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Die Fälle des Dr. K.: Tödliche Verletzung einer Stute beim Deckakt
14.01.2022 / News

Bei einem Deckakt – durchgeführt auf dem Reiterhof des Hengsthalters – wurde eine Stute so schwer verletzt, dass sie wenig später eingeschläfert werden musste. Der geschädigte Stutenbesitzer klagte daraufhin auf Schadenersatz. Neben der Ermittlung der Höhe des Schadens wurde dem Sachverständigen auch der Auftrag erteilt, die Schadensursache im Hinblick auf die Verschuldenssituation einzuschätzen.

 

Neben Ermittlung der Höhe des Schadens wurde dem Sachverständigen der Auftrag erteilt, die Schadensursache im Hinblick auf die Verschuldenssituation einzuschätzen.
Die Stute P aus dem Eigentum des A. G. befand sich am Reiterhof K., um dort mit dem Hengst XX, gedeckt zu werden.
Halter und Deck-Bevollmächtigter war der der Betriebsführer des Reiterhofes K.
Zum ersten Mal wurde die Stute am 7.4. XX dem Hengst zugeführt, der zweite Deckakt erfolgte am frühen Vormittag des 9.4.XX. Infolge der Verhältnisse am Deckstand und einer kurzen Unachtsamkeit des Hengstführers K., führte der Hengst seinen Penis in das Rektum der Stute ein. Als K. dies bemerkte, entfernte er den Hengst von der Stute, um ihn dann nach einer kurzen Beruhigungszeit noch einen ordnungsgemäßen Sprung durchführen zu lassen.
Als die Stute am Nachmittag desselben Tages Kolik-Erscheinungen zeigte, wurde der Tierarzt Mag. F. beigezogen, der eine schwere Verletzung des Enddarms feststellte und das Pferd an die Pferdeklinik M. überwies. Die dort tätige Fachtierärztin für Pferde stellte einen Darmriss fest. Da die Stute bereits in schlechtem Allgemeinzustand war und die erhobenen Befunde keine gute Prognose zuließen, wurde das Pferd der Euthanasie zugeführt.

Befunde

Sachverständige Befundaufnahme:
Die Befundaufnahme durch den bestellten SV fand am 6. Mai XX an Ort und Stelle statt. Anwesend waren K. und der Eigentümer des Hengstes als Versicherungsnehmer (VN).

Der Hengst ist – wie auch am Tag des Vorfalls – mit einem Steiger-Gebiss  adjustiert

Probierwand und Deckstand: Hier wird die Rosse überprüft, aber auch gedeckt
Zu beachten sind die Bodenverhältnisse

Die Maße der Probierwand bewegen sich im Bereich der Norm

Bodenverhältnisse auf der rechten Seite

Bodenverhältnisse auf der linken Seite  

Bodenverhältnisse und Gefahrenquellen im Überblick

Der „Deckstand“, der auch als Probierwand dient, birgt speziell bodenseitig, aber auch rundherum  eine Reihe von Gefahren, die geeignet sind, die Aufmerksamkeit des Hengsthalters während des Deckaktes abzulenken.

Ergänzende informative Befragung des K. (Hengsthalter)
– Die Stuten, welche zur Bedeckung auf dem Hof stehen, werden zur Bestimmung des idealen Rossezeitpunktes nicht tierärztlich untersucht, eine Verletzung der Stute im Rahmen einer (tierärztlichen) Rektaluntersuchung ist auszuschließen.
– Der Hengst XX ist fünfjährig und die erste Saison im Deckeinsatz
– Der Hengst wird von K. auch auf Springturnieren vorgestellt
– Am Vorfallstage war dies der erste Sprung für den Hengst
– Die Stute war schon 2 Tage vorher zum ersten Mal gedeckt worden
– Für den Deckakt war der Schweif der Stute einbandagiert
– K. ist Übungsleiter für Reiten, hat in einem Pferdezentrum gelernt und war dort auch häufig beim Deckgeschäft dabei.
– Sein Reiterhof ist ein Einstell- und Ausbildungsbetrieb.


Bericht des erstintervenierenden Tierarztes Mag. F.

Tierärztliche Bestätigung
Ich wurde am 09.04.2014 von Fam. XX angerufen, um in ihrem Stall ein Pferd (Stute P. welche zum Decken eingestellt war) mit Kolik zu behandeln.
Als ich im Stall ankam legte sich das Pferd gerade am Waschplatz nieder und war hochgradig verschwitzt,
Ich habe nach erfolgter Auskultation des Abdomens sofort 40ml Novalgin gespritzt.
Atemfrequenz und Puls waren hochgradich erhöht.
Nach der Injektion ist die Stute P. wieder aufgestanden und ich konnte somit eine rektale Untersuchung durchführen, wo ich eine schwere Verletzung des Enddarmes feststellte.
Auf meine Frage, ob jemand im Stall eine Rektaluntersuchung durchgeführt hat, wurde mir gesagt, dass der Hengst beim Decken am Vormittag mit dem Penis in das Rektum eingedrungen ist.
Ich habe dann sofort die Überweisung in eine Pferdeklinik angeordnet und die Stute mit Antibiotikum und einem zusätzlichen Schmerzmittel (Finadyne) abgedeckt.
Im Anschluss wurde die Stute sofort verladen und nach xx in die Tierklinik XX gebracht.
Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung

 
Bericht der Tierklinik M.

