul.doc 16.01.01


95
diesen Berufen auch tatsächlich einen Arbeitsplatz zu finden, verschwindend

 

gering ist389.

Schließlich ist noch festzuhalten, daß die Gerichte mit dieser Rechtsprechung
auch in die Abgrenzung zwischen Pensionsversicherung und Arbeitslosen-
versicherung eingreifen, da sie je nachdem, unter welchen Umständen sie eine
Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zulassen oder ausschließen, die
Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung begründen oder verneinen.

389 Siehe die Umfrageergebnisse bei Ruth Finder, Entwicklung der Invaliditätspensionen, in
Sozialbericht 1994, 101 (117).

InvaIGesamtgut.doc 16.01.01


96

t

11.    Kapitel:
Die Zumutbarkeit

Wie eingehend dargestellt wurde, hat die Rechtsprechung von der bis damals

einzigen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung zur Berücksichtigung der

Zumutbarkeit bei der Verweisung (§ 255 Abs. 3 ASVG) keinen Gebrauch

gemacht. Dagegen prüft sie nicht nur ganz allgemein beim Berufs- und

Tätigkeitsschutz,    welche    Verweisungsberufe    dem    Versicherten    noch

zugemutet werden können, sondern geht auch bei einigen Detailfragen auf

Zumutbarkeitsgesichtspunkte   ein,   ohne   daß   sich   dafür  im   Gesetz   ein

Anhaltspunkt fände: so bei der Reichweite des vom Versicherten verlangten

Pendelns (1.2.1), bei der Frage, wie lange die Minderleistung nach längerer
Arbeitsabwesenheit dauern (siehe 1.2.2) oder der vom Versicherten
bewältigbare “Anmarschweg" sein darf, ob vom Versicherten Veränderungen

seiner Familiensituation verlangt werden dürfen, unter welchen Umständen

eine  Verweisung auf Teilzeitarbeit vorgenommen werden kann, welche
Mitwirkungspflichten dem Versicherten auferlegt und wieweit vom
Versicherten Ein- oder Nachschulungen verlangt werden können, ob eine
Verweisung von qualifizierten Arbeitern auf Angestelltenberufe zulässig ist,
bis zu welchem Ausmaß die Verweisung von Angestellten zu einem sozialen

Abstieg fuhren darf, welche Umorganisationsmaßnahmen von Selbständigen

verlangt werden dürfen oder welche Tätigkeiten eines Selbständigen beim
Tätigkeitsschutz zu berücksichtigen sind. Umso auffallender ist, daß der OGH
bei anderen gleich wichtigen Fragen jede Zumutbarkeitsprüfung ablehnt, etwa
bei der Verweisung von Selbständigen ohne Berufsschutz (siehe 6.2) oder
hinsichtlich der Finanzierbarkeit von Maßnahmen, die vom Versicherten
verlangt werden (etwa bei Selbständigen hinsichtlich von
Umstrukturierungsmaßnahmen - siehe 6.3.1; bei Arbeitnehmern hinsichtlich

InvalGesamtgvt.doc 16.01.01


97
der Operationskosten - siehe 1.2.7), bei der Frage, ob vom gellbehinderten

 

Versicherten eine Veränderung seines Wohnortes verlangt werden kann u.s.w.

Dieser innere Widerspruch geht offenbar auf ein fundamentales
Mißverständnis zurück. Das Problem der Zumutbarkeit stellt sich stets dann,
wenn vom Versicherten ein bestimmtes Verhalten verlangt wird, bei dessen
Einhaltung die Erwerbsminderung vermeidbar wäre. Der Gesetzgeber selbst
hat auch ohne Verwendung des Begriffes der Zumutbarkeit diesen Aspekt in
zweierlei Hinsicht berücksichtigt. Einerseits mutet er dem Versicherten die
Durchführung einer erfolgversprechenden Rehabilitation zu. Zum anderen hat
er eine grundlegende Entscheidung über das fachliche Verweisungsfeld für die
verschiedenen Versichertengruppe getroffen. Er mutet verschiedenen Gruppen
von Versicherten unterschiedlich weitreichende Umstellungen ihrer
beruflichen Tätigkeit zu, die umfangreichsten den Selbständigen und die
geringsten allen über 57 Jährigen.

Damit ist die Verweisungsfrage aber noch keineswegs gelöst. Sie betrifft als
nächstes die Frage, zu welcher Erwerbstätigkeit der Versicherte aus
medizinischer Sicht noch fähig ist. Dabei ist zu prüfen, welche Folgen es
hätte, würde der Versicherte seinen bisherigen Beruf trotz Einschränkung
seiner Arbeitsfähigkeit weiter ausüben und ob es Maßnahmen gibt (z.B.
bestimmte Therapien oder Operationen), die bestehende Einschränkungen der
Arbeitsfähigkeit beheben oder zumindest verringern könnten. Wie diese
Fragen zu beantworten sind, hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben. Der
OGH390 hat mit sehr weit ausgreifenden systematischen und ideologischen
Überlegungen aus einer Analyse zahlreicher Einzelbestimmungen aus allen
Zweigen des Sozialversicherungsrechts391 den allgemeinen Grundsatz
entwickelt, daß “der Versicherte die Interessen der Sozialversicherungsanstalt

390 OGH SSV-NF 2/33.

191 Er verweist auf Pflichten des Leistungsempfängers zur Mitwirkung in Form von
Meldungen und Auskünften, zum Erscheinen beim Kontrollarzt, auf Verpflichtungen zur
Anstaltspflege, wenn dies die Art der Krankheit erfordert, auf Unterlassung bestimmter
schuldhaften Handlungen bei sonstiger Leistungsverwirkung, auf Befolgung von ärztlichen
Anordnungen im Rahmen der Unfallheilbehandlung oder Krankenbehandlung.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


98

und damit auch der anderen Versicherten in zumutbarer Weise zu wahren hat,
will er seine Ansprüche nicht verlieren". Dadurch hat sich der OGH die
Grundlage dafür geschaffen, auch bei der Prüfung der Voraussetzungen für
eine Erwerbsminderungspension eine Abwägung zwischen den Interessen der
Versichertengemeinschaft und jenen des einzelnen Versicherten vorzunehmen.
Die Interessen der Versichertengemeinschaft erblickt er in diesem
Zusammenhang offenbar nur in einer Beschränkung der Beitragsbelastung der
Versicherten. Das greift allerdings zu kurz. Denn die Interessen der
Versichertengemeinschaft bestehen auch darin, daß jedes ihrer Mitglieder bei
Vorliegen eines versicherten sozialen Risikos entsprechende Leistungen ohne
wenn und aber erwarten kann. Man kann der Versichertengemeinschaft nicht
unterstellen, ein System zu bejahen, das ihren Mitgliedern im Leistungsfall
unzumutbare Belastungen auferlegt.

 

Ein solcher unmittelbarer Rückgriff auf die Interessen der
Versichertengemeinschaft ist aber gar nicht notwendig. Es genügt, auf die
Gesamtanlage des Sozialversicherungsrechts zu blicken. Unseren
Sozialversicherungsgesetzen ist an keiner Stelle zu entnehmen, daß dem
Versicherten Leistungen mit dem Verlangen nach unzumutbaren
Verhaltensweisen, die zu einer finanziellen Entlastung der
Versichertengemeinschaft führen würden, verwehrt werden können. Ganz im
Gegenteil. Der Gesetzgeber geht sogar so weit, den Sachleistungsanspruch bei
vorsätzlicher Selbstbeschädigung oder verbrecherischer Herbeiführung des
Versicherungsfalles392 und selbst den Anspruch auf Geldleistungen bei
verbotswidriger Herbeiführung eines Arbeitsunfalles393 aufrechtzuerhalten.

Eine Versagung von Leistungen ist unzulässig, wenn der Leistungsempfänger
seinen Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht nachkommt394.

Aber   auch   dort,    wo   der   Gesetzgeber   eine   Selbstbeteiligung   der


99

Leistungsberechtigten vorsieht, nimmt er jene davon aus, denen diese
Belastung nicht zugemutet werden kann395.

Was folgt daraus? Sinn und Zweck unseres Sozialversicherungsrechts besteht
eben darin, den Versicherten für den Fall des Eintritts der darin
angesprochenen sozialen Risken Hilfe zu leisten. Es stünde in einem Waren
Widerspruch zu der überaus großzügigen Gesamtanlage dieses
Rechtsbereiches, anzunehmen, der Gesetzgeber habe bei den einzelnen
Leistungen über die von ihm selbst vorgeschriebenen Leistungsvoraus-
setzungen hinaus weitere Barrieren aufbauen wollen, die sich für den
Leistungsberechtigten als unzumutbar darstellen, etwa weil der Versicherte
außerstande ist, eine die Pensionsgewährung vermeidende Maßnahme zu
finanzieren396. Ganz im Gegenteil. Dem Sozialrecht als solchem ist das Prinzip
der Zumutbarkeit immanent. Dieses Prinzip wirkt allerdings nach zwei
Richtungen. Einerseits darf die Belastung der Solidargemeinschaft nicht
dadurch vergrößert werden, daß der einzelne ihm zumutbare Verhaltensweisen
unterläßt, andererseits dürfen dem einzelnen keine Bürden auferlegt werden,
die den ihm verheißenen sozialen Schutz in Frage stellen würden. Die hier
erforderliche Abwägung kann nur der Richter vornehmen. Die
Judikaturanalyse hat erwiesen, daß sie teilweise zu einseitig ausgefallen ist.
Der Gesetzgeber sollte daher ausdrücklich klarstellen, daß der Richter ebenso
überzeugend zu begründen hat, warum über die ausdrücklich im Gesetz
vorgesehenen Anforderungen hinaus noch weitere zu erfüllen sind, wie
andererseits, warum die diesbezüglichen Verhaltensweisen dem
Leistungsberechtigten auch zumutbar sind.

Aus diesem Zumutbarkeitsgrundsatz ergibt sich auch, daß eine Leistung erst
dann verwehrt werden kann, wenn tatsächlich ein Mißbrauch in dem Sinne
vorliegt daß der Versicherte ein ihm zumutbares Verhalten in der offenbaren
Absicht unterlassen hat, eine Erwerbsminderungspension zu erhalten und

395 Beispielsweise § 31 Abs. 5 Z 16 ASVG - Rezeptgebühr; $ 135 Abs. 3 ASVG -
Krankenscheingebühr, Kostenbeteiligung § 86 Abs. 6 GSVG.

396 So aber OGH SSV-NF 11/6,12/124.

JnvalGesamigvt.doc 16.01.01


100

nicht, wie dies derzeit die Judikatur häufig tut, wenn nur die Möglichkeit einer
solchen Verhaltensweise besteht. Das steht zudem im Einklang mit dem
Umstand, daß der Gesetzgeber das Problem der willentlichen Herbeiführung
eines Versicherungsfalles erkannt und in einer abschließenden Weise geregelt
hat. Er sieht für diesen Fall die Verwirkung des Anspruches auf eine
Geldleistung vor397, die aber nur in besonders schwerwiegenden Fällen
eintreten soll, nämlich bei vorsätzlicher Herbeiführung eines
Versicherungsfalles durch Selbstbeschädigung oder bei der Herbeiführung des
Versicherungsfalles durch bestimmte Straftaten.

397 § 88 ASVG.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


101

1

12.    Kapitel:
Der Berufs- und Tätigkeitsschutz

Wie Personen behandelt werden sollen, deren Arbeitsfähigkeit zwar
eingeschränkt, aber am Arbeitsmarkt noch verwertbar ist, regelt das
Pensionsversicherungsrecht sehr differenziert. Nichtqualifizierten Arbeitern
und Selbständigen wird ein Überwechseln auf alle Berufstätigkeiten
zugemutet, die sie angesichts ihres gesundheitlichen Zustandes und ihrer
Kenntnisse und Fähigkeiten noch zu bewältigen vermögen. Allen übrigen
Versicherten wird zugestanden, nur auf solche Berufstätigkeiten überwechseln
zu müssen, die Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, wie sie der bisher

ausgeübte   Beruf   vorausgesetzt   hat.   Dabei   wird   aber   noch   weiter
unterschieden.   Während   von   qualifizierten   Arbeitern   auch   erhebliche
Einkommenseinbußen   verlangt   werden,   da   die   Verweisung   nur   nach
Tätigkeiten und nicht nach Einkommenserwartungen erfolgt, sind solche               
Einbußen bei Angestellten durch das Verbot des sozialen Abstieges und die

darauf gegründete Beschränkung der Verweisbarkeit auf die nächstniedrige

 

kollektivvertragliche Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe begrenzt. Ab
einem Alter von 57 Jahren wird eine berufliche Umstellung nicht mehr
verlangt, wenn der Versicherte zuletzt durch längere Zeit nur eine bestimmte
Berufstätigkeit ausgeübt hat.

Zu erinnern ist zudem an die die völlig sachwidrige Lohnhälfteregelung, die

lauf Vollzeitarbeitskräfte überhaupt nicht anwendbar ist - da sie nicht auf den

zu erwartenden Einkommensverlust abstellt - und bei Verweisungen auf

Teilzeitbeschäftigungen Schwierigkeiten verursacht. Sie beginnen damit, daß

die  Gerichte  bei  der Verweisung eines  Vollzeitbeschäftigten  auf eine

Teilzeitbeschäftigung die Lohnhälfteregel anders als bei einer Verweisung auf

eine andere Vollzeitbeschäftigung auslegen. Der Gesetzgeber verlangt einen

Vergleich zwischen der Einkommenserwartung des Erwerbsgeminderten im

Verweisungsberuf mit dem von Gesunden in diesem Beruf regelmäßig

lnvalGesamtgut.doc 16.0J.01


102

erzielten Einkommen verlangt; das Einkommen im bisher ausgeübten Beruf
bleibt dabei vollständig unberücksichtigt. So gehen die Gerichte auch bei der
Verweisung auf eine Vollzeitbeschäftigung vor. Bei einer Verweisung auf eine
Teilzeitbeschäftigung vergleichen die Gerichte jedoch das vom
Erwerbsgeminderten vor dem Eintritt der Erwerbsminderung abstrakt
erzielbare Einkommen (also bei Vollzeitbeschäftigung) mit dem in der
Teilzeitbeschäftigung regelmäßig erzielbaren Einkommen. Das ist zwar
durchaus sinnvoll, ist aber contra legem und steht im klaren Widerspruch zur
Verweisungspraxis auf Vollzeitbeschäftigung. Dazu kommt, daß die so
verstandene Lohnhälfteregelung dann, wenn ein bisher nur auf Teilzeitbasis
beschäftigter Arbeitnehmers auf eine noch kürzere Teilzeit verwiesen wird, zu
Verweisungen führen kann, die kein existenzsicherndes Einkommen mehr
ermöglichen.

Zu beachten ist schließlich, daß ein Versicherter, der von dem ihm
zugestandenen Berufs- oder Tätigkeitsschutz keinen Gebrauch macht und nach
der Pensionszuerkennung in einem Beruf arbeitet, auf den er nicht verwiesen
werden konnte, durch die Kombination der Invaliditätspension und des

 

Erwerbseinkommens trotz der vorhandenen Ruhensbestimmungen      sein
G
esamteinkommen über das vor der Zuerkennung der Invaliditätspension
erzielte Ausmaß hinaus erhöhen kann.

Diese Umstände legen es dringend nahe, das derzeitige System des Berufs-
und Tätigkeitsschutzes in Verbindung mit der Lohnhälfteregelung neu zu
überdenken.

391 Gem § 254 Abs. 6 ff. ASVG wird in solchen Fällen eine “Teilpension" gewährt.

InvaIGesamigut.doc 16.01.01


103

Teil III: Empirische Befunde

13.    Kapitel:
Österreichische Erfahrungen

Die folgenden Ausführungen geben den Eindruck wieder, den der Gutachter
aus seiner eigenen Beschäftigung mit der Materie, aus vorbereitenden
Gesprächen mit Experten der Pensionsversicherungsträger und des
Arbeitsmarktservice und vor allem aus den auf der am 30. und 31. Oktober
2000 in Wien stattgefundenen “Fachtagung Invalidität" gehaltenen Referaten
und Diskussionsbeiträgen (Hinweise auf jene Personen, die bestimmte
Aspekte besonders betont haben, erfolgen in Klammer) gewonnen hat.

13.1 Statistische Daten

Aus dem von Stefanits/Obermayr (siehe Anlage 1) und Wörister (Anlage 2)
vorgelegten Datenmaterial ergibt - sich, daß -  die Zahl der
Invaliditätspensionen (Pensionen wegen geminderter Erwerbsfähigkeit und
Vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Erwerbsfähigkeit) von 1970 bis
1
999 von 287.730 auf 459.821 angestiegen ist, wodurch sich ihr Anteil am
Bestand aller Direktpensionen von 35% auf 39% erhöht hat. Bezogen nur auf
die Frühpensionen (Anfall vor Erreichung des Regelpensionsalters) betrug er
unter den Arbeitnehmern 59% (Männer 73%, Frauen 37%); bei den
männlichen Arbeitern sogar 81%. 1999 bezogen 287.706 Männer und 172.115
F
rauen eine Invaliditätspension. Dafür ist die starke Zunahme bei den
Männern verantwortlich. So standen sich 1999 bei den Neuzugängen 21.156
Männer und 8.157 Frauen gegenüber. Die starken Unterschiede zwischen den
Geschlechtern traten allerdings nur bei Arbeitnehmern auf. Bei den
Selbständigen verlief die Entwicklung eher geschlechtskonform, die
Zuwachsraten waren aber für beide Geschlechter höher als im Bereich des
ASVG.

invalGesamtgut.doc 16.01.01


104

Die Zahl der Neuzuerkennungen stieg von 1970 kontinuierlich an, um 1985
ihren bisherigen Höchststand mit 36.165 zu erreichen. Nach einem weiteren
Zwischenhoch in den Jahren 1995 und 1996 mit rund 34.000
Neuzuerkennungen fiel die Zahl in den beiden Folgejahren, um 1999 wieder
auf 29.313 anzusteigen. Ursache für diese Entwicklung waren neben
demographischen Veränderungen vor allem die Arbeitsmarktsituation und
veränderte Zugangsbedingungen. Die Unterschiede zwischen den
Geschlechtern vergrößerten sich zwischen 1970 und 1999 deutlich, die
Neuzuerkennungen verdoppelten sich bei den Männern, wogegen die
Zunahme bei den Frauen nur ein Drittel betrug. Geändert hat sich aber auch
die Zusammensetzung der neuzuerkannten Direktpensionen: Während der
Anteil der Invaliditätspensionen 1970 noch 29% betrug, stieg er bis 1985 auf

442% und sank dann allmählich bis auf 34,6% (Männer 48% und Frauen 29%)

 

im    Jahr    1999.    Die    Verteilung    ist    jedoch    bei    den    einzelnen

Versichertengruppen sehr unterschiedlich: Arbeiter 44%, Angestellte 22%,

gewerblich    Selbständige    28%   und    Bauern   49%.    Unmittelbar    vor

Pensionsantritt waren 1998 nur mehr 30% der Invaliditätspensionisten i.e.S.

und 50% der Bezieher von vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter

Erwerbsfähigkeit   erwerbstätig;   der   Rest   war   arbeitslos   oder   bezog

Krankengeld (Wörister).

Die Quote der Zuerkennung ist bei Invaliditätspensionen zurückgegangen.

Während 1993/94 noch rund 60% der Anträge positiv erledigt wurden, sank

der Anteil bis 1999 auf rund 50%. Bei den vorzeitigen Alterspensionen wegen

geminderter      Erwerbsfähigkeit      machten      sich      die      erleichterten

-Zugangsbedingungen in einer hohen Zuerkennungsquote (76%) deutlich

bemerkbar     (Quote     der     Invaliditätspension     i.e.S.     40%).      Die

Zuerkennungschancen  sind jedoch  auf die  Geschlechter unterschiedlich

verteilt (1999 Männer: 57%, Frauen 41%).

Die hauptsächlichen Krankheitsgruppen, die 1999 für die Zuerkennung von
Invaliditätspensionen verantwortlich waren, sind Erkrankungen des
Bewegungs- und Stützapparates mit 42% (Männer 44%, Frauen 34%),

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


105

psychiatrisch-neurologische Erkrankungen mit 20% (Männer 17%, Frauen
29%) Herz- und Kreislauferkrankungen nach
Wörister mit 13%, nach
Siefanits/Obermayr mit 7% sowie Karzinome mit 7%. Im Zeitverlauf nahmen
die Herz- und Kreislauferkrankungen stetig ab und die Erkrankungen des
Bewegungs- und Stützapparates, vor allem aber die psychiatrisch-
neurologischen Erkrankungen ständig zu. Einer der Gründe dafür ist die
Abnahme der körperlichen Belastungen im Arbeitsleben bei gleichzeitiger
Erhöhung des Leistungsdruckes
(Breunhölder). Unter den neurologischen
Krankheiten, die zur Gewährung von Invaliditätspensionen geführt haben,
waren 1999 bei den Arbeitnehmern bei weitem Schlaganfälle (692), gefolgt in
weitem Abstand von Multipler Sklerose (188) und Epilepsie (139) am
häufigsten vertreten, unter den psychiatrischen Erkrankungen vor allem
affektive Psychosen (Depressionen, bipolare Störungen - 756), Schizophrenie
(549), Alkoholismus (527), psychogene Störungen (357) und Kernneurosen
(274)
(Soukop).

