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Orale Antidiabetika richtig einnehmen

21.11.2006  11:30 Uhr

Interaktionen

<typohead type="3">Orale Antidiabetika richtig einnehmen

Von Nina Griese, Katja Renner und Martin Schulz

 

Zur Behandlung des Typ-2-Diabetes ist häufig eine Kombination verschiedener oraler Antidiabetika erforderlich. Da viele Diabetiker zusätzlich unter Begleiterkrankungen leiden, sollten mögliche Interaktionen unter den verordneten Wirkstoffen beachtet werden.

 

Bei Interaktionen spielen viele Faktoren zusammen. So zum Beispiel die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Arzneimitteln und Nahrungsbestandteilen, die Art der Darreichungsform, aber auch individuelle Besonderheiten der Patienten, wie Alter, Geschlecht, Erkrankungen, Expression metabolisierender Enzyme und Transportproteine. Die Bandbreite möglicher Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stoffen reicht von leichten Resorptionsstörungen über Wirkungsverlust bis hin zu toxischen Erscheinungen.

 

Wechselwirkungen von Antidiabetika sind ein komplexes Thema. Unterscheiden kann man zum einen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen oralen Antidiabetika, die zum großen Teil therapeutisch erwünscht sind, zum anderen Wechselwirkungen zwischen oralen Antidiabetika und anderen Arzneistoffgruppen beziehungsweise Nahrungsmitteln. Vor allem Arzneistoffe, die den Blutzuckerspiegel beeinflussen, sowie Arzneistoffe, die das Cytochrom P450-System induzieren oder hemmen, können zu relevanten Wechselwirkungen führen (Tabelle 1).

Interaktionen zwischen Antidiabetika

 

Gemäß der evidenzbasierten Leitlinie »Antihyperglykämische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) beginnt die medikamentöse Therapie des Diabetes Typ 2 zunächst mit der Gabe eines einzelnen Antidiabetikums (1). Kann der HbA1c trotz Monotherapie und nicht-pharmakologischen Therapiemaßnahmen (Ernährungstherapie, Bewegungstherapie) nicht innerhalb von drei Monaten unter 7 Prozent gesenkt werden, kommt zusätzlich ein weiteres Antidiabetikum zum Einsatz. Die Kombination verschiedener oraler Antidiabetika, zum Beispiel Sulfonylharnstoffderivate, Metformin, Thiazolidindione und α-Glucosidase-Hemmer, verstärkt dann den blutzuckersenkenden Effekt.

 

Klinisch relevante unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgrund pharmakokinetischer Interaktionen zwischen den oralen Antidiabetika treten nicht auf (2). Auf pharmakodynamischer Ebene konnte nur ein gering erhöhtes Risiko für leichte hypoglykämische Episoden, zum Beispiel bei Einnahme von Sulfonylharnstoffen und Glitazonen, beobachtet werden, das vermutlich auf eine bessere glykämische Kontrolle zurückzuführen ist (2).

 

Allerdings riefen die Ergebnisse der UKPDS Studie (UK Prospective Diabetes Study) Bedenken bezüglich der Sicherheit der häufig verordneten Kombinationstherapie von Glibenclamid und Metformin hervor (3). Zwar verbesserte sich bei Patienten mit Typ-2-Diabetes die Stoffwechseleinstellung durch die Kombination, aber es zeigte sich auch ein signifikanter Anstieg Diabetes-bezogener Todesfälle im Vergleich zur Monotherapie mit Glibenclamid. Der Mechanismus, der zu der möglicherweise erhöhten Mortalität führt, ist noch nicht vollständig geklärt. Diese Ergebnisse der UKPDS-Studie werden kontrovers diskutiert. Die Autoren erklären das Ergebnis mit Unzulänglichkeiten der Studie. Da allerdings auch weitere Untersuchungen dieses Ergebnis bestätigten (4, 5) und das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Kombinationstherapie unklar bleibt, mahnt die »Nationale Versorgungs-Leitlinie Diabetes mellitus Typ 2« zur Vorsicht bei dieser häufig verordneten Kombination. Die evidenzbasierte Leitlinie »Antihyperglykämische Therapie des Diabetes mellitus Typ 2« der DDG rät sogar von der gemeinsamen Verordnung von Glibenclamid und Metformin ab (1).

