Medienkrise in Ungarn: Die regierungsnahe Zeitung «Magyar Nemzet» («Ungarische Nation») trampelt auf der oppositionellen Zeitung «Népszava» («Die Stimme des Volkes») herum.

Rettungsanker für die Medienfreiheit in Europa

Im Kampf gegen Zensur und Macht­missbrauch setzt Brüssel auf ein Medienfreiheits­gesetz. Schafft es morgen Donnerstag die Hürde im EU-Parlament, könnte es eine kleine Revolution auslösen.

Von Sigrid Melchior, Harald Schumann (Investigate Europe) und Peter Puklus (Bild), 06.09.2023

Vorgelesen von Sven Gallinelli
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Sofia Mandilara mag ihren Beruf eigentlich sehr. Als Reporterin bei der griechischen Nachrichten­agentur Amna sei sie bei wichtigen Ereignissen «oft ganz vorne mit dabei», erzählt sie. «Über uns erfahren die Menschen, was in unserem Land vorgeht.»

Doch das geschieht nur noch sehr einseitig. Denn Amna gehört dem griechischen Staat und untersteht direkt den Weisungen aus dem Amt des konservativen Minister­präsidenten Kyriakos Mitsotakis. Kritik an der Regierung ist dort unerwünscht. Wer dennoch in nicht genehmer Weise berichte, werde zensiert, sagt die 38-jährige Journalistin. Zuletzt wurden ihr von ihren Vorgesetzten sogar die Zitate von zwei Richtern des obersten Gerichts­hofes gestrichen, die sich kritisch gegen einen Gesetz­entwurf der Regierung zur Cyber­sicherheit ausgesprochen hatten.

Um solchen Ärger zu vermeiden, hätten sie und ihre Kollegen «ganz oft Selbst­zensur» betreiben müssen, sagt Mandilara – und das mit drastischen Folgen. Schliesslich beziehen die Medien des Landes von ihrem Unternehmen den überwiegenden Teil der Nachrichten. In der Folge erfuhren die meisten Bürgerinnen sogar vom «griechischen Watergate-Skandal», den Lausch­angriffen des Geheim­dienstes auf Journalisten, monatelang kaum ein Wort, obwohl im Ausland längst darüber berichtet wurde.

«Das ganze System ist geknebelt»

Ganz ähnlich geht es bei Italiens staatlichem Fernseh- und Rundfunk­sender RAI zu. Der bestimmt mit seinen mehr als zehn­tausend Mitarbeiterinnen die öffentliche Meinung wesentlich mit. Aber nun folgt das Programm den Vorgaben der rechts­populistischen Regierung Giorgia Melonis, die gleich nach ihrer Amts­übernahme die Führung mit Gefolgs­leuten besetzte, um den Sender auf ihre Linie zu bringen. Das haben die beiden vorherigen Regierungen zwar auch so gehalten, aber keine tat es so radikal wie die ultra­rechte Meloni. Viele prominente Journalistinnen gaben daraufhin ihre Jobs bei der RAI auf.

Sogar die Sendung des populären Mafia-Enthüllers Roberto Saviano wurde abgesetzt, nachdem dieser sich mit Meloni angelegt hatte. Seitdem nehmen positive Berichte über die Regierung Meloni an die 70 Prozent aller politischen Nachrichten der RAI-Sender ein, wie das Medien­forschungs­institut Osservatorio di Pavia ermittelte. «Hier braucht es jetzt keine Zensur mehr», beschreibt Daniele Macheda, der Sekretär der Sender­gewerkschaft Usigrai, die neue Lage. «Das ganze System ist geknebelt, kritische Nachrichten kommen einfach nicht mehr durch.»

Einen radikalen Regimewechsel erlitten auch die Journalisten beim «Journal du Dimanche» (JDD), Frankreichs führender Sonntags­zeitung. Dort übernahm im Frühjahr der Milliardär Vincent Bolloré die Regie, nachdem sein Medien­konzern Vivendi die Erlaubnis erhalten hatte, den Lagardère-Verlag und dessen Medien zu kaufen, darunter das JDD. Bolloré bestreitet öffentlich jegliches politische Interesse.