Die  Verteilung  der  Invaliditätsursachen  ist jedoch bei verschiedenen

Versichertengruppen   sehr  unterschiedlich.   Deutlich   ist  der  Unterschied

zwischen Jung und Alt. Bei den unter 55-jährigen Neuzugängern dominieren

bereits die psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen mit 30% (Frauen
37%), während die Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates nur für
23% der Neuzugänge verantwortlich sind. Bei den 55-jährigen und Älteren
Versicherten ist es dagegen umgekehrt, die Werte betragen hier 9% bei den
psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen und 62% bei den Erkrankungen
des Bewegungs- und Stützapparates. Eine Sondergruppe stellen weibliche
Angestellte dar: es dominieren bei weitem psychiatrisch-neurologische
Erkrankungen (40%) vor Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates
(21%). Bei der Beurteilung dieser statistischen Daten ist aber zu beachten, daß

 

für die Zuerkennung einer Invaliditätspension letztlich immer eine
medizinische Gesamtbeurteilung erfolgen muß, während in die Statistik nur
das im Vordergrund stehende Leiden aufgenommen wird, das für sich allein
noch keineswegs zur Invalidität fuhren muß (Müller).

lnvalGesamlgut.doc 16.01.01


106

Die Bedeutung des Lebensalters bei der Zuerkennung von
Invaliditätspensionen zeigt sich besonders deutlich an den
Invalidisierungsquoten (Anteil der Neuzuerkennungen für Angehörige
bestimmter Jahrgänge im Verhältnis zur Bevölkerungszahl). Dabei ist
allerdings die besondere demographische Entwicklung in den 90-er Jahren zu
berücksichtigen: von 1992 bis 1995 ist etwa die Zahl der 55-Jährigen
Invaliditätspensionisten um 58% gestiegen
(Wörister). Die geringste
Häufigkeit an Invaliditätspensionen zeigt sich bei den 15 bis 44-Jährigen, sie
stieg dennoch von 1970 bis 1999 von 0,06% auf 0,12%, also auf das Doppelte;
1999 befanden sich unter 29.313 Neuzugängen 4.322 Personen dieser
Altersgruppe. Bei den 45 bis 49-Jährigen kam es zu einer Verdreifachung (von
0,26% auf 0,76%). Bei den 50 bis 54-Jährigen stieg die Quote von 1970 bis

 

1985 ebenfalls stark an (von 0,47% auf 1,54%), um dann kontinuierlich bis

1999 zu sinken (1,1%). Bei den 55 bis 56-Jährigen erhöhte sich die Quote

zunächst bis 1995 auf das Fünffache (von 0,9% auf 5%), um dann als Folge

xier Hinaufsetzung des Antrittsalters für die vorzeitige Alterspension wegen

geminderter Erwerbsfähigkeit von 55 auf 57 Jahre abzusacken und bis 1999

auf 1,2% zu sinken. Die höchste Quote findet sich bei den 57 und 58-Jährigen,

die sich seit 1970 vervierfacht hat und derzeit bei 4,1% liegt. Bei 59-Jährigen

beträgt sie 2,6% und bei 60-Jährigen 1%. Die Invalidisierungsquote ist in allen

Altersstufen (ausgenommen 55- bis 56-Jährige wegen Gesetzesänderungen)

für Männer höher als für Frauen.

Von den gesetzlichen Änderungen hat sich die Einführung des
Tätigkeitsschutzes ab 55 Jahren deutlich in der Zunahme der
I
nvalidisierungshäufigkeit bei den 55 bis 60 Jährigen ausgewirkt, zu
schlagartigen Veränderungen hat jedoch nur die Anhebung des Antrittsalters
für Männer von 55 auf 57 Jahren bei der vorzeitigen Alterspension wegen
geminderter Erwerbsfähigkeit geführt. Sonstige Gesetzesänderungen haben
zwar ebenfalls Spuren hinterlassen, wurden aber durch andere Faktoren (vor
allem Arbeitsmarkt) überlagert.

InvalGesamtgut.doc 16.01,01


107

Am 1.7.1999 erzielten 3.990 männliche und 1.168 weibliche Bezieher einer
Invaliditätspension noch ein Erwerbseinkommen, das sind 2,5 % aller
Invaliditätspensionisten.

13.2 Prävention, Rehabilitation

Aus medizinischer Sicht erscheinen Maßnahmen der Prävention und
Rehabilitation von Überragender Bedeutung. Sie sollten aber nicht nur auf die
Vermeidung von Invalidität ausgerichtet sein, immer dringlicher wird auch die
Vermeidung von Pflegebedürftigkeit (Klicpera). Gesundheitsschäden sind
keineswegs nur Folgen einer Teilnahme am Arbeitsleben, einen erheblichen
Anteil an ihrer Entstehung besitzen auch die private Lebensführung
(Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel, Freizeitverhalten, Pfusch,
Schwierigkeiten in der Familie) und die Veranlagung (siehe Ergebnisse aus
d
er Zwillingsforschung - Kotz). Bei den so häufigen
W
irbelsäulenerkrankungen kommt etwa ein Fakultätsgutachten der Wiener
Universitätsklinik für Orthopädie399 zu dem Ergebnis,  daß dafür kaum
arbeitsbedingte Belastungen, vielmehr eine Reihe von in der Bevölkerung
weitverbreiteter Risikofaktoren in ihrem Zusammenwirken “mit ausgeprägter
psychischer Triggerung" in Betracht kommen. Für seinen Gesundheitszustand
ist der Mensch daher zu einem erheblichen Teil selbst verantwortlich.

Die Chancen der Prävention sind im allgemeinen (ausgenommen bei einigen
psychiatrischen Erkrankungen) groß, werden aber viel zu wenig genützt
(Huber, Kunze). Prävention muß, zumindest soweit es den Bewegungsapparat
a
ngeht, schon in der Kindheit beginnen, ihre Fortsetzung ist aber auch im
Alltag notwendig (Kristen). Manche Schäden treten auf, weil die Menschen
einen Beruf ergreifen, für den ihnen die erforderliche körperliche oder
psychische Eignung fehlt. Im Arbeitsleben sollten Arbeitsmediziner stärker in
die Prävention eingebaut werden und Kontakt mit den behandelnden Ärzten
aufrechterhalten. Beispielgebend sind Unternehmen, in denen während der

399 Fakultätsgutachten zur Frage berufsbedingter Wirbelsäuleschaden vom Dezember 1999,
erstellt von Nicolakis und Matzner.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


108

 

Arbeitszeit unter Leitung von Physiotherapeuten körperliches Training
durchgeführt wird (Hampel, Huber). Die Bundeswirtschaftskammer arbeitet
derzeit an einem Projekt zum Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung
(Gleitsmann). Bemühungen der SVA der gewerblich Selbständigen, bei der
Betriebseröffnung beigezogen zu werden, um Anregungen für eine
ergonomische Ausgestaltung geben zu können, wurden von den Betroffenen
nicht angenommen (Urbanek).

Rehabilitation sollte dazu fuhren, daß der Versicherte wieder in den Alltag

und in die Arbeit eingegliedert werden kann (Kristen). Invalidität sollte nicht

belohnt" werden, man müßte vielmehr Anreize dafür schaffen, nicht krank zu

sein und im Beruf zu verbleiben (Kotz). Selbst im Bereich der Psychiatrie und

Neurologie    ist    Rehabilitation    bei    motorischen    Behinderungen,    bei

Schizophrenie      sowie      bei      Alkohol-      und      Drogenerkrankungen

erfolgversprechend; kein Erfolg sei jedoch zu erwarten, wenn eine Pension

eine   Verbesserung   der   sozialen   Sicherheit   bedeutet   oder   “Teil   des

bewußtseinsnahen oder -ferneren Krankheitsgewinnes" ist (Soukop).

 

Es wäre aber erforderlich, die Ziele der Rehabilitation klarer zu definieren und
ihre Durchführung jeweils einem Kostenträger zuzuweisen, der auch vom
Erfolg der Maßnahmen profitieren müßte (Kristen). Ergonomische
Arbeitsgestaltung bringt zwar bessere Arbeitsbedingungen, kann aber
Arbeitstraining nicht ersetzen, weil nur ein entsprechendes Training die
körperlichen Voraussetzungen schaffen kann. Werden nicht beide Punkte

beachtet, sind in Einzelfällen Überlastungen möglich (Kristen, Kotz).

 

Dem   1996   vom   Gesetzgeber   verbindlich   vorgeschriebenen   Grundsatz

“Rehabilitation vor Pension" liegt das vorrangige Ziel zugrunde, Behinderte

mit Restarbeitsfähigkeit wieder in das Arbeitsleben einzugliedern. Tatsächlich

wird dieses Ziel aber nicht erreicht. Nur in einer verschwindend geringen

Anzahl von Fällen wurde nach erfolgter Antragstellung auf Gewährung einer

Invaliditätspension ein Rehabilitationsverfahren eingeleitet (z.B. in der PV der

Angestellten    1999    in    179    Fällen    gegenüber    3.496    Fällen    ohne

Rehabilitationsversuch; im Bereich des GSVG wurden ab dem 2. Halbjahr

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


109

1996 nur 25 Rehabilitationsverfahren eingeleitet), eine tatsächliche
Wiedereingliederung ist nur in wenigen Fällen (im GSVG in 5 Fällen)
gelungen. Die Gründe dieses Scheiterns liegen offenkundig darin, daß
Rehabilitationsmaßnahmen zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherte einen

 

Pensionsantrag stellt, zu spät kommen. Zu diesem Zeitpunkt sind die
Gesundheitsprobleme zumeist bereits chronisch geworden und daher nur mehr
schwer behebbar. Die berufliche Rehabilitation scheitert wiederum daran, daß

 

sich Personen, die sich bereits auf eine Pension eingestellt haben, in der Regel
nicht mehr dazu zu motivieren sind, aktiv an Rehabilitationsmaßnahmen
mitzuwirken, was aber die Grundvoraussetzung für deren Erfolg darstellt.
Schließlich spielt auch noch die Lage am Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Es
macht wenig Sinn Arbeitnehmer umzuschulen, wenn deren Chancen auch bei
erfolgreicher Umschulung verschwindend gering sind, in absehbarer Zeit
einen Arbeitsplatz im neuen Beruf zu finden. Aus diesem Grunde wird bei

über 50-jährigen im Regelfall keine Rehabilitation ins Auge gefaßt (Seidl).

 

Rehabilitationsmaßnahmen müßten so rasch wie möglich eingeleitet werden,

 

also bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Versicherte zwar noch in der Lage
i
st, seinem Beruf nachzugehen, zu dem sich aber bereits gesundheitliche
Probleme abzeichnen, die zu einer dauernden Minderung der Arbeitsfähigkeit
fuhren können. Dafür fehlen derzeit aber die erforderlichen Voraussetzungen.
Völlig verunglückt ist die gesetzgeberische Entscheidung, daß die Träger der
Pensionsversicherung Maßnahmen der Rehabilitation erst dann ergreifen
dürfen, wenn der Eintritt von Invalidität “wahrscheinlich" ist oder in
absehbarer Zeit" droht. Das Verhängnisvolle ist die Verknüpfung mit dem
Invaliditätsbegriff, da Invalidität erst dann in Frage kommt, wenn es für den
Betreffenden keinen Verweisungsberuf gibt. Die Konsequenz dieser
Verknüpfung besteht darin, daß Rehabilitation durch die Pensionsversicherung
nicht gewährt werden darf, wenn zwar bereits erkennbar ist, daß der

 

Versicherte ohne Rehabilitationsmaßnahmen seinen bisherigen Beruf wird
aufgeben oder auf einen artfremden Beruf überwechseln müssen, der
betreffende Versicherte aber auf Tätigkeiten verweisbar wäre, die er auch nach

InvaGesamtgut.doc 16.01.01


110

Eintritt der erwarteten Verschlechterungen seines Gesundheitzustandes noch
ausüben könnte. Der Hintergrund dieser Regelung ist offenbar der Gedanke,
daß Rehabilitation nur dann geleistet werden soll, wenn der
Pensionsversicherungsträger sich dadurch die Zahlung einer Invaliditäts-
pension ersparen oder zumindest den Anfall einer solchen Pension hinaus-
schieben kann. Die Leidtragenden sind vor allem nichtqualifizierte Arbeiter
und Selbständige (1999 konnten im Bereich des GSVG nur 31 Anträge positiv

erledigt werden), denen auch dann, wenn sie entsprechende Maßnahmen selbst

beantragen, keine Rehabilitation gewährt werden darf, weil sie auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden können. Im Ergebnis scheiden
daher für diese Personengruppen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation
überhaupt aus, da sie auf jede ungelernte Tätigkeit verwiesen werden können;

medizinische Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nur ergriffen werden, wenn

ansonsten vollständige Arbeitsunfähigkeit droht.

Aber auch die sonstigen Rahmenbedingungen sind unzureichend. Die 1996
eingeführten Bestimmungen des § 307c ASVG, denen zufolge die
Pensionsversicherungsträger auf der Basis von Richtlinien des

 Hauptverbandes     die     Rehabilitationsmaßnahmen    zum    Zwecke     der

 

Früherfassung mit den  anderen in Frage kommenden Versicherungsträgern,

Dienststellen und Einrichtungen (insbesondere mit dem Arbeitsmarktservice)
zu koordinieren und aufeinander abzustimmen haben, haben sich bisher nicht
als ausreichend erwiesen. Nur in jenen Versicherungsträgern, in denen sowohl
die Krankenversicherung als auch die Pensionsversicherung unter einem Dach
geführt werden, dürfte die Früherfassung besser funktionieren. Wo

 

Krankenversicherung und Pensionsversicherung organisatorisch getrennt sind,
werden die Pensionsversicherungsträger offenbar erst viel zu spät mit
gesundheitlichen Problemen ihrer Versicherten konfrontiert. Zudem greifen
a
uch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht, solange Arbeitnehmer
trotz ihrer gesundheitlichen Beschwerden im Arbeitsprozeß verbleiben, da sie
auf Arbeitslose zugeschnitten sind.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


111

Das Arbeitsmarktservice kann zwar ein umfangreiches Bündel von
Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation anbieten (Berufsorientierung,
berufliche Weiterbildung, Bewerbungs-Coaching, Eingliederungsbeihilfen,
Arbeitsassistenz), ist aber dadurch eingeschränkt, daß Rehabilitation nur zu
den freiwilligen Leistungen zählt und daher nur im Rahmen der nach
Durchführung der gesesetzlichen Pflichtaufgaben verbleibenden Mittel
durchgeführt werden kann
(Buchinger).

 

In der Steiermark erzielte man beachtliche Erfolge mit einem vom
Bundessozialamt entwickelten Modell der Krisenintervention. Wenn sich
jemand an das Bundessozialamt wendet, weil er in seinem Beruf mit seinen
gesundheitlichen Problemen nicht fertig wird, werden Gespräche mit dem
Arbeitgeber, dem Betriebsrat und dem Betriebsarzt geführt, wie man helfen
könnte. Oft stellt sich heraus, daß noch unausgeschöpfte medizinische
Möglichkeiten bestehen. Mitunter lassen sich durch Änderungen der
Arbeitsorganisation Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb finden.
Erforderlichenfalls werden Lohnkostenzuschüsse an den Arbeitgeber gewährt.
Wenn die betriebliche Weiterarbeit nicht möglich ist, wird versucht  allenfalls
ach erforderlicher Umschulung - alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu
finden. Ein Problem stellt allerdings die Vielzahl der Rehabilitationsträger dar,

 

die koordiniert werden müssen, wobei es häufig strittig ist, wer die Kosten zu
tragen hat (Hampel, Steiner).

13.3 Medizinische Beurteilung

Einigkeit unter den Medizinern besteht darin, daß es schwierig ist, einen
objektiven Befund über die bestehende Restarbeitsfähigkeit und die Gründe
der Erwerbsminderung abzugeben. Dafür sind verschiedene Umstände
maßgeblich. Offensichtlich verändert sich auch unter den begutachtenden
Medizinern das Image von Gesundheitsstörungen, es scheint eine Art
Wanderungsbewegung" von Herz-Kreislauferkrankungen weg und bin zu
Erkrankungen des Bewegungsapparates und nunmehr zu psychiatrisch-
neurologischen Erkrankungen zu geben
(Kunze). Das läßt sich auch bei

InvalGesamtgut.doc 16. 01. 01


112

Gericht feststellen, weil die Kläger in den meisten Fällen vorbringen, sie
hätten neben ihren organischen auch noch psychische Probleme
(Winkler). Zu
wenig beachtet werde, daß sich je nach ausgeübtem Beruf der gleiche
Gesundheitsschaden unterschiedlich auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt
Kristen). Ob noch Arbeitsfähigkeit besteht, hängt zu einem nicht
unerheblichen Teil von den subjektiven Einstellungen der Betroffen ab. Durch
Röntgenuntersuchungen lassen sich beispielsweise fast bei jedem Menschen
Veränderungen an der Wirbelsäule feststellen, doch ergibt sich daraus noch
nicht, daß tatsächlich Rückenschmerzen auftreten, die eine Arbeit unmöglich
machen
(Kristen). Die Beurteilung kann daher immer nur individuell erfolgen.
Versuche in der seinerzeitigen DDR, objektive Kataloge zur Bewertung von

Wirbelsäuleerkrankungen aufzustellen, hätten sich nicht bewährt (Kristen,

 

Kotz). Andererseits müsse man Patienten mit echten Krankheiten schützen
Kotz).

Kritisiert wurde, daß viele in der Begutachtung tätige Ärzte auf diesem Gebiet
Autodidakten ohne die dafür erforderliche Ausbildung sind, obwohl sich die
Versicherungsträger sehr um eine Schulung bemühen (Seyfried). Das
Sicherheitsstreben unter den Ärzten (Angst vor Fehlbefunden und Haftungen)

 

und sozialer Druck seitens der Patienten führe zur Vornahme zusätzlicher,
nicht erforderlicher Untersuchungen, um vielleicht doch noch etwas zu
entdecken
(Huber). In die gleiche Richtung zielt die Beobachtung, daß
Gutachter häufig Zusatzbefunde überbewerten oder überspitzte
Kalkülseinschränkungen erstellen
(Soukop). Eine Quelle für psychiatrisch-
neurologische Fehlbegutachtungen liege darin, daß nur Einmalbefunde
erhoben werden, bei der gute Simulationen nur schwer zu erkennen sind, eine
längere Begutachtungsphase wäre daher erstrebenswert (Breunhölder).
Schließlich müsse beachtet werden, daß nicht alle festgestellten psychischen
Störungen bereits einen Krankheitswert aufweisen (Soukop, Resinger-Kepl).

Unbefriedigend sei die von den Gerichten vorgenommene Schematisierung:
So ergebe sich beispielsweise aus dem Umstand, daß jemand nur bestimmte
Lasten tragen oder nur “mittelschwere" Arbeiten leisten könne, noch keine

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


113

überzeugende Schlußfolgerung auf seine Arbeitsfähigkeit. Es komme vielmehr
ganz darauf an, welche Tätigkeiten die betreffende Person bisher ausgeübt hat,
welche Hilfsmittel bei der Arbeit zur Verfugung stehen udgl. Der gleiche
Gesundheitsschaden besitze eine völlig andere Bedeutung, ob er etwa bei
einem Maurer oder einem Generaldirektor auftrete
(Krisien). Es gebe keinen
generellen Maßstab dafür, bei welchem Befund jemand wirklich in Pension
gehen sollte; eine vernünftige Beurteilung sei nur individuell möglich (Huber).
Aus der Sicht der medizinischen Gutachter wird die gegenwärtige
Rechtspraxis kritisiert, die Minderung der Erwersbsfähigkeit ohne
Berücksichtigung der wegen der Gesundheitsbeeinträchtigung zu erwartenden
Einkommensausfälle feststellen zu wollen (Seyfried, Huber). Bei
psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen sollten Invaliditätspensionen nur
bei erheblichen Einschränkungen auch im privaten Bereich, erfolglosen
Rehabilitationsmaßnahmen und mangelnder Einordenbarkeit infolge der

Erkrankung unter Berücksichtigung der sozialen Situation zuerkannt werden

 

(Soukop).

13.4 Gründe     für     die     hohe     Nachfrage     nach

Invaliditätspensionen

Der Gesundheitszustand war noch nie so gut wie derzeit (Kunze; Klicpera).
Die starke Zunahme von Invaliditätspensionen wegen psychiatrisch-
neurologischer Erkrankungen ist weniger auf eine tatsächliche Zunahme
solcher Erkrankungen, sondern eher auf die Verbesserung der diagnostischen
Werkzeuge und darauf zurückzufuhren, daß früher mehr Wert auf körperliche
s auf psychische Befunde gelegt wurde (Soukop).

Die eigentliche Ursache für die Stellung eines Antrages auf
Invaliditätspension seien häufig weniger gesundheitliche Probleme, als
Vielmehr die Arbeitsmarktsituation. Ohne die Furcht vor dem Verlust des
Arbeitsplatzes wären viele Anträge nicht gestellt worden (Party).

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


114

13.5 Organisationsfragen

Die Organisation der Bekämpfung des sozialen Risikos der Invalidität ist zu
kompliziert. Präventive Aufgaben des Gesundheitsschutzes wurden der
Krankenversicherung übertragen und durch Maßnahmen des
Arbeitnehmerschutzes (arbeitsmedizinische Betreuung) ergänzt; zusätzlich hat
sich die Unfallversicherung um Unfallverhütung zu bemühen. Die
erforderliche Krankenbehandlung und Anstaltspflege stellt grundsätzlich die
Krankenversicherung zur Verfügung, bei Opfern von Arbeitsunfällen und
Berufskrankheiten kann die Unfallversicherung jedoch die Leistungen an sich
ziehen. Medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation ist Aufgabe der
Pensionsversicherung bzw. für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der
Unfallversicherung. Rehabilitation betreiben darüber hinaus aber auch noch
das Arbeitsmarktservice, die Bundessozialämter, die Bundesländer und die
Sozialhilfeämter. Die Gewährung von Einkommensersatzleistungen an
Sozialversicherte obliegt kurzfristig der Krankenversicherung, langfristig der
Pensionsversicherung und der Unfallversicherung.

Die Entscheidungen des Gesetzgebers, die durch eine Gesundheitsschädigung
eingetretene Gesamtsituation des Betroffenen verschiedenen Institutionen zur
Betreuung zuzuweisen, hat zu zahlreichen Mehrfachzuständigkeiten bei der
Gewährung sowohl von Sach- wie auch von Geldleistungen geführt. Auf der
Fachtagung Invalidität wurde daher verschiedentlich betont, daß zahlreiche
Koordinationsschwierigkeiten auftreten und ökonomische Anreize bestehen,
verwaltungsmäßige und finanzielle Belastungen auf andere Träger

abzuschieben. In der Unfall- und Pensionsversicherung besteht nicht nur kein
ökonomischer Anreiz dazu, Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen, wenn
dadurch nicht die Chance besteht, den Anfall von Renten und Pensionen zu

vermeiden oder zumindest hinauszuschieben; der Pensionsversicherung ist
ihre Durchführung, wie gezeigt, bei Fehlen dieser Chance sogar untersagt. Für
das Arbeitsmarktservice geht der ökonomische Anreiz in zwei Richtungen:
entweder Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß oder Abschiebung an die
Pensionsversicherung. Für die Krankenversicherung besteht ein starker

lnvalGesmtgut.doc 16.01.01


115

ökonomische Anreiz, durch ein möglichst weites Verständnis des Begriffs der
medizinischen Rehabilitation bestimmte Aufgaben der Unfallversicherung
oder Pensionsversicherung zuzuschieben.

Dazu tritt, daß die Abstimmung zwischen Pensionsversicherung und
Arbeitsmarktservice nicht wirklich gelungen ist. Es kommt vor, daß Personen
n
ach den jeweils angewendeten Feststellungsmethoden von der
Pensionsversicherung für arbeitsfähig und vom Arbeitsmarktservice für
arbeitsunfähig befunden werden und daher aus beiden Bereichen keine
Leistung erhalten
(Buchinger).