 

Dosisanpassung bei Glucocorticoiden

 

Interaktionen mit Arzneistoffen, die den Blutzuckerspiegel direkt beeinflussen, zählen zu den pharmakodynamischen Wechselwirkungen. Zu unterscheiden sind dabei Wechselwirkungen, die zu Hyper- beziehungsweise Hypoglykämien führen können.

 

Systemische Glucocorticoide erhöhen den Blutzuckerspiegel unter anderem durch eine Stimulation der Glukoneogenese und können einen latenten Diabetes in einen manifesten Diabetes überführen beziehungsweise einen Steroiddiabetes auslösen (6). Die diabetogene Wirkung ist bei den einzelnen Glucocorticoiden unterschiedlich ausgeprägt. Bei Prednison/Prednisolon sowie bei Methylprednisolon scheint sie am stärksten, bei Deflazacort am schwächsten zu sein (7). Da dieser Effekt schon sehr lange bekannt und die Wechselwirkung aufgrund dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung offensichtlich ist, gibt es nur wenige Untersuchungen zu der Interaktion zwischen Glucocorticoiden und Antidiabetika (8). Diese zeigen, dass bei Diabetespatienten die Blutzuckerspiegel zu Beginn und bei Beendigung einer Therapie mit Glucocorticoiden sorgfältig überwacht werden sollten, da gegebenenfalls die Dosis der Antidiabetika angepasst werden muss (9).

 

Weitere Substanzen, die zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels führen können, sind Calciumantagonisten und Thiazide. Calciumantagonisten können die Insulinsekretion beeinflussen, allerdings sind signifikante Veränderungen der Blutzuckerwerte unwahrscheinlich (8). Daher sind bei einer Kombination mit Antidiabetika keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen notwendig. Thiazid-Diuretika können dosisabhängig im Verlauf einer mehrmonatigen bis mehrjährigen Behandlung zu erhöhten Blutzuckerspiegeln führen und somit die Wirkung von Antidiabetika verringern (2). Der Interaktionsmechanismus ist noch nicht geklärt. In Dosierungen von 12,5 bis 25 mg pro Tag, wie zum Beispiel bei der Behandlung der Hypertonie üblich, ist mit erhöhten Blutzuckerspiegeln selten zu rechnen (10). Auch hier sind daher keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen notwendig, allerdings kann in seltenen Fällen eine Dosiserhöhung der Antidiabetika notwendig werden.

 

Bei Betablockern unterscheiden

 

Vor allem nicht kardioselektive Beta-Blocker können eine durch Insulin oder orale Antidiabetika, wie Sulfonylharnstoffe und Glinide, ausgelöste Hypoglykämie verstärken und verlängern (11). Bei β1-selektiven Beta-Blockern wurde in den meisten Studien ein normaler Wiederanstieg der Blutglucosespiegel nach einer durch Antidiabetika ausgelösten Hypoglykämie beobachtet. Für ein häufigeres Auftreten von schweren Hypoglykämien infolge einer Behandlung mit (nicht) kardioselektiven Beta-Blockern gibt es in der Literatur dagegen keine Hinweise. Bei einer Hypoglykämie hemmen nicht kardioselektive Beta-Blocker stärker als kardioselektive Beta-Blocker die durch Adrenalin vermittelten gegenregulatorischen hyperglykämischen Effekte (Glykogenolyse, Gluconeogenese). Gleiches gilt für einige ebenfalls durch Adrenalin ausgelöste Warnsymptome. Dabei werden Tremor, Tachykardie, Unruhe sowie Kopfschmerzen maskiert, das Symptom Schwitzen dagegen verstärkt (12). Bei Patienten mit intakter Hypoglykämiewahrnehmung kommt es daher zu keiner Verminderung der Symptomwahrnehmung. Bei Diabetikern sollten aufgrund der Gefahr einer verstärkten und verlängerten Hypoglykämie nur kardioselektive Beta-Blocker eingesetzt werden (10). Dabei muss beachtet werden, dass diese ihre Selektivität der Wirkung auf β1-Adrenorezeptoren in höheren Dosierungen verlieren. Bei hypertensiven Diabetikern mit koronarer Herzkrankheit sind kardioselektive Beta-Blocker das Mittel der Wahl (10).