Doch wie zuvor schon nach der Übernahme des Fernseh­senders CNews im Jahr 2016 und des Magazins «Paris Match» im vergangenen Jahr folgte der Übernahme auch beim JDD eine scharfe Wende der redaktionellen Ausrichtung nach rechts aussen. Der bisherige Chef­redaktor räumte seinen Posten, und an seine Stelle trat der Rechts­extremist Geoffroy Lejeune. Daraufhin trat die gesamte Belegschaft zunächst geschlossen in den Streik. Lejeune sei in vorheriger Position beim Magazin «Valeurs actuelles» für «abscheuliche» und «rassistische» Artikel mitverantwortlich gewesen, erklärten die Streikenden. Seine Einsetzung vertreibe die Leserinnen und «gefährdet die Zeitung». Doch Bolloré setzte die Kehrt­wende erneut mit hohem Geld­einsatz durch. Er bot den Wider­ständlern so grosszügige Abfindungen, dass sie aufgaben.

Staatsbeamte, die Zensur verfügen, Partei­funktionärinnen, die öffentliche Sende­anstalten für Propaganda missbrauchen, Milliardäre, die sich Medien kaufen, um damit ihre politischen Interessen zu propagieren – so verbreitet sich über ganz Europa, was lange nur aus dem Ungarn des Autokraten Viktor Orbán und dem von National­populisten regierten Polen bekannt war: Die Mächtigen und Super­reichen unterwerfen die Medien ihren Interessen und beschränken die Presse­freiheit auf breiter Front.

«Europäisches Sicherheits­netz» für die Medienfreiheit

Den schleichenden Niedergang dokumentieren bereits seit zehn Jahren die Sozial­wissenschaftlerinnen des Zentrums für Medien­freiheit der Europäischen Universität Florenz. Mittlerweile gebe es «ein alarmierendes Ausmass von Risiken für den Medien­pluralismus in allen europäischen Ländern», hielten die Forscher fest, als sie Ende Juni den jüngsten Jahres­bericht vorstellten.

Medienvielfalt in Gefahr

Risiko für den Verlust von Marktpluralität in EU-Staaten

Risikoniveau
Hoch
Mittel
Nicht untersucht

Quelle: Zentrum für Medienpluralismus und Medienfreiheit, Europäisches Universitätsinstitut Florenz.

Das bringe Europa in eine «verzweifelte Lage», sagt Věra Jourová, Vize­präsidentin der EU-Kommission. Die Kommissarin, zuständig für die Einhaltung rechts­staatlicher Normen, ist Tschechin und hat noch persönlich erfahren, wie es ohne Presse­freiheit zugeht. «Ich habe im Kommunismus gelebt, das war unkontrollierte Macht – und unanfechtbare Macht. So etwas darf in keinem Mitglieds­land der EU passieren», sagt sie. Medien seien «diejenigen, die Politiker unter Kontrolle halten. Wenn wir wollen, dass die Medien ihre wichtige Rolle in der Demokratie erfüllen, müssen wir ein europäisches Sicherheits­netz einführen.»

Darum treibt sie ein Projekt voran, wie es vor ihr noch keine EU-Politikerin gewagt hat: ein Gesetz «zum Schutz des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien», das für alle Mitglied­staaten der EU Mindest­standards zur Wahrung der Presse­freiheit vorschreiben soll – rechtsverbindlich.