Es wurde  daher angeregt,  begrifflich einerseits die Invalidität von  der

Krankheit   und   andererseits   die   medizinische   Rehabilitation   von   der

Krankenbehandlung klar abzugrenzen (Kristen) und eine Vereinheitlichung

bei der Gewährung von Rehabilitation herbeizuführen (Buchinger). Darüber

hinaus     könnte     erwogen     werden,     auch     die     Gewährung     von

Einkommensersatzleistungen wegen gesundheitsbedingter Minderungen der

Arbeitsfähigkeit zusammenzuführen. Anzustreben wäre, daß jener Stelle, die

die Kosten der Maßnahmen trägt, auch deren Erfolge zugute kommen. Für den

Versicherten käme der Vorteil hinzu, es nur mit einer einzigen Stelle zu tun zu

haben.

13.6 Die Stellung erwerbsgeminderter Personen am
Arbeitsmarkt - Arbeitslosenversicherung

Noch stärker als die Erwerbsminderung wirkt sich auf dem Arbeitsmarkt das
Alter aus. Daher befinden sich ältere erwerbsgeminderte Personen in einer
besonders prekären Situation. Angeregt wurde ein Überdenken des
bestehenden Kündigungschutzes für Behinderte, der zwar die in
Beschäftigung stehenden Behinderten schützt, sich aber für arbeitssuchende
Behinderte als großes Einstellungshindernis erweist. Viele Arbeitgeber zahlen
lieber die Ausgleichstaxe, als einen Behinderten einzustellen, da sie
befürchten, diesen nicht mehr los zu werden, wenn er den Erwartungen des
Unternehmens nicht entspricht. Eine Lösung könnte darin bestehen, die

lnvalGesamtgut.doc 16.01.0]


116

Ausgleichstaxe erheblich zu erhöhen und dafür auch für Behinderte den
allgemeinen Kündigungsschutz vorzusehen
(Tomandl). Im Vordergrund sollte
jedenfalls das Bemühen stehen, die Arbeitgeber dazu zu motivieren,
Behinderte tatsächlich zu beschäftigen (Gleitsmann).

Die Situation am Arbeitsmarkt ist für verschiedene Gruppen von Behinderten
sehr unterschiedlich.

Behinderte Personen, Bestand an Arbeitslosen und Abgang:
Jänner-September 2000

Quelle: Buckinger

Die Statistik zeigt, daß bei jüngeren erwerbsgeminderten Arbeitnehmern der

Abgang   aus   der   Arbeitslosigkeit   bereits   starker   als   der   Bestand   an

Arbeitslosen ist; im Haupterwerbsalter ist das Verhältnis ausgeglichen und nur

. bei den 50-jährigen und älteren behinderten Arbeitslosen beträgt der Abgang

nur ungefähr ein Drittel des Bestandes. Dafür ist vor allem der Umstand

verantwortlich, daß bei ihnen die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit

mit  über  2  Jahren  wesentlich  länger  ist  als  beim  Durchschnitt  aller

Arbeitslosen (4 Monate).

Zumindest  bei älteren Arbeitnehmern erweist sich daher die in der
Pensionsversicherung vertretene Annahme als lebensfremde Fiktion, ein

-Versicherter      mit      geminderter      Arbeitsfähigkeit      habe      gleiche

Arbeitsplatzchancen wie ein gesunder Versicherter. In diesem Zusammenhang
stellt sich auch das Zusammenspiel mit dem Arbeitsrecht als problematisch
dar. Die kollektivvertraglichen Mindestlöhne gelten grundsätzlich für alle
Arbeitnehmer, die bei einem Arbeitgeber Beschäftigung gefunden haben,

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


117

gleichgültig wie leistungsfähig sie sind400. Den Arbeitgebern entstehen daher
zumindest in Branchen, in denen die Kollektivvertragslöhne nur gering oder
gar nicht überzahlt werden, durch die Einstellung von minderleistungsfähigen
Arbeitnehmern erhöhte Kosten, da sie die Minderung der Arbeitsfähigkeit
nicht durch entsprechend niedrigere Löhne ausgleichen können. Handelt es
sich noch dazu um einen begünstigten Behinderten im Sinne des BEinstG,
dann darf das gebührende Entgelt aus dem Grunde der Behinderung auch dann
nicht gemindert werden, wenn kein Kollektivvertrag anwendbar ist; zudem
treffen den Arbeitgeber eines solchen Behinderten auch noch spezielle
Förderungspflichten (§ 6). In ihrer Arbeitsfähigkeit geminderte Versicherte
haben es daher im Regelfall erheblich schwerer als Gesunde, einen
Arbeitsplatz zu finden. Bei hoher Arbeitslosigkeit in bestimmten Branchen

wird die Arbeitsplatzsuche sogar aussichtslos sein. Damit droht

Langzeitarbeitslosigkeit.

Die Zukunftsaussichten sind allerdings günstig. Die Arbeitslosigkeit geht
ständig zurück in Teilen Westösterreichs-besteht bereits Vollbeschäftigung
und überall werden Arbeitskräften mit bestimmten Qualifikationen gesucht
(
Buchinger). Dieser Trend wird sich aufgrund der demographischen
Entwicklungen fortsetzen, ab dem Jahr 2005 ist in ganz Österreich mit einem
Arbeitskräftemangel zu rechnen und bis zum Jahr 2010 werden ungefähr
300.000 Personen im Erwerbsalter weniger vorhanden sein (alles Buchinger).
Dadurch werden auch die Chancen älterer behinderter Personen steigen, im
Arbeitsprozeß zu verbleiben.

Die       Aufgabenteilung       zwischen       Pensionsversicherung       und

Arbeitslosenversicherung   ist   für   das   geltende   Recht   von   zentraler

 

Bedeutung: Wer invalid ist, gilt nicht als arbeitslos und fällt daher auch aus
dem Betreuungsbereich des Arbeitsmarktservice heraus. Die Abgrenzung ist
jedoch unbefriedigend. Abgesehen von der bereits dargestellten

400 Kollektivverträge, die für Behinderte niedrigere Entgelte vorsehen, kommen nur sehr
selten vor.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


118

unterschiedlichen Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ist auch der Berufsschutz
in beiden Bereichen unterschiedlich ausgestaltet. In der
Arbeitslosenversicherung kann der Arbeitnehmer im Hinblick auf das
Arbeitslosengeld auf alle Tätigkeiten verwiesen werden, die eine Verwendung
in seinem Beruf nicht wesentlich erschweren. Das können durchaus
Tätigkeiten sein, die außerhalb des von der Pensionsversicherung
qualifizierten Arbeitern und Angestellten gewährten Berufsschutzes liegen.
Bei der Gewährung von Notstandshilfe fällt auch diese Beschränkung der
Verweisbarkeit weg. Übt der Arbeitnehmer daher Tätigkeiten aus, die ihm von
der Arbeitslosenversicherung zugemutet werden, besteht die Gefahr, daß er
den Berufsschutz in der Pensionsversicherung verliert. Das ist neben der • im
Vergleich zum Arbeitslosengeld - höheren Ersatzrate der Invaliditätspension

 

ein wesentlicher Grund, warum Arbeitslose in erster Linie versuchen, zu einer
Invaliditätspension zu gelangen (Buchinger). Wenn sie einen Antrag auf

 

Invaliditätspension stellen, wird ihnen von der Arbeitslosenversicherung ein
Pensionsvorschuß gewährt und ihre Vermittlung eingestellt. Der Erfolg ist
aber gering, da im Durchschnitt 70% dieser Pensionsanträge abgelehnt werden
g
egenüber einer durchschnittlichen allgemeinen Ablehnungsrate von etwa
50% - Stefanits/Obermayr). Zudem verstreicht wegen der Einstellung der
Vermittlung wertvolle Zeit zur Arbeitssuche, die sich dann im Fall des
Ablehnens des Pensionsantrages noch schwerer gestaltet. Denn je länger eine
Person arbeitslos ist, desto schwerer ist sie vermittelbar. Die Begutachtung des
AMS und der Pensionsversicherungsanstalten sollten daher aufeinander
abgestimmt werden, um nicht Personen von der Vermittlung auszunehmen,
die dann nach Ansicht der Pensionsversicherungsanstalt gar nicht invalid sind.

13.7 Berufsschutz

Der Berufsschutz bewirkt, daß Tätigkeiten außerhalb des jeweiligen
Verweisungsfeldes nicht ausgeübt werden müssen, auch wenn sie ohne
weiteres ausgeübt werden könnten und der Lebensunterhalt leicht aus

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


119

ihnen bestritten werden könnte. Er beruht auf Überlegungen der
Statussicherung.

Der Berufsschutz wird kontrovers gesehen. Während auf der einen Seite
betont wird, er habe sich seit vielen Jahrzehnten bewährt (Seidl), stehen ihm
viele skeptisch gegenüber. Der Berufsschutz hat zur Folge, daß der gleiche
G
esundheitszustand bei einem Versicherten als Invalidität anerkannt
wird, bei einem anderen jedoch nicht. Denn jene Versicherten, die
Berufsschutz genießen, können auf Dauer Pensionen wegen geminderter
Arbeitsfähigkeit beziehen, auch wenn sie ohne weiteres arbeiten könnten
oder parallel zum Pensionsbezug Erwerbseinkommen erzielen, während
die übrigen Versicherten keine Pension erhalten und überdies auf dem

Arbeitsmarkt  wegen  ihrer  Beeinträchtigung  nur  verminderte  reale

 

Chance haben. Das ist den davon betroffenen Versicherten (vor allem

ungelernten Arbeitern) schwer zu vermitteln. Zudem wird immer wieder
darauf hingewiesen, daß die Berufsbilder einem raschen Wandel unterworfen
sind, weshalb von jedem Erwerbstätigen ständige Anpassungen an geänderte
B
erufsanforderungen abverlangt werden. Für den Berufsschutz bei den
Angestellten läßt sich immerhin anführen, daß die typische

 

Angestelltenkarriere von beruflichem Aufstieg gekennzeichnet ist, wobei der
Angestellte hintereinander verschiedene “Berufe" ausübt, die eine gewisse
Gemeinsamkeit aufweisen. Ohne Berufsschutz käme es zu einem Abstieg in
der Karriereleiter.

Ganz anders ist die Situation bei den Arbeitern, von denen allerdings nur eine
Minderheit Berufsschutz genießt. Bei den Arbeitern besteht die Berufskarriere
wegen der wesentlich isolierteren Stellung der einzelnen Berufe eher in einer
Spezialisierung der Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb des Berufes. Zu
einem beruflichen "Aufstieg" kommt es nur dann, wenn der Arbeiter in den
Angestelltenstand überwechselt und damit aus seinem System ausscheidet
(Bergauer). Je isolierter der einzelne Arbeiterberuf ist, desto weniger
Verweisungsmöglichkeiten bestehen daher in einem Berufsschutzsystem und

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


120

desto eher kann der Arbeiter eine Invaliditätspension erhalten. Arbeiter mit
entsprechender Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten sind universell und
flexibel einsetzbar und besitzen daher einen hohen Wert am Arbeitsmarkt,
während nichtqualifizierte Arbeiter im besten Fall schnell unterweisbar für
einfache Tätigkeiten sind und daher am Arbeitsmarkt nur gering bewertet
werden. Diese Unterschiede können aber die Unterschiedlichkeit der
Verweisung für qualifizierte und nichtqualifizierte Arbeiter nicht rechtfertigen

 

(Bergauer).

Seit der Einführung des Grundsatzes “Rehabilitation vor Pension" ist der
Berufsschutz für jüngere Versicherte weitgehend beseitigt, da diese sich auch
auf andere Berufe umschulen lassen müssen; bei älteren Versicherten scheidet
aus den erwähnten Gründen eine Rehabilitation im Regelfall aus
(Bergauer).

Als unbefriedigend wird der für den Berufsschutz bei qualifizierten Arbeitern

 

vorgesehene Beobachtungszeitraum von 180 Kalendermonaten empfunden,
innerhalb dessen ein qualifizierter Beruf in der überwiegenden Zahl der
Beitragsmonate ausgeübt worden sein mußte. Wenn ein solcher Arbeiter
zuletzt viele Jahre arbeitslos war, wird für den Berufsschutz auf
Berufsanforderungen zurückgegriffen, die zwischenzeitig längst überholt sein
können. Es erschiene daher sinnvoller, den Beobachtungszeitraum zu
verkürzen bzw. Versicherungslücken in unterschiedlicher Weise zu
berücksichtigen. Demgegenüber wird wiederum die kurze Wartezeit von 60
Monaten zur Erwerbung eines Berufsschutzes als zu gering angesehen
(Bergauer).

 

Zu Ungleichbehandlungen und völlig unterschiedlichen Ergebnissen führt eine
bestehende Resterwerbsfähigkeit auch bei den gewerblich Selbständigen. So
ist schwer einzusehen, warum ein fachlich qualifizierter Unternehmer unter SO
Jahren keinerlei Berufsschutz genießt, wohl aber ein bei ihm beschäftigter
Facharbeiter mit gleichartigen Qualifikationen. Ab Vollendung des 50.
Lebensjahres besteht zwar Berufsschutz, doch wird dieser einerseits
Kleinbetrieben nicht zugestanden und verdichtet sich andererseits in
Branchen, die wenige Varianten ihrer Ausübung zulassen (z.B. Fleischer,

lnvalGcsamtgut.doc 16.01.01


121

Schmied), de facto zum Tätigkeitsschutz. Weitere Kritikpunkte betreffen die
oben bei der Judikaruranalyse herausgearbeitete “Generalverweisung" im
Bereiche des Handels, die den Berufsschutz für Handelstreibende weitgehend
beseitigt hat und die als Folge der abstrakten Betrachtungsweise der Gerichte
auftretende Nichtbeachtung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der nötigen
Investitionen zur Neugründung eines Betriebes im Verweisungsfeld. Im Falle

*

einer Beibehaltung des Berufsschutzes sollte sich dieser nicht nur an der
Erwerbstätigkeit der letzten Zeit (Praxis: mindestens 5 Jahre bzw. 3 Jahre,
wenn der Betrieb lebensfähig ist), sondern an jener aus den letzten 10 Jahren
orientieren (alles Urbanek). Bei den Bauern stellt sich das zusätzliche
Problem, daß hier kein Berufsschutz ab Vollendung des 50. Lebensjahres
besteht, weshalb eine Generalverweisung bis zur Vollendung des 57.
Lebensjahres möglich ist
(Jilke, Noszek).

Generell hat es den Anschein, daß die abstrakte Vornahme der Verweisung

zwar die aktenmäßige Erledigung vereinfacht, menschlichen Bedürfnissen

aber nicht ausreichend Rechnung trägt (Mazal).

 

13.8 Teilpensionen

Eine   Teilarbeitsfähigkeit  könnte   aus   medizinischer   Sicht   durchaus   in

 

 

Prozenten oder in noch möglichen Arbeitsstunden festgestellt werden; es

bedürfe aber einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Patienten,

Berufskundlern, Psychologen und Familienangehörigen (Huber, Soukop). Für

die Gewährung von Teilpensionen spricht, daß etwa Büroarbeit sehr gut in

Teilzeit erbracht werden kann und auch wertvoll für den Betrieb ist (Kotz).

Wichtig wären Teilpensionen vor allem bei psychiatrisch-neurologischen

Erkrankungen, da diese nicht per se zur Invalidität fuhren (Soukop). Ganz im

Gegenteil, die Angst vor organischen Störungen und den dadurch drohenden

 

Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten kann zu Depressionen führen, was
durch die Gewährung einer Teilpension verhindert werden könnte (Resinger-
Kepl). Nach der derzeitigen Judikatur besteht bei Mischberufen kaum eine
Verweisungsmöglichkeit; in einem Teilpensionssystem wäre diese Frage
jedoch lösbar (Schaden).

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


122

Teilpensionen erscheinen auch für Selbständige sinnvoll, wenn auf ihre
Sonderlage Rücksicht genommen wird: Sie müßten sich ausschließlich an den
vorhandenen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit orientieren. Zudem
bedürfte es einer wirksamen Koppelung mit Instrumentarien der
Arbeitsmarktverwaltung, wenn der Betrieb aufgegeben werden muß. Dagegen
wäre ein Anknüpfen an die Einschränkung der selbständigen Erwerbstätigkeit

unzweckmäßig, da sich dann sehr rasch die Kunden verlaufen und zudem
u
nlösbare Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung auftreten würden
(Urbanek).

Gegen die Teilpension spreche die Anlage des derzeitigen Rechts der
Invaliditätspensionen, die im Zusammenhang mit dem Berufsschutz auf eine
Statussicherung abziele und die soziale Schichtung abbilde; lediglich für

Hilfsarbeiter böte sie neue Chancen. Jedenfalls bedürfe es einer genauen

Klärung der Bezugspunkte und der Verschränkung mit dem Arbeitsmarkt.
Überdies müsse auf die geringere Erwerbsfähigkeit älterer Menschen Bedacht
genommen werden (Ivansits).

Eine mögliche Variante einer Teilpension könnte darin bestehen, Personen,
die über eine ausreichende Restarbeitsfähigkeit verfugen, denen aber auf
Grund des Berufsschutzes bereits eine Invaliditätspension gebührt, nur eine
anteilige Pension zu gewähren, da sich die Frage stellt, ob es gerecht ist, ihnen
eine gleich hohe Pension wie völlig Arbeitsunfähigen zu gewähren (Seidl,
Gleitsmanri).

Jedenfalls müßten die Kostenfolgen einer Umstellung auf Teilpensionen
eingehend geprüft werden (Kreiter, Invansits).

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


123

13.9 Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten

1999 wurden in der AUVA 4.948 neue Versehrtenrenten zuerkannt. 95%
(4.685) ' entfielen auf Leichtversehrte (bis 50% Minderung der
Erwerbsfähigkeit) und nur 5% (263) auf Schwerversehrte (ab 50% Minderung
der Erwerbsfähigkeit). In den letzten 20 Jahren sank der Rentenzugang ab.

Maßnahmen     der     medizinischen     Rehabilitation     zählen     in     der

Unfallversicherung zu den Pflichtleistungen. Frührehabilitationen sind deshalb

t

möglich, weil man an die Versehrten wegen der bestehenden Meldepflicht für
Arbeitsunfälle und der häufigen Behandlung in anstaltseigenen
Behandlungsstätten rascher herankommt und auch amtswegig vorgehen kann.
Wie viele erfolgreich rehabilitierte Versehrte in den Arbeitsprozeß
zurückkehren konnten, ist nicht genau bekannt, doch sind die Chancen umso

besser, je rascher die Rehabilitationsmaßnahmen an die Akutversorgung
anschließen. Als vorteilhaft hat sich der Einsatz von Sozialberatem erwiesen,

die Versehrte über die Möglichkeiten beruflicher und sozialer Rehabilitation

informieren.

 


Berufliche     Rehabilitation     zählt     zu     den     Pflichtaufgaben     der

Unfallversicherung und könnte auch ohne Bestehen eines Rentenanspruches
gewährt werden; im Regelfall wird sie jedoch bei Arbeitsunfällen erst ab einer
MdE von 20% durchgeführt. Bei drohender Berufskrankheit (vor allem Haut-
und Atemwegserkrankungen) oder bei Gefahr der Verschlechterung einer
bereits eingetretenen Berufskrankheit erfolgt sie auch ohne Bestehen eines

Rechtsanspruches. Anders als in der Pensionsversicherung ist in jedem Fall

die   Zustimmung   des   Versehrten   notwendig.   Im   Vordergrund   stehen

Schulungsmaßnahmen. Lohnzuschüsse an die Arbeitgeber zur Abgeltung von
vorübergehenden Minderleistungen während der Einschulung im Betrieb
haben sich bewährt. Sie gleichen nur die Differenz zwischen den vom
Arbeitgeber gezahlten vollen Löhnen und den Minderleistungen des
Versehrten aus. Eher selten werden Darlehen und Zuschüsse, beispielsweise
für einen beruflich eingesetzten PKW, gewährt.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


124

1998 wurden von der AUVA 360 Anträge auf berufliche Rehabilitation bei
bereits eingetretener Erwerbsminderung und 411 ohne eine solche bewilligt;
die Inanspruchnahme nimmt jedoch mit zunehmendem Alter und
zunehmender Erwerbsminderung ab. Die beruflichen Chancen selbst für
Schwerversehrte sind in größeren Unternehmen wesentlich besser, da durch
innerbetriebliche Maßnahme leichter ein passender Arbeitsplatz gefunden
werden kann. Die Umschulungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten sind
generell für jüngere Versehrte wesentlich günstiger als für ältere.

UV-Renten werden ab einer 20%-igen MdE gewährt. Sie sollen den
Ausschluß von bestehenden Erwerbsmöglichkeiten ausgleichen. Die
Ermittlung der MdE sollte auch weiterhin nach ihren vermuteten
Auswirkungen am allgemeinen Arbeitsmarkt abstrakt (unter Verwendung

Sogenannter “Gliedertaxen") erfolgen. Das erscheint deshalb zweckmäßig,
weil die Unfallversicherung dem Haftpflichtrecht nahe steht (sie wurde
ursprünglich als Ablöse der Unternehmerhaftpflicht eingeführt). Die Vollrente
wird mit 2/3 der Bemessungsgrundlage (versichertes Einkommen des letzten
Jahres vor dem Arbeitsunfall) bemessen, Teilrenten betragen den aliquoten
Teil davon. Ab 50% MdE wird derzeit jedoch ein Zuschlag von 20% gewährt
(
wird auf 50% ab einer MdE von 70% erhöht). 1998 betrugen die Renten im
Durchschnitt in der niedrigsten Stufe (20% MdE) monatlich S 2.400, in der
höchsten S 14.800. Neben der Versehrtenrente können anrechnungsfrei alle
Arten anderer Einkommen bezogen werden.

Die Erfahrung zeigt, daß Leichtversehrte meist zwar keine unmittelbaren
Verdiensteinbußen erleiden, sie müssen sich im Beruf aber mehr als Gesunde
anstrengen, was zu einem schnelleren Verschleiß der Arbeitskraft, zur
Verschlimmerung des Leidens oder zur Behinderung der Karriere fuhren kann.
Wegen der abstrakten Berechnung wirkt sich die Erwerbsminderung umso
stärker auf die Einkommenslage aus, je mehr der Versicherte in seiner

"beruflichen Tätigkeit auf die geschädigten Körperfunktionen angewiesen ist.

Es erscheint sinnvoll, daß der Versehrte, der durch die Rente nur einen
Teileinkommensersatz erhält, Erwerbseinkommen ohne Anrechnung auf die

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


•m


125

Rente beziehen kann. Problematisch erscheint jedoch der gleichzeitige Bezug
von Versehrtenrente und Invaliditätspension, wenn das Gesamteinkommen
dadurch die Bemessungsgrundlage übersteigt; hier wäre ein teilweises Ruhen
angezeigt.

