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Berufliche Weiterbildung in Volkshochschulen

Zugänge zum lebenslangen Lernen

von Marion Fleige (Autor:in) Wiltrud Gieseke (Autor:in) Aiga von Hippel (Autor:in) Maria Stimm (Autor:in)
©2022 Sammelband 404 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Nicht nur durch die technischen Veränderungen in allen Berufsfeldern sind Volkshochschulen – bezogen auf alle Qualifikationsniveaus – verstärkt gefordert. Bisher fehlen jedoch grundlegende Erkenntnisse, wie auf diese Entwicklungen durch Volkshochschulen in ihren beruflichen Weiterbildungsangeboten reagiert wird. Die Ergebnisse der Studie sind gebündelt und feingliedrig aufbereitet, um eine theoretisch-empirische Auslegung beruflicher Weiterbildung anzubieten. Es werden die thematischen und strukturellen Verschiebungen und Schwerpunkte ebenso sichtbar wie die vorhandenen Handlungsspielräume der Programmplanenden an Volkshochschulen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Abkürzungen
  • 1. Einleitung: Kontext, Ziele, Fragestellung, Annahmen und Design der Studie
  • 1.1. Kontexteinbettung Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • 1.2. Forschungsdesign und Fragestellungen Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • 1.3. Ziele der Forschung und Darstellung Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • 1.4. Struktur der Veröffentlichung Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • 2. Berufliche Weiterbildung: Begriffe, Grundlagen, Tendenzen
  • 2.1. Ordnungspolitischer und bildungssystembezogener Zuschnitt Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige, Stephanie Iffert
  • 2.2. Institutionelle Schnittstelle zwischen beruflicher Aus- und Weiterbildung Bettina Thöne-Geyer
  • 2.3. Systematisierungszuschnitt im (erwachsenenbildungs-)wissenschaftlichen Diskurs Bettina Thöne-Geyer, Stephanie Iffert, Marion Fleige
  • 2.4. Zugeordnete Begriffsfelder zur beruflichen Weiterbildung
  • 2.4.1. Begriffsfeld: Tätigkeit Wiltrud Gieseke
  • 2.4.2. Begriffsfeld: Arbeit Caroline Schmidt, Stephanie Iffert, Marion Fleige, Bettina Thöne-Geyer
  • 2.4.3. Begriffsfeld: Beruf Caroline Schmidt, Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige, Stephanie Iffert
  • 2.4.4. Begriffsfeld: Qualifikationen und weiteres Begriffsumfeld Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige
  • 2.4.5. Begriffsfeld: Employability und Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige
  • 2.5. Strukturen im Spiegel von Bildungsmonitoring und Programmanalysen
  • 2.5.1. Beteiligung und Teilnehmende (Monitoring) Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige
  • 2.5.2. Programmanalysen zum Programmsegment ‚berufliche Weiterbildung‘ Maria Stimm
  • 2.6. Operationalisierung der beruflichen Weiterbildung für die vorliegende Studie Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • 3. Öffentlich-verantwortete berufliche Weiterbildung an Volkshochschulen
  • 3.1. Volkshochschulen in öffentlicher Verantwortung Aiga von Hippel
  • 3.1.1. Begriffliche Definitionen
  • 3.1.2. Öffentliche Verantwortung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung mit Fokus Volkshochschule
  • 3.1.3. Auslegung öffentlicher Verantwortung auf Ebene der beruflichen Weiterbildung an Volkshochschulen
  • 3.2. Politische Umjustierung nach den Reformphasen Wiltrud Gieseke
  • 3.3. Aspekte eines zeitgeschichtlichen Verlaufs Bettina Thöne-Geyer, Stephanie Iffert, Marion Fleige
  • 3.4 Gegenwärtige Entwicklungen und politische Steuerungsdiskurse Bettina Thöne-Geyer, Stephanie Iffert, Marion Fleige
  • 3.5. Strukturelle Ausrichtungen: Förderstrukturen Bettina Thöne-Geyer
  • 4. Bildungstheoretische Überlegungen zu Programmen und Programmplanung Wiltrud Gieseke, Maria Stimm