Den nötigen Gesetz­entwurf brachten sie und ihre Kolleginnen bereits im September 2022 ein. Dieser sieht unter anderem vor, dass

  • öffentlich-rechtliche Medien «unparteiisch» berichten müssen und ihre Führungs­positionen in einem «transparenten, offenen und nicht diskriminierenden Verfahren» bestimmt und nur in rechtlich klar definierten «Ausnahme­fällen vor Ablauf ihrer Amts­zeit» entlassen werden dürfen;

  • die Zuweisung staatlicher Gelder an Medien für Werbe- und andere Zwecke «nach transparenten, objektiven, verhältnis­mässigen und nicht diskriminierenden Kriterien» unter allen Anbietern erfolgen muss, unabhängig von der politischen Ausrichtung;

  • Regierungen und Medien­unternehmen sicherstellen müssen, dass die verantwortlichen Redaktoren «individuelle redaktionelle Entscheidungen frei treffen können»;

  • Eigentümer und Leiterinnen von Medien­unternehmen «tatsächliche oder potenzielle Interessen­konflikte» offenlegen müssen, die sich auf die Bericht­erstattung auswirken könnten;

  • es «nicht gestattet» ist, Journalistinnen und andere Medien­arbeiter mittels «Inhaftierung, Überwachung oder Beschlagnahme» zur Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen sowie auf ihren Telefonen und Computern Spionage­software zu installieren;

  • ein Rat aus Vertreterinnen der 27 nationalen Aufsichts­behörden beurteilt, ob die EU-Staaten diese Vorschriften auch tatsächlich einhalten.

Gescheiterte Fundamental­opposition

All das scheint für demokratische Staaten eigentlich selbst­verständlich – und traf dennoch auf massiven Widerstand einiger Regierungen, nicht nur aus Ungarn und Polen, sondern auch aus Österreich und Deutschland.

Die geplante Reichweite sähen sie «unter Hinweis auf die Kultur­hoheit der Mitglied­staaten kritisch», monierten die Vertreter der vier Länder, gleich nachdem die Vorlage des Gesetz­entwurfes im Rat der EU vorgestellt worden war. Das geht aus einem Protokoll vor, das Investigate Europe vorliegt. Wenn überhaupt, dann dürfe mangels Rechts­grundlage allenfalls eine Richtlinie erlassen werden, keinesfalls aber eine Verordnung, forderten die Beamtinnen aus Österreich und Deutschland und waren sich dabei ganz einig mit ihren Kollegen aus Ungarn und Polen.

Wäre es dazu gekommen, wäre es den Mitglied­staaten überlassen geblieben, wie sie die Vorschriften umsetzen – und kaum etwas würde sich ändern. Die Erfahrung zeigt, dass viele Regierungen Richt­linien oft unvollständig umsetzen, wenn ihnen die Vorschriften unwillkommen sind.

Aber das war den Verantwortlichen in Deutschland offenbar egal. Dort ist die Medien­aufsicht Aufgabe der Länder. In deren Namen führt Heike Raab die Verhandlungen, Staats­sekretärin für Europa­angelegenheiten bei der Landes­regierung von Rheinland-Pfalz. Sie stellte sich zunächst frontal gegen Jourovás Gesetz­entwurf. Die EU betätige sich als «Kompetenz­staubsauger in einem Bereich, der in den Verträgen ausdrücklich den Mitglied­staaten vorbehalten wurde», sagte sie.

Explizit wandte sich SPD-Politikerin Raab auch gegen den geplanten «Eingriff in die Verleger­freiheit» – und machte sich damit gemein mit den Grössen der Branche. Wenn die Verlegerinnen nicht mehr allein die Inhalte ihrer Medien diktieren dürften, würde das «die Presse­freiheit zerstören», teilte auch der Bundes­verband der Zeitungs­verleger mit. Dabei zeigte jüngst eine Enthüllung der «Zeit», wie die Verleger­macht auch in Deutschland missbraucht wird.

Demnach wies der Chef des Springer-Konzerns Mathias Döpfner die Redaktion der führenden Boulevard-Zeitung des Landes, der «Bild», ausdrücklich an, die marktliberale FDP im Wahlkampf für den Bundestag zu unterstützen. Trotz solchen in vielen EU-Staaten dokumentierten Fällen von Macht­missbrauch seiner Mitglieder verstieg sich der europäische Verleger­verband sogar zur Behauptung, in Wahrheit handle es sich bei dem EU-Vorschlag um ein «Medien­unfreiheits­gesetz». Praktische Vorschläge, wie die Übergriffe durch Verleger wie Bolloré in Frankreich oder durch Investoren in Ungarn, Griechenland oder auch Italien verhindert werden sollen, blieben Raab und die Verleger­lobby allerdings schuldig.

