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Der Überflieger

geschrieben von Carin Hodel im Oktober 2012

Wie der Lüneburger Marco Börries die (Software-) Welt eroberte

Elegant-schwarzer Anzug, weißes Hemd, das blonde Haar akkurat gescheitelt; fast ein bisschen spießbürgerlich kommt er daher: der Mann, der in den Medien als „Wunderkind“ und „deutscher Bill Gates“ bejubelt wird und im zarten Alter von 16 Jahren seine erste Firma gründete, um mit 33 bereits Multimillionär zu sein. Wir reden hier von Marco Börries, HSV-Fan, Ex-Amateurradrennfahrer und einer der erfolgreichsten Software-Entwickler weltweit – weil der ehemalige Lüneburger nicht wahllos schnell daher programmierte PC-Spiele ersinnt, sondern eben viel Größeres. Er ist der Erfinder von OpenOffice und lehrte Microsoft damit das Fürchten. Wenn Marco Börries von seiner über 25-jährigen Erfolgsgeschichte erzählt, dann hat er dieses siegessichere Lächeln auf den Lippen. Und wenn man in seinen Pass schaut und da Jahrgang 1968 liest, mag man dies kaum glauben, denn was bereits hinter ihm an Erlebtem liegt, würde für eine weitaus längere Lebenszeit ausreichen.

Vielleicht war Börries einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, damals, im Sommer 1984, als seine Geschichte begann; als die Computerbildschirme noch nicht vierfarbige Bilder produzierten und Börries’ Klassenkameraden ihn gerne aufgrund seiner Blässe „Milchgesicht“ riefen.

Ein Schüleraustausch führt den Gymnasiasten zu dieser Zeit aus dem beschaulichen Lüneburg ins kalifornische Palo Alto. Ein Jahr lang lebt er mitten im Silicon Valley, sieht, wie um ihn herum junge Menschen junge Firmen hochziehen und sagt sich: „Das kann ich auch!“

An die Spitze der Software-Liga

Keine jugendliche Spinnerei, er meint es ernst. Kaum zurück in Lüneburg gründet er von seinem Konfirmationsgeld das Software-Unternehmen Star Division — obwohl er nicht einmal richtig programmieren kann. Dafür hat er seine Leute. Er selbst hat die Ideen – gute Ideen und das richtige Händchen fürs Geschäft. Nächtelang sitzt Marco Börries an seinem Schreibtisch und tüftelt, und schließlich ist sie da: Star Writer, eine Textverarbeitung, die beinahe so viel kann wie die etablierten Konkurrenten, dagegen aber nur einen Bruchteil kostet. Börries verkauft das Programm aus der elterlichen Garage in Lüneburg für 198 Mark pro Stück. Nebenbei gründete er eine zweite Firma – Star Finanz –, die sich später zu einem bedeutenden Anbieter von Homebanking- Software entwickelt.

Das Geschäft hält den frisch gebackenen Jungunternehmer ordentlich auf Trab, so sehr, dass er immer seltener zur Schule geht und zu Beginn der elften Klasse endgültig von der Schulbank in den Chefsessel wechselt. Während seine gleichaltrigen Kumpel sich über die Preiserhöhung der Kinokarten aufregen, jongliert Börries mit Millionensummen, denn die sammeln sich nach nur einem Jahr bereits auf seinem Konto. Marco Börries hat ein klares Ziel vor Augen: ganz oben in der Software-Liga mitzuspielen. „Die Welt braucht eine Alternative zu Microsoft“, posaunt er großspurig. Kaum jemand nimmt ihn ernst — bis er sein Softwarepaket Star Office mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Kalender und E-Mail-Programm auf den Markt bringt, das dem Pendant teilweise sogar überlegen ist — und dazu nach wie vor einen entscheidenden Vorteil hat: Es kostet nur die Hälfte.

Über Nacht zum Multimillionär

Seine durchdachte Software schlägt ein wie eine Bombe. Bald gründete der Senkrechtstarter Büros in London, Paris und Mailand, beschäftigt 270 Mitarbeiter, die nahezu alle doppelt so viele Lenze zählen wie er. Marco Börries genießt das Gefühl, Chef zu sein, erzählt mit jugendlichem Feuereifer von Erster-Klasse-Flügen und Luxushotels.

