Unser Cover-Künstler im Porträt

Studio Visit: BEN WILLIKENS

Ben Willikens arbeitet in einem ehemaligen Kornspeicher, den er zu einem mehrgeschoßigen Atelierhaus umbaute. Vorab seiner Ausstellung in der Albertina haben wir den Künstler im Studio in der Nähe von Stuttgart besucht.


In den großformatigen Gemälden von Ben Willikens wird die metaphorische Bedeutung von Architektur zum einprägsamen Bild des Weltgeschehens und der Traumata des Krieges. Bilder, die Themen unseres kollektiven Gedächtnisses ebenso ausdrücken wie autobiografische Erlebnisse des Künstlers. Die Albertina nimmt eine bedeutende Schenkung des Unternehmers und Sammlers Siegfried Weißhaupt zum Anlass für eine Ausstellung, in der das Frühwerk und Willikens' aktuelle Serie „ORTE 2“ im Mittelpunkt stehen. Ab Mai zeigt das Schauwerk Sindelfingen eine Retrospektive mit Werken aus allen Schaffensperioden.

Willikens, 1939 in Leipzig geboren, war Student in der Malereiklasse von Heinz Trökes (1962–1965) an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und ging danach an die Slade School of Fine Art in London. In dieser Zeit entstanden kaum Gemälde, jedoch eine Reihe von konzeptuellen Zeichnungen. Die Pop-Art, die er in London kennenlernte, fand er zwar „visuell aufregend“, wie er 2012 im Gespräch mit Walter Grasskamp erzählte, aber es fehlt ihm „darin die existenzielle Dimension“. Vielmehr war er bereits damals auf der Suche nach einer Form, um die Welt, „wie ich sie erlebt hatte, ins Bild zu bringen, ohne sie zu dokumentieren oder abzumalen. Meiner Generation, dazu zählten Maler wie Baselitz, Lüpertz und Richter, ging es vor allem darum, die Vorherrschaft der Abstraktion zu überwinden. Damals figurativ zu arbeiten war nicht leicht. Die Abstraktion war zum Akademismus geworden. Man wollte Anschluss an die internationale Kunst in Paris und New York finden, jedoch das Geschehene nicht reflektieren. Doch für uns stellte sich die Frage: Warum kommt die Welt, die wir erlebt haben – der Krieg und die Nachkriegszeit – in der Kunst nicht vor?“, so Willikens in unserem Gespräch.

Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

Die Schrecksekunden der Geschichte dauern oft eine ganze Generation. Die traumatischen Erlebnisse unserer Kindheit hatten mit der heilen Welt, die uns damals umgab, mit der l´art pour l´art, nichts zu tun. Heute verstehe ich, dass das einen Sinn hatte. Aber meine Generation konnte das nicht weiterführen.

Ben Willikens

Der Aufenthalt in London brachte Willikens eine Reihe an Überlegungen zur Malerei. Vor allem den Gedanken, dass er, wenn er mit der Malerei weitermachen wollte, sie neu erfinden müsste – ohne Pinsel, ohne gestische Handschrift. Im Rückblick bezeichnet er diese Zeit als Experimentieren, als Etüde für das, was noch kommen sollte. Aufgrund einer persönlichen Krise verbrachte er 1969 fast ein Jahr in einer Klinik. Die dort praktizierten Methoden, die medizinischen Einrichtungen und die emotionale Kälte der Räume prägten ihn nachhaltig. In Zeichnungen hielt er diese Erlebnisse fest. Sie wurden maßgeblich für die folgenden Bildkonzeptionen, wie überhaupt die Zeichnung sein Werk bis heute begleitet. Seine Skizzenbücher, in denen er seine Wahrnehmung der Welt zeichnerisch umschreibt, reichen von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart.

Die Auszeichnung mit dem ältesten deutschen Kunstpreis, dem renommierten Villa-Romana-Preis, die ihn 1970 in der Klinik erreichte, gab ihm den notwendigen Impuls, diese zu verlassen.

Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

Während seiner Aufenthalte in der Villa Romana in Florenz und später in der Villa Massimo in Rom besuchte er Psychiatrien, Kasernen und Gefängnissen und hielt seine Eindrücke mittels Fotografie und Zeichnung fest. Die Anonymität dieser Räume, in denen der Mensch seine Individualität verliert, wurde zum Sinnbild einer durch Kriegs- und Nachkriegserfahrungen geprägten Generation. Die großformatigen Anstaltsbilder, die in der Folge in seinem Stuttgarter Atelier entstanden, sind in Grautönen gemalt. Grau ist für Willikens die sensibelste Farbe. 

Die Farbe Grau bringt mit all ihren Nuancen das Licht dosiert an unser Auge und drängt sich nicht sofort auf. Sie ist unemotional und erzeugt eine gewisse Versachlichung. Gleichzeitig ist sie die Farbe des Sterbens und Leidens.

Ben Willikens

1/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

2/7 | Atelier Ben Willikens, Bilder aus der Serie "ORTE 2", Foto: Frank Kleinbach

3/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

4/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

5/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

6/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

7/7 | Atelier Ben Willikens, Foto: Frank Kleinbach

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

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