Zu beachten ist, daß das Haftungsprivileg des Dienstgebers (er muß dem
geschädigten Arbeitnehmer für Schäden an der Person nur bei Vorsatz haften)
nach geltendem Recht auch den Anspruch auf Schmerzengeld erfaßt, obwohl
dieser bei der Berechnung der Versehrtenrente nicht gesondert berücksichtigt,
sondern nach Auffassung des Versicherungsträgers pauschal mit der
Versehrtenrente abgegolten wird. Allfällige Reformpläne dürfen dieses
Problem nicht aus den Augen verlieren.

Die derzeitige Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sei einer
Rentenfeststellung an Hand von Verweisungsberufen vorzuziehen, da
ansonsten die Anreize zu stark wären, einen gesundheitlich möglichen
Berufswechsel zu unterlassen. Eine Straffung der Stufen ab 50% MdE (in 50 -
74%, 75 - 99% und 100%) erschiene überlegenswert, eine einzige Stufe für

eine MdE zwischen 20 und 50% würde dagegen der unterschiedlichen
Bedeutung der Schwere der Versehrtheit nicht entsprechen; zu bedenken wäre
auch, daß fast die Hälfte aller Renten für eine MdE von 20-25% gewährt wird

(alles Bohuslawek).

13.10        Sonstige Fragen

Die grundsätzliche Befristung der Gewährung von Invaliditätspensionen habe
sich bei den Arbeitnehmern bewährt (Seidl, Bergauer). Dagegen wird sie bei
den Selbständigen als prohibitiv empfunden, da der Selbständige seinen

Betrieb aufgeben muß, sobald er eine Erwerbsunfähigkeitspension beziehen
will. In der SVA der gew. Wirtschaft wurden rund 41% der
Erwerbsunfähigkeitspensionen nur befristet zuerkannt, bei der neuerlichen
Überprüfung erwiesen sich 5,9% der untersuchten Pensionsbezieher als nicht
mehr erwerbsunfähig
(Urbanek).

InvaIGesamtgut.doc 16.01.01


126

Die sukzessive Erhöhung der Wartezeit ab Vollendung des 50. Lebensjahres
sollte beibehalten werden, um Spekulationen zu verhindern. Problematisch
seien allenfalls Fälle, in denen die Invalidität kurz nach Vollendung des 27.
Lebensjahres eintritt und die Wartezeit wegen der Berufs- und
Schulausbildung nicht erfüllt werden kann, weil der Nachkauf von
Versicherungszeiten für diese Personen zu teuer ist (Seidl).

Die Hohe der Invaliditätspensionen wirft Probleme auf, und zwar sowohl
bei Personen, die in jungen Jahren, als auch bei solchen, die erst gegen Ende
ihres Erwerbslebens invalid werden. Die Pensionsberechnung für jung invalid
gewordene Personen erweist sich als ambivalent. Auf der einen Seite hat sich
die Möglichkeit, durch die Zurechnung von Versicherungszeiten doch eine
nicht zu unterschätzende Pension erhalten zu können, als prohibitiv für
Rehabilitationsversuche herausgestellt
(Bergauer). Auf der anderen Seite
erscheint die Invaliditätspension für diese Personengruppe zu niedrig, wenn
keine Restarbeitsfähigkeit vorhanden ist
(Seidl, Bergauer). Wird eine
Invaliditätspension hingegen erst an über 50-Jährige zuerkannt, kommt sie
(wegen der in der Regel höheren Bemessungsgrundlage) der Alterspension
schon ziemlich nahe, weshalb die Bereitschaft dieser Personen zum Einsatz
ihrer Restarbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt nur mehr gering ist (Seidl).

Als unbefriedigend wird die derzeitige Rechtslage bei
Wanderversicherungsfällen angesehen (siehe dazu die Darstellung der
Rechtsprechung). Infolge des immer häufiger werdenden Wechsels der
Berufstätigkeit entscheidet oft der Zufall, welcher Träger leistungszuständig
ist und nach welchen Leistungsanforderungen vorzugehen ist401; das wird
besonders bei Mehrfachversicherungen in der PV nach BSVG und GSVG
sichtbar. Anzustreben sei eine übergreifende Verweisung, die nur danach
fragt, welche Tätigkeiten tatsächlich noch verrichtet werden können
(
Urbanek).

401 Vgl Mazal, Sozialrecht und flexible Arbeitswelt - leistungsrechtliche Aspekte, ZAS
1999, 129 ff.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


127

14.    Kapitel:
Erfahrungen aus Dänemark, den

Niederlanden, Schweden und Spanien

Der Gutachter hat eingehende Gespräche mit Experten in diesen vier Ländern
geführt, deren Hauptergebnisse in der Anlage 3 zu diesem Gutachten
festgehalten sind. An dieser Stelle werden nur die wichtigsten Erkenntnisse
dargestellt, die sich weitgehend mit den eben vorgelegten österreichischen
Erfahrungen decken.

14.1 Prävention, Rehabilitation

Vor allem die skandinavischen Staaten haben große Anstrengungen
unternommen, das Risiko Invalidität einzudämmen. Auch sie gehen von der
Annahme aus, daß Erfolge umso eher zu erwarten sind, je früher auf die
gesundheitlichen Probleme reagiert wird. Die Lösung, die sie gefunden haben,
besteht darin, die gesundheitlichen Probleme und ihre Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit so weit wie möglich als Einheit aufzufassen und nicht in
Einzelaspekte wie Krankheit, Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit,
vorübergehende oder dauernde Invalidität aufzuspalten und durch
unterschiedliche Institutionen “verwalten" zu lassen. Sie bemühen sich zu
vermeiden, daß es für eine Institution, die nur für einen dieser Einzelaspekt
(z.B. Rehabilitation) zuständig ist und die dafür die finanziellen Mittel
Bereitzustellen hat, ökonomisch sinnvoller ist, nur unzureichende Aktivitäten
zu entfalten und/oder den von Invalidität bedrohten Menschen an eine andere
Institution abzuschieben. Sie wollen vielmehr ökonomische Anreize für die
Durchführung von Maßnahmen der Früherkennung und Rehabilitation geben:
Die zuständige Institution sollte mit höheren Kosten rechnen müssen, wenn
solche Maßnahmen unterbleiben oder nur halbherzig durchgeführt werden.
Das setzt eine organisatorische und finanzielle Zusammenfassung möglichst
aller mit der Gesundheit und der gesundheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


128

befaßten Institutionen voraus. Dadurch lassen sich auch viele
Reibungsverluste vermeiden, die bei Mehrfachzuständigkeiten zwangsläufig
auftreten.

Die skandinavischen Erfahrungen lehren aber auch, daß ohne die rechtzeitige
Einbindung der Arbeitgeber Bemühungen um die Vermeidung des Eintritts
von Arbeitsunfähigkeit wenig erfolgversprechend sind. Hat ein Arbeitnehmer
taut Gesundheitsproblemen einmal seinen Arbeitsplatz verloren, dann ist es
ü
beraus schwer, ihn wieder in den Arbeitsprozeß zurückzuführen. Die in den
meisten Staaten bestehenden Verpflichtungen zur Einstellung von Behinderten
konnten dieses Problem offenbar nicht lösen, weshalb beispielsweise die
Niederlande diese Einstellungsgebote vollständig aufgehoben haben. Das
entscheidende Hindernis dürfte im besonderen Kündigungsschutz für
B
ehinderte zu suchen sein, wenn dieser dazu führt, daß die Arbeitgeber

befürchten, sich von einem Behinderten nicht mehr trennen zu können, der
nicht bereit ist, sich im Rahmen seiner Restarbeitsfähigkeit voll einzusetzen.
Als Konsequenz vermeiden Arbeitgeber eher die Einstellung von Behinderten
und nehmen dafür ein Pönale in Kauf.

Solange ein Arbeitnehmer noch in einem aufrechten Arbeitsvertrag zu seinem
Arbeitgeber steht, bestehen bessere Chancen, diesen Arbeitgeber zur
Mitwirkung an Rehabilitationsprogrammen zu gewinnen. Auch dafür dürften
aber gesetzliche Verpflichtungen nicht ausreichen, da Rehabilitationspro-
gramme nur dann wirksam sind, wenn sich alle daran Beteiligten mit dem
Programm identifizieren und bei seiner Umsetzung aktiv mitwirken. Das läßt
sich weder durch gesetzlichen Zwang noch allein durch die Berufung auf die
Verantwortlichkeit der Arbeitgeber erreichen. Das schwedische Beispiel zeigt,
daß vielmehr in erster Linie Oberzeugungsarbeit verlangt wird: Den
Arbeitgebern muß klargemacht werden, daß es auch unter Kostengesichts-
punkten günstiger ist, einen bewährten Mitarbeiter auf eine neue Tätigkeit im
Betrieb umzuschulen als neue Mitarbeiter aufzunehmen, die erst eingeschult
und mit dem Unternehmen vertraut gemacht werden müssen.

InvalGesamtgut.doc 16.01 01


129

Es ist möglich, diese Überzeugungsarbeit durch finanzielle Anreize zu
verstärken. Das ist der Hintergrund des sehr radikalen niederländischen
Programms, dem Arbeitgeber die Kosten der Lohnfortzahlung bei
Arbeitsunfähigkeit für ein ganzes Jahr aufzuerlegen. Diese drohende
finanzielle Belastung erscheint geeignet, um den Arbeitgeber zur Mitwirkung
an allen Maßnahmen zu bewegen, die auf eine Wiederaufnahme der Arbeit
abzielen. Allerdings zeigt das niederländische Beispiel auch, daß die
Einführung einer solchen Lösung kostenneutral (dh. bei gleichzeitiger
kompensatorischer Entlastung der Arbeitgeber von anderen sozialen Kosten)
erfolgen müßte. Ein weiterer Anreiz für Arbeitgeber, an solchen Programmen
mitzuwirken, besteht darin, ihnen die dabei auftretenden Kostenbelastungen
weitgehend abzunehmen. Dies geschieht in den untersuchten Ländern auf
verschiedenartige Weise, etwa durch Zuschüsse zu den von den Arbeitgebern
ausbezahlten Löhnen oder durch die völlige Übernahme der Löhne, während
die Arbeitgeber die Kosten der im eigenen Unternehmen durchgeführten
Rehabilitationsmaßnahmen tragen. Überlegenswert erscheint schließlich der
niederländische Versuch, Beratungsfirmen für Fragen der Sicherheit und des

Gesundheitsschutzes einzuschalten.

Die skandinavischen Erfahrungen deuten auch darauf hin, daß der in seiner

Gesundheit angegriffene Arbeitnehmer nicht nur in alle Entscheidungen
eingebunden, sondern auch durch Anreize zu einer aktiven Mitwirkung an den
Maßnahmen zur Wiedereingliederung bewogen werden sollte. Auch die
skandinavischen Staaten haben die Erfahrung gemacht, daß ein Arbeitnehmer,
der sich bereits darauf eingestellt hat, eine Pension anzustreben, nur mehr sehr
schwer dazu zu gewinnen ist, an Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken. In
diesem Lichte ist die dänische und schwedische Rechtslage zu sehen, die eine
Antragstellung auf Invaliditätspension nicht zuläßt, sondern dem
Arbeitnehmer nur einen Anspruch darauf einräumt, seinem Gesundheits-
zustand entsprechende Leistungen zu erhalten, deren konkrete Ausgestaltung
jedoch beim Versicherungsträger liegt.

InvalGesamtgut. doc 16.01.01


130

Die    ausländischen Beispiele lassen schließlich erkennen, daß ein
schlagkräftiges Rehabilitationsprogramm mit dem Gedanken des
Berufsschutzes nicht vereinbar ist. Wenn es das vorrangige Ziel ist, den
Arbeitnehmer wieder in das Berufsleben zu integrieren, dann müssen
Umschulungen selbst zu solchen Berufen ins Auge gefaßt werden, die mit dem
vorher ausgeübten Beruf nichts gemein haben.

14.2 Invaliditätsbegriff

Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen zu keiner Arbeit mehr fähig ist,
wird er überall als invalid angesehen. Problematisch ist nur die Behandlung
von Personen mit einer im Erwerbsleben noch einsetzbaren Restarbeits-
fähigkeit. Wie diese festgestellt und im Hinblick auf eine Pensionsgewährung
bewertet wird, unterscheidet sich auch in jenen Staaten, die Teilpensionen
gewähren. Die tatsächlichen gesetzgeberischen Entscheidungen verbergen sich
hinter dem gewählten Invaliditätsbegriff, bzw. in jenen Rechtsordnungen, die
nicht mehr von Invalidität sprechen, hinter den Anspruchsvoraussetzungen für
eine vorgezogene Pension.

Invalidität kann in der Unfähigkeit erblickt werden, einer Berufstätigkeit durch
einen vollen Arbeitstag nachzugehen (Arbeitszeitmodell; Schweden). Diese
Entscheidung schließt einen Berufsschutz grundsätzlich aus. Andererseits
erleichtert sie nicht nur die medizinische Beurteilung, da nur mehr ein einziger
Aspekt, nämlich die zeitliche Durchhaltefähigkeit zu beurteilen ist, sondern
auch die Zumessung der Pension, da diese mit jenem Prozentsatz festgestellt
werden kann, um den die zeitliche Einsatzfähigkeit vermindert ist.

Invalidität kann in der Unfähigkeit gesehen werden, das bisherige
Erwerbseinkommen aus gesundheitlichen Gründen auch in Zukunft zu

erzielen (Einkommensmodell; Niederlande). Auch diese Entscheidung wird
als mit Berufsschutz nicht vereinbar angesehen. Ganz im Gegenteil, die

Notwendigkeit zum Berufswechsel ist einer der wichtigsten Gründe des
drohenden Einkommensverlustes. Die Durchführung dieser Grundent-
scheidung verlangt allerdings einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Die

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


131

medizinische Beurteilung muß allen Aspekten nachgehen, die für den Einsatz

im Erwerbsleben bedeutsam sein können. Andererseits wird vom Mediziner
nicht verlangt, den Grad der Erwerbsminderung festzustellen. Dieser ergibt
sich erst aus einer berufskundlichen Prüfung, in der festgestellt werden muß,
für welche Berufstätigkeiten der Versicherte noch (in welchem Umfang)
geeignet ist und mit welchem Einkommen in diesen Verweisungsberufen zu
rechnen ist. Dieses Modell verlangt daher eine besonders enge
Zusammenarbeit zwischen dem Mediziner und dem Berufskundler. In den

Niederlanden hat sich diesbezüglich die Standardisierung des
Fragenprogramms an die begutachtenden Ärzte und die Einführung einer
berufskundlichen Datenbank, die alle ausgeübten Berufe erfaßt und auf
demselben Fragenprogramm aufbaut, sehr bewährt. Die Abstufung der
Pensionshöhe ergibt sich relativ einfach; sie erfolgt entsprechend dem Ausmaß
des gesundheitsbedingten drohenden Einkommensverlustes.

Invalidität kann auch als Unfähigkeit verstanden werden, im Erwerbsleben den

bisher eingenommenen Platz weiter ausüben zu können (Gesamtbeurtei-

lungsmodell, Dänemark, Spanien). Dieses Modell unterscheidet sich von den

beiden bisher erwähnten dadurch, daß sowohl die zeitliche Arbeitsfähigkeit,

als auch die zu erwartende Einkommensminderung berücksichtigt werden,

darüber hinaus aber eine Gesamtbeurteilung der veränderten Stellung im

Erwerbsleben  erfolgt.   In  diese  Gesamtbeurteilung  können  auch  soziale

Aspekte    einbezogen    werden,    die    zu    einer    Einschränkung    jener

Berufstätigkeiten fuhren, die an sich mit der vorhandenen Restarbeitsfähigkeit

noch ausgeübt werden könnten (Dänemark). In dieses Modell können aber

auch  Berufsschutzüberlegungen  (Spanien) einfließen.  Dieses  Modell  ist

    allerdings   schwierig  zu  administrieren,  da  eine  Fülle  unterschiedlicher

Kriterien einer Gesamtbeurteilung unterzogen werden müssen, was zur Folge

hat, daß diese objektiv kaum nachprüfbar ist. Besonders schwierig ist die
Abstufung in verschiedene Invaliditätsgrade (Dänemark), es sei denn, die
Höhe einer Teilpension wird nur davon abhängig gemacht, ob eine

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


132

Berufstätigkeit noch innerhalb oder nur außerhalb der bisherigen Berufsgruppe
möglich ist (Spanien).

Die Wahl des Invaliditätsbegriffes hängt ganz offensichtlich von den
verfolgten Zielsetzungen und sozialen Wertungen ab. So ist die Zielsetzung in
Schweden und in den Niederlanden ganz klar: Man möchte
erwerbsgeminderte Personen so lange wie nur möglich im Arbeitsprozeß

gehalten und Pensionen nur als ultima ratio gewähren. Dagegen mutet man in
Dänemark und Spanien erwerbsgeminderten Personen eine berufliche
Umstellung nur beschränkt zu. Eine Abstufung der Invalidität gestattet
allerdings - wie das Beispiel Spaniens zeigt - auch vermittelnde Lösungen,
wenn bei medizinisch möglicher, aber vom Gesetz nicht verlangter
Berufsumstellung kein voller Einkommensersatz, sondern nur eine
Teilpension gewährt wird. Auf die Problematik der Teilpensionen ist nunmehr
einzugehen.

14.3 Teilpensionen

Da die einzelnen Staaten unterschiedliche Invaliditätsbegriffe verwenden, sind
die Grade an Arbeitsunfähigkeit, die zu einer Teilpension berechtigten,
untereinander nicht vergleichbar. So bedeutet eine Arbeitsunfähigkeit von
50% in Schweden, daß der Arbeitnehmer nur mehr 4 Stunden pro Tag arbeiten
kann, in den Niederlanden, daß er auf dem gesamten Arbeitsmarkt mit einer
50%igen Einbuße an Erwerbseinkommen rechnen muß, in Spanien, daß er
seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann und in Dänemark wohl eher,
daß seine Einsatzmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt auf die Hälfte
herabgesunken sind.

Als einziges Land sieht Spanien für bestimmte Fälle anerkannter Invalidität
(ab 33% Minderung der Arbeitsfähigkeit im bisherigen Beruf) keine Pension,

sondern nur eine Einmalzahlung vor. Dem liegt offenbar die Annahme
zugrunde, daß bei Weiterbestehen der Fähigkeit, die grundlegenden Aufgaben
im Beruf noch erfüllen zu können, keine Einkommensverluste drohen, sondern

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


133

nur   immaterielle   Nachteile   bestehen,   die   durch   diese   Einmalzahlung
ausgeglichen werden sollen.

Die übrigen untersuchten Staaten kennen nur laufende Geldleistungen.

Die Invaliditätsfälle verteilen sich auf die einzelnen Invaliditätsgrade sehr

unterschiedlich, wobei allerdings aus den erwähnten Gründen auch in dieser

Trage   eine   unmittelbare   Vergleichbarkeit   nicht   gegeben   ist.   In   den

Niederlanden entfallen auf die schwerste Invalidität (ab 80%) 70% der

Invaliditätspensionen, in Schweden (100%) 66%, in Spanien (100%) 38% und

in Dänemark (100%) 14%. Pensionen wegen einer Invalidität bis zu 50%

erhielten in Schweden 24%, in den Niederlanden (bis zu 55%) 25%, in

Dänemark   48%   und   in   Spanien   (100%   Berufsunfähigkeit)   62%   der

Invaliditätspensionisten. Der Anteil der Pensionen wegen leichter Invalidität

betrug in den Niederlanden (bis 35% Minderung der Arbeitsfähigkeit) rund

15%, in Schweden (bis 25% Minderung der Arbeitsfähigkeit) 7% und in

Spanien (33% bis 99% Minderung der Arbeitsfähigkeit im Beruf) rund 1%.
Die größte Gruppe unter den Neuzugängen waren in den Niederlanden und in
Schweden die Schwerstinvaliden, in Dänemark die 50%-igen Invaliden und in
Spanien die Berufsunfähigen.

Der Grund für diese enormen Abweichungen kann nur in den
unterschiedlichen Invaliditätsbegriffen liegen. Daher ergibt sich, daß die
ökonomischen Auswirkungen eines Umstieges auf ein System mit
Teilpensionen entscheidend davon abhängen, wie Teilinvalidität definiert und
bewertet wird. Wollte Österreich vom Alles-oder-Nichts-Prinzip zu einem
System mit Teilpensionen übergehen, ist zwar zu erwarten, daß die Zahl der

Invaliditätspension steigen wird. Die finanziellen Belastungen müssen sich

dadurch aber nicht erhöhen. Je nach der Wahl der Kriterien für die Bemessung

des Invaliditätsgrades wird sich vielmehr eine unterschiedliche Verteilung

ergeben.  So würden auf der einen Seite Personen Invaliditätspensionen

erhalten können, die bisher durch den Rost gefallen sind; anzunehmen ist

jedoch,  daß es  sich dabei großteils um Teilpensionen handeln würde.

Andererseits könnten viele Personen, die nach geltendem Recht Anspruch auf

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


134

eine Vollpension hätten, in Hinkunft nur mehr Anspruch auf eine Teilpension
besitzen. Bei entsprechender Auswahl der Kriterien und sinnvoller Abstufung

- eine Entscheidung, die allerdings in erster Linie nach sozialen
Anforderungen getroffen werden müßte - wäre insgesamt sogar ein Einspar-
effekt denkbar.

14.4 Pensionsberechnung

Bei    der    Berechnung    der    Invaliditätspensionen    stehen    sich    zwei

unterschiedliche Grundpositionen gegenüber. Während das System in
Dänemark am Beveridge-Modell orientiert ist und die Pensionen im Sinne
einer Basissicherung in einer für alle gleichen Höhe, unabhängig vom
persönlichen Einkommen zumißt, folgen die Niederlande und Spanien eher

dem Bismarck'schen Modell der Lebensstandardsicherung und berechnen die

Pensionshöhe nach dem versicherten Einkommen und der Versicherungs-
dauer. Schweden praktiziert ein Mischsystem aus beiden Elementen.

Die getroffene Entscheidung über die Berechnungsweise hat auch
Auswirkungen auf die Alterssicherung. In allen Staaten kommt es bei
Erreichung der Altersgrenze zur Ersetzung der Invaliditätspension durch eine
Alterspension. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Invaliditätspension
soll den als Folge der gesundheitlichen Behinderung eintretenden Ausfall an
Erwerbseinkommen ersetzen. Mit dem Ausscheiden aus dem erwerbsfähigen
Alter endet die Sonderstellung des Invaliden; nunmehr bezieht auch der bisher
voll Berufstätige kein Erwerbseinkommen mehr. Der Obergang auf die für alle
gleich bemessene Alterspension ist in Dänemark mit einem Absinken der
Pensionshöhe verbunden, da auch der gesunde Versicherte mit einem solchen
Absinken im Alter rechnen muß. In den Niederlanden tritt an die Stelle der
I
nvaliditätspension eine nach anderen Grundsätzen (Dauer des Aufenthaltes in

den Niederlanden, für alle Versicherte einheitliche Bemessungsgrundlage)
berechnete Alterspension. In diesen beiden Lindem ist daher die finanzielle
Lage im Alter für alle Bezieher einer Alterspension einheitlich, unabhängig
davon, ob sie vorher berufstätig oder Bezieher einer Invaliditätspension waren.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


135

In Schweden und Spanien wechselt nur der Name, die Höhe der Alterspension
entspricht jener der vorher bezogenen Invaliditätspension. In diesen Ländern
besteht daher ein Unterschied, ob der Alterspensionist vorher berufstätig oder
Bezieher einer Invaliditätspension war.