  • 5. Auswahl und Sampling der Einrichtungen
  • 5.1. Einführung zum Sampling Aiga von Hippel, Stephanie Iffert, Maria Stimm, Bettina Thöne-Geyer
  • 5.2. Kriteriengeleitetes Sampling Aiga von Hippel, Stephanie Iffert, Maria Stimm, Bettina Thöne-Geyer
  • 5.2.1. Erschließender Zugang: Auswahl über die Volkshochschul-Statistik
  • 5.2.2. Vertiefender Zugang: Erarbeitung von Kriterien über Expert*inneninterviews
  • 5.2.3. Programmanalytischer Zugang: Auswahl über die Sichtung der Programme
  • 5.3. Beschreibung der Einrichtungen Laura Seidel
  • 6. Programmanalyse
  • 6.1. Allgemeine Einbettung der Programmanalyse Maria Stimm
  • 6.2. Erläuterungen zum Kodierleitfaden und zur Durchführung der Programmanalyse Stephanie Iffert, Bettina Thöne-Geyer, Maria Stimm, Aiga von Hippel
  • 6.3. Anlage des Auswertungsprozesses Stephanie Iffert, Bettina Thöne-Geyer
  • 7. Expert*inneninterviews
  • 7.1. Allgemeine Einbettung der Expert*inneninterviews Stefanie Hoffmann
  • 7.2. Erläuterungen zum Interviewleitfaden Stefanie Hoffmann, Maria Stimm
  • 7.3. Anlage der Auswertung Stefanie Hoffmann, Maria Stimm
  • 8. Ergebnisse der Programmanalyse und Expert*inneninterviews
  • 8.1. Ergebnisse der Programmanalyse im Überblick Bettina Thöne-Geyer
  • Exkurs 1: Beratung und Coaching Stephanie Iffert, Maria Stimm
  • 8.1.1. Strukturelle Ausrichtungen: Kooperationen und Förderstrukturen Bettina Thöne-Geyer, Stephanie Iffert
  • Exkurs 2: Firmenschulungen Bettina Thöne-Geyer
  • 8.1.2. Themenbereiche der beruflichen Weiterbildung Stephanie Iffert
  • Exkurs 3: Themenkombinationen Caroline Schmidt, Maria Stimm
  • 8.1.3. Adressat*innen und Zielgruppen Bettina Thöne-Geyer, Stephanie Iffert, Wiltrud Gieseke
  • 8.1.4. Zugangsvoraussetzungen Stephanie Iffert, Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige
  • 8.1.5. Zertifikate Stephanie Iffert, Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige
  • 8.2. Ergebnisse der Expert*inneninterviews
  • 8.2.1. Parallele Planungsstrategien in Verbindung mit den Wissensinseln der Programmplanung Wiltrud Gieseke, Maria Stimm, Caroline Schmidt
  • 8.2.2. Begründungkontexte im Angehen der Programmplanung Maria Stimm, Wiltrud Gieseke, Caroline Schmidt
  • 8.2.3. Programmplanung unter einer entgrenzten Ökonomisierung von Weiterbildung Wiltrud Gieseke, Maria Stimm
  • 9. Theoretisch-empirische Ausdifferenzierung der beruflichen Weiterbildung
  • 9.1. „Grundformen beruflicher (Weiter-)Bildung“ Wiltrud Gieseke, Maria Stimm, Stephanie Iffert
  • 9.2. Typen beruflicher Weiterbildung
  • 9.2.1. Ziele einer Typenbildung zur beruflichen Weiterbildung Aiga von Hippel
  • 9.2.2. Vorgehen bei der Typenbildung Aiga von Hippel
  • 9.2.3. Ergebnisse: Typologie von Angeboten individueller beruflicher Weiterbildung Aiga von Hippel
  • 9.2.4. Beschreibung der einzelnen Typen nach weiteren Kategorien Laura Seidel
  • Exkurs 4: Verschränkung der Typenbildung mit den Expert*inneninterviews Laura Seidel
  • 9.3. Verwertungshinweise Bettina Thöne-Geyer, Marion Fleige, Stephanie Iffert
  • 9.3.1 Hintergrund und Überblick zur Systematisierung von Verwertungshinweisen
  • 9.3.2 Programmanalyse
  • 9.3.3 Analyse der Expert*inneninterviews
  • 9.3.4 Zusammenfassung: Ergebnisse in Verschränkung und Ergebnisdiskussion
  • 10. Berufliche Weiterbildung in öffentlicher Verantwortung Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm
  • Literaturverzeichnis
  • Autorinnenverzeichnis
  • Anhang 1: Oberkategorien im Kodierleitfaden zur Programmanalyse
  • Anhang 2: Kategorien im Kodierleitfaden zur Analyse der Expert*inneninterviews
  • Anhang 3: Beschreibung der identifizierten nicht dominanten Typen nach weiteren Kategorien
  • Reihenübersicht

