Fredys Albtraum

Finanzunternehmer Fredy Gantner will sich in die Politik einmischen: Der streng religiöse Milliardär startet eine Kampagne gegen das Rahmenabkommen mit der EU. Wer ist der Mann, der in Bundesbern für grosses Unbehagen sorgt?

Von Philipp Albrecht (Text) und Andrea Ventura (Illustration), 18.01.2021

Synthetische Stimme
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«Es braucht Alternativen zu Economie­suisse und Avenir Suisse. Sie vertreten die Konzerne und nicht die Wirtschaft», sagt Fredy Gantner.

Es muss laut geworden sein, als Jacqueline Badran und Fredy Gantner aufeinander­trafen. Er beschreibt es im Nachhinein als «komplett surreal». Sie sagt: «Er ist es wohl nicht gewohnt, dass ihm eine Frau sagt, was Sache ist.»

Zwei Stunden lang sassen die SP-National­rätin und der Finanz­unternehmer Ende November in einem Sitzungs­zimmer von Badrans Firma Zeix im Zürcher Kreis 4 – und diskutierten über das Rahmen­abkommen mit der Europäischen Union. Ein brisantes Thema: Der Vertrag soll die Beziehungen zur EU vertiefen, geht nach Ansicht vieler Beobachter aber zu weit.

Gantner ist einer von ihnen. Der Gründer der Investment­firma Partners Group ist ein bislang unbekanntes Gesicht in Bern. Er fordert: Die Vertrags­verhandlungen sollen von neuem beginnen. Badran, SP-Vize­präsidentin, steht dem Abkommen ebenfalls sehr skeptisch gegenüber.

Damit hat es sich aber schon mit den Gemeinsamkeiten.

Warum überhaupt dieses Treffen? Auf der Suche nach Verbündeten wollte Gantner Badran und weitere SP-Leute ins Boot holen. Sie wiederum brachte ihn mit ihrer Rastlosigkeit aus dem Konzept. Sie konnte während des Gesprächs nicht ruhig sitzen, ging permanent hin und her, rauchte am Fenster und hörte nicht auf zu reden. Gantner, der es nicht gewohnt ist, wenn man ihn nicht ausreden lässt, nimmt es im Nachhinein aber gelassen: «Ich fand es wirklich toll mit ihr», erzählt er. «Badran ist eine blitzgescheite Frau.»

Und offensichtlich fand auch Badran Gefallen am Gespräch: «Zuerst dachte ich, er sei ein geltungs­süchtiger, reicher Sack, so ein Aufgeblasener, der sich auf der Polit­bühne versuchen will. Aber das trifft nicht auf ihn zu. Es ist gut möglich, dass er echte Sorgen hat.»

Reich, entschlossen und bestens vernetzt

Ein Artikel in den Zeitungen von CH Media bringt die Sache am 7. Oktober ins Rollen. Titel in der Printausgabe: «Wie ein Trio die Europa-Politik aufmischt». Im Bild: Fredy Gantner und seine zwei Mitgründer der Partners Group, Urs Wietlisbach und Marcel Erni. Die Firma verwaltet an 20 Stand­orten weltweit Vermögen von rund 100 Milliarden Dollar.

Im Artikel zitiert wird aber nur Gantner, seine zwei Geschäfts­partner halten sich im Hinter­grund. Gantner sagt: «Wir werden das Rahmen­abkommen kraftvoll und entschieden bekämpfen.» Das schreckt weite Teile des politischen Betriebs in Bern auf und lässt bei Economiesuisse die Alarmglocken läuten.

Der Wirtschaftsdachverband ist gegenüber dem Rahmen­abkommen positiv gestimmt und will einen Streit mit der EU verhindern. Der freie und grenz­überschreitende Handel soll nicht behindert werden. Der Verband verweist auf eine regelmässig durchgeführte Umfrage, wonach aktuell mehr als 60 Prozent der Schweizer Firmen ein institutionelles Rahmen­abkommen unterstützen.