In dieser Frage werden die Unterschiede zwischen Grundsicherungs- und
Einkommenssicherungsmodellen deutlich sichtbar. Für die
Einkommenssicherungsmodelle entsteht allerdings das Problem, welches
Einkommensniveau der Invaliditätspension zugrunde gelegt werden soll. Die
Orientierung an der Altersversicherung besitzt den Nachteil, daß die
Alterspension auf dem Gedanken des Ansparens über einen vorhersehbaren
Zeitraum beruht, während der Eintritt von Invalidität unvorhersehbar ist.
Dieses Problem ist innerhalb des bestehenden Systems nicht zufriedenstellend

zu   lösen.   Es   sind   vielmehr   Korrekturinstrumente   erforderlich,   um   zu
vermeiden, daß die Pension bei einer in jungen Jahren eintretenden Invalidität

unzumutbar niedrig ist. Das legt es nahe, den Einbau von
Invaliditätspensionen in das Alterssicherungssystem auch unter dem
Gesichtspunkt der Leistungsberechnung zu überdenken.

14.5 Die Stellung Teilinvalider im Arbeitsleben

Wenn Teilinvalide in einem Arbeitsverhältnis stehen, werden sie
arbeitsrechtlich zumindest in der Entgeltfrage in allen untersuchten Staaten
wie gesunde Arbeitnehmer behandelt: Sie besitzen gegenüber ihrem
Arbeitgeber denselben Anspruch auf das (kollektivvertragliche) Mindestengelt
ohne Abzüge wegen ihrer Behinderung. Aus beschäftigungspolitischen

Gründen werden jedoch dem Arbeitgeber, der Behinderte beschäftigt bzw.
ihnen berufliche Ausbildung gewährt, (befristete) Zuschüsse gewährt. Die
näheren Voraussetzungen, unter denen solche Zuschüsse gegeben werden,
variieren ebenso wie deren Dauer und Höhe. Es ist auch unterschiedlich, wer

diese Zuschüsse flüssig zu machen hat: die Arbeitslosenversicherung, die
Arbeitsmarktverwaltung, die Krankenversicherung oder die
Invaliditätsversicherung.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


136

Die Niederlande haben zwar Einstellungsverpflichtungen für Behinderte
beseitigt, verpflichten den Arbeitgeber aber sehr stark zur Mitwirkung an
Rehabilitationsbemühungen für bei ihm bereits beschäftigte kranke
Mitarbeiter: Er muß sie auf jenen Arbeitsplätzen beschäftigen, die diese
Arbeitnehmer noch auszufüllen vermögen, eine Kündigung ist nur zulässig,
wenn es für sie im Unternehmen keine geeigneten Arbeitsplätze gibt. In
Spanien besteht eine Wiedereinstellungsverpflichtung der Arbeitgeber für
Arbeitnehmer, denen eine Invaliditätspension mit einer Beobachtungsfrist von
höchstens zwei Jahren zuerkannt wurde, wenn die neuerliche Untersuchung
ergibt, daß der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist.

Wenn Bezieher einer Invaliditätspension ein Erwerbseinkommen beziehen,
hat dies unterschiedliche Folgen für ihren Pensionsanspruch.
Selbstverständlich ist, daß für Teilpensionisten die Erzielung eines gewissen
Erwerbseinkommens unschädlich ist. Eine Anrechnung erfolgt in Dänemark
und in den Niederlanden erst dann, wenn das Gesamteinkommen des
Invaliditätspensionisten sein vor der Invalidität bezogenes Gesamteinkommen
überschreitet. In Schweden wird hingegen nicht auf die Einkommenshöhe,
sondern nur auf das zeitliche Ausmaß der Beschäftigung geblickt:
Überschreitet dieses das der Invaliditätspension zugrundeliegende Ausmaß,
kommt es zur entsprechenden Rückstufung der Pension. In Spanien kann der
Bezieher einer Berufsunfähigkeitspension jede andere als seine frühere
Berufstätigkeit ohne Schmälerung seiner Pension ausüben; würde er jedoch
seine frühere Tätigkeit wieder aufnehmen, entfiele die Pension.

Daraus wird deutlich, daß es auch in der Frage des zulässigen Zuverdienstes
eines Invaliditätspensionisten entscheidend auf den jeweiligen
Invaliditätsbegriff und damit auf die mit der Pensionsgewährung angestrebten
Z
iele ankommt. Alle Staaten versuchen jedenfalls, auf intrasystematische
Weise zu vermeiden, daß die Kumulation von Invaliditätspension und
Erwerbseinkommen einen höheren Lebensstandard ermöglicht, als dieser ohne
Eintritt der Invalidität gewesen wäre.

InvalGesemtgut.doc 16.01.01


137

14.6 Arbeitsunfall, Berufskrankheit

Die auf das Bismarck'sche Modell zurückgehende und den Erfordernissen der
beginnenden Industrialisierung entsprechende Einrichtung eines
eigenständigen Versicherungszweiges für Arbeitsunfälle und Berufs-
krankheiten im Rahmen der Sozialversicherung hat an Bedeutung verloren.

Am weitesten sind dabei die Niederlande gegangen, die den Sonderschutz für

Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten schon  1967 zur Gänze abgeschafft

haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Arbeitgeber auch bei

Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten     zur Lohnfortzahlung bis zu 52

Wochen verpflichtet sind und die Kosten der Invaliditätsversicherung zur

Gänze tragen müssen. In den anderen Staaten hat man die Unfallversicherung

zumindest zum Teil für die Privatversicherung geöffnet. In Spanien müssen

die Arbeitgeber auch weiterhin die vollen Kosten tragen, besitzen aber ein

Wahlrecht, ob sie die Versicherung im Rahmen der Sozialversicherung oder

bei einem Privatversicherer vornehmen wollen. In Dänemark und Schweden

wurde    zwar    die    Pflichtversicherung  in    der    Sozialversicherung    für

Berufskrankheiten beibehalten, für das Risiko des Arbeitsunfalles müssen die

Arbeitgeber aber eine private Unfallversicherung abschließen.

Unterschiedlich ist die Abstimmung mit der Invaliditätsversicherung. In
Dänemark können Invaliditätspensionen und Leistungen der
Unfallversicherung voll nebeneinander bezogen werden. In Schweden wird
die Invaliditätspension auf die Unfallrente angerechnet. In Spanien stehen

auch bei Erwerbsminderungen wegen Arbeitsunfall oder Berufskrankheit nur
die Leistungen der Krankenversicherung oder Invaliditätsversicherung zu,
doch sind sie leichter zugänglich und werden günstiger berechnet; gehen

Arbeitsunfalle oder Berufskrankheiten auf die Verletzung von Arbeitnehmer-
Schutzbestimmungen zurück, werden überdies Zuschläge gewährt.
Doppelleistungen sind angesichts dieser Konstruktion in Spanien nicht

möglich.

Der vergleichende Überblick legt es nahe, den Stellenwert der
Unfallversicherung im Rahmen eines voll ausgebauten Systems, das allen

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


138

Versicherten ungeachtet der Ursache ihrer gesundheitlichen Probleme sowohl
alle erforderlichen Gesundheitsleistungen als auch Einkommensersatz-
leistungen bietet, neu zu überdenken.

14.7 Arbeitslosigkeit

Alle Staaten kämpfen mit dem Problem, daß es für Invalide schwerer ist, einen

Arbeitsplatz zu finden als für Gesunde. Versuche, die tatsächlich bestehende

verminderte Arbeitsplatzchance bei der Prüfung des Vorliegens von Invalidität

zu    berücksichtigen,    wurden    aus    Kostengründen    wieder    aufgegeben

(Niederlande). Diese Frage spielt aber offenkundig nach wie vor eine Rolle bei

der Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Die Träger

unterlassen   solche   Maßnahmen,   wenn   erfolgreich   Rehabilitierte   am

Arbeitsmarkt keine Chancen hätten bzw. schneiden ihre Rehabilitations-

Programme auf Arbeitsmarktchancen zu.

Systeme mit Teilpensionen gehen davon aus, daß der durch die Teilinvalidität
verursachte Einkommensausfall durch die Pensionsleistung ausgeglichen ist
und nur mehr die Restarbeitsfähigkeit am Arbeitsmarkt einsatzfähig ist und
gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit geschützt werden muß. Als Grundsatz
gilt, daß auch arbeitslose Bezieher von Teilpensionen wie gesunde Arbeitslose
behandelt werden, insbesondere müssen auch sie eine Wartezeit nachweisen
(in den Niederlanden werden sie jedoch bei bestimmten Leistungen
begünstigt). Die Abstimmung mit der Invaliditätsversicherung scheint jedoch
keineswegs überall gelungen.

Die Arbeitslosenversicherung verlangt als Leistungsvoraussetzung
grundsätzlich das Vorhandensein von Arbeitsfähigkeit. Die Grenze, ab der
eine Person als nicht mehr arbeitsfähig gilt, muß daher für beide Systeme
gleich sein, soll der Eintritt von Versorgungslücken vermieden werden. Wenn
Teilpensionen gewährt werden, müssen aber auch die Grade der
Invaliditätspension und die Höhe der Arbeitslosenversicherung aufeinander
abgestimmt werden. Wenn die Invaliditätspension beispielsweise für eine
50%ige Minderung der Arbeitsfähigkeit gewährt wird, besteht im Falle der

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


139

Arbeitslosigkeit nur ein soziales Bedürfnis nach Abdeckung des halben
Erwerbseinkommens. In Systemen, in denen beide Systeme getrennt
nebeneinander geführt werden, kann es leicht zu Überlappungen und
Versorgungslücken kommen. Diese Probleme erscheinen etwa in Dänemark
(private Arbeitslosenversicherung) nicht gelöst, weil die beiden Systeme
unverbunden nebeneinander stehen.

In Schweden bekommt ein Teilinvalider nur ein entsprechend reduziertes

Arbeitslosengeld. Beträgt die Arbeitsfähigkeit jedoch weniger als 3 Stunden

pro Tag (durchschnittlich 17 Stunden pro Woche), steht kein Arbeitslosengeld

zu. Vollinvalide und Teilinvalide mit einer Dreiviertelpension sind daher vom

Bezug von Arbeitslosengeld ausgenommen.

In den Niederlanden erfolgt eine Anrechnung der Invaliditätspension auf das
Arbeitslosengeld, was durch die gemeinsame Betreuung der beiden
Versicherungszweige durch das LISV erleichtert wird. In Spanien kann der
Versicherte im Falle der Berufsunfähigkeit zwischen dem Bezug von

Arbeitslosengeld und Invaliditätspension wählen, eine weitergehende
Koordinierung scheint jedoch nicht zu bestehen.

Die Erfahrungen aus diesen Ländern lassen erkennen, daß ein System der
Gewährung von Teilpensionen nach einer gut funktionierenden Abstimmung
mit der Arbeitslosenversicherung verlangt, die bis zu einer Verzahnung beider
Versicherungszweige gehen kann.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


140

Teil IV: Vorschläge
15.    Kapitel:

 

Die Zielsetzungen

Notwendige Voraussetzung jeder Neuordnung ist eine klare Festlegung der
verfolgten Ziele. Derzeit zielt das geltende Recht primär auf die Vermeidung
d
es Eintritts des Versicherungsfalles der Invalidität im Sinne des
Pensionsversicherungsrechts ab. Daher sind Maßnahmen der Prävention und
Rehabilitation grundsätzlich nur dann vorgesehen, wenn sie sich zur
Erreichung dieses Zieles eignen. Es hat sich nun gezeigt, daß diese
Verknüpfung mit dem Begriff der Invalidität zu kurz greift. Maßnahmen der
Prävention und Rehabilitation sollten vielmehr immer dann eingesetzt werden,
wenn sie geeignet erscheinen, die Arbeitsfähigkeit im weitesten Sinn oder die
Selbsthilfefähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Rehabilitation sollte
daher nicht erst dann eingesetzt werden, wenn bereits Invalidität im
Rechtssinn oder Pflegebedürftigkeit droht.

Invalidität  soll  nicht  “belohnt"  werden.   Das  Recht  wäre  vielmehr  so

auszugestalten, daß es für den Versicherten keine Anreize gibt, “krank" zu
sein, sondern im Beruf zu verbleiben. Daher sollten Pensionen erst dann
gewährt werden, wenn durch Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation
Ausfälle von Erwerbseinkommen nicht mehr verhindert werden können.
Dabei können verschiedene Wege eingeschlagen werden. Das Recht kann so
ausgestaltet werden, daß die Pensionsgewährung tatsächlich nur als ultima
ratio nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Verwertung der
Restarbeitsfähigkeit in Betracht kommt (ultima ratio Prinzip). Das Recht kann
ber auch vorsehen, daß eine Pensionsleistung schon dann in Betracht kommt,
w
enn nur mehr bestimmte Verwertungen der Restarbeitsfähigkeit nicht mehr
möglich sind (Schutzprinzip). Nach dem Schutzprinzip wäre also die
Einräumung eines Berufs- oder Tätigkeitsschutzes möglich. Eine mittlere
Zielsetzung könnte darin bestehen, zwar bei der Zuerkennung von Pensionen

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


141

nach dem Schutzprinzip vorzugehen, die volle Höhe der Pension aber nur zu
gewähren, wenn die Restarbeitsfähigkeit überhaupt nicht mehr verwertet
werden kann (Mischprinzip).

Die folgenden Vorschläge orientieren sich an diesen Zielsetzungen, nicht aber
an möglichen Einsparungseffekten. Was verringert werden soll, ist das
Ausmaß an Invalidität in Österreich. Angesichts der bekannten
Finanzierungsengpässe in der Sozialversicherung, ist es aber

selbstverständlich erforderlich, die finanziellen Auswirkungen aller ins Auge
gefaßten Regelungen abzuschätzen. Das wird Aufgabe der
Pensionskommission sein. Der Gutachter sieht es jedoch nicht als seine
Aufgabe an, einzelne sinnvolle Lösungen bereits im Vorfeld nur deshalb
auszuschließen, weil sie möglicherweise zu einer Kostensteigerung fuhren

könnten.

 

16.    Kapitel:

Prävention und Rehabilitation

 

Das Kernstück der Neuordnung sollte eine Optimierung von Prävention und

 

Rehabilitation sein. Es geht vor allem darum, dauernde Beeinträchtigungen
der Arbeitsfähigkeit zu vermeiden oder zumindest hinauszuschieben. Im
Hinblick auf die steigende Anzahl hochbetagter Menschen und den zu
erwartenden enormen Anstieg des Pflegebedarfes sollte die Zielsetzung aber
erweitert werden und auch die Erhaltung der Fähigkeit umfassen, sich selbst
z
u helfen. Da sich erwiesen hat, daß Erfolge umso eher zu erzielen sind, je
f
rüher diese Maßnahmen einsetzen, gilt es institutionelle Vorsorge dafür zu
treffen, daß die Maßnahmen so rasch wie möglich einsetzen.

16.1 Prävention

 

Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit haben ihre Ursachen sowohl im
privaten Bereich als auch im Erwerbsleben. Daher muß auch die Prävention in
beiden Bereichen ansetzen. Im Vordergrund des privaten Sektors steht eine
gesunde Lebensführung, wie eine gesundheitsbewußte Ernährung oder die

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


142

Vermeidung gesundheitsschädlicher Freizeitgestaltungen. Für ausreichende
Bewegung und Belastung muß schon in der Kindheit gesorgt werden. Diese
Bemühungen müssen aber auch später ständig fortgesetzt werden.
Voraussetzung dazu sind verstärkte Anstrengungen zu einer Verbesserung des
Allgemeinwissens über Gesundheitsfragen und entsprechende Anleitungen,
die schon in den Pflichtschulen unter massivem Einsatz der Schulärzte
Beginnen müßten. Ohne entsprechende Erfolge auf diesen Gebieten, die nicht
z
um Bereich des hier zu behandelnden Sozialrechts gehören, läßt sich eine
drastische Senkung von Fällen der Invalidität nicht erwarten.

Näher einzugehen ist auf den Bereich des Arbeitslebens. Hier erscheint es
von besonderer Bedeutung, die Arbeitgeber und die Betriebsärzte (dieser
Ausdruck erscheint sinnvoller und umfassender als der im ASchG verwendete
Ausdruck Arbeitsmediziner) massiv in die Prävention einzubinden. Dieses
Bemühen sollte durch die Sozialpartner unterstützt werden. Zu überlegen
wäre, Präventionszentren im Sinne des § 78a ASchG stärker in diese
Aktivitäten einzubeziehen und die Betriebsärzte zur Zusammenarbeit mit
diesen Zentren zu verpflichten. Es wäre dann nicht erforderlich, wie dies in

den Niederlanden geschehen ist, die Arbeitgeber zur Heranziehung privater

Beratungsfinnen für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz zu
verpflichten.

Schon bei Berufsantritt sollte - über den Bereich der §§ 49 ff. ASchG hinaus -

durch den Betriebsarzt festgestellt werden, ob der Betreffende Oberhaupt die

körperlichen und psychischen Voraussetzungen für die Berufsanforderungen

mitbringt. Sollte das nicht der Fall sein, sollte er durch den Betriebsarzt
entsprechend beraten werden.

Je nach den in den einzelnen Berufen auftretenden Belastungen oder
Einseitigkeiten in den Anforderungen sollten laufend entsprechende
Maßnahmen gesetzt werden. So könnten etwa zur Vorbeugung gegen
Haltungsschäden oder Kreislaufprobleme physiotherapeutische
Trainingsprogramme entwickelt und in den Betrieben durchgeführt werden.
Arbeitsrechtlich könnte vorgeschrieben werden, daß die Arbeitgeber etwa

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


143

täglich oder zumindest einige Male in der Woche entsprechende Übungen zu
organisieren hätten, die innerhalb der Arbeitszeit, aber unbezahlt, stattfinden
sollten. Die nähere Ausgestaltung könnte durch Kollektivvertrag erfolgen.

16.2 Medizinische und berufliche Rehabilitation

Diese     Maßnahmen     sollten    schon    im    Zusammenhang    mit     der
Krankenbehandlung eingeleitet werden. Sobald sich aus dem Krankheitsbild

ergibt, daß längerfristig eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit droht,

sollte   bereits   gehandelt   werden.   Ansatzpunkte   dafür   wären   längere

Krankenstände oder wiederholte Erkrankungen, die auf die Entwicklung

chronischer    Beschwerden    hindeuten.    Bei    Arbeitnehmern    sollte    im

Zusammenwirken zwischen dem Versicherten, dem behandelnden Arzt, dem

Betriebsarzt und dem zuständigen Sozialversicherungsträger schon in diesem

Stadium      überprüft      werden,      ob      und      welche      medizinischen

Rehabilitationsmöglichkeiten   ergriffen   werden   könnten.   Erscheint   eine

Änderung der Arbeitstätigkeit erforderlich, wäre der Arbeitgeber in diesen

Entscheidungsprozeß   einzubinden.   Dazu   könnte   eine   arbeitsrechtliche

Bestimmung  dienen,  derzufolge  der Arbeitgeber  verpflichtet  ist,  einem

Arbeitnehmer, der aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Tätigkeit

nicht fortsetzen kann, eine dessen Gesundheitszustand entsprechende andere

Tätigkeit zuzuweisen, sofern dies dem Arbeitgeber zugemutet werden kann.

Diese Verpflichtung wäre der von der Rechtsprechung im Rahmen des

allgemeinen Kündigungsschutzes entwickelten “sozialen Gestaltungspflicht"

vergleichbar. Dem würde zwar keine arbeitsrechtliche Verpflichtung des

Arbeitnehmers  gegenüberstehen,  einer Veränderung seiner Arbeitspflicht

zustimmen zu müssen, doch wären Ansprüche des versicherten Arbeitnehmers

auf Einkommensersatzleistungen zu versagen, wenn sich dieser weigert, die

ihm angebotene Umstellung zu akzeptieren. Bei einem Übergang auf ein

System mit Teilpensionen (und Teilkrankengeld) wäre die Gewährung von

Ausgleichsleistungen an Arbeitnehmer, die eine mit Einkommensverlusten

verbundene Umstellung auf sich nehmen, systemkonform geboten.

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


144

Reichen die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten nicht aus, um eine
andere Tätigkeit auszuüben, die mit seiner gesundheitlichen Entwicklung
besser vereinbar ist, sollten Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation
ergriffen werden. Die Planung und Organisation sollte durch ein
Rehabilitationsteam erfolgen, dem jedenfalls ein Mediziner, ein Berufskundler
und ein Rehabilitationskoordinator angehören sollten. Als erstes wäre
anzustreben, die berufliche Rehabilitation im Unternehmen selbst
Durchzuführen, in dem der Rehabilitand beschäftigt ist. Ist dies nicht möglich,
sollten dafür andere Unternehmer oder Rehabilitationseinrichtungen gefunden
werden (Aufgabe des Koordinators).

Eine ausreichende Mitwirkung der Arbeitgeber an solchen
Rehabilitationsprogrammen wird, wie die ausländischen Beispiele zeigen,
allerdings ohne entsprechende Förderung durch das Sozialsystem nicht zu
erwarten sein. Diese Förderung könnte auf zweierlei Weise erfolgen: (1) Die
Sozialversicherung könnte dem Rehabilitanden eine Einkommenseratzleistung
gewähren und gleichzeitig die Kosten der Rehabilitation übernehmen,
wogegen der Arbeitgeber der Sozialversicherung einen Beitrag zu leisten
hätte, der dem Wert der vom Rehabilitanden tatsächlich erbrachten
Arbeitsleistung entspricht oder (2) die Sozialversicherung gewährt dem
Arbeitgeber einen Zuschuß zu den Kosten der Rehabilitation und der Löhne,
während der Arbeitgeber zur vollen Entgeltzahlung verpflichtet bleibt. In
rechtlicher Hinsicht wäre in beiden Varianten eine Einigung zwischen der

Sozialversicherung und dem Arbeitgeber anzustreben.

Sollte  sich  herausstellen,  daß  der Arbeitnehmer zwar weiterhin  einer

Berufstätigkeit nachgehen kann, aber nur entweder in einem verminderten
zeitlichen Ausmaß oder zwar vollzeitig, aber mit einer verminderten

Leistungsintensität, dann könnte - wenn keine entsprechende
Teilpensionslösung eingeführt wird - der Arbeitgeber verpflichtet werden,
diesen Arbeitnehmer wie einen Vollzeitbeschäftigten zu entlohnen, während
ihm die Sozialversicherung die dadurch entstehenden Mehrkosten durch einen

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


145

Zuschuß abdeckt. Dabei wäre noch zu entscheiden, ob dieser Zuschuß auf
Dauer oder nur für eine bestimmte Zeit zu erbringen wäre.