←14 | 15→

1. Einleitung: Kontext, Ziele, Fragestellung, Annahmen und Design der Studie

Weiterbildungsprogramme von Volkshochschulen können als gesellschaftliches, öffentlich verantwortetes Angebot für lebenslanges Lernen im Erwachsenenalter eingeordnet werden. Volkshochschulen werden damit auch zu einer Triebfeder des gesellschaftlich notwendigen und bildungspolitisch gewünschten Ausbaus kompetenzorientierten lebenslangen Lernens, halten daneben aber ebenso individuelle Entscheidungsspielräume unabhängig von betrieblichen und arbeitsmarktpolitischen Perspektiven offen. An dieser Darstellung setzt das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Berufliche Weiterbildung in Volkshochschulen. Zugänge zum Lebenslangen Lernen“ (WB_VHS_ZuLL)1, dessen Ergebnisse nun in der vorliegenden Publikation diskutiert werden, an.

Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm

1.1. Kontexteinbettung

Erwachsenenbildung/Weiterbildung gestaltet im Prozess des lebenslangen Lernens unterschiedliche Lern- und Bildungszugänge für heterogene Zielgruppen. Eine Vielzahl privater und öffentlicher, gewinnorientierter und ←15 | 16→nicht-gewinnorientierter Träger und Einrichtungen macht dabei Angebote für berufliche Weiterbildung: die Industrie- und Handelskammern (IHK) sowie die Handwerkskammern (HWK), Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, Bildungsorganisationen von Arbeitgebern und Gewerkschaften, Berufs- und Fachverbände, privat-kommerzielle Anbieter, aber auch Bildungseinrichtungen konfessioneller Träger sowie Fernlehrinstitute, zunehmend auch Hochschulen, Fachhochschulen und Technikschulen (Dehnbostel 2008; Wittpoth 2013; Schrader 2011; Fleige 2011; zu den Typen von Weiterbildungsorganisationen siehe von Hippel/Stimm 2020). Die Volkshochschulen nehmen hier eine Sonderstellung ein.

In der pluralen Weiterbildungslandschaft mit ihrem „rhizomartigem Wachstum“ (Gieseke 2019a) und der zunehmenden Marktförmigkeit von Lern- und Bildungsangeboten bleibt der Leistungs- und Markenkern der Volkshochschule als Institution der öffentlich geförderten und kommunal arbeitenden Erwachsenenbildung/Weiterbildung einerseits das offene Weiterbildungsangebot (Süssmuth/Eisfeld 2018, S. 764; DVV 2011, S. 18; Schrader/Rossmann 2019, S. 19). Volkshochschulen stehen in der Verantwortung, ein Angebot für alle unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen kommunalen und regionalen Gegebenheiten und Bedarfe vorzuhalten, aber auch individuellen Bedürfnissen sowie Interessen nachzukommen. Zudem gewährleisten Volkshochschulen, auch historisch, eine Kontinuität in den Weiterbildungsprogrammprofilen bei einer gleichzeitig hohen Fähigkeit zu flexiblen Reaktionen auf neue gesellschaftliche Anforderungen. In diesem Kontext ist von gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen bzw. permanenten Anpassungsprozessen an gesellschaftliche und arbeitsmarktrelevante Herausforderungen, aber auch von Entwicklungen individueller Bedürfnisse, die sich in Weiterbildungsprogrammen spiegeln, auszugehen. Andererseits sind Volkshochschulen die größte Institution, die allgemeine Weiterbildung (hier eingeschlossen politische Weiterbildung und kulturelle Weiterbildung) und berufliche Weiterbildung im Zusammenhang in Deutschland anbietet (BIBB 2016). Notwendigerweise bieten Volkshochschulen keine beruflichen Ausbildungen an, aber berufliche Weiterbildung wird von ihnen in der Weiterbildungsprogrammgestaltung strukturiert und inhaltlich ausdifferenziert. Sie halten somit auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung ein vielfältiges Angebot vor (Vater/Zwielehner 2016, S. 16). Dabei können unterschiedliche Definitionsperspektiven auf berufliche Weiterbildung ausgemacht werden. Einführend wurden Anbieter beruflicher Weiterbildung benannt, eine weitere Perspektive zur Differenzierung ist die auf die Initiative der Teilnahme.

