Herr Kanzler, wir hätten da mal ein paar Fragen …
Wie nun weiter? Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sitzung des Bundeskabinetts am 10. August.
Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
ganz Berlin blickt heute auf Olaf Scholz. Der Auftritt des Kanzlers vor der Bundespressekonferenz um 11 Uhr ist der spannendste politische Termin des Tages – zugleich aber auch der einzig nennenswerte: Es ist Ferienzeit. Rund 100 Journalistinnen und Journalisten aus dem In- und Ausland werden im Saal der Bundespressekonferenz erwartet, schreibt Kristina Dunz aus unserem Berliner Büro in ihrem Vorbericht.
Im besten Fall, zeigt die Erfahrung, hilft solch eine große One-Man-Show einem Kanzler, sich zur politisch alles dominierenden Figur aufzuschwingen, quer durch die Themenfelder. Helmut Kohl ist das früher mitunter ganz gut gelungen, doch das ist schon Jahrzehnte her.
Inzwischen weiß man: Wenn es dumm läuft, kann gerade eine große Aufmerksamkeit im Publikum auch Risiken und Nebenwirkungen haben. Viele gucken ganz genau hin – und stoßen auf offene Fragen, die dann in den sozialen Netzwerken ungnädig seziert werden. Schlimm wird es, wenn die offenen Fragen dann auch noch vom Regierungschef zugekleistert werden sollen durch allgemeine Formeln und eine Hinhaltetaktik. Genau diese Gefahr besteht heute bei Scholz bei einer langen Liste von Themen.
Heikelstes Thema: die Warburg-Affäre
Hier nur eine kleine Auswahl: Bleibt es bei der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke? Ist die Schuldenbremse noch zu halten? Wird es eine Steuersenkung geben, die, wie vom Finanzminister geplant, Bezieherinnen und Beziehern der höchsten Einkommen auch die absolut höchsten Einsparungen verschafft? Und warum hakt es noch immer beim militärischen Ringtausch, der Panzerlieferungen in die Ukraine möglich machen sollte? Die Komplexität dieses Themas erläutert heute Markus Decker in einem großen Feature (+).
In die Defensive wird Scholz auch geraten, wenn man ihn bittet, jüngste Umfragen zu kommentieren. Seine SPD ist mittlerweile nur noch die drittstärkste Kraft in Deutschland deutlich hinter Union und Grünen, eine prekäre Situation für eine Kanzlerpartei. Bei den Persönlichkeitswertungen rangierte Scholz im vorigen Politbarometer nicht nur hinter Robert Habeck und Annalena Baerbock von den Grünen, sondern auch hinter seinem sozialdemokratischen Arbeitsminister Hubertus Heil. Neue Zahlen nennt die Forschungsgruppe Wahlen heute Nachmittag.
Vornehme Adresse: In der Hamburger Ferdinandstraße 75 residiert die in den Cum-ex-Skandal verwickelte Warburg-Bank.
Quelle: IMAGO/Hanno Bode
Das für Scholz heikelste Feld ist damit noch gar nicht berührt: die Cum-ex-Affäre. Was sagt der Kanzler zu den 200.000 Euro im Schließfach seines Hamburger Parteifreunds Johannes Kahrs? Sieht das nicht doch sehr nach Schmiergeld aus, nach strafbarem Filz in der ach so vornehmen Hansestadt?
Ausländische Medien werden bissig
Die Affäre wurde im Bundestagswahljahr 2021 komplizierter dargestellt, als sie ist. Fest steht: Die Hamburger Verwaltung hat, während Scholz in Hamburg regierte, eine Steuerrückforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Warburg-Bank verjähren lassen. Fest steht auch, dass der Chef der Bank mit Scholz über das Thema mehrfach persönlich gesprochen hat. Scholz kann sich nur an den genauen Inhalt dieser Gespräche nach eigenen Angaben nicht mehr erinnern.
Es gibt Amerikaner, die der Meinung sind, mit einer solchen Vorgeschichte wäre ein Kandidat in den USA nie zu einer nationalen Wahl aufgestellt worden. Niemanden darf es jedenfalls überraschen, falls sich Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland heute in der Bundespressekonferenz bei der Bankaffäre als besonders bissig erweisen. In „Le Monde“ (Paris) und „Times“ (London) etwa sieht Scholz schon seit Tagen alles andere als gut aus. Das rechte amerikanische Newsportal „Breitbart“ trommelt gar, in Deutschland bremse „ein linker Kanzler“ die Ermittlungen im „größten Steuerbetrug der europäischen Geschichte“.
Allein mit sommerlicher Lockerheit wird Scholz dieses Thema nicht in den Griff bekommen. Er muss Erklärungen liefern, nicht nur fürs nationale Publikum.
Zitat des Tages
Leseempfehlungen: „heute-show“ und toxische Weiblichkeit
Für ein „heute-show spezial“ zum Thema Cannabislegalisierung hat Außenreporter Lutz van der Horst Karl Lauterbach getroffen. Wann der Gesundheitsminister mit ihm „anrauchen“ wird und wie er ihn wieder von einem SPD-Eintritt überzeugen könnte, verrät van der Horst im Interview mit RND-Redakteurin Hannah Scheiwe.
Wenn Frauen um jeden Preis dem gesellschaftlichen Ideal vom „Frausein“ entsprechen wollen, schaden sie sich damit oft selbst. Einige Feministinnen und Geschlechterforschende sprechen dann auch von toxischer Weiblichkeit, berichtet RND-Autorin Irene Habich.
Aus unserem Netzwerk: der Wolf und 20 Jahre nach der Flut
Ein Wolfsrüde ist offenbar durch die Straßen Hannovers spaziert. Eine junge Frau konnte das Tier noch kurz filmen. Das Umweltministerium hat inzwischen bestätigt, dass es sich um einen jungen Wolf handelt, wie die „Hannoversche Allgemeine“ berichtet (+).
Vor 20 Jahren bei der Flut im sächsischen Grimma rettete Feuerwehrmann Thomas Lessig einer Frau das Leben. An den Folgen der spektakulären Hilfsaktion erkrankte er wenige Tage später schwer. Acht Monate lag er im Krankenhaus. Wie geht es ihm heute? Darüber hat mit ihm die „Leipziger Volkszeitung“ gesprochen (+).
Termine des Tages
Die zweiten European Championships werden von heute an bis zum 21. August in München ausgetragen. Auf dem Programm stehen Europameisterschaften in den Sportarten Leichtathletik, Radsport, Kunstturnen, Rudern, Triathlon, Kanurennsport, Beachvolleyball, Tischtennis und Sportklettern.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) besucht heute die Talbrücke Rahmede an der A45, deren Sperrung seit acht Monaten zur Überlastung von Ausweichstrecken und zu Unmut bei Anwohnern führt. Die A45 ist die wichtigste Verbindung zwischen dem Ruhrgebiet und Frankfurt am Main.
Um 21 Uhr kommt der UN-Sicherheitsrat in New York zusammen, um über die Angriffe auf das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine zu sprechen.
Was heute wichtig wird
Von heute an lohnt es sich, nachts in den Himmel zu blicken und nach Perseiden Ausschau zu halten. Der Höhepunkt des diesjährigen Sternschnuppenschauers dürfte in der Nacht zu Samstag, 13. August, erreicht werden.
Quelle: Marcus Führer/dpa
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