Marsch – naturräumlicher Exot im Landkreis Rotenburg

Haben, was andere nicht haben

Am Wilkensdamm bei Mehedorf Foto: Joachim Looks
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Rotenburg – In der 166. Folge „Natur-Looks“ dreht sich alles um die Marsch, einen nacheiszeitlich entstandenen Landschaftstyp, den man auch im Landkreis Rotenburg findet.

Mein Lehrer in der dritten und vierten Volksschulklasse versuchte, seinen mehr oder weniger wissbegierigen Schulkindern, Unterrichtsinhalte gerne über leicht einzuprägende „Eselsbrücken“ zu vermitteln: „Im Osten geht die Sonne auf – im Süden nimmt sie ihren Lauf – im Westen wird sie untergehen – im Norden ist sie nie zu sehen.“

Im Heimatkundeunterricht lernte und behielt ich zur naturräumlichen Eingliederung des schleswig-holsteinischen Kreises Dithmarschen: „Dithmarschen gleicht einer Insel. Es grenzt im Norden an die Eider, im Osten an den Nord-Ostsee-Kanal, im Süden an die Elbe und im Westen an die Nordsee.“

Von sonntäglichen Familienausflügen waren Kanal, Elbe und Nordsee als mächtige Wasserhindernisse vertraut, die sich nur mit Hilfe von Fähren, Brücken oder gar einem Tunnel passieren ließen, während sich die Eider südlich von Kiel bei Ausflügen als wenig beeindruckender, schmaler Wasserlauf präsentierte. Ich hatte Probleme, mir angesichts des kleinen Baches vorzustellen, dass dieser schmale Wasserlauf dazu beitragen sollte, Dithmarschen zu einer „Insellage“ zu verhelfen wie Meer, Strom und Wasserstraße. Also führte uns einer der nächsten Sonntagsausflüge an die Kreisgrenze Dithmarschens und in den Kreis hinein, wo der bis auf eine Breite von 180 Meter angewachsene Fluss alle Zweifel an Dithmarschens Inselcharakter beseitigte. Es ist eine beeindruckende Entwicklung, mit der aus einem schmalen Bächlein nahe der nicht allzu weit entfernten Ostseeküste ein imponierender Marschfluss mit einer Breite von zwei Kilometern im Mündungstrichter an der Nordsee wird.

Marschen sind flache Landschaftsgebiete. Sie entstanden nacheiszeitlich durch Anschwemmungen an den Küsten Nordwesteuropas, aber auch an Flüssen wie Eider, Elbe, Ems, Oste oder Weser in Nordwestdeutschland, und sie liegen ungefähr auf Meeresspiegelhöhe. In der Regel sind sie fruchtbar, weil die küstennahe Lage zu einem ausgeglichenen Klima führt, in dem Frost viel seltener auftritt als im Binnenland auf Geest- oder Moorböden. Außerdem sorgen die zahlreichen Entwässerungsgräben dafür, dass Frost und Sommerhitze abgemildert werden.

Der hohe Grundwasserspiegel führt zusätzlich zu einer deutlich besseren Wasserversorgung von Pflanzen, als dieses auf der Geest mit ihren sandigen Böden möglich ist. Im Gegensatz zu den Böden dort enthält Marschboden höchstens 50 Prozent Sand und ist ertragreicher, weil er sich aus nährstoffreichen Anschwemmungen bildete. Diese warfen im Laufe langer Zeiten entlang von Küsten und Flussufern kleine Anschwemmungswälle auf, hinter denen es Ablagerungen nur noch bei Überschwemmungen gab. Wurden diese Gebiete nicht entwässert, entstanden Moore, weil aus der Geest abfließendes Wasser sich zunächst in der Fläche ausbreitete, lange dort stehen blieb und vor allem nach heftigen Regenfällen so zunahm, dass es sich seinen Weg ins Meer oder einen Fluss suchte. Es blieb nichts anderes übrig, als sich Gedanken über eine ständige Entwässerung zu machen, sollten diese Gebiete genutzt werden. Entwässerungen führen aber bei eigentlich wassergesättigtem Boden zu Bodensackungen, sodass komplexe Entwässerungssysteme gebraucht wurden aus Gräben, Pumpstationen und Sielen, die sich im Marschbereich mit ablaufendem Wasser öffneten und bei steigendem Wasserdruck wieder schlossen.

Wirtschaftlich ungenutzte Marschgebiete gibt es in Nordwestdeutschland kaum. In der Regel werden die fruchtbaren Böden als ergiebiges Grünland genutzt und, wo es möglich ist, auch für Ackerbau.

In Dithmarschen ist dieses beispielsweise vor allem der Anbau von Kohl, in den Hamburger Elbmarschen und Vierlanden Gemüse sowie Blumen, außerdem in den Marschen des Alten Lands entlang der Elbe Obst.

Und im Landkreis Rotenburg? Im nördlichsten Zipfel des Landkreises wird ein schmaler Streifen dem Naturraum „Watten und Marschen“ zugerechnet. Er liegt zwischen Oste und Ostendorf, einer Findorffsiedlung nahe Iselersheim. Ihn begleitet westlich der Siedlung die Mehe, ein Nebenfluss der Oste. Er mündet nahe der vom Fähr- und Geschichtsverein Brobergen betriebenen Oste-Prahmfähre in den Fluss, der bis Bremervörde dem Tidenhub der Nordsee unterliegt.

Die Mehe kann durch ein Schöpfwerk von der Oste abgeriegelt werden. Schöpfwerke helfen tiefer gelegenes Land zu entwässern, werden aber auch dazu genutzt, dieses bei extremen Wetterlagen vor Wassereinbrüchen zu schützen, indem der Zufluss abgeriegelt wird. Dies gelingt nicht immer. Wenn dem Meer zufließendes Wasser bei Sturmfluten nicht mehr wie bisher abgegeben werden kann, staut es zurück bis weit ins Binnenland, und sucht Wege, Wasserfracht abzugeben, beispielsweise in Nebenflüsse. Zuflüsse wie die Mehe müssen dann zusätzliches Wasser verkraften, obwohl sie selbst nicht wie gewohnt ihre Wassermenge wegen der hohen Wasserstände im Hauptfluss abgeben können. Sie würden über die Ufer treten, und dieses Wasser drückte im unglücklichsten Fall von innen gegen Flussdeiche, die zusätzlich durch rückgestautes Wasser des Hauptflusses von außen bedrängt werden würden. In der Vergangenheit brachen deshalb häufig Deiche, weil sie dem beiderseitigen Druck nicht standhielten. Überall dort, wo schützende Deiche fehlten, ergossen sich bei solchen gefährlichen Wetterlagen Wassermassen in flaches Marschland.

Die Mehe entsteht in der Nähe von Neu-Ebersdorf auf der Wesermünder Geest. Bei Alfstedt verlässt sie die Geest und fließt in die Hamme-Oste-Niederung Richtung Mehedorf. Nahe Iselersheim wird das Wasser der Wallbeck in der Nähe des Wilkendamms aufgenommen, der Mehedorf mit Alfstedt verbindet. Hier entstand das stimmungsvolle Foto.

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