Über das GRINSEN in der Politik
Michael Köhlmeier
GDie Botschaft des politischen Grinsers lautet: „Du weißt, dass ich weiß, ich weiß, dass du weißt.“Der Schriftsteller über geistiges Schulterklopfen, stillschweigendes Einverständnis, das Wegsehen, Formen der Gewalt und herbeigegrinste Komplizenschaft. Ein Essay.
rinsen ist die Bestätigung eines stillschweigenden Einverständnisses. Zu einem Einverständnis aber gehören mindestens zwei. Das Grinsen benötigt also einen Adressaten. Für sich allein wird vielleicht gelächelt, aber nicht gegrinst. – Wobei auch das Lächeln einer näheren Analyse wert wäre, die dann offenbarte, dass es verschiedene Arten desselben gibt, manche lieblich, andere abgrundtief böse; aber das ist nicht unser Thema. – Das Grinsen enthält also immer eine Mitteilung. Nicht immer, aber oft lautet die Mitteilung des Grinsers: „Du weißt, dass ich weiß, ich weiß, dass du weißt.“
Der Grinser darf also voraussetzen, dass sein Adressat Bescheid weiß. Nein: Er muss sich sogar darauf verlassen, dass sein Adressat Bescheid weiß. Das Wissen um den Gegenstand, dessentwegen gegrinst wird, verbindet den Grinser mit seinem Adressaten. Weiß der Adressat nicht Bescheid, ist das Grinsen sinnlos und wird als blöd missverstanden, wie auch der Grinser dann riskiert, als blöd bezeichnet zu werden. Der Grinser aber ist nicht blöd. Im Gegenteil, er will gerade mit seinem Grinsen einem Wissenden kundtun, dass jene, die dieses Grinsen nicht verstehen, blöd sind. Wer will schon blöd sein? Also wird der Zeuge des Grinsens das Grinsen verstehen wollen. Zumindest wird er so tun, als ob er es verstünde. Und damit ist er dem Grinser auf den Leim gegangen.
Metaebene der Intelligenz
Der Grinser steht nicht nur – wie wir, die wir uns einbilden, mit einer durchschnittlichen Intelligenz ausgestattet zu sein – eine Stufe über dem Blöden, sondern dazu noch eine Stufe über uns, sozusagen auf einer Metaebene der Intelligenz, von wo aus er sich zutraut, mächtig genug zu sein, den als blöd zu bezeichnen, der ihm nicht folgt. Kennzeichnend für diese Metaebene ist eben das Grinsen, das in diesem Fall besonders raffiniert eingesetzt wird, nämlich paradox, zumal es in seiner Tradition nicht einer hohen geistigen Stufe, sondern einer primitiven zugerechnet wird.
Auf alten Bildern wird der Blöde meist grinsend dargestellt. Das Wort „blöd“bedeutet im Mittelhochdeutschen „schwach“, im Dänischen noch heute „weich“. Wenn Sie auf dänischen Landstraßen fahren, werden Sie an manchen Stellen ein Schild sehen, worauf steht: „Rabatten blöd“– was so viel heißt, wie „der Randstreifen ist nicht befahrbar, weil weich“. Der Blöde ist, wie man sagt, „weich in der Birne“. Im Unterschied zu unserem Grinser grinst der Blöde aber ohne einen Adressaten – was allerdings bei genauerer Untersuchung nicht stimmt, denn er hat sehr wohl einen, aber den bildet er sich nur ein oder er ist selbst der Adressant, in beiden Fällen konstatieren wir eine geistige oder seelische Anomalität: Grinsen ohne Publikum ist tatsächlich nur blöd.
Der Grinser, speziell der Grinser in der Politik, muss sich, wie gesagt, seines Publikums sicher sein; er muss sich sicher sein, dass sein Publikum, erstens, über den Gegenstand des Grinsens Bescheid weiß, zweitens, dass es sich nicht gegen sein Grinsen empört, jedenfalls nicht, solange er noch anwesend ist und das Grinsen anhält.
Die Frage, ob das Publikum auf seiner Seite steht oder nicht, braucht ihn nicht zu beunruhigen. Das Grinsen kennt keine Gemeinsamkeit aus einer weltanschaulichen Überzeugung heraus, es kennt nur die Kumpanei. Der Gegenstand – der nicht ausgesprochen, sondern durch das Grinsen angedeutet wird – kann noch so heilig, noch so verderblich, noch so erhaben, noch so niederträchtig sein, eingepackt in Grinsen, wirkt er immer harmlos und gesellig – „Was regst du dich so auf!“– „Komm runter!“– „War doch immer so.“– „Sind doch alle gleich.“Das Grinsen ist geistiges Schunkeln und Schulterklopfen.
Dürfen wir uns den Grinser als einen glücklichen Menschen vorstellen? Aber ja! Er trägt wenig Last an Überzeugungen.
Grinsen und Demokratie
Grinsen ist öffentlich zugänglich. Wird zwar über den Gegenstand des Einverständnisses geschwiegen, so soll doch nicht im Geheimen gegrinst werden. Grinsen ist demokratisch. Grinsen schließt niemanden aus – jedenfalls niemanden, der zusieht, ohne sich zu rühren, und schon gar nicht jene, die mitgrinsen. Alle dürfen das Grinsen sehen. Alle sollen das Grinsen sehen! Alle sollen sehen, dass ein Einverständnis über einen Gegenstand besteht, und zwar ein stillschweigendes Einverständnis. Man fragt sich: Warum ist das Einverständnis dann stillschweigend? Warum wird nicht offen und in der Öffentlichkeit über den Gegenstand des Einverständnisses gesprochen, wenn eh alle Bescheid wissen? Antwort: weil der Gegenstand kompromittierend ist. Es gibt Dinge, die man argwöhnt, die man nicht wahrhaben will, deren Gewissheit man jedoch nicht zu ertragen glaubt. Sprache verschafft Gewissheit, kann zumindest Gewissheit verschaffen. Mimik dagegen ist vage, auch wenn sie es nicht sein will. Grinsen ist immer vage und will es sein. Deshalb kann dem Grinser nichts nachgewiesen werden.
Dem Grinser und seinem Publikum eignet ein Vertrauen in die Magie der Sprache. Grinser und Publikum sind in ihrem Innersten davon überzeugt, dass eine Sache erst real ist, wenn sie ausgesprochen wird.