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In den Cevennen in Frankreich leben halbwilde Przewalski-Pferde in Herdenverbänden, in der Regel bestehend aus einem Haremshengst und mehreren Stuten mit und ohne Fohlen.
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Fortpflanzung des Pferdes in der Natur

08.01.2013 15:51
von  Nicole Basieux und Dominik Burger * //

Es ist der Traum jedes Züchters: Einen Stutenbestand zu haben, der sich mit einem Fruchtbarkeitserfolg von 95 Prozent fortpflanzt. Bei Herden, die noch wild in der Natur leben, mag das so sein. Aber durch den Einfluss des Menschen liegen die Trächtigkeitsraten tiefer. Die «PferdeWoche» zeigt in einer mehrteiligen Serie, wie Pferde sich fortpflanzen, wie die Geschlechtsorgane und das Sexualverhalten von Hengst und Stute funktionieren, welche Reproduktionstechniken es gibt und wie ein optimales Management aussieht.

Pferde leben in freier Wildbahn in kleinen Gruppen. Sie bleiben das ganze Jahr zusammen und bestehen meist aus einem Hengst und mehreren Stuten und ihren Fohlen. Die Stuten sind sogenannt «saisonal polyöstrisch». Das heisst, sie durchleben während der wärmeren Jahreszeit (Februar bis Juli) mehrere Zyklen, während denen sie aufnahmefähig sind.

Stuten sind während der kälteren Jahreszeit in unseren Breitengraden somit anöstrisch und ihre Eierstocktätigkeit setzt aus. Sobald die Tage wieder länger werden, beginnen bei ihnen die Rossezyklen und die ers­ten Eisprünge setzen ein – sogenannte Ovulationen. Der ganze Sexualzyklus, mit einem Östrus (Rosse, Brunst, aufnahmefähige Zeit) von fünf bis sieben Tagen und einem Diöstrus (Zwischenrosse) von etwa zwei Wochen, dauert ungefähr drei Wochen. Wenn eine Stute in einer natürlichen sozialen Struktur lebt, ist die Rosse gekennzeichnet durch wiederholte An­nä­he­run­gen zum Hengst, häufiges Wasserlassen, den Schweif zur Seite heben und die Hinterbeine spreizen. Während der Zwischenrosse meidet die Stute den Hengst, kann ihm gegenüber Aggressionen zeigen und ihm sogar Hufschläge verpassen, falls dieser weiterhin um sie wirbt.

Der Hengst deckt die Stute während ihrer Fohlenrosse. Das Fohlen steht dabei.

Der Hengst und seine Stuten haben aber eine dauerhafte soziale Beziehung; sie grasen zusammen, pflegen sich gegenseitig und dies ohne sexuelle Interaktion. Die Stuten – im Gegensatz zu anderen Huf- und Klauentieren – können während der nicht-ovulatorischen Phase sporadisch Rosseverhalten zeigen, was vermutlich durch die Ausscheidung bestimmter Hormone (ös­tro­ge­ne Steroide) durch die Nebennierenrinde bedingt ist. Diese ganzjährigen «attraktiven» Rosse-anzeichen der Stute sind wahrscheinlich da, um die soziale Struktur, im Rahmen welcher der Hengst das ganze Jahr hindurch bei der Herde bleibt, aufrechtzuerhalten.

Der Hengst und sein Harem

Während des ganzen Jahres macht der Hengst in diesem Rahmen beachtliche Anstrengungen, die Stuten und die Jungpferde innerhalb seines Harems zu behalten. Er hält sie von anderen Hengsten fern und schützt sie vor Gefahren. Der Haremshengst scheint fortlaufend den Stand des Zyklus seiner Stuten durch periodische Geruchsermittlungen ihres Körpers, ihres Urins und ihrer Exkremente zu überwachen. Die Häufigkeit dieses Verhaltens nimmt beträchtlich zu, wenn eine Stute in Rosse ist. In diesem Fall verbringt der Hengst viel Zeit in ihrer Nähe, schenkt ihr mehr Aufmerksamkeit, reagiert auf ihre Bewegungen und zeigt ihr gegenüber eine typische Hengsthaltung mit dem bogenförmigen Hals, dem hoch getragenen Schweif und Lautäusserungen. Auch Erektionen ohne Deckakt werden beim Hengst in der Freiheit oft beobachtet und müssen nicht eine Frust-Erscheinung sein.

Damenwahl

Unter natürlichen Bedingungen ist die Rolle, welche die Stute beim Verhalten vor und während der Begattung spielt, sehr bedeutsam. Die Stute zieht die Aufmerksamkeit des Hengstes auf ihre Seite und scheint den Zeitpunkt der Begattung zu bestimmen – entweder durch aktive Vereinfachung der Besteigung und Einführung des Penis respektive Verweigerung der Begattung. So werden fast 90 Prozent der Interaktionen vor dem Decken durch die Stute initiiert.

Die meisten Begattungen dauern weniger als eine Minute und es handelt sich um ein eher ruhiges Ereignis, nach welchem die Pfer­de oft ein paar Minuten in der Nähe des anderen bleiben. Während dem Höhepunkt der Rosse, welcher ein bis zwei Tage dauert, wird die Stute normalerweise mehrere Male gedeckt. Dies in Zeitintervallen von wenigen Minuten bis zu ein bis zwei Stunden und häufiger bei Sonnenauf- und -untergang.

Auch wenn mehrere Stuten in der Rosse sind, decken manche Hengste mit einer hervorragenden Fruchtbarkeitsrate. Im Gegensatz zu den Pferden, die vom Menschen gehalten werden, folgen fast alle Begattungen einer oder mehreren Besteigungen ohne Erektion. Diese haben zum Zweck, die Akzeptanz der Stute zu bestätigen oder herbeizuführen.