←16 | 17→In der jetzigen gesellschaftspolitischen Situation und angesichts technischer Veränderungen in allen Berufsfeldern sind Volkshochschulen – bezogen auf alle Qualifikationsniveaus – verstärkt gefordert. Es ist daher wichtig, sich die Aufgabenübernahme von Volkshochschulen in der beruflichen Weiterbildung vor dem Hintergrund ihrer bildungspolitischen Neuplatzierung in den 1970er Jahren und den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen genauer anzusehen und die Aufgaben- sowie Programmstruktur zu erschließen.

Fokussieren wir dahingehend noch einmal stärker die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen kann die Annahme von Arnold, Pätzold und Ganz (2018) eingeführt werden, die davon ausgehen, dass das Berufskonzept in der überkommenen Form des „Weber’schen Fachmenschentums“ (Arnold/Pätzold/Ganz 2018, S. 932) so nicht mehr gültig und „Beruflichkeit“ heterogen strukturiert sei (Arnold/Pätzold/Ganz 2018, S. 932). Beruflichkeit, und mit ihr die berufliche Weiterbildung, differenzieren sich somit stark aus. Es ist bisher unklar, in welche Richtungen und auf welche Weisen sich diese Ausdifferenzierungsprozesse vollziehen, und wie Erwachsenenbildung/Weiterbildung hierauf mit Programm- und Angebotsentwicklungen reagiert bzw. wie sie die Prozesse begleitet oder ggf. sogar antizipierend mit vorbereitet. Weiterbildungsorganisationen werden hierbei theoretisch als Transformationsinstanzen für solcherlei Entwicklungen angenommen (Gieseke/Opelt 2003; Fleige et al. 2019). Ein aktuelles Verständnis von beruflicher Weiterbildung muss hier entsprechend anschließen.

Berufliche Weiterbildung sollte nicht nur ergänzend zu Berufskonzepten umschrieben werden, sondern ihr werden im lebenslangen Lernen eine Reihe von Aufgaben und Funktionen zugewiesen. Sie ist dabei permanent und gleichzeitig flexibel agierend wie reagierend angelegt. Daher fließen die inhaltlich-fachliche Ebene sowie die persönlichkeitsbildende Ebene in den Weiterbildungsangeboten mehr und mehr ineinander (u. a. auch Arnold/Pätzold/Ganz 2018).

Berufliche Weiterbildung „umfasst im Sinne einer ersten Annäherung an den Gegenstand alle Formen, die zur beruflichen Kompetenzentwicklung beitragen und die nach dem Abschluss einer ersten Bildungsphase im Jugendalter stattfinden“ (Schiersmann 2007, S. 41; in Anlehnung an Deutscher Bildungsrat 1970). Hofstätter (2011) und Becker (2017) betonen in ihren Definitionen wiederum stärker den ‚gewohnten‛ Gedanken der Ergänzungsfunktion beruflicher Weiterbildung. Demnach handelt es sich bei beruflicher Weiterbildung um „alle organisierten und damit auch institutionalisierten Lernprozesse, die entweder an eine in einem formalen Erstausbildungsgang erworbene oder an eine durch Berufserfahrung gewonnene Qualifikation anknüpfen und eine ←17 | 18→weitere berufliche Bildung intendieren“ (Becker 2017, S. 397). Die Definition von Schiersmann (2007) bleibt hier hinreichend offen (vgl. für einen Überblick über die hier genannten unterschiedlichen Definitionsansätze Tabelle 1.1).