 

ACE-Hemmer haben eine spezielle Indikation bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz und Mikroalbuminurie aufgrund ihrer kardio- und renoprotektiven Wirkung (10). ACE-Hemmer können dabei den blutzuckersenkenden Effekt von Antidiabetika besonders zu Beginn der gleichzeitigen Behandlung verstärken. Dies konnte bei einigen Fallberichten (8) und von regionalen Pharmakovigilanzzentren (13, 14) beobachtet werden. Eine Fallkontrollstudie zeigte, dass eine ACE-Hemmertherapie mit erhöhter Krankenhauseinweisung aufgrund schwerer Hypoglykämie assoziiert sein kann (15). Als Mechanismus wird eine erhöhte Insulin-Empfindlichkeit unter ACE-Hemmern diskutiert. Da das Risiko für eine Hypoglykämie aber als sehr gering einzustufen ist, überwiegt der Nutzen bei weitem das Risiko. Patienten, die mit einer ACE-Hemmertherapie starten, sollten allerdings unter Betonung des Nutzens der Therapie auf die Warnzeichen einer sehr selten auftretenden Hypoglykämie hingewiesen werden.

 

Saliclylate meist unproblematisch

 

Der Einfluss der Salicylate auf den Kohlenhydratstoffwechsel ist sehr komplex. Die  Blutzuckersenkung kommt wahrscheinlich durch eine direkte Hemmung der Lipolyse, erhöhte Glukosetoleranz und verstärkte Freisetzung von Insulin zustande. Bei Typ-1-Diabetikern scheint der Blutzuckerspiegel dagegen kaum beeinflusst zu werden. Eine klinisch relevante Blutzuckersenkung kann nach Salicylat-Dosen von 2 bis 3 g pro Tag auftreten. Aufgrund dieser Dosisabhängigkeit ist die gelegentliche Einnahme von bis zu 1,5 g pro Tag und damit auch die Einnahme von Acetylsalicylsäure zur Thrombozytenaggregationshemmung bei Diabetespatienten unproblematisch. Der Patient sollte allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, dass höhere Dosen den Blutzuckersiegel senken können (7, 8).

 

Glitazone (Pioglitazon (Actos®) und Rosiglitazon (Avandia® und andere)) erhöhen die Insulinsensitivität in Muskulatur, Leber und Fettgewebe. Sie wirken der Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetikern entgegen. Eine Kombination von Glitazonen und Insulinen ist in Deutschland und der EU nicht zugelassen, da in klinischen Studien eine erhöhte Inzidenz von Herzinsuffizienz beobachtet wurde (7). Die Interaktion wird auf eine vermutlich überadditive Verstärkung der Flüssigkeitsretention durch beide Antidiabetika zurückgeführt.

 

Pharmakokinetische Interaktionen

 

Metformin

Das Biguanid Metformin (Glucophage® und andere) verbessert einerseits die Aufnahme von Glukose in Muskel- und Fettgewebe, andererseits verlangsamt es die Glukoneogenese sowie den aktiven Transport von Kohlenhydraten aus dem Darm. Metformin als wichtige Schlüsselsubstanz in der oralen Diabetes-Therapie wird nicht metabolisiert und interagiert insofern nicht mit anderen Substanzen um die abbauenden Enzymsystemen in der Leber  (2).

 

Iodierte Röntgenkontrastmittel sind unter einer Metformintherapie kontraindiziert. Durch Beeinflussung der Nierenfunktion wird die Metforminausscheidung reduziert. Die so deutlich erhöhten Blutspiegel begünstigen das Risiko für eine Laktatazidose. Nach Herstellerangaben sollte Metformin daher vor, während und bis 48 Stunden nach intravaskulärer Gabe dieser Kontrastmittel abgesetzt werden (7).

 

Der (obsolete) H2-Blocker Cimetidin (Tagamet® und andere) scheint die tubuläre Sekretion von Metformin kompetitiv zu hemmen und kann so zu höheren Plasmaspiegeln von Metformin führen (16), die eventuell eine Dosisanpassung erfordern. Ranitidin (Ranitic® und andere) interagiert nicht mit Metformin und stellt somit, neben der Gabe von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) wie Omeprazol (Antra® und andere), eine therapeutische Alternative dar.

 

Sulfonylharnstoffe

Sulfonylharnstoffe stimulieren die körpereigene Insulinsekretion aus den β-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Im Gegensatz zu Metformin, das unverändert ausgeschieden wird, erfolgt der Metabolismus von Sulfonylharnstoffen, Thiazolidindionen und Gliniden über das Cytochrom P450-(CYP)-System, vorwiegend in der Leber. Wirkstoffe, die diesen Stoffwechselweg hemmen oder induzieren, können daher zu Wirkungsverstärkung oder -abschwächung der betroffenen Antidiabetika führen.

