Wie naiv kann man denn sein?

Gazprom-Zentrale in St. Petersburg, Russland: Hier fließt nicht nur viel Geld zusammen, sondern auch viel Macht.

Gazprom-Zentrale in St. Petersburg, Russland: Hier fließt nicht nur viel Geld zusammen, sondern auch viel Macht.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

die Vorwürfe sind eine alte Leier, man mochte sie schon nicht mehr hören. Wir Deutschen, maulten jahrelang unsere Bündnispartner in Europa, den USA und Kanada, hätten uns zu stark abhängig gemacht von russischem Gas.

Lange behalf man sich hierzulande mit dem Hinweis, die USA wollten in Wahrheit nur ihr eigenes Gas an den Mann bringen.

Inzwischen aber ringt sich die deutsche Politik zu einer neuen, redlicheren Reaktion durch: Der Vorwurf stimmt. Auch jene, die die alte Leier immer ein bisschen übertrieben fanden, räumen heute leise ein: Wir haben es wirklich übertrieben mit der energiepolitischen Nähe zu Russland.

Ein geradezu aberwitziger Unfug

Zwei Drittel des Erdgases von einem einzigen Lieferanten zu beziehen – das ist sowieso nicht klug, auch wenn man alles Weltpolitische mal weglässt. Bei einer ökonomischen Dominanz dieser Art hat man am Ende als Kunde die Preise nicht mehr im Griff.

Das Weltpolitische kommt nun aber noch dazu – und lässt manche Weichenstellung der letzten Jahre als geradezu aberwitzigen Unfug erscheinen: Wie naiv kann man denn sein? Im Jahr 2015 zum Beispiel wurde der größte Erdgasspeicher in Deutschland – der zugleich der größte Erdgasspeicher Europas ist – an Gazprom verkauft.

Die schwarz-rote Regierung in Berlin schob seinerzeit alle Bedenken beiseite. Man setzte fröhlich auf die Kräfte des Marktes, die schon alles trefflich regeln würden.

Robert Habeck kommt nicht in die grüne Hochburg Falkensee, sondern will nach Schönwalde.

Liebäugelt jetzt mit LNG, verflüssigtem Erdgas aus den USA, Kanada, Australien und Katar: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

Wäre dies tatsächlich so, würde Wladimir Putin derzeit zusätzliches Gas anbieten, auch zu Zwecken der Einspeicherung. Denn der Preis ist gerade sehr hoch. Doch der Mann im Kreml setzt auf Machtwirtschaft statt Marktwirtschaft. Wenn das Gas weiterhin knapp ist, kann er damit politisch viel steuern: Erfolg oder Misserfolg der Energiewende in Deutschland, Mut oder Unmut der Bevölkerung.

Eines muss man der Gazprom-Tochter Astora, die im niedersächsischen Rehden den Speicher steuert, lassen. Sie pflegt Transparenz über alle Ein- und Ausspeicherungen. Letztlich aber wird damit alles noch bedrückender. In den letzten Tagen kam leider nichts mehr hinzu, dafür floss immer noch mal etwas Gas ab, meist für eine Stunde am Tag.

„Eine Leere für Deutschland“ haben wir das Stück überschrieben, mit dem wir heute die Hintergründe der Gasknappheit ausleuchten – und mögliche Auswege markieren. Ausgerechnet ein Grüner, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, will zum nächsten Winter Mindestspeichermengen von Erdgas vorschreiben. Und er will den Weg bereiten für tiefgekühltes Flüssiggas aus den USA, Kanada, Australien und Katar.

Einen Umweltpreis gibt es dafür nicht. Aber Habeck weiß: Ohne Gas als verlässliche Stütze könnte der komplette Umstieg auf alternative Energien scheitern. Deutschlands Energiewende, so scheint es, wird erst mal eine geopolitische sein.

 

Zitat des Tages

Das ist ein guter Tag für die Demokratie. Dieses Urteil ist ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter.

Renate Künast,

Grünen-Politikerin, hat vor dem Bundesverfassungs­gericht Erfolg gehabt: Facebook muss ihr die Namen von Nutzern nennen, von denen sie beleidigt wurde.

 

Leseempfehlungen

Manchen Menschen fehlt die Fähigkeit, sich bildhaft etwas vorzustellen. Es gelingt ihnen nicht, sich vor dem inneren Auge etwas auszumalen oder optische Eindrücke aus dem Gedächtnis abzurufen. Irene Habich beschreibt das Phänomen der Afantasie, das erst seit einigen Jahren genauer erforscht wird.

Das Eisbaden hat seine Tücken, erfuhr Katrin Schreiter in einem Gespräch mit dem Charité-Mediziner Hanns-Christian Gunga. Gesunde könnten damit zwar ihre Gefäße trainieren. Vorerkrankten aber drohen Herzrhythmus­störungen: „Wer das Gefühl hat, sein Herz schlägt nicht mehr gleichmäßig, sollte sofort raus aus dem Wasser.“ Gunga ist bekennender Warmduscher: „Wissen Sie, der Mensch ist generell nicht dafür geschaffen, Kälte abzuwehren. Mit Wärme kann er besser umgehen. Mir geht es genauso.“

 

Aus unserem Netzwerk: Schleswig-Holstein lockert

Schleswig-Holsteins Landesregierung will eine ganze Reihe von Corona-Vorschriften lockern. Laut „Kieler Nachrichten“ soll in Geschäften vom 9. Februar an nur noch eine Maskenpflicht gelten, Kunden müssen dann keinen Genesenen- oder Impfstatus mehr nachweisen. Außerdem entfällt die Sperrstunde in der Gastronomie.

 

Termine des Tages

Die Impfpflicht in Österreich wird heute endgültig beschlossen: Das Gesetz nimmt im Bundesrat die letzte Hürde. Nach Unterzeichnung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen kann das Gesetz dann am Freitag oder spätestens am Montag in Kraft treten.

Bei einem Treffen der EU-Innenminister im französischen Lille soll es heute unter anderem um die Sicherheit an den EU-Außengrenzen gehen, um die Reform der EU-Asyl- und ‑Migrationspolitik und den Kampf gegen Terrorismus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser wird zu dem Treffen erwartet.

In Italien wird heute der 80 Jahre alte Sergio Mattarella für eine zweite Amtszeit erneut als Staatsoberhaupt vereidigt.

 

Wer heute wichtig wird

IWF-Chefin Christine Lagarde will einen neuen Hilfsfonds für die Euro-Zone auflegen.

Wann und wie wird die Europäische Notenbank das Ende der zinslosen Zeiten einleiten? EZB-Präsidentin Christine Lagarde stellt sich heute um 14.30 Uhr in Frankfurt in einer Videopressekonferenz den Fragen von Journalisten.

 

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Ihr Matthias Koch

 

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