Eine Differenzierung der Angebotsstrukturen beruflicher Weiterbildung ermöglicht eine inhaltlich gewinnbringende Detaillierung. Berufliche Weiterbildungsangebote lassen sich (mit Bezug zum Berufsbildungsgesetz (BBiG)) demnach in Fortbildung, untergliedert in Anpassungsfortbildung und Aufstiegsfortbildung, sowie in Umschulung, die entweder in anerkannte Ausbildungsberufe oder in eine berufliche Tätigkeit führt, ausdifferenzieren (Alt et al. 1994, S. 46; auch Dehnbostel 2008, S. 16). Becker (2017) ergänzt noch den Typus der betrieblichen Weiterqualifizierung, obwohl diese auch zur Fortbildung querliegend platziert werden könnte, Dehnbostel (2008) und sein Umfeld legen ergänzend das Lernen im Prozess der Arbeit – innerhalb des berufspädagogischen Diskurses um arbeitsplatzbezogenes Lernen und Lernorte mit besonderer Relevanz für die berufliche Weiterbildung – aus. Kommen über diese Differenzierungen vielmehr die Anbieter der jeweiligen Angebote zur beruflichen Weiterbildung in den Blick, interessiert für die folgenden Ausführungen die Perspektive, von wem die Initiative zur Teilnahme an beruflicher Weiterbildung ausgeht.

Nach Schrader (2011) sowie Bläsche, Brandherrn, Eckhardt, Käpplinger, Knuth, Kruppe, Kuhnhenne und Schütt (2017), aber auch Schiersmann (2007) kann die berufliche Weiterbildung in drei Bereiche der Teilnahmeinitiative (auch: Verantwortung und Interesse) unterschieden werden: (a) betriebliche Weiterbildung, die in der Verantwortung von Unternehmen finanziert und eventuell zertifiziert wird, und (b) Qualifizierung von Arbeitssuchenden und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer*innen, vorwiegend finanziert durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Jobcenter und somit in staatlicher Verantwortung. Schiersmann (2007) fasst diese zweite Differenzierung daher als geförderte Weiterbildung durch das Sozialgesetzbuch (SGB), spezifisch SGB III-gefördert. Die dritte Differenzierung liegt nach Schrader (c) auf der beruflichen Bildung im engeren Sinne, charakterisiert durch die Orientierung an Berufskonzepten und durch die (rechtliche) Kooperation von Bund, Ländern und Kammern. Bläsche, Brandherrn, Eckhardt, Käpplinger, Knuth, Kruppe, Kuhnhenne und Schütt (2017) hingegen heben (c) die individuell berufliche Weiterbildung, welche hauptsächlich aus beruflichen Gründen erfolgt, jedoch in individueller Verantwortung ist, hervor. Hier kann auch die Ausführung von Schiersmann (2007) anschließen, die zur individuellen beruflichen Weiterbildung solche Teilnahmen zählt, die „aus eigenem Antrieb“ (Schiersmann 2007, S. 25) erfolgen.

←18 | 19→Der Adult Education Survey (AES) (BMBF 2015) differenziert drei Weiterbildungssegmente: betriebliche Weiterbildung, individuell berufsbezogene Weiterbildung und nicht-berufsbezogene Weiterbildung. Dabei verweist die betriebliche Weiterbildung auf vorausgeplantes, organisiertes Lernen, welches vollständig oder teilweise von Unternehmen für ihre Beschäftigten finanziert wird (Käpplinger 2016a). Bei der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung stehen die Motive der beruflichen Entwicklung im Vordergrund und es wird kein ausschlaggebendes betriebliches Interesse angenommen, nicht-berufsbezogene Weiterbildung verweist auf private Gründe (BMBF 2015; auch Kuper/Unger/Gnahs 2013). Im weiteren Sinne umfasst die individuell berufsbezogene Weiterbildung im AES die benannten Bereiche b) und c). Ist für die betriebliche Weiterbildung der Bezug zu den Bedarfen des Unternehmens ausschlaggebend, zielt die individuelle berufliche Weiterbildung darauf, Individuen bei der Gestaltung ihrer beruflichen Entwicklung zu unterstützen und berufs- sowie erwerbsbiographische Anschlussmöglichkeiten zu schaffen (Hendrich 2005).