 

Die am häufigsten verordneten Sulfonylharnstoffe Glibenclamid (Euglucon® und andere) und Glimepirid (Amaryl® und andere) werden hauptsächlich über CYP2C9 metabolisiert (17). Interaktionen dieser Arzneistoffgruppe wurden früher aufgrund der hohen Proteinbindung häufig mit einer Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung erklärt. Anhand pharmakokinetischer Modelle lässt sich aber erkennen, dass die Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung, wenn überhaupt, nur einen geringen Effekt auf die Insulinfreisetzung hat. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die meisten Interaktionen, die bei Sulfonylharnstoffen beobachtet wurden, mit einer Hemmung metabolisierender Enzyme erklärt werden können (2).

 

Phenylbutazon (Ambene® und andere) und Fibrate zum Beispiel Fenofibrat (Lipanthyl® und andere) können anscheinend über mehrere Mechanismen die Wirkung von Sulfonylharnstoffen verstärken. Dabei wird die Hemmung des oxidativen Metabolismus und der renalen Ausscheidung der Sulfonylharnstoffe sowie die Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung diskutiert (8, 18, 19). Da die Interaktion gut dokumentiert ist, aber nur in seltenen Fällen akute Hypoglykämien aufgetreten sind, sollte zu Beginn der Therapie der Blutglucosespiegel besonders überwacht und die Patienten über das seltene Auftreten und die Symptome einer Hypoglykämie informiert werden.

 

Die Azol-Antimykotika Fluconazol (Diflucan® und andere), Miconazol (Daktar® und andere) und Voriconazol (Vfend®) sind Hemmstoffe von CYP2C9. Da es kaum Berichte zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Einnahme dieser Kombination gibt, scheinen diese Azol-Antimykotika bei oraler, buccaler oder vaginaler Anwendung den Blutzuckerspiegel selten relevant zu beeinflussen (8). Bei dermaler Applikation der Antimykotika spielt diese Interaktion keine Rolle.

 

Bei gleichzeitiger Einnahme von Glibenclamid mit Ciprofloxacin (Ciprobay® und andere) wurde in Einzelfällen über Hypoglykämien berichtet (2, 20, 21). Der Mechanismus ist nicht vollständig geklärt. Es wird aber eine Hemmung der Metabolisierung von Glibenclamid diskutiert. Sowohl diese Kombination als auch diejenige mit Azol-Antimykotika muss nicht vermieden werden, die Patienten sollten aber über hypoglykämische Symptome informiert werden.

 

Auch bei gleichzeitiger Einnahme von Sulfonylharnstoffen oder Insulin und Tetrazyklinen wurde in Einzelfällen von Hypoglykämien berichtet (2, 8). Hier ist der Mechanismus unbekannt. Da klinisch relevante Interaktionen anscheinend sehr selten auftreten, kann die Kombination gegeben werden. Bei neu auftretenden Hypoglykämien unter der Kombination sollte diese Interaktion bedacht werden.

 

Glinide

Glinide (Repaglinid (Novonorm®) und Nateglinid (Starlix®)) zeigen strukturell Ähnlichkeiten mit Glibenclamid. Wie die Sulfonylharnstoffe steigern sie durch Hemmung der ATP-sensitiven Kaliumkanäle die Insulinsekretion aus den β-Zellen, zeichnen sich aber durch einen sehr schnellen Wirkungseintritt aus. Nateglinid wird über CYP2C8 und CYP3A4, Repaglinid überwiegend über CYP2C8, in geringerem Ausmaß über CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert (2). Kontraindiziert ist die gleichzeitige Gabe von Repaglinid und dem Fibrat Gemfibrozil (Gevilon® und andere), einem CYP2C8-Inhibitor. Gemfibrozil führt zu erhöhten Plasmaspiegeln und verlängerten Halbwertszeiten von Repaglinid, die ein hohes Risiko für Hypoglykämien darstellen (2). Nateglinid interagiert nicht mit Gemfibrozil. Zwischen Repaglinid und Bezafibrat (Cedur® und andere) beziehungsweise Fenofibrat (Lipanthyl® und andere) wurde keine pharmakokinetische Wechselwirkung gefunden, sodass diese als alternative Fibrate bei einer Therapie mit Repaglinid infrage kommen.