Aber so, wie das Vertragswerk im Moment aussieht, findet es bei den Parteien keine Mehrheit. FDP und CVP sehen den Steuer­wettbewerb in Gefahr und befürchten, dass die sogenannte Unionsbürger­richtlinie, die das Recht von EU-Bürgerinnen über den Aufenthalt in EU-Staaten regelt, die Sozialwerke belasten wird. Die Linke bangt vor allem um den Lohnschutz, während die SVP ein institutionelles Abkommen mit der EU per se ablehnt.

Gantner verlangt wiederum, dass die Schweiz und die EU auf Feld eins zurückkehren. Der Vertrag solle nicht nach-, sondern neu verhandelt werden.

Dazu hat er ein Netzwerk aus «Unternehmern, Firmen und Individuen» gegründet. Als Geschäfts­führer agiert Philip Erzinger, der zuletzt den Stab des ehemaligen Credit-Suisse-Chefs Tidjane Thiam leitete. Er hat die PR-Agentur Farner mit einer grossen Kampagne beauftragt, die am 17. Januar angelaufen ist. Der Anti-EU-Allianz mit dem Namen Kompass/Europa haben sich laut Erzinger bislang 250 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur, Sport und Politik angeschlossen. Zu den bekanntesten zählen Andermatt-Investor Samih Sawiris, Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig, Skilegende Bernhard Russi und Moderator Kurt Aeschbacher. Kombiniert mit markigen Sprüchen, sollen ihre Gesichter nun auf Social-Media-Kanälen Stimmung gegen das Rahmen­abkommen machen.

Die Allianz hat ein Manifest erstellt. Man lehne eine EU-Vollmitgliedschaft der Schweiz ab, steht da, und unterstütze eine Weiter­entwicklung der Beziehungen «auf Augenhöhe». Eine klare Positionierung nach dem gängigen Links-rechts-Schema ist schwer auszumachen, Worte wie Souveränität und Volksrechte tauchen auf, aber auch von Weltoffenheit ist die Rede.

Gantner will seine Allianz klar abgrenzen vom konservativeren Komitee Autonomiesuisse, das praktisch die gleichen Forderungen stellt, aber ausschliesslich aus Persönlichkeiten der Unternehmer­welt besteht. Die bekanntesten unter ihnen im Präsidium, das ganze 17 Köpfe umfasst, sind Stadler-Rail-Chef Peter Spuhler und Industrie­unternehmer Giorgio Behr.

Lieber lässt Gantner Vergleiche mit der Operation Libero zu, der politischen Bewegung, die laut eigenen Angaben für «internationale Vernetztheit, für Freiheit, für Fortschritt, für Rechts­staatlichkeit» steht. In der Allianz Kompass/Europa sieht der Finanz­unternehmer gar eine Basis­bewegung. Oder, in seinen eigenen Worten: ein grassroots movement.

Das hat etwas unfreiwillig Komisches angesichts seines Reichtums. Das kumulierte Vermögen von Gantner, Erni und Wietlisbach wird von der «Bilanz» auf 6 bis 7 Milliarden Franken geschätzt. Ihre Partners Group ist seit September 2020 im Swiss-Market-Index (SMI) enthalten und damit eine der 20 wertvollsten Schweizer Firmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. Mit 26 Milliarden Franken hat sie den gleichen Wert wie die Credit Suisse, beschäftigt aber mit 1500 Angestellten nur knapp ein Dreissigstel des Personals der Grossbank.

Jesus Christus und Goldman Sachs

Wir sitzen in einem schlichten Sitzungs­zimmer in Baar, Kanton Zug, am Hauptsitz der Partners Group, und wir reden viereinhalb Stunden lang. Das Küchen­personal serviert Sushi und Pralinés. Gantner, aufgewachsen in Neuenhof, Kanton Aargau, 52 Jahre alt, einen Meter neunzig gross, beseelt seine Umgebung mit Gast­freundschaft und Geselligkeit.

Nach einer Stunde bietet er das Du an: «Ich bin Fredy. Erzähl doch jetzt mal ein bisschen von dir, Philipp.» Den Vornamen seines Gegenübers in seine Sätze einzubauen, ist einer von Gantners vielen rhetorischen Kniffen: «Der grösste Luxus in meinem Leben ist, dass ich komplett frei denken und entscheiden kann, Philipp. Ich habe keine Abhängigkeiten.»

