HOCHSOMMER Poem by Adam Zagajewski

HOCHSOMMER

Im Sommer, am Fluß im Gebirge, wo zarte Weiden duften
und Falter purpurn und schwer vor Schönheit, Tagfalter, Admiral
und Page der Königin,
ihren letzten Flug unternehmen über das glänzende Wasser und über
die glänzende Erle und über die glänzende Welt; wenn die Luft
derart erfüllt ist von ätherischen Ölen, daß man sie
in Gläser füllen und unter den Fingern ihre Wölbung fühlen kann,
im August, wenn das Harz über den Kieferzweigen flammt und die
Tannenzapfen
krachen, als leckten an ihnen bereits die Zungen des ewigen Feuers,
und das Meer unten wirklich himmelblau gelassen schaukelt
wie ein Sieger, ein Herrscher, der die Perser geschlagen hat und alle
seine Yachten sich nun vor ihm bei jeder Wellenbewegung leicht verneigen,
und die Schwimmer eingetaucht in durchsichtiges Bettzeug
unendlich langsam vorbeiziehen an unsichtbaren Linien,
an weißen Fäden, die jede Substanz zusammenbinden,
und wenn das kolossale Flüstern der endlich zufriedenen Wesen hörbar ist,
wenn es scheint, daß selbst die Insekten ihren Dionysos haben,
im August, wenn Europas Stimmengewirr plötzlich verstummt
und Fabriken anhalten, und Touristen laut lachen
an den Stränden des Ligurischen Meeres, dann genügt es ein paar
Schritte zu tun,
hinter die Kulissen zu gehn - dort verbergen sich womöglich im
Halbdämmer des dichten Hains
die Schatten jener, die kurz gelebt haben, in Angst und ohne Hoffnung,
Schatten
unserer Brüder, unserer Schwestern, Schatten von Kolyma und
Ravensbrück,
die armen Engel der schwarzen Erlösung, und sehen uns habsüchtig an

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