Schwieriger ist die Situation zweifellos, wenn sich diese gesundheitlichen
Probleme in einem Zeitpunkt einstellen, zu dem der Versicherte arbeitslos ist,
da dann kein Arbeitgeber vorhanden ist, dem eine Mitwirkungspflicht

auferlegt werden könnte. Auch in diesem Falle sollte jedoch versucht werden,

eine berufliche Rehabilitation in erster Linie “on the Job" durchzuführen,
wozu dieselben Förderungsmaßnahmen für die mitwirkenden Arbeitgeber
erforderlich wären. Müssen die Maßnahmen jedoch in Einrichtungen erbracht
werden, müßte die Sozialversicherung für entsprechende
Einkommensersatzleistungen sorgen. Die Wiedereingliederung nach
erfolgreicher Rehabilitation könnte durch entsprechende Zuschüsse an die

Arbeitgeber gefördert werden.

Mit starren rechtlichen Regelungen wird man keinen wirklichen Erfolg
erzielen können. Die Auswahl und die Durchführung dieser Maßnahmen muß
sich am zu erwartenden Erfolg orientieren. Es hat keinen Sinn, teure

Rehabilitationsmaßnahmen einzuleiten, wenn die Erfolgsaussichten höchst
gering erscheinen. Daher sollte es zwar zu den Pflichtaufgaben der
Sozialversicherung gehören, Vorsorge für eine ausreichende Rehabilitation zu
treffen, doch im pflichtgemäßen Ermessen des zuständigen Trägers liegen, zu
entscheiden, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen und wer
diese durchführen soll. Es wäre ergänzend durchaus vorstellbar, wie dies
bereits in der Vergangenheit einmal hinsichtlich der Gesundheitsvorsorge der
Fall war, den Sozialversicherungsträger zu verpflichten, mindestens einen
bestimmten Prozentsatz der Beitragseinnahmen für diese Zwecke zu

verwenden. Der Versicherte hätte somit zwar keinen durchsetzbaren Anspruch

Auf bestimmte Maßnahmen. Er sollte jedoch - ähnlich wie bei der
Krankenbehandlung - einen Anspruch darauf eingeräumt erhalten, daß
zweckmäßige und ausreichende Maßnahmen ergriffen werden, sofern diese
das Ausmaß des Notwendigen nicht überschreiten. Andererseits sollte eine
Mitwirkungspflicht des Versicherten an allen ihm zumutbaren

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


146

Rehabilitationsmaßnahmen bestehen. Eine Verletzung dieser Pflicht sollte zur
Versagung von Geldleistungen fuhren. Anzustreben wäre aber in jedem Fall
eine Einigung unter allen Beteiligten, also zwischen Versichertem,
Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger.

16.3 Krankengeld oder Invaliditätspension?

Auch in Zukunft sollte das Krankengeld einen Einkommensersatz für eher
k
urzfristige Arbeitsunfähigkeit, die Invaliditätspension hingegen für
längerfristige Arbeitsunfähigkeit darstellen. Der Unterschied zwischen beiden
Leistungen sollte daher auch weiterhin in der Fristigkeit der
Arbeitsunfähigkeit bestehen. Aus dieser unterschiedlichen Zielsetzung
ergeben sich zwei Folgerungen: Bei nur kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit kann
man vom Versicherten nicht dieselbe Bereitschaft zur Veränderung seiner
Berufstätigkeit verlangen, wie bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit. Eine nur
kurzfristige Leistung, die nur den Obergang bis zur Wiederaufnahme der
früheren Berufstätigkeit abdecken soll, kann höher angesetzt werden als eine
Langfristleistung.

Es müßte allerdings sichergestellt werden, daß der Versicherte, der seine
bisher ausgeübte Tätigkeit aus Gesundheitsgründen nicht mehr ausüben kann,
vom Arbeitgeber jedenfalls bis zur Wiederherstellung seiner vollen
Arbeitsfähigkeit auch auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann,
den dieser ohne Um- oder Nachschulung ausfüllen kann. Dazu wäre es vor
allem notwendig, gesetzlich festzulegen, daß der die Arbeitsfähigkeit
beurteilende Arzt konkret zu bescheinigen hat, welche Art von Tätigkeiten der
Arbeitnehmer noch auszuüben in der Lage ist. Zum Beispiel könnte der

Versicherte nach einem Beinbruch für die Dauer der Tragung eines Gehgipses
auf einem sitzenden Arbeitsplatz verwendet werden oder ein anderer nach

einem Herzinfarkt zunächst nur auf Teilzeitbasis. Es wäre sinnvoll, den
Betriebsarzt in die Krankschreibung mit einzubeziehen, da dieser auch die
betriebliche Situation kennt. Auf alle Fälle sollte ausgeschlossen werden, daß
der behandelnde Arzt bei vorhandener Restarbeitsfähigkeit einfach

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


147

Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Arbeits- und sozialrechtlich wäre vorzusehen,
daß bei einer Weigerung des Versicherten, eine solche Umstellung
vorzunehmen, die Geldleistungen versagt werden.

Der während der Dauer einer solchen Teilarbeitsunfähigkeit auf einem

niedriger    entlohnten    Arbeitsplatz    tätige    Versicherte    sollte    keinen

Einkommensausfall erleiden. Für die Dauer der rechtlich vorgesehenen vollen

Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers sollte der Arbeitgeber auch in

diesem Fall das volle Entgelt zu entrichten haben. Nach Ablauf dieser Zeit

gibt es zwei Möglichkeiten: (1) Der Arbeitgeber muß auch weiterhin das volle

Entgelt bezahlen, erhält aber vom Sozialversicherungsträger den Unterschied

zwischen der Höhe des Entgelts für den tatsächlichen Arbeitsplatz und dem

fortzuzahlenden Entgelt ersetzt oder (2) der Arbeitgeber hat lediglich das

Entgelt für den tatsächlich ausgeübten Arbeitsplatz zu bezahlen und der

Sozialversicherungsträger gleicht die Differenz zum früheren Entgelt durch

ein Teilkrankengeld aus.

Um die Abgrenzung zur Invaliditätspension zu erleichtern, erschiene es
zweckmäßig, wie dies verschiedene Staaten getan haben, die Dauer der
Gewährung von Krankengeld mit höchstens einem Jahr zu begrenzen. Die
Invaliditätspension wäre daher entweder zu gewähren, wenn bereits feststeht,
daß die Minderung der Arbeitsfähigkeit nach menschlichem Ermessen länger
als ein Jahr andauern wird oder nach Ablauf eines Jahres der
(Teil)arbeitsunfähigkeit.

17.    Kapitel:
Der Invaliditätsbegriff

Eine entscheidende Frage ist, ob auch in Zukunft im Sinne des Schutzprinzips
ein Berufsschutz bestehen oder jedem Versicherten grundsätzlich nach dem

ultima-ratio-Prinzip die Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit auf dem
gesamten Arbeitsmarkt zugemutet werden soll. Für die Aufrechterhaltung der
Erwerbstätigkeit spricht entscheidend, daß der Behinderte seine
Restarbeitsfähigkeit dadurch in einer für ihn wie für die Gesellschaft

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sinnvollen Weise einsetzen kann. Wenn der gesundheitlich beeinträchtigte
Versicherte die Grundlagen seiner Existenz auch weiterhin durch eigene
Arbeit sichern kann, wird bei ihm nie das Gefühl aufkommen, der
Gemeinschaft zur Last zu fallen oder sozial stigmatisiert zu werden. Das
steigert das Selbstwertgefühl und macht die Sinnhaftigkeit eines Lebens mit
Behinderung bewußt. Gegen eine Politik der möglichsten Aufrechterhaltung
der Erwerbstätigkeit läßt sich allerdings einwenden, daß die Weiterarbeit für
den Betroffenen häufig nur mit erhöhter Anstrengung und mit Beschwerden
möglich und zudem die Gefahr der Arbeitslosigkeit besonders groß ist.

Bevor eine Entscheidung über den einzuschlagenden rechtspolitischen Weg
gefällt wird, ist daher zu untersuchen, wie die rechtliche Anforderung an den
Versicherten zu bewerten ist, seinen bisherigen Beruf aufgeben und zu einem
neuen, weniger angesehenen und schlechter entlohnten überwechseln zu
müssen. Positiv ist, daß auch in diesem Fall der Betroffene im Erwerbsleben
verbleibt, wenn auch an anderer Stelle, und seine Existenz durch eigene Arbeit
sichern kann. Auf seine Beschwerden wird insofern Rücksicht genommen, als
ein Übergang nur zu einem leichteren Beruf in Frage kommt, der mit den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen besser vereinbar ist. Dem stehen die
Mühe der Umstellung, das möglicherweise geringere Ansehen und der zu
erwartende Einkommensverlust gegenüber. Daraus ergibt sich, daß es wohl
besser ist, den Betroffenen im Erwerbsleben zu halten, wenn die erforderliche
Umstellung zumutbar ist und die damit verbundenen Nachteile in einer
geeigneten Form ausgeglichen werden.

Wie kann dieser Ausgleich aussehen? Dem allfälligen Sinken des durch den
Beruf vermittelten Ansehens steht das durch die Weiterarbeit vermittelte
erhöhte Selbstwertgefühl gegenüber. Die entscheidende Frage ist daher, soll
die Gesellschaft etwa von einem Manager, einem Industriemeister oder einem
gehobenen Facharbeiter, der aus gesundheitlichen Gründen seinen bisherigen
Beruf nicht mehr ausüben kann, verlangen, den Obergang auf eine einfachere
Arbeit zu wagen, zu der er körperlich, psychisch und bildungsmäßig befähigt
ist oder soll sie im Sinne des Schutzprinzips akzeptieren, daß er seine

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


149
Restarbeitsfähigkeit in einem solchen Fall nicht mehr einsetzt und sich auf den

Pensionsbezug zurückzieht? Dieses Problem stellt sich allerdings nur bei
qualifizierten Arbeitskräften, da bei Arbeitnehmern der unteren Bereiche der
Berufshierarchie durch einen Tätigkeitswechsel weder ein Ansehensverlust
noch ein “sozialer Abstieg" droht.

Wenn   man,   wie   der  Gutachter,   zur  Auffassung   kommt,   daß   dieses

Überwechseln auf eine einfachere und weniger angesehene Berufstätigkeit

letztlich noch immer hoher zu bewerten ist, als das Ausscheiden aus der

Erwerbswelt,    dann    stellt    sich    die    weitere    Frage,    unter   welchen

Voraussetzungen diese weitergehende Verweisung auf den Arbeitsmarkt

erfolgen soll. Nach Auffassung des Gutachters geht es dabei um drei Aspekte:

(1)     Auszugleichen     wäre     der    mit     der    Umstellung    verbundene

Einkommensverlust,   soweit   er   nicht   nur   geringfügig   ist.   (2)   Unter

Zumutbarkeitsgesichtspunkten wäre auf besondere persönliche Verhältnisse

Rücksicht zu nehmen, die einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Zu diesen

persönlichen    Verhältnissen    gehört    auch    der    Umstand,    daß    die

Umstellungsfähigkeit   im   Alter  abnimmt.   (3)   Das   erhöhte   Risiko   der

Arbeitslosigkeit    wäre    durch    eine    entsprechende    Ausgestaltung    des

Leistungsrechts aufzufangen.

Zentraler Ansatzpunkt zur Lösung dieser Probleme ist der Invaliditätsbegriff.
Bei seiner Festlegung kann auf die Aspekte (1) und (2) Rücksicht genommen
werden, auf den Aspekt (3) ist dagegen bei der Ausgestaltung der
Invaliditätspension und der Abstimmung mit der Arbeitslosenversicherung
einzugehen.

Zu beachten ist aber noch ein weiterer Umstand. Soll die Invaliditätspension
den als Folge der Verminderung der Arbeitsfähigkeit eintretenden Verlust an
Erwerbseinkommen ausgleichen, dann muß der Invaliditätsbegriff auf diesen
Verlust zugeschnitten sein. Dabei kann man einen direkten oder einen
indirekten Weg wählen. Der direkte Weg besteht in einem unmittelbaren
Einkommensvergleich, der indirekte in der Verwendung eines Kriteriums, das
zuverlässige Rückschlüsse auf die Einkommensveränderungen gestatten soll.

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150

Inländische wie ausländische Erfahrungen belegen allerdings, daß die
Einkommenssituation des Versicherten nach dem Eintritt der Invalidität nicht
an Hand der tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden kann, weil der
Invalide dieses Einkommen zumindest nach unten hin selbst willkürlich
gestalten kann. Daher kommt insoweit nur eine abstrakte Beurteilung in Frage,
die sich daran orientiert, mit welchem Einkommen der Invalide nach aller
Wahrscheinlichkeit rechnen kann. Dagegen ist bei der Ermittlung des

Ausgangswertes des Vergleiches, also der Einkommenssituation vor dem
Eintritt der Invalidität, von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen. Es ist
kein unzulässiger Methodenmix, wenn ein konkretes mit einem abstrakten
Einkommen verglichen wird. Diese Art des Vergleichs entspricht vielmehr -

wie auch die ausländischen Beispiele gezeigt haben - einzig und allein der

besonderen Natur dieses Sachproblems. Dies gilt unabhängig davon, ob nach

dem Alles-oder-Nichts-Prinzip vorgegangen oder ob die Invalidität abgestuft
beurteilt wird.

Es hat sich erwiesen (siehe Kapitel 8), daß die in Österreich praktizierte
Lohnhälfteregelung diesen Anforderungen nicht entspricht und daher zu
unvertretbaren Folgen fuhrt.

17.1 Im Rahmen des Alles-oder-Nichts-Prinzips

Wenn die Neuordnung abermals dem Alles-oder-Nichts-Prinzip folgen und
eine Invaliditätspension dann gewährt werden soll, wenn zumindest
theoretisch ein mindestens 50%-iger Einkommensabfall droht, dann bedeutet

dies ohne Berufsschutz, daß jedem nur teilweise in seiner Arbeitsfähigkeit
beeinträchtigten Versicherten ein Einkommensabfall bis zu 50% ohne
Gewährung einer Invaliditätspension zugemutet wird. Wollte man einen
Berufsschutz vorsehen, dann ließe sich zwar dieser Verlust bei den dadurch
begünstigten Personengruppen eindämmen, doch würden dann die bereits
eingehend dargestellten Gleichheitsprobleme (siehe Kapitel 12) auftreten.

Für eine Neuordnung stehen vor allem drei Modelle zur Verfügung, die
grundsätzlich mit oder ohne Berufsschutz ausgestaltet werden können:

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151

>  Einkommensmodell: Ausgangswert der Betrachtung dieses direkten
Modells wäre das versicherte Einkommen vor dem Eintritt der Invalidität.
Dabei sollte man zweckmäßigerweise (wie etwa in der Unfallversicherung)
ein möglichst aktuelles Einkommen heranziehen. Ihm wäre
gegenüberzustellen, was der Versicherte in Verweisungsberufen verdienen
kann. Die Durchführung verlangt einen nicht unerheblichen
Verwaltungsaufwand, vor allem eine besonders enge Zusammenarbeit
zwischen dem Mediziner und dem Berufskundler. Die medizinische
Beurteilung müßte allen Aspekten nachgehen, die für den Einsatz im
Erwerbsleben bedeutsam sein können. Andererseits wird vom Mediziner
nicht verlangt, den Grad der Erwerbsminderung festzustellen. Dieser ergibt
sich erst aus einer berufskundlichen Prüfung, in der festgestellt werden
muß, für welche Berufstätigkeiten der Versicherte noch (in welchem

Umfang) geeignet ist und mit welchem Einkommen in diesen
Verweisungsberufen zu rechnen ist. Dabei kann nicht - wie derzeit - nur
auf einen einzigen willkürlich herausgesuchten Verweisungsberuf geblickt

werden, es müßte vielmehr zumindest die Einkommenssituation in
mehreren Verweisungsberufen berücksichtigt werden. Der Sache nach

müßten sogar sämtliche möglichen Verweisungsberufe herangezogen und
dann ein Durchschnittswert aus den bestbezahlten gebildet werden, wie
dies etwa im niederländischen System geschieht. Dazu wäre der Aufbau

einer Datenbank der in Österreich vorkommenden Berufe erforderlich, der
unter Verwertung des niederländischen Beispiels erfolgen könnte. Für

Selbständige wäre das Modell wohl nur bei einer Verweisung auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt anwendbar, da die Einkommenserwartung bei
einer Verweisung auf andere selbständige Berufe nicht abgeschätzt werden

kann.

> Arbeitszeitmodell: Ausgangspunkt dieses indirekten Modells wäre die

übliche Normalarbeitszeit. Im Sinne des Arbeitszeitgesetzes könnte sie mit

8 Stunden täglich oder 40 Stunden wöchentlich angenommen werden. Als

Kriterium  für die  zu  erwartende  Einkommensminderung würde  der

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Umstand dienen, daß der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht
mehr in der Lage ist, diese Stundenanzahl regelmäßig zu leisten. Nach dem
Alles-oder-Nichts-Prinzip könnte daher Invalidität dann angenommen

werden, wenn der Versicherte nur mehr weniger als 4 Stunden täglich oder

20 Stunden wöchentlich leisten kann.  Der besondere Vorteil dieses

Modells  bestünde  in  der  einfacheren  medizinischen  Ermittlung  der

Arbeitsunfähigkeit. Es wäre ohne Schwierigkeiten auch auf Selbständige

anwendbar.

 

>  Gesamtbeurteilungsmodell: Ausgangspunkt dieses indirekten Modells
wäre die Gesamtsituation des Versicherten. Es müßten somit medizinische,
berufskundliche und soziale Aspekte in die Bewertung einfließen. Damit
würde zwar der tatsächlichen Situation des Versicherten am umfassendsten

Rechnung getragen, die Feststellung der Invalidität wäre aber von allen
drei Modellen am schwierigsten und mit den größten Unsicherheiten
behaftet. Für Selbständige wäre es bei Verweisungen auf einen anderen
selbständigen Beruf nur schwer anwendbar, da auch hier die
Einkommenserwartung nicht feststellbar erscheint.

Bei der Ausgestaltung jedes der drei Modelle sollte auf die in Kapitel 11
dargestellten Zumutbarkeitsaspekte Bedacht genommen werden. Zumindest
sollte an Beispielen exemplifiziert werden, welche Verhaltensweisen dem
Versicherten nicht zugemutet werden.

17.2 In einem System mit Teilpensionen

 

Inländische wie ausländische Erfahrungen legen es allerdings nahe, vom
Alles-oder-Nichts-Prinzip abzugehen und statt dessen einen abstufbaren
Invaliditätsbegriff einzuführen, der zu einem System von Teilpensionen führt.
Ein
solches System scheint zunächst teurer als ein System nach dem Alles-
oder-Nichts-Prinzip zu sein. Das muß aber keineswegs der Fall sein.
Einsparungen würden bei jenen Versicherten eintreten, die nach geltendem
Recht Vollpensionen erhalten könnten, im Teilpensionsmodell jedoch nur eine
Teilpension. Andererseits würden Mehrkosten für jene Versicherten entstehen,

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


153

die nach geltendem Recht keine Invaliditätspension erhielten, im neuen
System jedoch eine Teilpension. Schließlich müssten aber auch die
kompensatorischen Effekte bei der Arbeitslosenversicherung mit veranschlagt
werden: Die Bezieher von Teilpensionen würden im Falle der Arbeitslosigkeit
ja nur ein Teilarbeitslosengeld erhalten.

Der besondere Vorteil aller Teilpensionsmodelle besteht darin, daß auch ohne
Berufsschutz und damit grundsätzlich für alle Versicherten ein zu großer
Einkommensabfall aus gesundheitlichen Gründen verhindert wird. Zur

 

Ausgestaltung könnten ebenfalls die drei skizzierten Modelle herangezogen
werden, da sie alle einer Abstufung fähig sind. Entscheidend ist jedoch,
welche Stufen jeweils gebildet werden sollen.

> Es gilt zunächst eine Untergrenze festzulegen, unterhalb der keine
Invaliditätspension gewährt wird, weil entweder kein oder nur ein
geringfügiger Einkommensverlust anzunehmen ist.

> Denkbar ist, daß für die erste Stufe, also für Fälle leichter Invalidität, bei
denen höchstens geringfügige Einkommensnachteile zu erwarten sind,
keine Invaliditätspension, sondern eine Einmalzahlung vorgesehen wird,
die der Abgeltung der auftretenden immateriellen Nachteile (Schmerzen,
vermehrte Anstrengung, vorzeitige Abnützung etc.) dient.

> Erst ab jener Grenze, bei der mit beachtlichen Einkommensverlusten
gerechnet werden muß, sollte eine Invaliditätsteilpension gewährt
werden. Die Höchstpension sollte jedoch nicht erst bei 100%
Arbeitsunfähigkeit zuerkannt werden, da in der Regel auch schon bei
einem etwas niedrigeren Invaliditätsgrad keine realistische Chance auf
einen Arbeitsplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt besteht.

Die in Betracht kommenden Abstufungen müßten je nach dem verwendeten
Modell unterschiedlich ausfallen, wobei zwischen Modellen ohne und mit
Berufsschutz zu differenzieren wäre.

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


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17.2.1 Ohne Berufsschutz

> Arbeitszeitmodell: Wie nach dem schwedischen System könnte eine
Invaliditätspension erst dann vorgesehen werden, wenn die
Restarbeitsfähigkeit höchstens 6 Stunden pro Tag (oder 30 Stunden pro
Woche) beträgt. Dann würden sich weitere Abstufungen bei einer
Restarbeitsfähigkeit von 4 und 2 Stunden anbieten. Eine

Restarbeitsfähigkeit unter 2 Stunden erscheint auf dem Arbeitsmarkt so
wenig verwertbar, daß sie einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit
gleichzusetzen wäre. Damit käme man zu einem 4- Stufen-Schema: 6
Arbeitsstunden, 4 Arbeitsstunden, 2 Arbeitsstunden und weniger als 2

Arbeitsstunden täglich, das wurde bei Orientierung an den
Schwellenwerten Invaliditätspensionen in der Höhe von 25%, 50%, 75%

und 100% entsprechen. Allenfalls könnte bei einer Restarbeitsfähigkeit
von 7 Arbeitsstunden täglich eine Einmalzahlung vorgesehen werden.

