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Titel
Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin – Unmöglich, wie wenig Grundversorger vom BAG einbezogen wurden
Untertitel
Interview mit Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke
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Datum
Autoren
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Rubrik
Rückblick 2020/Ausblick 2021
Artikel-ID
49980
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Allgemeine Innere Medizin/ Hausarztmedizin
Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke)
Unmöglich, wie wenig Grundversorger vom BAG einbezogen wurden
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Massiv. Die Coronapandemie hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich zusätzliche MPA brauche, um die anfallende Arbeit und vor allem die anfallenden Anrufe zu bewältigen. Ein Beispiel: Nachdem die Zulassung der Impfung in den Medien kommuniziert worden war, riefen Dutzende von Patienten an und wollten sofort eine Impfung gegen Corona reservieren. Bis 11.00 Uhr am Montagmorgen kamen «normale» Patienten gar nicht durch – das ist gefährlich. Und unser Personal wird immer mehr beschimpft, wenn es Auskünfte, die wir nicht haben, nicht geben kann. Das BAG informiert das Publikum, bevor es uns informiert. Wenn ich nicht zufällig etwas im «Blick» gelesen habe, habe ich keine Chance, die Fragen meiner Patienten zu beantworten. Und davon gibt es viele, alle zwei, drei Wochen blockieren Corona-Angstpatienten meine Praxis, die längst nicht alle zu meinen Patienten zählen. Da muss man nicht nur von einem medizinischen, gesundheitlichen Schaden reden, sondern auch von einem finanziellen Schaden. Es ist unmöglich, wie sehr sich die Behörden geweigert haben, die Grundversorger in das Management der Pandemie einzubeziehen. Jeden Satz, der in Bern rausgeht, baden wir am nächsten Tag in der Praxis aus. Das behindert uns bei der Arbeit, es schadet sowohl den Patienten, die Corona haben, als auch den Patienten, die etwas anderes haben. Wir haben sogar schon überlegt, ob wir Strichlisten machen und dem Kanton eine Rechnung stellen sollen. Dieser soll selbst für die Einrichtung einer funktionierenden Hotline sorgen und informieren. Wir haben immer wieder Patienten, die versuchen, dort anzurufen. Und weil sie nicht durchkommen, stehen sie dann unangemeldet bei uns in der Praxis, auch coronapositive Patienten. Und je nachdem sind die Auskünfte der Hotline unqualifiziert, oft ist dort kein ärztliches Personal mehr.
Haben Sie selbst Coronatests durchgeführt? Falls ja: Welche Probleme traten dabei auf?
Nein, wir haben keine Coronatests durchgeführt. Wir schicken die Patienten in das gegenüberliegende Spital, das die Patienten gut separieren kann und dessen Tests keine falsch negativen Ergebnisse aufweisen. Denn wenn, dann muss man

es gut machen – und das heisst, häufig und standardisiert testen. Praxen in unserer Umgebung, die selbst Testungen durchgeführt haben, hatten innert kurzer Zeit positives Personal beziehungsweise mussten schliessen.
Hatten Sie Kontakt mit SARS-CoV-2-positiven Patienten, und wie sind Sie damit umgegangen?
Natürlich hatten wir Kontakt mit positiven Patienten, zuletzt ein Patient mit bilateraler COVID-19-Pneumonie, ziemlich ausgeprägt, er wurde direkt hospitalisiert. Alle Verdachtsfälle werden von Anfang an separiert und kommen direkt auf die Zimmer, die sie direkt wieder verlassen. Alle, die mit den Patienten in Kontakt kommen, tragen FFP2- Masken, Handschuhe und so weiter und wechseln jeweils danach.
Mussten Sie Untersuchungen und Behandlungen wegen der Coronapandemie verschieben? Falls ja: Welche Folgen könnte das für die Patienten haben?
Wir haben ausgesprochen massive Folgen gesehen. Gerade in der Anfangszeit hatten die Patienten Angst, in die Praxis zu kommen – deshalb haben wir die Strategie gewechselt. Wir haben die Patienten in Altersgruppen eingeteilt, systematisch die Krankengeschichten angesehen und proaktiv angerufen. Und so haben wir zum Beispiel Koronarsymptome und eine Lungenembolie bei Patienten gefunden, die sich nicht getraut haben, damit in die Praxis zu kommen. Aber es gibt auch andere Fälle. Ein Patient, den ich aus dem Notfall kannte, hätte sich getraut zu kommen, wurde aber von verschiedenen Stellen nach Schilderung einer Schwellung am Hals zunächst damit vertröste, dass man ihm ein Arztzeugnis für 7 Tage ausstelle. Dabei stellte sich nach Begutachtung in der Praxis heraus, dass bei ihm ein hoch aggressives Lymphom vorlag, das dringend einer Therapie bedurfte. Dieser Patient ist durch Corona fast gestorben, wenn auch nicht an …
Abgesehen von der Coronapandemie: Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Ich habe wenig mitbekommen, eher kleinere Veränderungen. Einzig vielleicht die SGLT2-Hemmer, die ihren kardiovaskulären Nutzen jenseits der Diabetestherapie gezeigt haben. Das ist nicht ganz neu, aber es gibt immer mehr Daten dazu.
Könnte das das Vorgehen in der Hausarztpraxis künftig verändern?
Das wird sich sicherlich auf die Therapie auswirken, wir berücksichtigen das jetzt schon. Aber ich habe auch den Vorteil, dass ich mit einer Diabetologin zusammenarbeite. Der interdisziplinäre Austausch mit Spezialisten in der eigenen Praxis hat sich sehr bewährt. Die Hemmschwelle für die Durchführung eines Echos oder einer kurzen Rücksprache ist viel geringer. Und das funktioniert in beide Richtungen.

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