Oft baut er englische Ausdrücke oder Sätze ein, was er selber als schlechte Angewohnheit bezeichnet. Doch man hört die jahrelange Erfahrung aus harten Verhandlungs­gesprächen und religiösen Reden heraus: «Es ist meine tiefste Überzeugung, dass wir Menschen schon waren, bevor wir auf diese Erde gekommen sind, und dass wir sein werden, wenn wir diese Erde verlassen. Und dass wir hier die Chance haben, zu wachsen: an Intellekt, an Geist, an Charakter. That drives me.»

Gantner betet jeden Morgen. In einer Ecke seines Büros steht eine weisse Jesus-Büste, in einer anderen ein Modell seiner Villa, die er für sich, seine Frau und die fünf gemeinsamen Kinder auf einem 35’000 Quadrat­meter grossen Grundstück in Meggen direkt am Vierwald­stättersee bauen lässt.

Mit 23 trat er der Kirche «Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage» bei. Sechs Jahre lang war er Bischof der regionalen Kirche Richterswil, wo er 200 der schweizweit mehr als 9000 Mitglieder vorstand, regelmässig Predigten hielt und als Seelsorger den jugendlichen Nachwuchs betreute. Die Glaubens­gemeinschaft beruft sich auf die Bibel und das Buch Mormon. Doch Mormone will Gantner nicht genannt werden: «Wenn du mich Mormone nennst, ist das diskriminierend. Das hat die gleiche Wirkung, wie wenn du in den USA einem Afro­amerikaner ‹Nigger› sagst. Wir sind Christen und Mitglieder der Kirche Jesu Christi.»

Es ist ein wiederkehrendes Thema in der Kirche, viele fühlen sich durch den Ausdruck schlecht behandelt. Gantner sagt, er habe sich mehr als 20 Jahre lang für eine neue Sprachregelung eingesetzt.

Zum Glauben fand er während eines Sprach­aufenthalts in den USA, nachdem er die KV-Lehre absolviert und die Berufs­maturität erlangt hatte. Gantners Frau Cornelia, die aus Wettingen stammt, einer Nachbar­gemeinde von Neuenhof, besuchte zu jener Zeit mit ihm die Brigham Young University in Provo nahe Salt Lake City, die der Kirche Jesu Christi gehört. Er studierte Finanz­wissenschaften, sie Journalismus. Später zogen sie nach New York, wo sie beim TV-Sender NBC angestellt wurde und er beim Banken­riesen Goldman Sachs.

Dort traf er auf Erni und Wietlisbach. Zurück in der Schweiz gründete das Trio 1996 die Finanz­boutique Partners Group. Das Onlineportal «Finews» bezeichnet das Unternehmen heute als «die wahrscheinlich erfolg­reichste Schweizer Finanz­firma der jüngeren Geschichte». Beim Börsen­gang der Partners Group 2006 kostete eine Aktie 63 Franken – heute ist sie 1000 Franken wert.

Die Feinde arbeiten am Paradeplatz

Die Partners Group kauft Firmen auf, baut sie um und verkauft sie ein paar Jahre später wieder. Das Kapital kommt von Pensions­kassen und vermögenden Menschen, die nicht auf schnelle Rendite aus sind. Gewinn erzielt die Firma aus den anfallenden Kunden­kommissionen.

Investiert wird vor allem in Firmen aus den Bereichen Immobilien, Transport und Energie. Diese bauen etwa einen Geschäfts­turm in London, eine U-Bahn in Melbourne oder ein Gaskraftwerk in Texas. Meist sind sie eher mittelgross und waren nie an der Börse kotiert – auffallend oft setzt die Partners Group auch auf frühere Perlen, die etwas an Glanz verloren haben.

Einer der jüngsten Zukäufe ist der deutsche Spielzeughersteller Schleich. Beim Rundgang in Baar hält Gantner einen kleinen goldenen Schleich-Löwen in die Luft: «Hier werden wir in die Digitalisierung investieren. Die Kinder sollen mithilfe einer App etwas über die Tiere lernen können, wenn sie mit ihnen spielen.»