Tabelle 1.1: Definitionen beruflicher Weiterbildung (Eigene Darstellung)

Fokus

Ausdifferenzierung

Anschlüsse an Erstausbildung/Berufsausbildung

Beitrag zur Kompetenzentwicklung im Anschluss an erste Bildungsphase

Angebotsstrukturen mit Bezug zum Berufsbildungsgesetz

Fortbildung (Anpassungs- oder Aufstiegsfortbildung, querliegend dazu berufliche Weiterqualifizierung) und Umschulung (in anerkannte Ausbildungsberufe oder berufliche Tätigkeit) ergänzt um Lernen im Prozess der Arbeit, verortet neben Berufsausbildung und –vorbereitung

Initiative zur Teilnahme (Verantwortung und Interesse)

betriebliche Weiterbildung, Qualifizierung von Arbeitssuchenden und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer*innen (oder auch: SGB III-geförderte Weiterbildung), individuelle berufliche Weiterbildung (oder auch: berufliche Weiterbildung im engeren Sinne), im Adult Education Survey: betriebliche Weiterbildung und individuell berufsbezogene Weiterbildung, ergänzt um nicht-berufsbezogene Weiterbildung

In der individuellen beruflichen Weiterbildung geht es somit bereits gegenwärtig um neue Anforderungen, die sich an vorhandene individuelle Kompetenzen und Qualifikationen quasi andocken. In den Angeboten der individuellen ←19 | 20→beruflichen Weiterbildung spiegeln sich daher nicht nur fachspezifische Anforderungen wider, sondern auch persönlichkeitsrelevante Kompetenzen, die in einer hierarchischen Berufspraxis, gerade auch, wenn es darum geht, diese in flache Hierarchien umzubauen, berufsrelevant sind. Wenn es nicht gelingt oder versäumt wird, über berufliche Weiterbildung individuell anzuschließen, erhöht sich nicht nur die soziale Ungleichheit durch Verlust bisheriger beruflicher Positionen und Kontinuitäten in der Berufsbiographie, sondern ebenso, so steht zu befürchten, nehmen die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Einordnung von politischen, gesellschaftlichen und technischen Veränderungen ab.

Als Forschungsgegenstand für das Projekt „Berufliche Weiterbildung in Volkshochschulen. Zugänge zum Lebenslangen Lernen“ wurde daher die individuelle berufliche Weiterbildung identifiziert, wobei grundlegend interessierte, wie diese individuelle berufliche Weiterbildung im Programm der Volkshochschule ausgelegt wird.

Dafür fassen wir unter dem Begriff ‚individuelle berufliche Weiterbildung‘ die Spannbreite zwischen Schlüsselqualifikationen, berufsbezogenen Qualifikationen in neuer Ausdifferenziertheit, zertifizierten Angeboten sowie auch solchen Angeboten, die Teilnehmer*innen ab 50 Jahre in den Blick nehmen, da berufsbezogene Qualifikationen und damit individuelle berufliche Weiterbildung für diese Altersgruppen aufgrund des schnellen Verlusts von Anschlüssen Relevanz entfaltet (Vintage-Faktor). Dadurch wird noch einmal deutlich, dass der Beruf nicht nur aus der Berufsstruktur selbst, sondern interdisziplinär eine Ausweitung durch Qualifikationen und Kompetenzen erfährt, die für die weitere Berufsausrichtung notwendig sind. Wir nehmen demnach weder einen individuellen biographischen Ansatz noch die Förderstrukturen der beruflichen Weiterbildung zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen. Vielmehr lautet die Annahme, dass in den Weiterbildungsprogrammen der Volkshochschulen Mischformen von Weiterbildungsangeboten zu finden sind, die somit eine Erweiterung der Systematisierung beruflicher Weiterbildung mit sich bringen. Für eine erste Arbeitsdefinition kann im Kontext der Volkshochschulen somit von einer ‚individuellen beruflichen Weiterbildung‘ ausgegangen werden, die sich von der begrifflichen Nutzung in Instrumenten der Bildungsberichterstattung teilweise abgegrenzt.