Da sie weder im Rat noch in den vom Parlament für das geplante Gesetz gebildeten Ausschüssen eine Mehrheit fand, verlief diese Fundamental­opposition denn auch erfolglos. Erst bestätigte der juristische Dienst des Rates, dessen Expertinnen sonst eher die Interessen der nationalen Regierungen stützen, dass die Medien als Akteure im EU-Binnen­markt sehr wohl der EU-Gesetzgebungs­kompetenz unterliegen.

Dann beschloss die Mehrheit der EU-Regierungen zwar mehrere, auch umstrittene Änderungen zur Verwässerung des Gesetzes; etwa den möglichen Einsatz von Spionage­software gegen Journalistinnen im Namen der nationalen Sicherheit, der auf massiven Protest stiess, nicht zuletzt auch im EU-Parlament. Aber die zentralen Vorschläge von Jourová und ihren Kollegen machte sich die Mehrheit der EU-Regierungen zu eigen.

Es drohen massive Geldstrafen

Wenn wie zu erwarten morgen Donnerstag auch der zuständige Kultur­ausschuss des EU-Parlaments und Anfang Oktober das Plenum seine Zustimmung erteilen, könnte Europas erstes Medienfreiheits­gesetz schon im nächsten Jahr in Kraft treten – und eine kleine Revolution im europäischen Medien­wesen auslösen.

Das jedenfalls hofft Kommissarin Jourová. Trete das Gesetz in Kraft, werde es «eine verlässliche Grundlage» für Klagen gegen die Beschränkung der Medien­freiheit sein, «die bisher in vielen Ländern absolut keine Chance haben», sagt sie.

Die direkte Kontrolle der redaktionellen Inhalte von öffentlich-rechtlichen Medien, wie sie etwa die Regierungen in Griechenland und Italien praktizieren, wäre mit dem neuen EU-Gesetz definitiv nicht vereinbar. Das sei der «stärkste Teil des Gesetzes», sagt Jourová: «Der Staat darf sich nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen.» Wenn sich ein Mitglied­staat nicht daran halte, könne die Kommission unmittelbar ein Verfahren wegen Verletzung der EU-Verträge gegen die Regierung eröffnen. Bleibe es trotzdem bei den Verstössen, könne dies zu «massiven Geldstrafen durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs» führen.

Ungarn und Slowenien sind am stärksten gefährdet

Risiko für den Verlust der Unabhängigkeit bei öffentlich-rechtlichen Medien in ausgewählten EU-Staaten

Hoch
Mittel
Niedrig
Ungarn096 % Slowenien096 % Polen083 % Italien071 % Spanien067 % Griechenland058 % EU-Durchschnitt049 % Frankreich038 % Portugal021 % Deutschland03 % Schweden03 %

Quelle: Zentrum für Medienpluralismus und Medienfreiheit, Europäisches Universitätsinstitut Florenz.

Zudem könnten auch Journalistinnen selbst wegen Zensur oder Überwachung ihrerseits die Regierungen oder private Medien­eigentümer vor den nationalen Gerichten verklagen, erklärt die Kommissarin. «Genau wegen solcher Fälle bestehen wir darauf, dass es sich um eine direkt anwendbare Verordnung handeln muss.» Nur so könnten sich Journalisten auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen. «Der Haupt­zweck besteht darin, sie vor der Einmischung in ihre Arbeit durch Übergriffe vonseiten des Eigentümers oder des Staates zu schützen.»

Ungarn könnte vorerst «immun» bleiben

Fraglich ist allerdings, ob das am Niedergang der Medien­vielfalt insbesondere in den rechts­populistisch regierten osteuropäischen Staaten noch etwas ändern kann. Deren Regierungen nehmen schon jetzt die Sperrung von Milliarden­zahlungen aus den EU-Fonds in Kauf, weil sie mit der politischen Kontrolle der Gerichte gegen rechts­staatliche Prinzipien verstossen. Warum sollten sie also weitere Urteile der EU-Richterinnen fürchten?

