Filmcheck der Woche

Redeschwall: „Einfach das Ende der Welt“

26. Dez. 2016
Gaspard Ulliel als Louis in „Einfach das Ende der Welt“

„Brauchen Sie jemanden zum Reden?“ Das steht auf dem Plakat mit der Notfallnummer, an dem Louis (Gaspard Ulliel) vorbeifährt auf dem Weg zu seiner Familie, die er seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hat. Zum Reden ist er tatsächlich dorthin gekommen: Der schwule Autor mit dem melancholischen Blick will seinen nahen Tod ankündigen. Und geplappert, geschimpft, gestottert, geschrien wird bis zum Ende des Films auch permanent – doch Louis selbst hält den Mund, während seine extrovertiert dauerplaudernde Mutter (Nathalie Baye), die bemüht rotzige kleine Schwester (Léa Seydoux), der aggressiv jede Annäherung abwehrende Bruder (Vincent Cassel) und dessen unsichere Frau (Marion Cottilard) alle Varianten scheiternder Kommunikation durchspielen. „Einfach das Ende der Welt“ von Xavier Dolan („Laurence Anyways“, „Mommy“) ist ein einziger Redeschwall, während das Wesentliche ungesagt bleibt.

Der Film geht auf das gleichnamige Theaterstück von Jean-Luc
Lagarce zurück, der wie der Protagonist seines Dramas HIV-positiv war und 1995 an den Folgen von Aids verstarb. Das kammerspielhafte der Vorlage verstärkt Dolan durch enge Bildausschnitte: Dem heimischen Horror ist nicht zu entkommen. Doch warum Louis seiner Familie in jungen Jahren den Rücken kehrte, welche Wut im großen Bruder Antoine lauert, was die intensiven Blicke zwischen dessen Frau Catherine und Louis zu bedeuten haben, wer da gerade was ausagiert, bleibt ungeklärt. Das ist einerseits wunderbar – ein Film, der nicht jede Deutung und Erklärung vorgibt. Andererseits wächst der Wunsch, die Hauptfigur möge doch bitte endlich ihr überheblich stilles Lächeln sein lassen und den Mund aufmachen, verdammt noch mal! Louis ist nicht nur eine passive Projektionsfläche für die Emotionen der anderen, sondern auch für die des Publikums. Dass dieser jesusmäßig sanfte Beau demnächst sterben wird, obwohl ihm nichts anzusehen ist, mag man auch nicht recht glauben. Xavier Dolan hat wieder das große Gefühlskino angepeilt – diesmal aber eher Verwirrung gestiftet.

Einfach das Ende der Welt, F/CAN 2016, Regie: Xavier Dolan,
mit Gaspard Ulliel, Vincent Cassel, Léa Seydoux
ab 29.12. im Kino

SIEGESSÄULE präsentiert
Preview bei MonGay, 26.12., 22:00,
Kino International

Das Siegessäule Logo
Das Branchenbuch mit Haltung
Queer. Divers. Überzeugend.