Die Konkurrenten der Partners Group heissen KKR, Warburg Pincus oder Blackstone. Eine Zeit lang wurden solche Private-Equity-Unternehmen als Heuschrecken bezeichnet, weil sie sich achtlos über ihre Opfer hermachten. Gantner und seine Partner gehen differenzierter vor: Anstatt die Käufe zu filetieren, um die vielversprechendsten Bereiche rasch weiterzuverkaufen, schalten sie sich ins Tages­geschäft ein und ändern oft die gesamte Strategie.

Beobachter staunen über ihre Kontinuität. Es ging immer nur aufwärts, herbe Rückschläge oder Missgriffe sind nicht bekannt. Wer nach schlechter Presse sucht, findet praktisch nichts. Feinde hat Gantner am ehesten bei missgünstigen Investment­bankern am Finanz­platz Zürich. Als «Arrogantner» bezeichnete ihn etwa der Journalist Lukas Hässig vor ein paar Jahren in seinem Blog «Inside Paradeplatz». Die Partners Group stelle nur «Junge und Willige» ein, «die für Tieflöhne einsteigen, sich abrackern und nie Fragen stellen».

Die Firmenkultur sei tatsächlich sehr eigen, sagt der stellvertretende «Bilanz»-Chefredaktor Erik Nolmans, der seit mehr als 20 Jahren über die Partners Group berichtet und sich mit seinen Texten regelmässig an Gantner reibt. «Man rekrutiert sehr oft in Hochschulen: kluge, ehrgeizige und schnittige Leute.»

Die Angestellten würden überdurch­schnittlich gut bezahlt, sagen Headhunter. Die Erfolgs­prämien fürs Personal bestehen aus Cash und Aktien. Beides kann allerdings erst nach drei bis fünf Jahren bezogen werden, sofern man dann noch nicht den Arbeit­geber gewechselt hat. Ein Zeichen, dass hier am falschen Ort ist, wer nur auf das schnelle Geld schielt. Zudem steht den Angestellten nach fünf Jahren ein bezahltes Sabbatical zu.

Nolmans sagt, ein Grossteil des Erfolgs hänge stark von der Erfahrung der Gründer ab: «Sie haben eine verdammt gute Sicht auf Investments, sind unglaublich treffsicher und überdurch­schnittlich intelligent. Es gibt viele Bluffer und Hochstapler in der Bankenwelt, Erni und Gantner gehören nicht dazu. Auch weil sie den Mut haben, schwierige Entscheidungen zu treffen.»

Seit den Anfangszeiten stellt Gantner auch Glaubens­genossen ein. Zeitweilig zählten drei von neun Geschäfts­leitungs­mitgliedern zur Kirche Jesu Christi. Am Hauptsitz in Baar stammte vorüber­gehend jeder zwölfte Angestellte aus der Kirche. Auch der aktuelle Co-CEO David Layton bekennt sich zum Mormonentum. Inzwischen gibt es aber «bestenfalls noch etwa ein Dutzend Mitglieder der Kirche» im gesamten Unternehmen, wie Gantner betont. Von einem «Mormonen­bonus» könne keine Rede sein.

Alles, nur nicht in die EU

Referiert Gantner über das Rahmen­abkommen, strahlt er eine fast schon meditative Entspanntheit aus, auch wenn ihm der aktuelle Text überhaupt nicht passt. Am wenigsten die dynamische Rechts­übernahme: «Im Rahmen­vertrag übernehmen wir automatisch EU-Recht, no matter what», sagt er. «Und wenn wir es nicht übernehmen, geht die Sache weiter ans Schieds­gericht. Und das wird dann meist nur noch ausrechnen, was wir zahlen müssen. Das ist kein bilateraler Vertrag mehr, Philipp, das ist ein unilaterales Vertrags­werk. Die eine Seite sagt, wie es läuft, und die andere nickt oder zahlt.»

Das Problem: Weil derzeit noch vieles offen ist, sind allerlei Interpretationen möglich. Und das führt zur unangenehmen Situation, dass sich in der aufgeheizten Diskussion die Argumente gegenseitig aufheben.