Und dann, Anfang August 1999, kommt jener Tag, der ihn über Nacht zum Multimillionär macht: Er verkauft seine Firma für rund 75 Millionen Dollar an den Computerriesen „Sun“, nimmt einen Posten in der Zentrale an und zieht mit seiner Familie – er ist inzwischen Vater von zwei Kindern – nach Kalifornien. Knapp zwei Jahre später, im Frühjahr 2001, ein neuer Wendepunkt: Börries steigt aus und beschließt, nach 16 Jahren ununterbrochener Unternehmertätigkeit etwas völlig Verrücktes zu tun, nämlich: nichts. „Ich wollte mehr Zeit für mich und auch für meine Familie, sagt er und zupft seine Krawatte in Position. „Einfach mal eine Auszeit.“

Yahoo kauft Börries

Aber Börries ist kein Mann der Ruhe, zu viele Ideen spuken in seinen Gedanken, zu sehr reißt ihn der Tatendrang mit. Vier Monate später beginnt der umtriebige Softwarepionier damit, die Wohnung zu verkabeln, stellt Fernseher und PC-Monitore auf Flachbildschirme um und installiert eine digitale Haussteuerung. Dabei fällt ihm auf, dass es gar nicht so einfach ist, den Videoserver mit dem drahtlosen Funknetz zu verbinden, geschweige denn das Garagentor via Bluetooth zu steuern. Und überhaupt: Wie lassen sich Daten übertragen, wenn man sich ein neues Handy kauft? Und wie können Firmen ohne viel Aufwand Alarmanlagen aus der Ferne bedienen?

Eine neue Geschäftsidee erblickte hier das Licht der Welt, und mit ihr Börries’ neue Firma Verdi- Soft, die parallel in Kalifornien und Hamburg die Lösung fürs „Connected Life“ entwickeln soll. „Connecten“ meint: Menschen jederzeit und überall mit den Informationen zu verbinden, die ihnen wichtig sind: E-Mails, Bilder, Musik, Videos, Dokumente – eben alles, was der moderne Mensch auf seinem Computer sammelt und was zusammengenommen eine Art digitales Abbild seines Lebens ergibt.

Diesseits und jenseits des Atlantiks machen sich seine Programmierer also an die Arbeit und drei Jahre später ist das Ziel erreicht – eine Art universelle Schnittstelle zwischen allen Geräten verschiedener Hersteller. Die Software führt ihn zurück auf die weltgrößte IT-Messe, die CeBIT, und ist so gut, dass sie plötzlich zum „Must-Have“ wird. United Internet meldete Interesse an, T-Mobile und Vodafone. Aber richtig viel Geld wollen sie nicht dafür zahlen. Doch dann kommt der Internetgigant Yahoo ins Spiel, kauft die gesamte Firma und Börries gleich mit. So wird aus dem Unternehmer zum zweiten Mal ein Angestellter – obwohl der Selfmade-Millionär eigentlich genug Geld und das Arbeiten gar nicht nötig hätte. Aber es reizt ihn, mit Yahoo gegen Google anzutreten. Es ist das alte Underdog-Spiel, so ähnlich wie damals das Duell Star Division gegen Microsoft.

„German Guy“ im Silicon Valley

Beim Web-Konzern steigt er auf bis in die zweite Führungsebene, „Senior Vice President“ steht auf seiner Visitenkarte. Dabei sticht er unter den lockeren Internetmanagern immer ein wenig als Exot hervor, in seinen perfekt sitzenden Anzügen, der roten Krawatte und dem farblich passenden Einstecktuch. Doch dank Börries ist Yahoo dem Erzrivalen Google im mobilen Internet weit voraus. Er ist der hochrangigste Deutsche im Silicon Valley – und einer der wenigen, die überhaupt im pochenden Herzen dieser gigantischen Internet-Metropole arbeiten. So wundert es nicht, dass der schlaksige Blonde immer wieder Thema in Branchenklatsch- Blogs ist, wo gegiftet wird, dass der einzige Ferrari, der auf dem Yahoo-Parkplatz steht, ausgerechnet ihm gehört.

An Selbstbewusstsein hat es Börries zum Glück nie gemangelt. Er ist stolz auf das, was er geleistet hat, und nicht bemüht dies zu verbergen. „Mit Leistung“, sagt er – und da blitzt es wieder auf, das siegessichere Lächeln — „kann man alles erreichen!“ Inzwischen hat Marco Börries Kalifornien den Rücken gekehrt und ist mit seiner Frau Andrea und seinen drei Kindern in seiner Heimat Deutschland angekommen, genau genommen in Berlin. Hier betreibt er heute die NumberFour AG, eine Firma, die sich auf Software für kleine Unternehmen spezialisiert hat. Also noch immer keine Spur von „Füße stillhalten“. „Wie ich Marco einschätze, werden wir noch viel von ihm hören und lesen“, sagt sein ehemaliger Lehrer Dr. Gerhard Scharf, der seit Jahren voller Stolz und Spannung seinen Werdegang verfolgt. Und auch wir sind gespannt: auf den nächsten Streich des Lüneburgers Marco Börries … (ch)

Fotos: sxc.hu © flaivoloka, Hajo Boldt

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