Sehr geehrter Herr Kollege, hier die Krankengeschichte von P.:
Laut Vorbericht ist die Stute in der Früh vom Hengst in den After gedeckt worden und um  ca.14Uhr30 von Dr. F. vorbehandelt worden.
Bei der Einstellung um 17 Uhr 20 war die Stute in einem sehr schlechten Zustand: Kaltschweißig, Lidbindehäute hochgradig gerötet, Puls 80, keine Peristaltik (allenfalls in den unteren Quadranten fallweise ein Glucksen). Bei der rektalen Untersuchung stellte ich etwa 20-25 cm vom After entfernt eine handlängengroße komplette Zusammenhangstrennung der Darmwand fest. Im Ultraschall waren dilatierte starre Dünndarmschlingen sowie vermehrte Flüssigkeit im Abdomen zu sehen.
Der Hämatokritwert war 56%. Aufgrund der infausten Prognose wurde die Stute euthanasiert.

Sachverständige Fallanalyse

Die zu bewertende Stute war zum Zeitpunkt des Todes nicht ganz sechsjährig. Sie wird als mutiges, im Gelände sicheres und fleißiges Pferd beschrieben, was sich mit dem Eindruck, den man aus dem vorgelegten Foto gewinnen kann, durchaus deckt. Am Lichtbild präsentiert sich die Stute als eleganter Typ, noch nicht sehr prägnant bemuskelt, mit gutem Auge. Sie war eine Braune (fast) ohne Abzeichen. Mit 160 cm Stockmaß bewegte sie sich am unteren Rand der Beliebtheitsskala bei Reitpferden.  Zum Zeitpunkt des Todes verfügte sie über keine, objektiv nachvollziehbare Eigenleistung, auch der Ausbildungsgrad (im Sinne der Ausbildungsskala) bleibt unbekannt.

– Dem Hengsthalter ist aus fachlicher Sicht vorzuhalten, dass der Sprungstand, auf welchem er die verfahrensgegenständliche Stute dem Hengst zuführte, erhebliche Sicherheitsmängel – insbesondere in der Bodenbeschaffenheit – aufweist.
– Da der Hengst XX erst fünfjährig ist und über wenig Erfahrung verfügt, wäre besondere Sorgfalt anzuwenden gewesen.
– Diese Mängel hat er als Pferdehalter auch im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht zu verantworten.
– Am berichteten Deckmanagement (Vorbereitung von Hengst und Stute) ist nichts auszusetzen.
– Die entstandenen Folgekosten für tierärztliche Versorgung sind vorfallkausal und der Höhe und dem Grunde nach nachvollziehbar.


Die Ursache des Zustandekommens eines fehlerhaften Deckaktes mit der Folge eines Darmrisses durch den, in das Rektum eingedrungenen Penis des Hengstes ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die mangelhafte Ausführung der auch als Deckstand benutzten Probierwand zurückzuführen. Die Bodenverhältnisse sind ungleichmäßig in Beschaffenheit und auch in der Höhe, sodass ein korrektes „Zielen“ dem noch unerfahrenen Hengst ganz offensichtlich  nicht möglich war. Auch dürfte die Aufmerksamkeit des Hengsthalters K. zumindest für kurze Zeit abgelenkt gewesen sein, so dass er das Penetrieren in den Mastdarm nicht rechtzeitig bemerkte.
Eine andere Ursache für den Darmriss konnte nicht eruiert werden.

Die Schadenshöhe setzt sich aus dem Wert des Pferdes und den Folgekosten zusammen. Der Wert des Pferdes wurde mit € xxxx ermittelt, da das Pferd ein eher kleiner Typ war und, altersbedingt, noch über keine nachweisbaren Eigenleistungen verfügte. Über den Ausbildungsstand wurden keine Nachweise erbracht.

Die anfallenden Folgekosten sind dem Grunde nach schlüssig und nachvollziehbar, soweit Rechnungen vorliegen ist die Höhe nachvollziehbar und korrekt bemessen.

 

ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und  Bildern verfremdet und anonymisiert,  womit  geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit  für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt.

VORSCHAU: Beim Unterricht einer Reitschülerin an der Longe kam es zu einem Unfall, bei dem sich die Schülerin eine schwere Armverletzung zuzog, sie klagte auf Schadenersatz. Dr. K. hatte in seinem Gutachten eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten: War die Ausrüstung des Schulpferdes ordnungsgemäß? Wurde der Unterricht fachkundig durchgeführt? Und war die beklagte Reitlehrerin überhaupt dazu befähigt, Reitstunden zu erteilen? Viele spannende Fragestellungen für Dr. K. ...

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