So räumte Alt-Bundesrat Pascal Couchepin im Interview mit der NZZ ein, dass die Schweiz zwar an Souveränität verlieren würde. «Aber ohne Rahmen­vertrag verlieren wir noch mehr Souveränität, weil unser Wohlstand abnehmen wird, der die Leute befreit von materiellen Sorgen.»

Gantner sagt das Gegenteil. Das Ziel der EU sei eine Nivellierung des Wohlstandes in Europa, und der Rahmen­vertrag zwinge die Schweiz genau dorthin: «Wir werden dann nicht mehr die finanzielle Stärke haben, um unsere gut ausgebauten Sozial­werke zu erhalten und zu festigen.»

Nach drei Stunden Gespräch läuft er zu Hochtouren auf. Die hohen Schweizer Umwelt­standards würden sinken, zählt er auf, die Sozial­partnerschaft werde auf den Kopf gestellt, die flankierenden Massnahmen zum Schutz des Arbeits­markts könnten wegfallen und die Mehrwert- und Unternehmens­steuern steigen. Es gibt kein Halten mehr.

Klar ist: Mit solchen Schlag­wörtern tritt Gantner offene Türen ein – links ebenso wie in der bürgerlichen Mitte. Gantner hofft, hier Verbündete zu finden. Angeblich sollen auch viele FDP-Politiker, entgegen der offiziellen Parteilinie, hinter seiner Offensive stehen. Nachprüfen lässt sich das nicht.

Doch aus Sympathien müssen nicht zwingend Bündnisse hervorgehen, wie das Treffen mit Jacqueline Badran zeigt.

«Ich bin aus ähnlichen Gründen wie er ausserordentlich kritisch gegenüber dem Rahmen­abkommen», sagt sie. «Doch ich weiss nicht, was ihn motiviert. Ich muss davon ausgehen, dass er aus Geschäfts­interesse handelt, ich kann die Privat­person Gantner nicht vom Unternehmer Gantner trennen. Souveränität heisst für ihn etwas anderes als für mich.»

Gantner entgegnet: «Wenn mein Engagement gegen den Rahmen­vertrag irgend­jemandem schadet, dann der Partners Group.» Regelmässig müsse das Unternehmen bei europäischen Regierungen Bewilligungen für Bauprojekte einholen. Das sei politisch heikel: «Beliebt macht sich die Partners Group definitiv nicht, wenn die drei Gründer jetzt hinstehen und sagen: Die Schweiz darf keine automatische Rechts­übernahme unterschreiben.»

Badran glaubt, dass der Rahmen­vertrag zur Folge haben wird, dass Spitäler und Wasser­kraft­werke von russischen Oligarchen oder chinesischen Tech-Milliardären übernommen werden – zum Leidwesen der Sicherheit und der Volks­gesundheit. Die EU befördere solche «Kapital­verwertungs­maschinen».

Gantner seinerseits kann dieser Kapitalismus­kritik nichts abgewinnen. Badran sehe einen «mittelalterlichen Feudalismus», wenn ein Unternehmen der Partners Group in der Nordsee einen Windpark baue und für Schweizer Pensions­kassen einen Gewinn erwirtschafte: «Für sie muss die Basis­infrastruktur in staatlicher Hand sein. Es darf kein Geschäft sein.»

Der wahre Albtraum ist für ihn die Währung der EU. Er holt zu einer Tirade aus: «Der Euro ist in seiner Konstruktion für die Mehrheit der Europäer keine gute Sache. Mitten in der Krise war es Deutschland und Frankreich völlig egal, wie es Griechenland ging. Sie wollten weitere EU-Staaten und vor allem sich selbst vor einer grossen Währungs­krise bewahren. Dabei wäre es richtig gewesen, Griechenland aus der Eurozone zu entlassen, die Drachme wieder einzuführen und die Bevölkerung über fünf bis zehn Jahre im medizinischen und humanitären Bereich zu unterstützen. Brüssel hat die Griechen brutal auf dem Altar des Euro geopfert. Es war eine unfaire, unsoziale Herrschafts­ausübung, wie wir es aus dunklen alten Zeiten kennen.»

Und die dynamische Rechts­übernahme, die das Rahmen­abkommen vorsieht: Sie käme einer einseitigen Integration in den europäischen Wirtschafts­raum gleich, sagt Gantner. «Das widerspricht fundamental unserer politischen Kultur.»