In Ungarn etwa betreibt das Orbán-Regime seit Jahren eine «schleichende wirtschaftliche Strangulierung» der unabhängigen Medien, berichtet der Journalist Zsolt Kerner vom Online­magazin «24.hu». Zunächst entzog ihnen die Regierung alle staatlichen Anzeigen­aufträge. Dann setzten Orbáns Gefolgs­leute Geschäfts­leute und Unternehmen unter Druck, sodass auch kommerzielle Werbe­anzeigen ausblieben und die unabhängigen Medien­häuser ihre wirtschaftliche Basis verloren. «24.hu» überlebte nur dank eines wirtschaftlich starken und unabhängigen Investors. Andere Medien mussten entweder schliessen oder wurden von Stroh­leuten übernommen.

Heute kontrolliert die regierungs­nahe Kesma-Gruppe knapp 500 Zeitungen und Magazine. Dem unabhängigen Klubrádió entzog die zuständige Aufsichts­behörde kurzerhand die Sende­lizenz, die verbliebenen Online­medien lebten von den Spenden ihrer Leser und hätten «kaum noch Zugang zu staatlichen Informationen», sagt Kerner.

All das würde mit der geplanten EU-Verordnung ungesetzlich. Denn das EU-Recht bricht die nationale Gesetz­gebung. Aber er und seine Kolleginnen «bezweifeln, ob das bei uns was bringt», sagt Kerner. Die Regierung habe «viele gute Anwälte».

«Vielleicht ist Ungarn vorerst immun», räumt denn auch Kommissarin Jourová ein. Aber auch dort werde die Regierung «früher oder später die politische Wirkung spüren». Das Instrument dafür soll der vorgesehene «unabhängige europäische Medienrat» mit Fachleuten aus allen Medien­behörden der 27 EU-Staaten werden. Diese können zwar lediglich Einschätzungen ohne rechtliche Konsequenzen beschliessen. Aber Ländern, «denen der Rat die Beschränkung der Medien­freiheit bescheinigt», drohe damit «der Verlust ihrer internationalen Reputation». Und da seien sie «sehr empfindlich», sagt Jourová.

Polen von den USA unter Druck

Das könnte auch die Rechts­nationalisten in Polen durchaus unter Druck setzen, denkt Roman Imielski, Vizechef der «Gazeta Wyborcza», der letzten unabhängigen Qualitäts­zeitung des Landes und Medien­partnerin dieser Recherche. Zwar habe auch die Regierung von Premier Mateusz Morawiecki das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Nachrichten­agentur in «eine Propaganda­maschine nach russischem Vorbild» verwandelt, die alle Kritikerinnen als «Verräter der Nation und Verschwörer» brandmarkt, auch ihn und seine Kollegen. Aber wenn Polen bei der US-Regierung schlecht dastehe, «macht das Druck», sagt er.

Tatsächlich scheiterte daran der Versuch der Regierung Morawiecki, den unabhängigen und regierungs­kritischen Fernseh­sender TVN im Besitz des US-Konzerns Warner Bros. per Zwangs­verkauf an die Kandare zu legen. Auf Druck aus Washington legte Präsident Andrzej Duda Ende 2021 sein Veto gegen das entsprechende Gesetz ein.

Bruchstellen im geplanten Gesetz

Ob Jourovás grosser Wurf tatsächlich Gesetz wird und falls ja, wann genau, ist allerdings noch völlig offen. Denn nach der für Anfang Oktober angesetzten Verabschiedung im Parlament müssen sich dessen Vertreterinnen noch mit dem Rat und der Kommission auf einen gemeinsamen Text einigen.