 

Glitazone

Auch Rosiglitazon (Avandia® und andere) wird überwiegend über CYP2C8 metabolisiert, während Pioglitazon (Actos®) über CYP2C8/9 und CYP3A4 sowie CYP1A2 abgebaut wird. Der CYP2C8-Induktor Rifampicin (Rifa® und andere) kann zu einer Erniedrigung, Trimethoprim (Kepinol® und andere) und Gemfibrozil zu einer Erhöhung der Plasmakonzentration von Rosiglitazon führen (8, 22). Dies macht möglicherweise in seltenen Fällen eine Dosisanpassung erforderlich.

 

Interaktionen mit Nahrungsmitteln

 

Der Check auf Interaktionen zwischen Antidiabetika und anderen Arzneimitteln sollte standardmäßig als Erstes durchgeführt werden. Im zweiten Schritt erfolgt die Aufklärung des Patienten zu möglichen Wechselwirkungen mit Nahrungsbestandteilen.

 

Der richtige Einnahmezeitpunkt kann bei der Beeinflussung des Blutzuckerspiegels im Wechselspiel zwischen Nahrungsaufnahme und Arzneistoffeinnahme durchaus relevant sein. Über den Einnahmemodus einiger oraler Antidiabetika entscheiden pharmakokinetische und pharmakodynamische Parameter sowie der Wirkort. α-Glucosidasehemmer wie Acarbose (Glucobay®) oder Miglitol (Diastabol®) hemmen die enzymatische Spaltung von Oligo- und Disacchariden durch Glucosidase im Gastrointestinaltrakt. Dadurch wird die Resorption von Kohlenhydraten verzögert und postprandiale Blutzuckerspitzen vermieden. Damit die optimale Wirkung gesichert ist, sollten diese Medikamente mit dem ersten Bissen der Mahlzeit eingenommen werden (Tabelle 2). Als Resultat der Wechselwirkung von Kohlenhydraten mit α-Glukosidasehemmern gelangen überschüssige Zuckermoleküle in den Darm und werden von Bakterien abgebaut. Typische Nebenwirkungen sind dabei zum Teil sehr störende Blähungen und Flatulenz. Um die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten, sollte zu Beginn der Therapie der Kohlenhydratanteil der Mahlzeiten reduziert und die Medikamente einschleichend eingesetzt werden. So wird die Menge an unverdauten Zuckern, die im Darm in einer Art Gärungsprozess abgebaut werden, gesenkt.

Tabelle 2: Einnahmezeitpunkte

Arzneistoff bzw. -gruppe Präparatebeispiel Einnahmezeitpunkt
α-Glucosidasehemmer Acarbose (Glucobay®), Miglitol (Diastabol®) mit dem ersten Bissen der Mahlzeit
Glibenclamid Euglucon® u. a. 15 bis 30 Minuten vor der Mahlzeit
Glimepirid Amaryl® einmal täglich vor der ersten Hauptmahlzeit
Glinide Repaglinid (Novonorm®), Nateglinid (Starlix®) direkt vor den Hauptmahlzeiten
Metformin Glucophage® u. a. unmittelbar nach der Mahlzeit
Glitazone Rosiglitazon (Avandia® u. a.), Pioglitazon (Actos®) unabhängig von der Mahlzeit

Sulfonylharnstoffe fördern die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse. Daher muss schon während des Essens ein ausreichender Wirkstoffspiegel vorhanden sein. Nahrung verändert bei Glibenclamid nicht das Ausmaß der Resorption, verzögert sie allerdings (23). Der empfohlene Abstand zum Essen beträgt 15 bis 30 Minuten, um unerwünschte Glucosespitzen als Folge der Nahrungsaufnahme zu vermeiden (24). Bei Glimepirid hat die Nahrungsaufnahme dagegen keinen relevanten Einfluss auf die Resorption. Hier wird die einmal tägliche Einnahme unmittelbar vor dem Frühstück beziehungsweise, wenn nicht gefrühstückt wird, unmittelbar vor der ersten Hauptmahlzeit empfohlen (24). Nach der Einnahme von Sulfonylharnstoffen dürfen Mahlzeiten nicht weggelassen oder deutlich verschoben werden, da sonst das Hypoglykämierisiko erhöht ist (cave: ältere Menschen) (25). Dies gilt auch für die Glinide. Allerdings darf bei Repaglinid und Nateglinid aufgrund der kürzeren Halbwertszeit eine Tabletteneinnahme unterbleiben, wenn der Patient keine Mahlzeit zu sich nimmt. Aufgrund der rasch einsetzenden Wirkung, sollte die Gabe direkt vor den Hauptmahlzeiten erfolgen.