Streit im Unternehmerlager

Ende November, erzählt Gantner, erhält er einen Anruf eines Bekannten. Ein FDP-Mitglied, Lobbyist in Bern und früherer Mitarbeiter eines Bundesrats, sie kennen sich aus der Kirche Jesu Christi. Der Anrufer fragt, ob ihm eigentlich bewusst sei, dass er und sein Kompass-Ding das Stadt­gespräch in Bundesbern seien – überall höre er Leute seinen Namen sagen, und ständig frage man ihn, wer dieser Fredy Gantner eigentlich sei. Und er fragt ihn, ob sich Gantner bewusst sei, dass gewisse Leute jetzt in Stellung gehen würden und er nun «ein Fadenkreuz auf dem Rücken» habe.

Gantner sagt, er habe die Sache mit Humor genommen, dem Bekannten die Initiative erklärt und ihn eingeladen, «mit deinen Kollegen, die das Ziel­fernrohr am Einrichten sind», bei ihm in Baar vorbeizukommen.

Er sei halt ein Überzeugungs­täter, sagt Gantner und wird lauter, während er gleichzeitig Tempo aus den Worten nimmt: «Ich bin überzeugt davon, dass es das Richtige für meine Enkel­kinder ist, wofür ich mich jetzt einsetze.»

Besonders gross ist der Groll bei Economie­suisse, Avenir Suisse und der FDP. Sie erwarten, dass einer wie er «aus der Wirtschaft» auf ihrer Seite kämpft. Von der Republik darauf angesprochen, schreibt Economiesuisse-Geschäfts­leitungs­mitglied Michael Wiesner, der Verband unterstütze «die nun anlaufenden Klärungen des Bundesrats mit der EU». Wegen der Glaub­würdigkeit der Schweiz gelte es, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Kein Wort zu Gantner.

Dass man ihn fürchtet, ist unbestritten, schliesslich sass die Economiesuisse-Spitze erst kürzlich hier in dem Sitzungs­raum, wo Gantner gerade einen Zitronen­schnitz über seinem Kaffee-Ersatzgetränk auspresst (die Kirche verbietet ihm den Genuss von Kaffee und Alkohol) und nicht mehr aufhören will, seinen Unmut über die Wirtschafts­vertreter auszudrücken: «Für mich ist Wirtschaft nicht Selbstzweck. Menschen wirtschaften – nicht Firmen oder Konzerne. Ich sehe die Wirtschaft nicht isoliert, sodass man sie vertreten sollte. Wir müssen die Menschen in der Wirtschaft vertreten.»

Er passt in keine Schublade

Eigentlich hätte Fredy Gantner Ständerat werden sollen. Vor zehn Jahren fragte ihn FDP-Mann Rolf Schweiger, ob er sein Nachfolger im Kanton Zug werden wolle. Schweiger hatte geplant, 2015 zurückzutreten, ging aber aus gesundheitlichen Gründen schon 2011, als Gantner gerade ein Sabbatical genoss.

Er sei ohnehin etwas naiv gewesen, sagt Gantner im Rückblick: «Ich habe zu wenig verstanden, wie viel Grundarbeit es braucht, um in einem Kanton wie Zug ein ernsthafter Ständerats­kandidat zu sein. Da gibt es Leute, die haben von der Gemeinde­ebene aus über den Kantonsrat politisiert, sich jahrelang eingesetzt in Kommissionen, Arbeits­gruppen und so weiter. Es ist anmassend, zu glauben, man könne dann als Unternehmer einfach quereinsteigen und das Gefühl haben, die Leute hätten auf einen gewartet.»

Kurz darauf gab er den Austritt aus der FDP. Bis heute ist Gantner parteilos geblieben. Bei den Grün­liberalen habe er noch keinen getroffen, der die «wirtschaftlichen Zusammen­hänge» vertieft zu verstehen scheine. Auch die Grünen passen ihm nicht. Zwar referiert er gern und viel über Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien, doch die Partei sei ihm zu dogmatisch: «Es ist Grünen gegenüber schwierig zu erklären, dass Gaskraftwerke, welche die Nachfrage­spitzen abdecken, das Richtige sind für eine nachhaltige Klima­strategie, bis wir bessere Batterie­technologien haben.»

