Corona-Folgen bei Jugendlichen: Krankhaftes Essverhalten, Ängste, Depressionen

Eine junge Frau misst mit einem Zentimetermaß den Umfang ihres Bauches.
Eine junge Frau misst mit einem Zentimetermaß den Umfang ihres Bauches. Ein krankhaftes Essverhalten kann eine Folge der Corona-Pandemie sein. © picture alliance / dpa
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„Für uns ist die Pandemie noch lange nicht vorbei!“ Mit diesen Worten startete Dr. Rüdiger Haas, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Marl-Sinsen, seinen Vortrag beim Haard-Dialog. Corona habe die Gesellschaft nicht nur stark verunsichert, sondern mit seinen Eindämmungsmaßnahmen wie Schulschließungen und Kontaktverboten jungen Menschen die Möglichkeit genommen, aktiv auf ihr Leben einzuwirken.

Das Gefühl des Kontrollverlusts

Zahlreiche Interessierte – darunter Eltern, Lehrer und Therapeuten – trafen sich zum ersten Haard-Dialog nach langer Pause, um zu erfahren, welchen Einfluss gesellschaftliche Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben. Treffpunkt war der Festsaal der Marler Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Dr. Carolin Wilker, Jasmin Böhm, Dr. Rüdiger Haas und Saskia Stahlberg (v.l.) nahmen beim
Dr. Carolin Wilker, Jasmin Böhm, Dr. Rüdiger Haas und Saskia Stahlberg (v.l.) nahmen beim „Haard-Dialog“ die Auswirkungen von gesellschaftlichen Krisen auf Kinder und Jugendliche in den Blick. © Seifert/LWL

Auch andere gesellschaftliche Krisen wie der Ukraine Krieg gäben vielen jungen Menschen laut Haas unter anderem ein Gefühl des Kontrollverlusts. So sei es zum Teil zu biographischen Brüchen gekommen, die nicht wieder aufgeholt werden können.

„Wir sehen hier viele junge Patientinnen und Patienten, teilweise schon im Alter von 11 oder 12 Jahren, die versuchen, die weggebrochene Kontrolle über ihr Leben zum Beispiel durch ein krankhaftes Essverhalten zu kompensieren“, so der Kinder- und Jugendpsychiater, „auch Ängste und Depressionen haben zugenommen“. Besonders betroffen sind laut Haas junge Menschen, die auf dem Sprung in den nächsten Entwicklungsschritt waren, wie vom Kindergarten zur Schule oder dem Schulwechsel.

Defizite in der Konzentrationsfähigkeit

Das bestätigten auch Dr. Carolin Wilker, Oberärztin in der LWL-Klinik Marl-Sinsen, sowie Jasmin Böhm und Saskia Stahlberg von der LWL-Klinikschule in der Haard. Einen angemessenen Kontakt zu anderen Kindern oder Bezugspersonen wie Lehrern oder Erziehern aufzubauen, falle den Kindern und Jugendlichen schwer, berichtete die Konrektorin Böhm aus ihrer Erfahrung. „Hinzu kommen Defizite in der Konzentrationsfähigkeit und häufig ein großer Frust, weil das Wissensdefizit so groß ist, dass es kaum aufzuholen ist“, so Saskia Stahlberg.

In einer regen Diskussion tauschten sich die Fachleute mit dem interessierten Publikum aus, wie den Kindern und Jugendlichen zu helfen sei. „Ein absolutes Allheilmittel, das für alle passt, haben wir für Sie nicht“, gab Dr. Rüdiger Haas zu. Wichtig sei es, gewohnte Routinen wiederaufzunehmen, übermäßigen Ehrgeiz beim Aufholen des Lernstoffes zu bremsen oder zu motivieren, wo es nötig sei. „Wenn Sie aber merken, dass Ihnen die Situation über den Kopf wächst, etwa, weil ihr Kind sich immer mehr zurückzieht, vielleicht sogar standhaft weigert, in die Schule zu gehen, dann zögern Sie nicht und holen sich professionelle Hilfe!“, so der Rat des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

Info

Haard-Dialog

Der nächste Haard-Dialog findet am 8. November in der LWL-Klinik Marl-Sinsen statt und beschäftigt sich mit problematischem Drogenkonsum bei Kindern und Jugendlichen. Mit der Veranstaltungsreihe Haard-Dialog bietet die LWL-Klinik Marl-Sinsen Bürgern die Gelegenheit, mehr über psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu erfahren, Therapiemöglichkeiten kennenzulernen und mit Fachleuten ins Gespräch zu kommen, ohne sich vorher in „Arztsprache“ üben zu müssen.

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