Wenn man sich an den schwedischen Erfahrungen mit diesem System
orientiert, dann wäre damit zu rechnen, daß nahezu zwei Drittel der
Teilpensionen in die Kategorie 50% und ein Fünftel in die Kategorie 25%
fallen würden. Pensionen wegen einer Restarbeitsfähigkeit von 2 bis 3

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


155

Stunden pro Tag (Minderung 75%) würden wohl nur in einer geringen Anzahl
anfallen (Schweden 8%).

Bei diesem Modell wird über den Umweg der Arbeitszeit die
Einkommenslage ziemlich genau getroffen. Daher bedeutet jede Untergrenze,
daß für die darunter liegenden Werte real zu erwartende Einkommensnachteile
nicht ausgeglichen werden. Eine Einmalzahlung wäre daher nicht nur ein
Ausgleich für einen immateriellen Schaden, sondern auch für einen echten
Einkommensausfall. Das spricht dafür, die Untergrenze nicht zu tief
anzusetzen.

Was würde sich gegenüber dem österreichischen System ändern? Derzeit wird
bei einer Verweisung auf Teilzeitarbeit eine Invaliditätspension nur gewährt,
wenn die noch mögliche Arbeitszeit unter 50% der üblichen Normalarbeitszeit

im Verweisungsberuf beträgt; in diesem Fall besteht jedoch bereits Anspruch
auf die volle Pension. Das gilt entsprechend auch dann, wenn der
Arbeitnehmer bereits vorher in Teilzeit gearbeitet hat. Die Verweisung auf
Teilzeitarbeitsplätze wird aber durch den Berufsschutz stark eingeschränkt. Im
Ergebnis wurden nach dem Arbeitszeitmodell in Hinkunft Versicherten mit

Berufsschutz, die zwar innerhalb ihrer Berufsgruppe gar nicht mehr, wohl aber

Vollzeitig     in einem anderen Beruf arbeiten könnten, keine
Invaliditätspensionen zustehen. Versicherte mit Berufsschutz, die nur mehr in
Teilzeit in einem Beruf außerhalb ihrer Berufsgruppe arbeiten könnten, hätten
nur Anspruch auf eine Teilpension, nach geltendem Recht jedoch auf eine
Vollpension. Versicherte ohne Berufsschutz könnten hingegen nach dem

Arbeitszeitmodell auch dann, wenn sie noch mehr als 4 Stunden pro Tag
arbeiten können, eine Teilinvaliditätspension erhalten, wogegen sie derzeit
keinen Anspruch auf Invaliditätspension besitzen.

> Einkommensmodell: Dieses Modell könnte in ähnlicher Weise aufgebaut
werden. Invaliditätspensionen könnten erst dann vorgesehen werden, wenn
der Einkommensverlust mindestens 25% beträgt. Als weitere Stufen
kämen 50% und 75% (oder mehr) in Betracht. Dem würden bei
Orientierung an den Schwellenwerten Invaliditätspensionen im Ausmaß

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


von 25%, 50% und 100% entsprechen. Berücksichtigt man jedoch die
Bandbreite jeder Stufe und orientiert sich eher an einem Mittelwert, dann
ergäben sich Invaliditätspensionen im Ausmaß von 37,5% für die Stufe
25% bis unter 50% Minderung der Arbeitsfähigkeit und 62,5% für die
Stufe 50% bis unter 75% Minderung der Arbeitsfähigkeit. Wenn die
Sprünge zu groß erscheinen, wäre auch eine Unterteilung etwa in 50%,
65% und 80% Einkommensverlust denkbar. Einmalzahlungen könnten bei
einem noch festzulegenden Wert unter 25% vorgesehen werden. Es ist aber
festzuhalten, daß die Einmalzahlung in diesem Fall ausschließlich den
tatsächlichen Einkommensverlust ersetzen würde.

lnvalGesantgut.doc 16.01.01


 


157

 

 


Alternative:


Die Unterschiede zum derzeitigen System bestünden in folgendem: Bei
Verweisung von einem Vollzeitberuf auf einen Teilzeitberuf kämen
Teilpensionen auch dann in Betracht, wenn der zu erwartende
Einkommensverlust geringer als 50% ist. Versicherte ohne Berufsschutz
könnten Teilpensionen erhalten, wenn sie in den Verweisungsberufen mit
Einkommensnachteilen gegenüber ihrem früheren Einkommen von
mindestens 25% rechnen müssen, während sie derzeit keine
Invaliditätspension erhalten, wenn für sie ein Verweisungsberuf gefunden
wird. Versicherte mit Berufsschutz, die derzeit auch bei bestehender
Restarbeitsfähigkeit auf keine andere Tätigkeit verwiesen werden dürfen und

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


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daher Anspruch auf die volle Invaliditätspension haben, würden nur mehr
Teilpensionen erhalten, wenn sie noch mindestens 25% ihres früheren
Einkommens auf dem Arbeitsmarkt erzielen können.

Wenn man die Erfahrungen mit dem niederländischen Einkommensmodell
zugrundelegt, wäre zu erwarten, daß rund zwei Drittel der
I
nvaliditätspensionen Vollpensionen (80% und mehr Minderung der
Arbeitsfähigkeit) wären, ungefähr 15% wären Teilpensionen wegen einer
M
inderung der Arbeitsfähigkeit zwischen 25 und 50% und rund 10%
Teilpensionen wegen einer Minderung der Arbeitsfähigkeit zwischen 50 und
80%.

>  Gesamtbeurteilungsmodell:   Wegen   der   großen   Schwierigkeit   der

Feststellung des Invalidisierungsgrades in diesem Modell empfiehlt es

sich, nur wenige Stufen zu bilden. Angesichts der großen Bandbreite dieser

.   Stufen sollte sich die Höhe der Teilpension jeweils am Mittelwert der Stufe

i    orientieren. Die Abstufung könnte daher nach folgendem Schema erfolgen:

Abstufungsmöglichkeiten

Gegenüber dem derzeitigen Recht würde sich folgendes ändern: Versicherte,
die derzeit nur wegen des Berufsschutzes einen Anspruch auf Vollpension
besitzen, erhielten nur mehr eine Teilpension, wenn ihre Arbeitsfähigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwischen 50 und 75 (80)% beträgt und nur
eine Einmalzahlung, wenn sie zwischen 30 und 50% liegt. Andererseits
könnten Versicherte, die derzeit keine Invaliditätspension erhalten, obwohl die
Aufnahme eines Verweisungsberufes mit (erheblichen) Einkommensverlusten

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


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verbunden wäre, eine Leistung erhalten, wenn dieser Wechsel mindestens
einer 30%igen Minderung der Arbeitsfähigkeit entspricht.

Hinsichtlich der Verteilung der Invaliditätspension ist es schwierig, sich an
einem ausländischen Modell zu orientieren. Im nur annähernd vergleichbaren
dänischen Modell erhielten 14% aller Invaliditätspensionisten Pensionen
wegen 100%-iger Arbeitsunfähigkeit, 40% wegen einer Minderung der
Arbeitsfähigkeit zwischen 66,6 und 100% und 47% wegen einer Minderung

der Arbeitsfähigkeit zwischen 50 und 66,6%.

17.2.2 Mit Berufsschutz

Ein Berufsschutz für nur teilweise Arbeitsunfähige läßt sich, wie das
spanische Beispiel beweist, durchaus mit dem Gesamtbeurteilungsmodell
vereinbaren, ohne zu unsachlichen Bevorzugungen bestimmter
Personengruppen zu fuhren. Demnach würde die volle Pension nur bei
vollständiger Arbeitsunfähigkeit zustehen, wogegen bei bloßer Unfähigkeit
der Weiterarbeit innerhalb der Berufsgruppe nur eine Teilpension (z.B. 50%)
gebühren würde.

Diese Vorgangsweise läßt sich allerdings nur sehr schwer auf die anderen

Modelle übertragen. Im Arbeitszeitmodell würde dies bedeuten, daß die
Teilpension dann, wenn der Versicherte zwar in seinem gewöhnlichen Beruf
nur mehr 2 Stunden, in anderen Berufen aber länger arbeiten könnte, nicht
75% sondern nur 37,5% betrüge. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß die
Arbeitsfähigkeit in einem anderen Beruf viel länger wäre. Zudem könnte der
Versicherte, wenn seine Arbeitsfähigkeit in einem anderen Beruf etwa 4
Stunden betrüge, ohnedies - ohne eine derartige Berufsschutzbestimmung -
eine 50%-ige Teilpension erhalten. Diese Art Berufsschutz hätte daher kaum
irgendeine praktische Bedeutung.

Im Einkommensmodell wäre die Situation wieder anders. Wenn man dem
Versicherten, der nur in seinem gewöhnlichen Beruf nicht mehr arbeiten kann
und dort daher einen 100%-igen Einkommensverlust hätte, eine 50%-ige
Teilpension gewährt, dann könnte dies für ihn wesentlich günstiger sein, als

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


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sein zu erwartender Einkommensverlust in Verweisungsberufen. Zu erwägen
wäre allerdings, ihn zwischen der halben Vollpension oder einer Teilpension
ohne Berufsschutz wählen zu lassen.

17.3 Allgemeines zum Berufsschutz

Zu prüfen wäre allerdings, unter welchen Voraussetzungen überhaupt ein
Berufsschutz gewährt werden soll. Im Rahmen des Alles-oder-Nichts-Prinzips
h
at der Berufsschutz die Funktion, dem Versicherten nicht nur die Umstellung
auf einen anderen Beruf zu ersparen, sondern auch damit verbundene u.U.
erhebliche Einkommensnachteile zu vermeiden. In einem System mit
Teilpensionen fällt dieser zweite Aspekt weg, da solche Einkommensnachteile
durch die Teilpension ausgeglichen werden. Da der Berufsschutz in einem
T
eilpensionssystem somit nur der Schonung des Versicherten vor beruflichen
Umstellungen dient, besitzt er in einem solchen System einen wesentlich
geringeren Stellenwert. Sozialpolitisch sinnvoll und geboten erscheint er daher
nur für solche Versichertengruppen, denen die Umstellung auf einen anderen
Beruf nicht zugemutet werden kann. Das trifft eigentlich nur auf ältere
Versicherte zu. Ein nur auf bestimmte Berufstätigkeiten zugeschnittener
Berufsschutz, wie ihn das geltende Recht (für Angestellte und qualifizierte
Arbeiter) kennt, ließe sich hingegen sachlich nicht rechtfertigen. Die Aufgabe
dieser Art von Berufsschutz würde zudem die oben aufgezeigten
Systemwidrigkeiten (siehe Kapitel 9) beseitigen.

Wenig zweckmäßig wäre es, für den Berufsschutz eine starre Altersgrenze

vorzusehen. Sinnvoller wäre es, an der Arbeitsmarktsituation anzuknüpfen.
Die Verpflichtung älterer Versicherter zu einer beruflichen Umstellung
einschließlich der dazu allenfalls erforderlichen Um- und Nachschulungen
erscheint wenig zweckmäßig, wenn keine realistische Chance besteht, daß

diese Personen auch tatsächlich einen Posten finden werden. Die Frage, bis zu
welchem Lebensalter Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt bestehen,
läßt sich aber nur kurzfristig beantworten, da der Arbeitsmarkt ständig in
Bewegung ist. Es würde sich daher anbieten, jenes Lebensalter, bei dem der

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


 


161

Berufsschutz einsetzt, nicht schon im Gesetz festzulegen, sondern durch
Verordnung des zuständigen Bundesministers festsetzen zu lassen, der sich
dabei an der jeweiligen Arbeitsmarktsituation zu orientieren hätte. Dadurch
wäre die erforderliche Flexibilität gewährleistet.

Sollte dennoch ungeachtet der hier ausgeführten Bedenken grundsätzlich an
der Beibehaltung des Berufsschutzes für bestimmte Berufstätigkeiten
festgehalten werden, dann sollte eine auf dem Berufsschutz beruhende
Invaliditätspension zumindest für jüngere Versicherte nur befristet zuerkannt
werden; nach Ablauf dieser Frist würde der Berufsschutz entfallen und die
Invalidität nach den Verhältnissen am allgemeinen Arbeitsmarkt neu beurteilt
werden. Dadurch würde ein deutlicher Anreiz für die Empfänger solcher
Pensionen geschaffen, doch einen Berufswechsel vorzunehmen, ohne daß dies
u
nter Zeitdruck erfolgen müßte. Allerdings müßten für diese Personen auch
Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation und der Arbeitsvermittlung
zugänglich sein.

18.    Kapitel:
Die Zuerkennung

Im Sinne der zu Prävention und Rehabilitation angestellten Überlegungen
sollte die Entscheidung, ob eine Invaliditätspension oder eine andere Leistung
(Krankengeld, Rehabilitation) gewährt wird, ausschließlich durch den
Sozialversicherungsträger getroffen werden, der dazu ein Team aus
Medizinern, Berufskundlern, Rehabilitationsexperten und Verwaltungskräften
einzurichten hätte. Der Versicherte könnte dann keinen speziellen Antrag auf

die   Gewährung   einer   Invaliditätspension   stellen,   sondern   nur   einen

allgemeinen  Antrag  auf  die   Erbringung  der  für  die   Minderung   der

Arbeitsfähigkeit vorgesehenen Leistungen. Damit wäre automatisch die
Zustimmung des Versicherten zu zumutbaren Rehabilitationsmaßnahmen
inkludiert. Der Sozialversicherungsträger sollte aber, wie erwähnt, verpflichtet
werden, sich möglichst um ein Einvernehmen mit dem Versicherten und im
Falle der Rehabilitation auch mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsarzt zu

lnvatGesamtgut.doc 16.01.01


162

bemühen. Ist der Versicherte der Meinung, daß der Sozialversicherungsträger
eine unrichtige Entscheidung getroffen hat, sollte diese vor den
Sozialgerichten bekämpfbar sein.

Bei der Zuerkennung der Invaliditätspension wäre auszusprechen, wann sich
der Empfänger einer neuerlichen Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen

zu stellen hat. Damit könnte der Sozialversicherungsträger die Überprüfung in

flexibler Weise dem konkreten Fall anpassen, ohne - wie derzeit - an starre

zeitliche Vorgaben (Intervall höchstens 2 Jahre) gebunden zu sein. Die
Weigerung, sich dieser Überprüfung zu unterziehen, würde einen
Versagungsgrund abgeben. Zu überlegen wäre, ob für Selbständige, die wegen
der Gewährung einer Invaliditätspension ihren Betrieb aufgegeben haben, eine
Härteklausel vorgesehen werden sollte.

19.    Kapitel:
Die Berechnung der Invaliditätspension

Die Grundentscheidung betrifft die Berechnung der Vollpension;
Teilpensionen würden als Prozentsatz dieser Vollpension errechnet. Aus den
oben (in Kapitel 8) dargelegten Gründen sollte von der für die Alterspension
vorgesehenen Berechnungsweise abgegangen werden. Die Höhe der
Invaliditätspension sollte nur von zwei Umständen abhängen: (1) Von dem vor
dem Eintritt der Invalidität erzielten Versicherungspflichtigen Einkommen und

(2) vom Grad der Invalidität.

Bemessungsgrundlage sollte grundsätzlich jenes versicherte Einkommen sein,

das der Versicherte vor dem Eintritt der Invalidität bezogen hat. Um
Zufallsschwankungen auszugleichen, sollte dabei jedoch auf ein

Durchschnittseinkommen abgestellt werden. Hier bietet sich einmal eine

Analogie zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage in der Unfallversicherung,
d.h. ein grundsätzliches Abstellen auf das versicherte Einkommen des letzten
Jahres, an. Die Gefahr einer manipulativen Beeinflussung der
Bemessungsgrundlage ist gering, da nicht anzunehmen ist, daß einem

lnvalGesamtgut.doc 16.01.01


163

Versicherten, bei dem Minderungen der Arbeitsfähigkeit auftreten, ein
überhöhtes Erwerbseinkommen gewährt wird. Es ist allerdings nicht zu
übersehen, daß es bei einer sich allmählich verschlechternden Arbeitsfähigkeit
eines Arbeitnehmers zu Verringerungen des versicherten Einkommens
kommen kann (z.B. wegen reduzierter Überstundenanzahl, Verringerung der
Akkordleistung). Will man auch diesen Umstand berücksichtigen, könnte an
einen Dreijahresdurchschnitt gedacht werden. Das würde sich auch für
Selbständige empfehlen, da es bei dieser Personengruppe einerseits zu
konjunkturell bedingten Einkommensschwankungen kommen kann,
andererseits aber auch gewisse Gestaltungsmöglichkeiten des steuerpflichtigen
Einkommens bestehen. Wichtig ist weiters die Festlegung eines Stichtages für
diese Berechnung. Vorgeschlagen wird der Tag der Stellung des Antrages auf
Leistung. Nach den unterbreiteten Vorschlägen kann es nämlich ab diesem
T
ag zu verschiedenen Maßnahmen des Sozialversicherungsträgers
(
insbesondere Rehabilitation) kommen, die einen Einfluß auf die
Einkommensentwicklung besitzen.

Zu überdenken wäre, etwa in Anlehnung an die Unfallversicherung (§ 180

ASVG) für Versicherte, die bereits in sehr jungen Jahren invalid werden, eine

schrittweise Erhöhung der Bemessungsgrundlage vorzusehen, die den zu

erwartenden Steigerungen des Erwerbseinkommens bis zur Vollendung des
30. Lebensjahres entspricht.

Damit bleibt noch die Höhe der Vollpension festzustellen. Dafür bietet sich
ein Wert zwischen 60 und 80% der Bemessungsgrundlage an. Die 60%
würden in etwa dem Konzept des § 261 Abs. 5 ASVG entsprechen, die 80%
jenem der Unfallrente (bis zum Jahr 2000) und der Alterspension. Eine
unmittelbare Abstimmung mit der Höhe der Alterspension wäre dann nicht
erforderlich, wenn die Invaliditätspension als Leistung konzipiert wird, die nur
bis zur Erreichung des Pensionsalters gewährt wird. In einem
Teilpensionsmodell würde sich zwar die Einreihung in die vorgesehenen
Stufen prozentmäßig an der Vollinvalidität orientieren (z.B. Stufe “50% bis
unter 75% der Vollinvalidität"), die Höhe der Teilpension für jede einzelne

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


164

Stufe könnte jedoch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten differenziert
festgelegt werden (z.B. bliebe bei “50% bis unter 75% Invalidität" für den
Gesetzgeber ein erheblicher Entscheidungsspielraum, wieviel Prozent der
Vollpension dieser Stufe zugeordnet werden soll).

20.    Kapitel:
Arbeitsunfall und Berufskrankheit

Die sozialpolitische Legitimation für eigenständige Renten für den Fall des
Arbeitsunfalles und der Berufskrankheit erscheint in der Gegenwart fraglich.
Sie bestand zu jenen Zeiten, in denen es keinen ausreichenden Schutz gegen
das Risiko der Invalidität und des Alters gegeben hat. Nach wie vor gilt es
aber, die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung für die gesundheitliche
Sicherheit der Arbeitnehmer zu entlassen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen,

daß   im   Laufe   der   Zeit   durch   die   Ausdehnung   des   Schutzes   der

Unfallversicherung auch auf solche Unfälle, zu deren Vermeidung die
Arbeitgeber nicht den geringsten Beitrag leisten können, den Arbeitgebern
Lasten auferlegt wurden, die sich nicht mehr auf das der Unfallversicherung
zugrundeliegende Prinzip der Ablösung der Unternehmerhaftpflicht durch eine
von den Arbeitgebern finanzierte Versicherung zurückführen lassen. Zu
denken ist beispielsweise an den Schutz auf Wegen von und zur Arbeit, zu
Ärzten oder zu Banken, an den Schutz bei altruistischen Hilfsleistungen und
an den Schutz von Schülern und Studenten.

In einem umfassenden System der Sicherung gegen das Risiko der Invalidität
erscheint ein Sonderschutz für einen so weit gezogenen Begriff der
Arbeitsunfälle nicht mehr erforderlich. Denkbar wäre jedoch, den Begriff des
Arbeitsunfalls auf jenen Bereich zu beschränken, für den dem Arbeitgeber
e
ine Verantwortung auferlegt werden kann. Für diesen Arbeitsunfall und für
Berufskrankheiten könnten Modifikationen des neuen Rechts der
Invalidenversicherung vorgesehen werden. So könnte auf eine Wartezeit
verzichtet und ein Zuschlag zur Invaliditätspension gewährt werden, der
gleichzeitig die immateriellen Schäden abdecken soll. Dieser Zuschlag könnte

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bei einer Vollpension die Differenz zwischen der Invaliditätspension und der
Bemessungsgrundlage ausmachen, so daß die Invaliditätspension in diesem
Falle 100% der Bemessungsgrundlage ausmachen würde. Im Falle einer
Teilpension wäre der Zuschlag aliquot zu berechnen. Auf die
Integritätsabgeltung könnte dann verzichtet werden.

Für den Bereich der Heilbehandlung und Rehabilitation sollte keinerlei
Unterschied nach den Ursachen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen
gemacht werden.

Das Haftungsprivileg der Arbeitgeber und der ihnen gleichgestellten Personen

sowie die Sonderregelung für einen durch einen Arbeitskollegen verschuldeten

Arbeitsunfall könnten beibehalten werden. Im Gegenzug sollte die originäre

Ersatzpflicht der Arbeitgeber und der ihnen gleichgestellten Personen mit der

Höhe jenes Betrages begrenzt werden, den sie nach Schadensersatzrecht zu

leisten  hätten.   Diese  Änderungen  sollten zu  einer  Neuberechnung  der

Arbeitgeberbeiträge zu dieser eingeschränkten Unfallversicherung fuhren.

Sollte jedoch auch weiterhin eine eigenständige Unfallversicherung bestehen

bleiben, wäre jedenfalls Vorsorge dafür zu treffen, daß eine Kombination des

Bezuges   einer   Versehrtenrente   aus   der   Unfallversicherung   und   einer

Invaliditätspension nur bis zum Höchstausmaß der Bemessungsgrundlage in
der Unfallversicherung möglich ist.

21.    Kapitel:
Arbeitslosigkeit

Ob jemand arbeitsfähig ist oder nicht, müßte für die Invaliditäts- und für die
Arbeitslosenversicherung einheitlich festgestellt werden. Die Leistungen des
Arbeitsmarktservice und der Arbeitslosenversicherung müßten auch für Teil-
arbeitsfähige zugänglich sein. Da die Teilinvaliditätspension keine
Entschädigung für die verbleibende Restarbeitsfähigkeit darstellt, müßte diese
auf dem Arbeitsmarkt verwertet werden. Für diese Personen müßten daher

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Vermittlungsversuche angestellt und bei deren Fehlschlagen ein
Teilarbeitslosengeld vorgesehen werden.

