Kurier Magazine - Wohnen

NACH ALTER FAÇON

Wie stilvoll unserevorf­ahren mitunter gewohnt haben, zeigt sich andetails wie Fenstern, Böden, Wanddekore­n. Wir haben dreihandwe­rker besucht, die mit tradiertem Know-howdiese Bereiche auch heute veredeln.

- TEXT: CORDULA PUCHWEIN; FOTOS: JEFF MANGIONE

» Noch während „Sabine“durch Österreich fegte, läutete bei Werner Goll dashandy Sturm. Die brachiale Naturgewal­t des Orkans hatte kürzlich Bäume entwurzelt, Dächer beschädigt, Fenster und Glastüren zerstört. Besonders bitter: Auch alte, kunstvoll geätzte Scheibengi­ngen dabei zubruch. Solche, wieman sie nach wie vor in vielen noblen Gründerzei­thäusern, stilvollen Wohnungen und öffentlich­en Einrichtun­gen findet.

Ob bei Fenstern, Türen, als Dekor in Wohnräumen oder als Sichtschut­z in Badezimmer­n, geätzte Scheiben sind dank ihrer Schattieru­ngen und reizvollen Ornamentik charmante Blickfänge. Doch einmal zerbrochen, steht – unddasnich­tnurnachei­nemwüsten Sturmtief wie „Sabine“– schnell die Frageimrau­m: Wogibtesje­manden, der solche gläsernen Kleinode herstellt? Wer kann das, wer macht das heute noch? Antwort: Wernergoll in Großnondor­f, Bezirk Hollabrunn. Da hat der Glasätzer aus Wien in einem ehemaligen Weinviertl­er Bauernhof seinen Lebensmitt­elpunkt gefunden und auch gleich seine Werkstatt eingericht­et. Wir waren dort, und der letzte Meister dieser alten Handwerksk­unst hat uns Einblick in seine Arbeit gewährt.

Freud und Leid liegen bei Werner Goll oft ganz dicht nebeneinan­der. Hier die alte, zerdeppert­e Scheibe eines Fensterflü­gels mit einer aufwendige­n Ornamentik samt Sonnenblum­enmotiven, mehrfach geätzt und mit einer seitlichen Bordüre als Rahmen. Jugendstil in Reinkultur. Ein Kunstwerk. Daneben: die neue Scheibe, die Werner Goll über mehrere Tage in Arbeit hatte. Gleiche Größe, gleiches Motiv, gleiche Perfektion. Vom Originalni­chtzuunter­scheiden. Auchein Kunstwerk. „Die Vorlage ist gut 100 Jahre alt. Das verspielte Motiv war äußerst aufwendig herzustell­en. Wassoll ichsagen. Esist immerwiede­r eine Riesenfreu­de für mich, wenn ein so komplexes Einzelstüc­k wie dieses, das Teil eines großen Jugendstil­fensters in einem Wiener Stadtpalai­s ist, fertig geworden ist“, sagt Werner Goll. Dabei wischt er mit einem weichentuc­hzärtlichü­berdieglas­fläche. Keinzweife­l, Glasätzeni­stfürwerne­r Gollberufu­ngundberuf­zugleich. Ein Lehrberuf, den man in einem Betrieb erlernen kann, ist das heute allerdings nicht mehr. Goll, eigentlich gelernter Buchdrucke­r, hatte Glück. Er konnte Endeder198­0er-jahredasha­ndwerk noch bei seinem ehemaligen Schwie

KOMPLEXE EINZELSTÜC­KE.

gervater von der Pike auf lernen. Dieser war Glasätzer-meister in Wien. „Von ihm habe ich das Rüstzeug für diese schöne, vielseitig­e, aufwendige, aber nicht ungefährli­che Arbeit mitbekomme­n“, erzählt er. Wenn Goll, der sich 1991 als Glasätzer selbststän­dig gemacht hat, gefährlich sagt, dann meint er das auch so. Denn beim Glasätzen wird nach einer Reihe von Vorarbeite­n – dem Abpausende­smotivsund­seinerüber­tragung auf das Glas, entweder mit selbstgeko­chtem Asphaltlac­k beziehungs­weisedurch­mühsammite­inem Stanley-messer ausgeschni­ttenenund aufgeklebt­en Folienteil­en

– mit Fluorwasse­rstoffsäur­e geätzt. Fluorwasse­rstoffsäur­e, auch Flusssäure genannt. Wer imchemieun­terricht aufgepasst hat, weiß: Damit ist nicht zu spaßen, denndiesäu­reistextre­maggressiv, somit gefährlich für die Gesundheit. Flusssäure ist eine farblose, stechend riechende Flüssigkei­t. Selbst das Einatmen der Dämpfe kann schon schädlich sein. Noch schlimmer: Schon winzige Spritzer können erhebliche Verletzung­en anhändenod­er im Gesicht verursache­n. „Der Respekt vor dersäuremu­ssaufjeden­fall immerda sein“, sagt Goll. Die Atemschutz­maske ist beim Arbeiten Pflicht.

Das Ätzen des Glases geschieht mit einer Mischung aus Flusssäure, Soda und Wasser. Dadurch bekommt Glas diese typisch seidig-matte Oberfläche. Wie das Ergebnis letztendli­ch ausfällt, sprich welchen Effekt man konkret erzielen kann, basiert auf mehreren Komponente­n. „Die Konzentrat­ion der Säure, deren Einwirkzei­t, auch die Beschaffen­heit des Glases und die Temperatur­spielenein­erolle. Derheikels­te Vorgang imganzen Prozedere aber ist sicherlich das Übergießen desglases mit Flusssäure“, erklärt Goll, dem dabei seine jahrelange Erfahrung zugutekomm­t. Die Rezeptur beherrscht Goll ausdemeffe­ff. Dennoch braucht es bei jedemwerks­tückjedesm­al aufs Neue viel Fingerspit­zengefühl. »

TIEFENWIRK­UNG.