Bei der SVP stören ihn Stil und Engstirnigkeit: «Man kann nur Ertrag erwirtschaften, wenn man investiert. Das hat die SVP nicht verstanden. Sie ist grundsätzlich gegen jedes Geld­ausgeben. Mit einigen Exponenten kann man schlicht keine Diskussion führen.»

Und abgesehen davon, dass ihm auch die SP zu dogmatisch ist, würde die Partei wohl einen wie ihn, der bei der Massen­einwanderungs­initiative ein Ja einlegte, gar nicht erst als Kandidaten für ein politisches Amt akzeptieren.

Am besten fühle er sich heute von der CVP vertreten. Die Partei pflege «eine gute Balance zwischen Menschlichem, Wert­beständigem und Sozialem». Der CVP Oberägeri überweist er jährlich einen Beitrag, sieht sich selber aber nicht als Mitglied. Mit Gerhard Pfister tauscht er sich seit Jahren regelmässig aus, obwohl der Partei­präsident «sicher weiter rechts» stehe als er.

Auf Gantner angesprochen, schwärmt Pfister: «Persönlich beeindruckt mich am meisten seine Bescheidenheit, seine unprätentiöse Art. Er pflegte mit mir bereits einen Austausch, als ich noch nicht die bekannte und im Sinne meiner politischen Funktionen und Ämter wichtige Person war, die ich heute bin. Seine Wert­schätzung ist nicht an Renommee gebunden.»

Politischer Organisator, nicht Politiker

Politisch weitermachen will Gantner so oder so – Zeit hat er jedenfalls genug. In der Partners Group ist er längst nicht mehr operativ tätig, auch wenn er immer noch jeden Tag im Haus ist und etwa alle zwei Wochen eine Sitzung führt.

Der Kampf gegen das Rahmen­abkommen soll jedenfalls nicht sein letzter politischer Einsatz sein. Darum habe er auch einen Schrägstrich im Namen Kompass/Europa eingebaut: Nach dem Slash könnten auch andere Bezeichnungen stehen wie Alters­vorsorge, Umwelt oder Bildung.

«Wir möchten ein Ort sein, wo die politischen Parteien zusammen­kommen und mit Experten­gruppen an Lösungen für verschiedene Themen arbeiten können», sagt Gantner. «Es braucht Alternativen zu Economie­suisse und Avenir Suisse. Sie vertreten die Konzerne und nicht die Wirtschaft.»

Ähnliches haben vor ihm schon andere versucht – an Komitees, Allianzen und Interessen­gruppen mangelt es in der Schweiz nicht. Das weiss auch Gantner. Es ist schliesslich nicht sein erster Versuch, politisch Einfluss zu nehmen. Doch als er vor etwa zehn Jahren Vertreterinnen von links bis rechts an einen Tisch gebracht hatte, um die Zukunft der Alters­vorsorge mit einem gemeinsamen Vorstoss zu sichern, erlebte er «eine komplette Desillusionierung», nachdem das Anliegen in Bundesbern versandet war.

Und was, wenn es wieder nicht gelingt? Was, wenn das Rahmen­abkommen durchkommt? Inklusive dynamischer Rechtsübernahme?

«Then I’m absolutely fine. Ich werde garantiert nicht für den Ständerat kandidieren. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich für die Politik gemacht bin, und ich habe kein Bedürfnis, politische Macht auszuüben.»

Ein wenig tut er es trotzdem.

«Ich würde jederzeit mal mit ihm essen gehen», sagt Jacqueline Badran. «Ich glaube, ich könnte einiges von ihm lernen.»

Wir haben in einer früheren Version geschrieben, die Partners Group beschäftige «30-mal weniger» Personal als die Credit Suisse. Das ist missverständlich und sprachlich falsch. Ein Dank an den aufmerksamen Leser, wir haben die Stelle angepasst.

Weiter haben wir Blackrock zu den Konkurrenten der Partners Group gezählt – richtig ist Blackstone. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.

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