Herausforderungen für diesen Bereich der Erwachsenenbildung/Weiterbildung durch gesellschaftliche Entwicklungen sind dabei entlang der einführenden Beschreibung unübersehbar. Beeinflusst sind die Herausforderungen durch umfangreiche Aushandlungsprozesse um die Finanzierung der Grundversorgung der Bevölkerung mit und durch Lernen sowie Bildung, ←20 | 21→Engagement, Wohlfahrt und Kultur. Hier ergeben sich einerseits strukturelle Zusammenarbeiten, aber andererseits auch Konkurrenzen zwischen Anbietern der beruflichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Zur Auslegung und zum Verständnis dieses Bereichs ist daher auch bildungswissenschaftliches Begründungswissen notwendig. Dieses Begründungswissen ist dabei nicht nur akademisch und professionalisierungsorientiert, sondern in einem viel stärkeren Maße professionspolitisch, bildungspolitisch und gesellschaftspolitisch einzubinden.

Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Maria Stimm

1.2. Forschungsdesign und Fragestellungen

Das Projekt „Berufliche Weiterbildung in Volkshochschulen. Zugänge zum Lebenslangen Lernen“ bietet hier über die generierten Ergebnisse einen Ansatzpunkt. Die Annäherung an den Forschungsgegenstand vollzieht sich dabei von der Seite des Programms der Institution Volkshochschule aus.

Ein Weiterbildungsprogramm ist dabei „der zeitgeschichtlich materialisierte Ausdruck gesellschaftlicher Auslegung von Erwachsenenbildung, durch einen bestimmten Träger, realisiert über eine Vielzahl von Angeboten. Es ist beeinflusst durch bildungspolitische und ökonomische Rahmungen, nachfragende Unternehmen und potentielle Adressat/innen“ (Gieseke 2015, S. 165). Weiterbildungsprogramme „bilden somit den Kern des jeweiligen Profils einer Bildungseinrichtung und sind zum einen – in einer bildungstheoretischen Einordnung – Ausdruck gesellschaftlicher Prozesse, zum anderen – in einer bildungswissenschaftlichen Präzisierung – Ausdruck von erwachsenenpädagogischem Planungshandeln, Nachfragen, Bedarfen und Bedürfnissen“ (Gieseke et al. 2018, S. 453). Demnach sind Weiterbildungsprogramme von Weiterbildungsangeboten zu unterscheiden. Angebote werden im Programm gebündelt, so dass Programmbereiche, im Sinne einer thematisch-inhaltlichen Unterteilung des Programms, entstehen. Jeder Programmbereich enthält eine Vielzahl an Weiterbildungsangeboten, die jeweils eine andere didaktische Struktur mit unterschiedlichem Zeitmaß aufweisen (Tietgens 1992).

Details

Seiten
404
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631880715
ISBN (ePUB)
9783631880722
ISBN (Hardcover)
9783631876565
DOI
10.3726/b19878
Open Access
CC-BY
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (September)
Schlagworte
Programmanalyse Programmplanung Weiterbildungseinrichtungen Typen Erwachsenenbildung Verwertungshinweise Weiterbildungsangebote Wissensinseln
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 404 S., 24 s/w Abb., 22 Tab.

Biographische Angaben

Marion Fleige (Autor:in) Wiltrud Gieseke (Autor:in) Aiga von Hippel (Autor:in) Maria Stimm (Autor:in)

Marion Fleige ist Leiterin der Arbeitsgruppe Programmforschung am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. Wiltrud Gieseke ist Seniorprofessorin in der Abteilung Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aiga von Hippel ist Lehrstuhlinhaberin in der Abteilung Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Maria Stimm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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Titel: Berufliche Weiterbildung in Volkshochschulen
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