 

Bei Metformin spielt zwar der Zeitpunkt der Einnahme für die Wirkung keine Rolle, dennoch wird eine Einnahme unmittelbar nach den Mahlzeiten im Interesse einer besseren gastrointestinalen Verträglichkeit empfohlen (23). Da Nahrung die Pharmakokinetik der Glitazone nicht klinisch relevant beeinflusst, können Pioglitazon und Rosiglitazon unabhängig von der Nahrungsaufnahme eingenommen werden (25).

 

Alkohol nur in Maßen

 

Alkohol hemmt die hepatische Glukoneogenese. Der Abbau größerer Alkoholmengen entzieht der Glukoneogenese Pyruvat, und es kann zu protrahierten Hypoglykämien kommen, teilweise Stunden nach dem Alkoholkonsum. Je höher die Alkoholmenge, desto länger ist die Hemmung der Glukoneogenese (11). Die Folge sind vor allem schwere, nächtliche und damit häufig unbemerkte Hypoglykämien. Bei einer Hypoglykämie unter Alkoholeinfluss sind die kognitiven Hirnfunktionen noch stärker beeinträchtigt; zudem kommt es zu einer verringerten Wahrnehmung der Warnsymptome. Empfehlungen, die den totalen Verzicht auf Alkohol bei Diabetes propagieren, sind heute überholt. Für Diabetiker ist wichtig zu wissen, dass Alkohol den Blutzuckerspiegel sogar noch Stunden nach dem Trinken senken kann. Eine gelegentliche moderate Alkoholaufnahme (für Frauen bis 10 g Alkohol/Tag, für Männer bis 20 g Alkohol/Tag) mit einer kohlenhydrathaltigen Mahlzeit verbunden hat jedoch kaum spürbare Effekte (26). Dies bedeutet, dass Frauen ein Glas Wein, Sekt (etwa 100 ml) oder Bier (etwa 250 ml) und Männer entsprechend das Doppelte zu einer Mahlzeit, konsumieren können. Kohlenhydratreiche alkoholische Getränke sollten vermieden werden.

 

Es wird häufig darauf hingewiesen, dass die Verkehrstauglichkeit durch Alkohol und das gesteigerte Hypoglykämierisiko überproportional eingeschränkt ist und Diabetiker daher nach jedwedem Alkoholkonsum möglichst nicht Auto fahren sollten (27). Die Evidenzlage für diese strikte Empfehlung ist vor allem für Typ-2-Diabetiker gering.

 

Das Lactatazidoserisiko wird durch die gleichzeitige Einnahme von Biguaniden und größerer Mengen Alkohol erhöht. Bei alkoholabhängigen Patienten ist Metformin daher kontraindiziert. Bei Metformin ist das Risiko für eine Laktatazidose allerdings wesentlich geringer als bei Phenformin, welches aufgrund dieses Risikos in Deutschland nicht mehr im Handel ist. Daher gelten für Patienten, die Metformin einnehmen, die gleichen Empfehlungen zum Alkoholkonsum wie bei Einnahme anderer Antidiabetika (8).

Zusammenfassung

Aufgrund häufig auftretender Folge- und Begleiterkrankungen bei Diabetespatienten ist die Wahrscheinlichkeit für eine Polypharmazie sehr hoch.

Es gibt zahlreiche in der Literatur beschriebene Interaktionen mit Antidiabetika, die aber selten klinisch relevant sind und eine unmittelbare Intervention erfordern.

Engmaschiges Monitoring (Arzt, Apotheker, Patient) ist empfehlenswert.

Interaktionsmanagement in der Apotheke:

Durch Aufnahme aller Diabetiker in die Kundendatei oder Einschreibung in die Hausapotheke mit allen Medikationsdaten kann bei jeder Abgabe eines Arzneimittels ein automatischer Interaktions-Check zwischen neuer und zuvor abgegebener Medikation durchgeführt werden.

Die klinische Relevanz der Interaktionsmeldung ist für den individuellen Patienten zu beurteilen.

 

Literatur

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Anschriften der Verfasser:

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