Besonders zweckmäßig wäre es, würde über die Zuerkennung der
Teilinvaliditätspension und von Arbeitslosengeld gleichzeitig entschieden.
Damit ließe sich der heutige unerfreuliche Zustand vermeiden, daß der Antrag
von teilarbeitsfähigen Personen auf eine Invaliditätspension mit dem Hinweis
auf einen Verweisungsberuf abgelehnt wird, von dem bekannt ist, daß in ihm
für absehbare Zeit praktisch keine Chance auf die Erlangung eines
Arbeitsplatzes besteht. Die Entscheidung würde vielmehr bei Feststellung
gesundheitlicher Beeinträchtigungen entweder (1) zur Zuerkennung einer
Invaliditätsvollpension, oder (2) zur Zuerkennung einer
Teilinvaliditätspension und im Falle bestehender Arbeitslosigkeit auch eines
Teilarbeitslosengeldes oder (3) bei Nichtgewährung einer
Teilinvaliditätspension wegen zu geringfügiger Gesundheitsbeeinträchtigung
und bestehender Arbeitslosigkeit zur Zuerkennung von Arbeitslosengeld
fuhren. Es wäre also stets vermieden, daß Personen, bei denen gesundheitlich
bedingte Beeinträchtigungen ihrer Arbeitsfähigkeit festgestellt werden, im
Falle bestehender Arbeitslosigkeit einfach abgewiesen werden, weil nur die
Gewährung einer Invaliditätspension Gegenstand des Verfahrens ist.

Auch für die Bezieher eines Teilarbeitslosengeldes würde die Verpflichtung
zur Verwertung ihrer Restarbeitsfähigkeit bestehen; sie müßten sich denselben
Kontrollen wie die Bezieher des vollen Arbeitslosengeldes unterwerfen.

Es erscheint zweckmäßig, die Verfahren auch in dem Fall zusammenzuführen,

daß   der   Versicherte   erst   nach   dem   Zeitpunkt   der   Gewährung   der

Invaliditätsteilpension arbeitslos wird. Auch in diesem Fall müßte das
festgestellte Ausmaß der Invalidität für die Arbeitslosenversicherung bindend
sein.

Diese Vorschläge setzen, wie erwähnt, voraus, daß die
Verweisungsmöglichkeiten in beiden System identisch sind. Wenig sinnvoll
wäre es vor allem, im Recht der Invaliditätsversicherung einen bestimmten
Berufsschutz einzuführen, im Recht der Arbeitslosenversicherung jedoch

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


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keinen oder einen unterschiedlich ausgestalteten. Würde etwa einem noch
arbeitsfähigen Invaliditätspensionisten nach dem Recht der
Invaliditätsversicherung nicht zugemutet, eine berufliche Umstellung
vorzunehmen, würde dieses Konzept völlig durchkreuzt werden, wenn die
Arbeitslosenversicherung eine solche Umstellung forderte. Diese Überlegung
spricht vehement dafür, auf den bisherigen Berufsschutz überhaupt zu
verzichten oder ihn wirklich nur, wie vorgeschlagen, auf ältere Arbeitnehmer
zu beschränken und ihn dann in gleicher Weise für das Recht der Invaliditäts-
und der Arbeitslosenversicherung vorzusehen. Wird kein derartiger
Berufsschutz für filtere Arbeitnehmer eingeführt, bestünde die Möglichkeit, für
diese älteren Arbeitnehmer im Falle der Arbeitslosigkeit ein Arbeitslosengeld
vorzusehen, das in seiner Höhe einer Invaliditätspension angenähert wäre.

22.    Erreichung der Altersgrenze
für die Regelpension

Sozialleistungen, deren Zweck darin besteht, ausfallendes Erwerbseinkommen
zu ersetzen, sollten vom Sozialrecht, wohl aber auch vom Steuerrecht, ebenso
wie Erwerbseinkommen behandelt werden. Das hat Konsequenzen, sobald ihr
Bezieher die Regelalterspensionsgrenze (65/60 Jahre) erreicht. Das
Pensionsversicherungsrecht geht davon aus, daß die Versicherten spätestens
ab diesem Zeitpunkt nicht mehr der Erwerbsbevölkerung angehören und daher
an Stelle ihres Erwerbseinkommens die Alterspension beziehen. Damit wird
allen in das Alterssicherungssystem einbezogenen Personen zugemutet, ab
diesem Zeitpunkt eine gewisse Einkommensverringerung in Kauf zu nehmen.
Gleichheitsüberlegungen legen es grundsätzlich nahe, auch jene Personen, die

während der Zeit, in der sie sich im erwerbsfähigen Alter befanden,
Ersatzeinkommen erhielten, nicht anders zu behandeln. Die Konsequenz, die
viele europäische Staaten daraus gezogen haben, besteht darin, den Anspruch
auf Invaliditätspensionen bei Erreichung des Anfallsalters für die
Regelpension enden zu lassen und in der Folge nur mehr Alterspensionen zu
gewähren. Das erscheint vor allem dann geboten, wenn - wie hier

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


168

vorgeschlagen - die Berechnung der Invaliditätspensionen von jener der
Alterspensionen abweicht.

Technisch könnte das in der Weise durchgeführt werden, daß die Jahre des
Bezuges einer Invaliditätspension voll als Versicherungsjahre anerkannt
werden, die Invaliditätspension in die Bemessungsgrundlage einbezogen und
auf dieser Basis die Alterspension errechnet wird. Nach dem Vorbild des
§ 254 Abs. 7 ASVG sollte dabei eine Zusammenrechnung von
Invaliditätspension und Erwerbseinkommen stattfinden. An dieser Methode
fuhrt wohl bei Invaliditätsteilpensionen kein Weg vorbei. Denn für den
Teilpensionisten setzt sich sein Einkommen aus der Teilpension und dem
erzielten Erwerbseinkommen (oder der Leistung aus der
Arbeitslosenversicherung) zusammen. Diese Personen sollten allerdings wie
voll Erwerbstätige behandelt werden, d.h. zur Umwandlung in eine
Alterspension sollte es nur bei erfolgter Antragstellung auf Gewährung einer
Alterspension kommen.

Zur Milderung von Härten könnte Personen, die bereits in relativ jungen
Jahren eine volle Invaliditätspension zuerkannt erhielten, garantiert werden,
daß die Alterspension mindestens in der Höhe der Invaliditätspension zusteht;
allerdings würde diesfalls das Prinzip der Gleichbehandlung aller Versicherten
verlassen werden.

Die hier angestellten Überlegungen treffen auch auf Versehrtenrente aus der
Unfallversicherung zu. Sollten daher auch weiterhin eigenständige
Unfallversicherungsrenten gewährt werden, sollte der Übergang zu
Alterspensionen in gleicher Weise wie bei Invaliditätspensionen erfolgen.

23.    Kapitel:
Organisationsfragen

Eine effiziente Umsetzung der hier vorgebrachten Anregungen verlangt nach
entsprechenden organisatorischen Änderungen. Der wirksamen Prävention
und rechtzeitigen Rehabilitation stehen derzeit vor allem die

InvalGesamtgut.doc 16.01.01


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Mehrfachzuständigkeiten hindernd im Wege. Eine sinnvolle Organisation muß
so aufgebaut sein, daß die Erfolge in der Vermeidung von Arbeitsunfähigkeit
jenem Träger auch finanziell zu Gute kommen, der den Aufwand für diese
Maßnahmen getragen hat. Es muß möglichst verhindert werden, daß Anreize
dafür bestehen, behinderte oder gefährdete Personen abzuschieben und damit
die Belastungen anderen Trägem zuzuweisen. Es hat sich erwiesen, daß vor
allem die Aufteilung der Zuständigkeit zur gesundheitlichen Betreuung, zur
Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und zur Gewährung von
Einkommensersatzleistungen bei Arbeitsunfähigkeit auf mehrere Träger zu
den konstatierten Unzulänglichkeiten führt. Konsequenterweise sollten daher
diese Aufgaben in einer Hand vereinigt werden. Gäbe es eine einheitliche
Zuständigkeit für das Gesamtproblem Invalidität, dann bestünde ein starker
ökonomischer Anreiz zur Intensivierung von Prävention und Rehabilitation.

Das neue Modell hätte dagegen keinen Zusammenhang mit der Gewährung
von Alterspensionen und davon abgeleiteten Leistungen und sollte daher
vollständig von der Pensionsversicherung getrennt werden. Das bedeutet
allerdings auch - folgt man dem Vorschlag auf Gewährung einer
Alterspension an Stelle der wegfallenden Invaliditätspension -, daß die
Finanzierung der Alterspension aus den Mitteln der Invaliditätspension
und/oder Beiträgen der Invaliditätspensionisten erfolgen müßte.

Die Durchführung der Rehabilitation wäre nicht mehr unmittelbare Aufgabe
der Sozialversicherung, diese hätte vielmehr nur mehr für deren Gewährung,
Finanzierung und Koordinierung zu sorgen. Die Durchführung könnte von

allen dafür geeigneten Einrichtungen erfolgen, also auch von privaten. Wenn

die Sozialversicherungsträger auch weiterhin eigene Rehabilitationszentren
führen wollen, hätten sie mit allen anderen Trägern solcher Einrichtungen in
Konkurrenz zu treten.

Schließlich darf auf die Koordination mit der Arbeitslosenversicherung nicht
vergessen werden.

Wie könnte die Umsetzung aussehen? Die einzelnen untersuchten Länder
können als Beispiele für verschiedenartige Lösungen dienen: In Dänemark

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werden Kranken-, Invaliditäts- und Altersversicherung gemeinsam von den
Gemeinden verwaltet. In den Niederlanden hat man die Krankengeld-, die
Invaliditäts- und die Arbeitslosenversicherung organisatorisch
zusammengefaßt, in Schweden die Kranken-, die Pensions- und die
Berufsschadensversicherung. In Spanien sind die Krankengeld-, die
Invaliditäts- und die Altersversicherung organisatorisch verbunden. Für die
Unfallversicherung und Arbeitslosenversicherung wurden verschiedentlich
privatrechtliche Modelle verwendet oder ein opting-out zugelassen

Welche Möglichkeiten bieten sich unter Berücksichtigung der bisher
gemachten inhaltlichen Vorschläge an?

23.1 Variante 1: Unfall- und Invaliditätsversicherung

Die zurückhaltendste Reform bestünde darin, die Invaliditätsversicherung mit
der Unfallversicherung zum neuen Versicherungszweig “Unfall- und
Invaliditätsversicherung" zu vereinen. Die Durchführung könnte den bisher
mit der Unfallversicherung befaßten Sozialversicherungsträgern übertragen
werden. In organisatorischer Hinsicht müßte das Personal, das bisher in der
Pensionsversicherung mit Rehabilitation und Gewährung von
Invaliditätspensionen befaßt war, an die neuen Träger überstellt werden. Dabei
ließen sich personelle Einsparungseffekte erwarten, weil Doppelgleisigkeiten
(etwa auf dem Gebiete der Begutachtung) vermieden werden könnten. Zu
klären wäre aber auch das Schicksal der bestehenden
Rehabilitationseinrichtungen der Pensionsversicherungsträger. Da die
Beitragseinnahmen und Staatszuschüsse der Pensionsversicherungsträger
bisher auch für die Finanzierung der Rehabilitation und der Gewährung von
Invaliditätspensionen herangezogen wurden, müßte auch die Finanzierung neu
geordnet werden. Die Unfall- und Invaliditätsversicherung müßte Beiträge
und/oder Staatszuschüsse zur Finanzierung der auf sie neu zugekommenen
Aufgaben erhalten, die Mittel der Pensionsversicherung wären entsprechend
zu kürzen.

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Gegen diese Variante spricht allerdings, daß damit die erforderliche
Koordination mit der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung
nicht ausreichend sichergestellt werden kann. Vor allem steht zu befürchten,
daß Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation nicht im gebotenen
Ausmaß durchgeführt würden.

Das legt es nahe, auch an andere Varianten zu denken.

23.2 Variante             2:             Kranken-             und

Invaliditätsversicherung

Wenn man die weitergehenden inhaltlichen Reformvorschläge übernimmt,
läge es nahe, die Trennung zwischen Krankenversicherung,
Unfallversicherung und Invaliditätsversicherung aufzugeben und alle drei
Bereiche in einen neuen Versicherungszweig “Kranken- und
Invaliditätsversicherung" einzubringen. Dabei könnte an die dezentrale
Organisationsform, wie sie derzeit in der Krankenversicherung besteht,
angeknüpft und in jedem Bundesland ein Träger eingerichtet werden. Es
könnte aber auch die Trennung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen

beibehalten und diese Dezentralisierung auf die Arbeitnehmer beschränkt

werden.    Schließlich    wäre    es    auch    möglich,    nur    einen    einzigen

Sozialversicherungsträger mit dieser Aufgabe zu betrauen, der aber regional
reichlich untergliedert sein müßte. Eine denkbare, dem Gutachter aber weniger
empfehlenswert erscheinende Subvariante könnte darin bestehen, nur die
Invaliditätsversicherung auf die Krankenversicherung zu übertragen und die
Unfallversicherung separat bestehen zu lassen.

Auch in Variante 2 müßte die Beitragsleistung für die Invalidität aus jener der
Pensionsversicherung herausgelöst und auf den oder die neuen Träger
übergeführt und das Schicksal der bestehenden Rehabilitationseinrichtungen
geklärt werden. Es könnte aber dabei bleiben, daß getrennte Beiträge für die
Krankenversicherung, die Unfallversicherung und die Invaliditätsversicherung
eingehoben werden, die jedoch alle demselben Träger zufließen. Nur dadurch

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ist gewährleistet, daß Aufwendungen und Erfolge gesundheits- und
arbeitsfördernder Maßnahmen demselben Träger zugerechnet werden.

Diese Lösung würde die Krankenversicherung mit einbeziehen, was zur
Optimierung der Prävention und Rehabilitation die vorrangige Aufgabe zu
sein scheint; zudem würde sie die schwierige Abgrenzung zwischen
Krankenbehandlung und medizinischer Rehabilitation entbehrlich machen
oder zumindest auf ein Problem der internen Verteilung auf Kostenstellen
beschränken. Weiterhin ungelöst bliebe jedoch die Verbesserung der
Koordination mit der Arbeitslosenversicherung.

23.3 Variante    3:     Kranken-,     Invaliditäts-     und
Arbeitslosenversicherung

Der weitestgehende Schritt bestünde darin, auch die Arbeitslosenversicherung
in den neuen Versicherungszweig mit einzubinden. Dabei könnte wiederum an
eine regionale Gliederung, also jeweils an einen einzigen Träger pro
Bundesland, gedacht werden. In diesem Falle müßten auch die
Arbeitslosenversicherungsbeiträge dem neuen Träger zufließen. Das
Arbeitsmarktservice müßte wohl ebenfalls in diese neue Organisationsform
mit einbezogen werden. Diese Lösung könnte jedoch auch auf Arbeitnehmer
beschränkt werden, da Selbständige nicht in die Arbeitslosenversicherung
einbezogen sind; für Selbständige könnte es daher einen eigenständigen
Träger für die Bereiche Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherung geben.

Der große Vorteil dieser Lösung bestünde darin, daß das Risiko der Invalidität
mit seinen Arbeitsmarktimplikationen einheitlich erfaßt werden könnte. Ein
Hin- und Herschieben von Versicherten zwischen Invaliditäts- und
Arbeitslosenversicherung wurde keinen Sinn mehr machen, obwohl die
Leistungen nach wie vor unterschiedlich wären.

In allen Varianten bliebe es aber dabei, daß es unterschiedliche Leistungen für
bloße Krankenstände, für Invalidität und für Arbeitslosigkeit mit jeweils
unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen gäbe. Zu Kontrollzwecken
würden allerdings intern auch unterschiedliche Kostenstellen zu führen sein,

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da auch differenzierte Beiträge eingehoben werden. Es ist daher anzunehmen,
daß es auch in den neuen Trägern zu einer internen Arbeitsteilung käme, die
zu Reibungen zwischen verschiedenen Abteilungen fuhren kann. Solange es
sich aber um Abteilungen handelt, denen eine gemeinsame Geschäftsführung
übergeordnet ist, der die finanzielle Gesamtverantwortung obliegt, besteht die
große Wahrscheinlichkeit, daß sich die Koordination doch erheblich besser
sicherstellen läßt als in organisatorisch und rechtlich getrennten
Einrichtungen.

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24.    Das vom Gutachter empfohlene Modell

Der Gutachter möchte abschließend jenes Modell skizzieren, das ihm zur
Lösung des Invaliditätsproblems am geeignetsten erscheint. Ergänzend wird
auf einige der in Erwägung gezogenen Varianten hingewiesen.

•   Hauptziel der Reform sollte es sein, Minderungen der Arbeitsfähigkeit

oder der Selbsthilfefähigkeit möglichst zu vermeiden. Daher sollten

Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation so früh wie möglich
einsetzen und die Gewährung von Invaliditätspensionen nur als ultima
ratio in Betracht kommen.

•   Das Gesundheitsbewußtsein muß sowohl im privaten Lebensbereich als
auch in der Arbeitswelt gestärkt werden. Arbeitgeber und Betriebsärzte
wären massiv in die Prävention einzubinden (z.B. Durchführung
spezieller Übungsprogramme).

•   Krankenbehandlung und medizinische Rehabilitation sollten
zusammengeführt werden. Schon bei ersten Anzeichen, daß
längerfristig eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit oder
Selbsthilfefähigkeit droht, sollten im Zusammenwirken zwischen dem
Versicherten, dem behandelnden Arzt, dem Betriebsarzt und dem
zuständigen Sozialversicherungsträger entsprechende Maßnahmen
eingeleitet werden.

•   Die Arbeitgeber sollten im Rahmen des ihnen Zumutbaren verpflichtet
werden, ihren Arbeitnehmern, deren Arbeitsfähigkeit sich aus

gesundheitlichen Gründen verschlechtert, einen ihrem
Gesundheitszustand entsprechenden Arbeitsplatz zuzuweisen; ist dieser
schlechter entlohnt, sollten Ausgleichszahlungen durch die
Sozialversicherung erfolgen. Konsequenterweise würden die
Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Geldleistungen wegen
Arbeitsunfähigkeit besitzen, solange sie von diesen ihnen angebotenen
Möglichkeiten keinen Gebrauch machen.

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•   Erscheint berufliche Rehabilitation geboten, sollte ein entsprechendes
Programm (am besten im Unternehmen on the Job) durch ein
Rehabilitationsteam ausgearbeitet werden. Der Rehabilitand müsste ein
entsprechendes Einkommen entweder vom Arbeitgeber oder vom
Sozialversicherungsträger erhalten. Den sich an diesen Programmen
beteiligenden Arbeitgebern sollten ihre Aufwendungen ersetzt werden.

•   Der Versicherte sollte nur den generellen Antrag stellen können, die für
seinen Fall erforderlichen Leistungen zu erhalten; die Auswahl der
konkreten          Leistungen (Rehabilitation, Krankengeld,
Invaliditätspension) hätte der Sozialversicherungsträger nach
pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Der Versicherte soll jedoch -
ähnlich wie bei der Krankenbehandlung - einen vor Gericht
durchsetzbaren Rechtsanspruch darauf besitzen, daß die Maßnahmen
zweckmäßig und ausreichend sind.

•   Krankengeld sollte für kurzfristige (maximal l Jahr),
Invaliditätspension für längerfristige Arbeitsunfähigkeit gewählt
werden. Lehnt der teilarbeitsfähige Versicherte eine ihm vom
Arbeitgeber angebotene zumutbare Tätigkeit ab, bei der ihm der volle
Entgeltanspruch (allenfalls in Kombination mit einem Teilkrankengeld)
gewahrt bleibt, sollte es zur Versagung der Lohnfortzahlung und/oder
des Krankengeldes kommen.

•   Das Ausmaß der Invalidität sollte im Sinne des Einkommensmodells
als Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen vor dem
Eintritt der Invalidität und dem erzielbaren Einkommen auf dem
gesamten Arbeitsmarkt nach Eintritt der Invalidität ermittelt werden
(Variante Arbeitszeitmodell: Ausmaß der noch möglichen täglichen
Arbeitszeit). Berufsschutz sollte es - wenn überhaupt - erst ab einem
Lebensalter geben, bei dem eine Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt äußerst unwahrscheinlich ist.

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•   In Abkehr vom Alles-oder-Nichts-Prinzip sollte es ab einem
bestimmten Mindestmaß der Minderung der Arbeitsfähigkeit auch
Teilpensionen geben. (Variante allgemeiner Berufsschutz im
Teilpensionsmodell: Kann zwar der bisherige Beruf nicht mehr
ausgeübt werden, wohl aber eine andere Berufstätigkeit, dann stünde
eine Teilpension - etwa 50% - zu)

•   Die Höhe der Invaliditätsvollpension sollte nur von zwei Elementen
abhängen: Vom aktuellen versicherten Einkommen und vom Grad an
Invalidität. Teilpensionen wären in Stufen entsprechend der
verbliebenen Restarbeitsfähigkeit vorzusehen. Die Höhe der
Teilpensionen könnte nach sozialpolitischen Gesichtspunkten für jede
dieser Stufen festgelegt werden.

•   Ein eigenständiger Schutz von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
wäre in diesem neuen umfassenden Konzept entbehrlich. Den Opfern
von (neu zu definierenden) Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
könnten jedoch Invaliditätspensionen ohne Wartezeit und mit einem
Zuschlag gewährt werden. Die Beiträge zur Unfallversicherung müßten
neu berechnet, die Haftungsentlastungen könnten grundsätzlich
beibehalten werden.

•   Die Leistungen des Arbeitsmarktservice sollten auch
Invaliditätsteilpensionisten offen stehen. Im Falle ihrer Arbeitslosigkeit
müßten sie Anspruch auf ein Teilarbeitslosengeld besitzen. Die
Verweisungsmöglichkeiten sollten sich für die Bereiche der
Invaliditätsversicherung und der Arbeitslosenversicherung decken, die
Verfahren zur Gewährung von Invaliditätspensionen und von
Arbeitslosengeld waren zu verbinden.

•   Bei Erreichung des Anfallsalters für die Regelpension sollte an die
Stelle der Invaliditätspension eine nach den allgemeinen
Bestimmungen errechnete Alterspension treten, wobei die
Invaliditätspension und erzieltes Erwerbseinkommen in die

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Bemessungsgrundlage einzubeziehen wären. (Variante: Für Personen,
die schon in jüngeren Jahren voll invalid werden, könnte als Minimum
die Höhe der Invaliditätspension garantiert werden.)

•   Die Umsetzung dieser Vorschläge verlangt nach
Organisationsänderungen. In jedem Fall wäre die
Invaliditätsversicherung aus der Pensionsversicherung herauszulösen
und organisatorisch mit der Krankenversicherung zu verschmelzen. Die
beste Lösung wäre jedoch die Einbindung auch der Unfallversicherung
und der Arbeitslosenversicherung in diesen Versicherungszweig.
Dadurch ließe sich nicht nur die Organisationsstruktur der
Sozialversicherung straffen, sondern auch ein Abbau
leistungshemmender Mehrfachzuständigkeiten erwarten.

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