Die Geburt

Obwohl Stuten selten vor dreijährig ein Fohlen zur Welt bringen, erreichen sie ihre sexuelle Reife im Alter von zwischen einem und zwei Jahren; die männlichen Tiere zwischen zwei und drei Jahren. Die Reife des Sexualverhaltens Letzterer wird nicht vor fünf bis sechs Jahren erreicht. Es kommt häufig vor, dass die Stuten nur alle zwei Jahre fohlen, oder alle zwei auf drei Jahre.

Einige Tage vor der Geburt fühlt sich der Hengst von der trächtigen Stute, welche ihn im Normalfall während der Trächtigkeit zurückweist, sexuell angezogen. Auch während der Geburt ist der Hengst am Geruch der Flüssigkeiten und Ausscheidungen interessiert und er zeigt in diesem Rahmen auch Erektionen. Wenn das Futterangebot gut ist, kann die Stute beim ersten Eisprung, der in der Regel zwischen acht und 15 Tagen nach der Geburt stattfindet (Fohlenrosse), erneut befruchtet werden.

Schutz vor Inzucht

Ab etwa vier Monaten werden die Fohlen mehr und mehr unabhängig von ihrer Mutter und mit neun bis zehn Monaten ganz abgesetzt. Resultate von französischen Studien zeigen, dass die soziale Entwicklung der jungen Pfer­de durch die Anwesenheit und Interaktion mit ausgewachsenen Pferden beeinflusst wird. Sexualspiele werden hierbei häufig bei beiden Geschlechtern beobachtet. Eine Form von jugendlichem Markierverhalten kann schon wäh­rend der ersten Lebenswoche beobachtet werden. Aber dieses Verhalten, als Zeichen hormoneller Veränderung, prägt vor allem den Anfang des Alters der Pubertät. Die jugendliche Ablösung von der Herde findet um das Alter von zwei Jahren statt und hat zum Ziel, der Inzucht vorzubeugen. Wenn die jungen weiblichen Tiere in Rosse sind und sie noch zu ihrer Gruppe gehören, in der sie geboren wurden, wird der Hengst des Harems seine Aufsicht etwas lockern, ihnen erlauben, sich ausserhalb der Grup­pe decken zu lassen und dann wieder zurückzukommen. Ebenfalls scheinen die jungen männlichen Tiere im Alter von mehr als zwei Jahren in den meis­ten Harems frei zu sein, während einer Übergangsphase die Her­de zu verlassen und wieder zurückzukommen.

Die Junggesellen

Die Ablösung der männlichen Tiere vom Harem ist gefolgt von deren Eingliederung in eine Junggesellengruppe (Bachelors) bis zum Alter von fünf bis sechs Jahren, in der soziale Wechselwirkungen mit den anderen männlichen Tieren zahlreich sind. Es konnte hierbei neuerdings in einer Population von Przewals­ki-Pferden ein voraussag­barer Zusammenhang zwischen der hierarchischen Rangordnung der Junggesellen und der Anzahl ihrer späteren Nachkommen gezeigt werden.

Jeder Hengst wird nach der Trennung von seiner Geburtsherde versuchen, eine eigene Gruppe zu bilden, indem er auf folgende Art und Weise Stuten ergattert:

• Isolierte Stuten zusammenbringen (Jungstuten, die gerade ihre Geburtsgruppe verlassen haben oder ausgewachsene Stuten, die von ihrer Gruppe getrennt leben).
• Einen Hengst herausfordern, um so alle Stuten dessen Gruppe zu erobern.
• Gezielt angreifen, um einen Teil eines Harems in Besitz zu nehmen.
• Sich mit einem anderen Junghengst zu­sam­men­schlie­ssen, um eine Stute zu ergattern.
• In seiner Geburtsgruppe bleiben, um somit später das Harem zu erben.

Etwa 70 Prozent der Hengs­te hat bis fünfjährig ein Harem gebildet. Die neuen Gruppen werden meistens während der Paa­rungs­zeit geschaffen und sind anfänglich oft unstabil, womit die Junghengste ihre Stuten oft nach wenigen Wochen verlieren können. Es werden auch Gruppen beschrieben, in denen zwei Hengste leben (beide sexuell reif und häufig nicht verwandt) – der eine ist verantwortlich für die Fortpflanzung und der andere hat eine Rolle als As­sis­tent (Satellitenhengst).

Nur 70 bis 85 Prozent der Fohlen in einem Harem sind somit die Nachkommen des eigentlichen Harem-Hengstes. Die anderen stammen entweder von Stuten, die während der Trächtigkeit die Gruppe gewechselt haben, aus einer Bede­ckung ausserhalb der Gruppe oder auch vom Satellitenhengst, der in der Regel für einzelne Stuten vom Harem-Hengst akzep­tiert wurde.

Wie macht es die Natur?

Das Institut suisse de médecine équine ISME forscht – in Zusammenarbeit mit den Universitäten Lausanne, Neuchâtel und Hannover (GER) – intensiv an den Interaktionen zwischen Hengsten und Stuten. Verschiedene interdisziplinäre Projekte haben zum Ziel, den Fortpflanzungserfolg bei Pferden zu verbessern. In der Natur liegt dieser bei rund 95 Prozent. Unter der Ägide der Menschen ist er trotz teilweise intensivem Management häufig bis zu 30 Prozent tiefer. 

 

* Skripten und Artikel des Institut suisse de médecine équine ISME, so vor allem von  Mireille Baumgartner (†).

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 01/2013)

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