Dabei vertreten sie jedoch zurzeit bei zwei zentralen Vorgaben noch komplett gegensätzliche Auffassungen. So will die Mehrheit der EU-Regierungen das geplante Verbot des Einsatzes von Überwachungs­software gegen Journalisten ins Gegenteil verkehren und ihn bei Gefahr «für die nationale Sicherheit» ausdrücklich erlauben. Das lehnt der Rechts­ausschuss des Parlaments kategorisch ab, und auch Jourová warnt vor einem «Blanko­scheck» für die Geheim­dienste. «Wir gehen mit gutem Willen in die Verhandlungen, aber der endet, wenn wir die Lage der Journalisten mit dem Gesetz verschlechtern würden», sagt sie. Mit anderen Worten: Wenn die Regierungen auf ihrer Position beharren, könnte die Kommission ihren Gesetzes­vorschlag zurück­ziehen.

Höchst umstritten ist auch der Artikel 6, der die Medien­eigentümerinnen verpflichtet, die redaktionelle Freiheit zu respektieren. Auch diese Vorschrift wollen die Mitglied­staaten stark abschwächen, indem sie – ebenfalls auf Druck der deutschen Regierung – diese Freiheit nur «innerhalb der redaktionellen Linie» zugestehen, die der Eigentümer festlegen darf. Ob das Parlament auch dagegen Front machen wird, steht noch nicht fest. Bliebe es aber bei der Position des Rates, würde das Gesetz an entscheidender Stelle versagen.

Und das nicht nur im Fall Bolloré oder des Springer-Verlags. Auch in Italien etwa kaufte sich die Familie Agnelli, die Eigentümerin des Fiat-Konzerns, ein ganzes Presse­imperium zusammen und regierte direkt in führende Blätter wie «La Repubblica» und «La Stampa» hinein. In Griechenland wiederum halten die mächtigen Reeder fast alle wichtigen Medien im Land und sind eng mit der Regierung liiert.

Gegen diese Beschränkung der Medien­freiheit durch private Eigentümer wird das Gesetz am Ende darum womöglich wenig ausrichten. «Natürlich wollen wir nicht, dass reiche Leute sich Medien kaufen, um die Politik zu beeinflussen», sagt Jourová. «Aber wir können nicht die Vorgänge innerhalb der Medien regulieren.» Da seien die Journalistinnen selbst und die Zivil­gesellschaft gefragt. Sie sollten «ihre Aktionen zum Schutz der redaktionellen Freiheit verstärken», so Jourová.

Die griechische Journalistin Sofia Mandilara bei der staatlichen Nachrichten­agentur hat dafür zumindest in Griechenland schon mal einen Start­schuss gegeben. Sie legte mithilfe der Gewerkschaft öffentlich Beschwerde gegen die Zensur der regierungs­kritischen Aussagen in einem ihrer Artikel ein. Zu ihrer eigenen Überraschung bekam sie sogar recht – und durfte einen weiteren Artikel zum Thema schreiben. Seitdem, so berichtet sie lachend, «fragen sie mich wenigstens immer, wenn sie meine Texte ändern wollen».

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«Investigate Europe» ist ein europäisches Journalisten­team, das gemeinsam Themen von länder­übergreifender Relevanz recherchiert und die Ergebnisse europaweit veröffentlicht. Zu den Medien­partnern dieser Recherche gehören neben der Republik «Público» (Portugal), «Il Fatto Quotidiano» (Italien), «Info Libre» (Spanien), «Reporters United» (Griechenland), «Gazeta Wyborcza» (Polen), «EU Observer» (Belgien), «Follow the Money» (Niederlande), «Dagens Nyheter» (Schweden), «Falter» (Österreich) und «Tagesspiegel» (Deutschland). Die Arbeit von «Investigate Europe» wird durch Spenden von Lesern unterstützt sowie von der Schöpflin-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Fritt-Ord-Stiftung, der Open Society Initiative for Europe, der Adessium-Stifung, der Reva-und-David-Logan-Stiftung und der Cariplo-Stiftung.

Die Republik hat mehrmals mit «Investigate Europe» zusammen­gearbeitet, etwa zum Handel mit russischem Erdöl, zum grenz­überschreitenden Bahn­verkehr oder zur Profit­maximierung mit Pflege­heimen.

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