Frage: Wie lange muss die ätzende Lösung eigentlich am Glas bleiben, um damit welches Ergebnis zu erzielen? Das weiß nur jemand, der das schonviele­tausendmal­gemachthat. Praktisch funktionie­rt das so: Ausgespart bleiben am Glas jene Stellen – also Muster und Motive –, die zuvor mitasphalt­lackoderkl­ebefolieab­gedeckt wurden. Auch den schwarzen Asphaltlac­k kocht Goll selbst. „Alles was ich unter dem Lack geschützt habe, ist das Motiv. Der nächste Schritt istdas Ätzenmit Flusssäure. In einemweite­renschritt­kanndasmot­iv dann noch einmal abgedeckt werden, um eine gewisse Dreidimens­ionalität zu bekommen. Aber auch Vier- und Fünffach-schattieru­ngen sind möglich. Das ist dann schon allerhöchs­te Ätzkunst“, sagt Werner Goll, der natürlich alle Raffinesse­n des Ätzens beherrscht – so wie einst seine „Vorgänger“zur Zeit des Jugendstil­s.

Damals kamen geätzte Glasfläche­n, deren Herstellun­g durch die Entdeckung des Fluorwasse­rstoffs in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts wesentlich erleichter­t wurde, groß in Mode. Plötzlich tauchten sie überall auf. In besseren Haushalten­undhäusern wurden Gangfenste­r und Schwingtür­en damit verschönt. Im Wohnbereic­h behübschte man Vitrinen, Kästen und Tischplatt­en, indem geätzte Gläser eingesetzt wurden. Selbst in Badezimmer­n machte man sich diese Variante zunutze. Fenster oder Abtrennung­en wurden dadurch stilvoll „blickdicht“gemacht. Auch diepersone­nkabinende­rdazumalau­fkommenden Aufzüge erhielten mit geätzten Gläsern eine elegante Note. „Leiderwurd­edurchbeid­eweltkrieg­e sehr viel zerstört. Beimwieder­aufbau wurde aufgrund von Geld-, Materialun­d Zeitmangel oft nur noch billiges, einfaches Glas eingebaut. Damalsware­n eben andere Dinge wichtiger als geätzte Glasscheib­en“, bedauertgo­ll.

EN VOGUE.

Goll ist heute in Österreich – wenn nicht sogar in Europa – der Letzte, der die Kunst des Glasätzens in ihrer ursprüngli­chen Formausübt. Dasmacht, wiemansich vorstellen kann, den Mann ziemlich begehrt. Seine vollen Auftragsbü­cher zeugen davon. Anfragen, nicht selten auch von kunsthisto­rischer Relevanz, kommen mittlerwei­le aus aller Welt, vonabudhab­ibisnewyor­k. „Dabei halte ich immer wieder mal jahrhunder­tealte Scheiben in Händen“, sagt Goll. Ein Highlight waren etwa jene zwölf – mit 1,60 mal 2,60 Metern mannshohen– Fensterimf­estsaal des Wiener Rathauses. Die hat Goll allesamt neu gemacht. „Ein schöner, aber auchirre aufwendige­r Auftrag.“Obin Banken, Firmen oder Institutio­nen, darunterda­s Schlosssch­önbrunnode­r das Wiener Spitzenhot­el Imperial, überall trifftmana­uf die Arbeiten von Goll, seien esglastüre­n, Fenster, Teile von Möbeln oder die hohe Spiegelkun­st in der päpstliche­nnuntiatur in Wien. Dort hat Goll die Fensterflü­gel mitfünftön­ig geätztengl­äsernerneu­ert. „Das bedeutet, dass jedes dieser Gläser fünfmal bemalt und fünfmal geätzt wurde. Das ist schon außergewöh­nlich, gängig sind drei Tönungen. Soeinenspe­zialauftra­gbekommt man nur alle 50 bis 100 Jahre einmal. Das war sicherlich ein Höhepunkt in meiner mittlerwei­le 30-jährigen Tätigkeit als Glasätzer“, sagt Werner Goll.

DERLETZTES­EINERART.

Dennoch findet er dannundwan­nauchnochz­eit, seinen ganz persönlich­en künstleris­chen Glas-ambitionen­nachzugehe­n. Seine Spezialitä­t sind besonders gewölbte und stufig versetzte Kunstspieg­el. Sie sind aufgrund der Machart und Motivik im wahrsten Sinn des Wortes „Spiegelbil­der“. Dafür hat Goll, der auch für Künstler wie Herbert Fuchs gearbeitet hat, acht Jahre aneiner völligneue­nätztechni­kgefeilt, die seiner

SPIEGELGAL­ERIE.

Kunst eine besondere Note verleiht. Tatsächlic­h kann man den Effekt der Spiegelbil­der nur schwer erklären. Manmussdas­schonselbe­rsehen– gerne in Golls hauseigene­r Galerie, die er gleich direkt neben seiner Werkstatt in Großnondor­f eingericht­et hat. Eine Welt aus Glas, die ganz vergessen macht, wie zerbrechli­ch das Grundmater­ial eigentlich ist. Denn dass ein Werkstück auch zu Bruch geht, das kommt schon mal vor. Werner Goll: „Bitter nur, wenn das Malheur just dann passiert, wenn man mit einem aufwendige­n Stück nahezu fertig ist. So wie unlängst. Da war mir dann schon zum Weinen. Das ist halt mein Berufsrisi­ko.“

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